Man könnte es genauso gut „Verallgemeinerungen“ nennen. Hier geht es, anders als bei den Floskeln, darum, dass die Kommentatoren permanent nach Gelegenheiten suchen, zwei oder drei Spielszenen zusammenzufassen und anhand derer versuchen, das laufende Spiel zu erklären.
Ein Beispiel dafür sieht so aus: Eine Mannschaft greift zwei Mal über die linke Seite an. Dann heißt es gerne mal : „Sie kommen immer wieder über links.“ Nach zwei Angriffen, die mit Distanzschüssen abgeschlossen werden, erfährt man: „Sie versuchen verstärkt, mit Distanzschüssen zum Erfolg zu kommen.“
Wie immer muss die Frage erlaubt sein, was sich der Sprecher davon verspricht, eine solche Erkenntnis von sich zu geben. Denkt er, dass es seine Reportage so richtig aufpeppt? Dass es dadurch spannender wird? Geht es um das Verbreiten von Weisheiten? Möchte man eventuell die Laufbahn zum Spielbeobachter einschlagen und macht hier Werbung in eigener Sache? „Ich erkenne so viel in einem Fußballspiel, das muss doch irgendwann mal ein Vereinsboss erkennen und mich engagieren?“ Nun, andererseits wäre das natürlich karrieremäßig ein Abstieg, da er ja kürzlich erst ein Trainer + Manager Engagement für den Planeten Vega aus der intergalaktischen Liga abgelehnt hat – so großartig wie er nun mal ist –, aber immerhin: Tapetenwechsel vielleicht?
Ein wichtiger Kernsatz, der ursächlich verantwortlich sein kann – es geht anderen Menschen nicht anders, wenn einem beispielsweise ein Freund mal von einer Problemsituation erzählt, von einer Krankheit, dann versucht man das Gleiche: „Ja, das kenne ich, hatte ich auch schon mal.“ – lautet: Mustererkennung. Da es den Tatsachen entspricht, und man eigentlich sehr häufig auf der Suche nach bekannten Mustern ist, so bietet es sich hier an, nein, drängt sich geradezu auf. Sie haben eben schon einmal über links angegriffen, jetzt schon wieder: Aha, ich habs erkannt: Sie kommen über links. So in der Art vielleicht.
Andererseits deutet es nicht unbedingt an, dass man an Zuschauerbegeisterung interessiert ist. Abgesehen davon stimmt es trotz der wohl meinenden und erkannten Absicht häufig genug nicht. Zumal, wenn es, wie beispielsweise zum Bundesligaauftakt der Saison 2010/2011 bei Mainz 05 – VfB Stuttgart – ein belibeiges, aber „aktiv“ erlebtes und aufgeziechnetes Beispiel — in der Sky Konferenz nach 10 Minuten erkannt werden soll und einen negativen Anstrich bekommt: „Ziemlich linkslastig, das Mainzer Spiel.“ Nach 10 Minuten wäre es einfach Unsinn, davon zu sprechen. Selbst wenn bisher schon fünf Angriffe (so viele echte soll man erst einmal zusammen bekommen in der Zeitspanne; nicht jeder Ballbesitz mündet in einem Angriff, genügend viel spielt sich im Mittelfeld ab, ohne direkte Torannäherung) über diese Seite gekommen wären – pardon, Monsieur, sofern Sie von Abwehraktionen auf dieser Seite sprächen, wären wohl kaum die Mainzer für die „Linkslastigkeit“ verantwortlich –, wäre es weitaus verfrüht.
Der Ausdruck „linkslastig“ aber suggeriert auf jeden Fall eine Art von Mangel. Später im Spiel bezog sich der gleiche Sprecher (eher zufällig) darauf, als er von der „eigentlich leichten Ausrechenbarkeit der Mainzer, da sie immer wieder über die linke Seite kommen“ sprach. „Über links“ wäre als Kommentar ok, viel über links auch, sofern es stimmt. Wenn das Spiel „linkslastig“ ist, hat man doch sofort das Gefühl, etwas dagegen unternehmen zu müssen, um diese lästige Lastigkeit loszuwerden? Und „ausrechenbar“ ist jedenfalls kein Attribut, welches gemeinhin mit hoher Qualität in Verbindung gebracht wird. Wenn der Gegner nicht noch schwächer und blöder wäre, könnte er diese „Ausrechenbarkeit“ nutzen und, nach Bewältigung der schlichten Rechnung einen Riegel vorschieben: nix mehr mit Gegentor.
Mainz gewann das Spiel relativ locker mit 2:0. Als die Tore aber — schon bald danach das erste, durch die Mitte, Traumpass von Holtby auf Allagui, dieser mit perfektem Abschluss ins lange Eck — war die „an sich so hoch gelobte Innenverteidigung, die nominell eine der stärksten der Liga ist“ daran schuