Berichterstattung in der „idealen Welt“
Da nun reichlich über die Berichterstatter hergezogen wird, sollten natürlich an irgendeiner Stelle ein paar allgemeineren Richtlinien angeführt werden, wie eine gute Berichterstattung auszusehen hätte.
Vorausgeschickt sei zusätzlich dieser eine wesentliche Aspekt: sollte man hierzulande je auf den Gedanken kommen – was man eben nicht tut und nicht für erforderlich hält, im Lande des ausgemachten „Erfinders des Fußballs“, der alle Wettbewerbe gewinnt oder zumindest gewinnen müsste –, wenigstens nur einmal so weit über den Tellerrand zu schauen, um zur Kenntnis zu nehmen, wie es im Ausland geschieht und dass es durchaus alternative Aufbereitungsformen gibt, dann wäre man bereits einen gehörigen Schritt weiter. Nirgends ist es so trist, so gelangweilt, so von oben herab, so abwertend, so geringschätzig wie hierzulande. Es genügt dabei, den Tonfall zu hören, bei einer beliebigen ausländischen Reportage, um zu spüren, dass hier so etwas wie Faszination, Freude, Begeisterung im Spiel ist.
Zugleich dürfte sich selbstverständlich jeder für den Fußball tätige Journalist einmal fragen, was einen Journalisten zum Journalisten macht? Wie und warum wurde der Beruf gewählt, was hat einen ursprünglich begeistert, fasziniert, welcher Aufgabe hat man sich gewidmet, was einen Zuschauer/Zuhörer mitreißen könnte?
Genau in dieser Fragestellung hätte man bereits den Großteil der Antwort gefunden : Faszination und Begeisterung. Eigentlich sollte man in diesen Beruf eintreten, weil man die ganz große Story an den Mann bringen möchte, dabei sein möchte, am besten live, und dieses Spektakel – was bedauerlicherweise in Einzelfällen auch Tragödien sein können, die aber dennoch, dank Sensationslust oder denkbarer Anteilnahme, gerne und gierig „verzehrt“ werden – dem Zuschauer nahe zu bringen, ihn ins Geschehen hinein zu ziehen, ihn zu fesseln, ihn mitzureißen, ihn entweder Nägel kauend in den Sessel hineinzudrücken oder ihn aus selbigem herauszureißen, ihn emotional anzurühren, ihm ein Erlebnis zu verschaffen, ihm das ganz große Erlebnis zu verschaffen, welches er nicht mehr vergisst. Der Zuschauer/Zuhörer möchte gut unterhalten und gut informiert werden. Beides hat seine Relevanz und fordert seinen Platz. Eine gut recherchierte Reportage schlecht aufbereitet möchte niemand haben und sehen, eine reißerisch aufbereitete, in welcher die Fakten falsch sind, fällt genau so durch, geht einfach nicht.
Und sollte es tatsächlich zeitweise oder unglückshalber nur saure Gurken anzubieten geben (häufig im „Sommerloch“?), dann müsste man selbst diese so schmackhaft wie möglich machen, damit sie dem Zuschauer/Zuhörer denn doch wie ein Leckerbissen vorkommen und er sie verköstigt mit der empfundenen Geschmacksrichtung Trüffel, Champagner, Kaviar.
Diesen Hintergrund scheinen die meisten Fußball Berichterstatter vergessen zu haben. Nach hier vertretener Einschätzung dem Umstand „zu verdanken“ (oder: geschuldet?), dass der Sport gigantisch groß ist und alle gebannt auf den Anpfiff des nächsten Spieles warten, in etwa so: „Heute ist Fußball, das ganz große Spektakel und zuschauen tut eh jeder, von daher ist es allein wichtig, dass ICH gut dastehe, die Einschaltquoten sind gesichert, so oder so.“
Diese Überzeugung ist jedoch grundfalsch. Man hätte die dringende Aufgabe, schon längst, an der Aufbereitung zu arbeiten. Die Zuschauer laufen viel eher weg als dass sie einem in Scharen die Bude einrennen.
Ein wahrer Fachmann ist – so ist man gezwungen zu interpretieren — einfach nicht begeistert, weil er alles schon gesehen hat. Er hat nüchtern, sachlich, analytisch, kritisch zu sein. Erfreuen tut er sich schon gar nicht an dem, was er da zu berichten hat. Zumal das Problem besteht: wenn man begeistert täte (oder es wäre) müsste man fürchten, als Laie abgekanzelt zu werden, welcher irgendeine schöne Aktion gesehen haben will, aber die zahlreichen Fehler und Unzulänglichkeiten übersehen hat – wie der wahre Fachmann angeblich.
Gut, also erneut die Annäherung über die negative Schiene, und das unbeabsichtigt. Stattdessen der positive Ansatz: man hätte das ganz große Spektakel, die Story schlechthin anzubieten – und so sollte es auch klingen. Das wäre
Regel Nummer 1: ein gutes Spiel findet statt, ok, oder tatsächlich mal ein Spiel ohne die großen Szenen: Aufgabe des Reporters muss es sein, das Spiel unterhaltsam zu gestalten, mit einem Tonfall, der Spannung verrät, und mit einem Herausarbeiten der packenden Szenen, notfalls mit Erzählungen zwischendurch, die Interessantes, Wissenswertes vermitteln, jedoch nur in Ausnahmefällen und in Momenten, da der Ball ruht, aus dem Spiel ist.
Weiterhin gälte Regel 2: Konzentration auf das Spielgeschehen. Der Ball läuft, also wird der Lauf des Balles verfolgt und kommentiert. „Heynckes auf Netzer, Netzer zurück zu Heynckes, Hucky Wimmer übernimmt, zieht ab – drüber.“ Ein Beispiel nur. Hätten auch Overath, Müller oder Beckenbauer sein können…
Regel 3: Keine ständigen Urteile. Adjektive sind erwünscht, sofern sie positiv das Spielgeschehen erhellen können. „Gute Flanke“ geht also immer, „starker Zweikampf“ auch. „Schwacher Schuss“ ist hingegen nicht angebracht. Der Zuschauer muss gefesselt werden. Wenn man zu häufig die negativen Adjektive verwendet muss sich jener doch eigentlich fragen: „Warum schaue ich nicht lieber die Sendung mit der Maus? Da passiert was UND es ist positiv.“
Regel 4: Keine Allgemeinplätze. Jedes Spiel, jeder Spieler, jede Szene ist einzigartig und sehenswert. Alles, was eine Verallgemeinerung darstellt, geht über in baldige Langeweile. „Immer das gleiche Strickmuster.“ Ja, wenn es denn jemals stimmen würde, was der selbst ernannte Fachmann da erkannt hat: wer möchte das hören oder das Geschehen dazu verfolgen? „Das Spiel der Rotgelben ist linkslastig.“ Der Zuschauer soll dann denken: „Das muss ich sehen. Linkslastig? Wow!“ Das ganze Gegenteil. Jeder Allgemeinplatz verdirbt Spannung und Freude. Weg damit.
Regel 5: Es gibt Gewinner und Verlierer. Der Verlierer hat seinen Beitrag zu dem Spektakel bei dem Spiel geleistet. Ihm gebührt der gleiche Respekt. Wenn er also nach Reporteransicht „zu wenig“ geleistet hätte, dann – man erinnere sich an Altmeister Herberger (man ist so gut, wie es der Gegner zulässt) – nur deshalb, weil der andere „zu viel“ entgegen zu setzen hatte. Also so, wie das Glas eher halb voll als halb leer zu sein hätte gilt auch hier die grundsätzliche Annahme: einer war gut und nicht etwa der andere schwach. Bei heutigen Beispielen sind, nach Reporteransicht, ja sogar oftmals beide schwach, ohne, dass er sich dabei um „Unterhaltungswert“ schert.
Regel 6: Das Endergebnis ist das, was Eintrag in die Tabelle findet. Gut. Ergebnisse und Tabellen lesen kann jeder. Was der Zuschauer aber wissen möchte: wie kam es zustande? Wer war gut, wer war weniger gut? Es gibt einen gewissen Zusammenhang, dass nämlich der Bessere häufiger gewinnt, aber es ist beileibe nicht in allen Fällen so. Es muss differenziert werden zwischen Qualität der Leistung und dem nackten Ergebnis. So könnte ein Verlierer sehr häufig eher Bedauern ernten als dämliche Fragen nach der Haltbarkeit des Trainers. Ein Gewinner wäre nicht in allen Fällen ein zu feiernder.
Regel 7: Es gibt diese Dinge wie Glück und Pech. Man verliert seinen Expertenstatus nicht, wenn man ein bestimmtes Spielergebnis als „glücklich“ bezeichnet. Eher im Gegenteil: es würde den wahren Fachmann ausmachen, dies unterscheiden zu können und den Mut zu haben, es auch so zu sagen. Dieser Sieg war glücklich, jener verdient.
Regel 8: Es gibt so etwas wie „Fair-Play“. Die pure Einforderung von Ergebnissen sorgt dafür, dass dieser Fair-Play-Gedanke immer mehr in den Hintergrund tritt und „dreckige Siege“ an dessen Stelle treten. Gesichert ist dies: der Zuschauer erfreut sich an den großen Gesten, welche erkennbar nicht auf „Gewinnen – Wahl der Mittel: egal“ ausgerichtet sind. Auftrag an die Berichterstatter: nicht ausschließlich auf Ergebnisse und Tabellen schauen. Der Zuschauer nähme das gerne und sofort und dankend an. Wir wollen nicht „irgendwie den Sieg erzwingen“ sondern wir wollen den Zuschauer gut unterhalten, wir wollen fair spielen und wir wollen attraktiv spielen. Das sind die Zielvorgaben, welche jedoch zuerst von den Medien ausgerufen und vertreten werden müssten.
Regel 9: selbst wenn ein Reporter so klug wäre und/oder etwas vorhersehen könnte, einen Spielausgang erahnen oder frühzeitig eine „Einbahnstraße“ erkennen könnte, dann hätte er noch immer die Aufgabe, die Spannung hoch zu halten. Also ein „Deckel drauf“, „Messe gelesen“ oder „der Drops ist gelutscht“, weil nach 62 Minuten das 2:0 fällt ist das Gegenteil davon – und zusätzlich sogar ab und an mal irrig, wie fast alle anderen Beklugscheiberungen leider auch. Auch eine einzelne Szene erlaubt diese vorauseilende Beschreibung nicht. „Da wartet er viel zu lange, nimmt das Tempo raus, hätte längst schon spielen müssen, spielt quer anstatt zu schießen“ oder was auch immer man da an Plattitüden erfährt: selbst wenn es jemals richtig wäre, Regel 9 lautet: „Du machst das spannend, egal wie viel du selbst weißt oder wie sehr du selbst gelangweilt bist vom Fußball.“ Und der letzte Eindruck entsteht ja, wenn man einem heutigen Reporter lange genug bei „seiner Arbeit“ zuhört, welche er nämlich, nach seinem Wortlaut, gerade kommentiert: „Wollen wir denen heute mal bei der Arbeit zuschauen.“
Die folgenden Regeln beziehen sich auf das Führen von Interviews. Auch darüber eine kurze Einleitung, wie sie derzeit geführt werden, wie es einstmals war und wie es sein müsste. Wobei Teil 2 und Teil 3 davon eine hohe Kongruenz aufweisen.
Der Missstand derart auf den Punkt gebracht: der Fragende fühlt sich mit dem Befragten auf Augenhöhe. Allein die Kenntnis der Tabelle und der jüngsten Ergebnisse scheint ihm dazu ausreichend. Denn: an jenen kann keiner vorbei diskutieren. Dies zumindest die gängige und vertretene Meinung der Medienrepräsentanten. Diese ist jedoch vollumfänglich falsch.
Ein Interview wurde früher einmal so geführt – und vermutlich dies auch im „Regelwerk“ für angehende Journalisten so verzeichnet und gelehrt: der Frager ist gut vorbereitet und kennt sich in dem Fachgebiet aus, so dass er sinnvoll fragen kann. Keineswegs gehört es zu seinen Aufgaben, die Antworten auf die gestellten Fragen zu kennen. Der wahre Experte sitzt (oder steht) ihm gegenüber. Der Zuschauer ist an den Aussagen des wahren Experten interessiert und nicht an den Allerweltsmeinungen des Fragenden. Die gängige Praxis umgekehrt.
Regel 10 lautet also: der Fragende hat einen echten ausgewiesenen Fachmann, häufig einen regelrechten Star, vor dem Mikrofon. Mit guten Fragen, so müsste die Aufgabe an den Fragensteller lauten, könnte er eine Menge Interessantes herausbekommen, was den Zuschauer interessiert.
Regel 11: keine Rededuelle führen. Die Augenhöhe wird der Frager niemals erreichen. Der Star ist der Befragte, der Fragensteller möge in den Hintergrund treten, kann nur durch klug gestellte Fragen brillieren, wenn er denn unbedingt möchte.
Regel 12: keine bohrenden, insistierenden Fragen, auf reine Ergebnisse gestützt. „Sie haben verloren. Warum?“ Antwort: „Wir haben ein unglückliches Gegentor kassiert und später einen klaren Elfer nicht bekommen.“ „Machen Sie es sich da nicht zu einfach?“. Peinlich, dumm, unüberlegt. Zugleich bohrend und auf eine Antwort insistierend, welche unrichtig ist und die man sich zugleich selber geben könnte. „Wir waren schlecht.“ Und dann hätte man das Spiel „aufgeklärt“ und zugleich dem wahren Adressaten, dem Zuschauer daheim, geboten, was er wissen wollte?
Regel 13: keine Suggestivfragen. Diese lassen meist nur eine Antwort zu, auf welche der Fragende anscheinend besteht. Widerspruch wäre ihm zwar gewiss, aber Widerstand ist die häufigere Reaktion. Diese führt entweder zu einem ungleichen Rededuell oder aber einem zugeknöpft reagierenden Befragten, der das Interview nur noch so schnell wie möglich hinter sich bringen möchte. Nicht im Sinne der Sache und nicht im Interesse des Zuschauers.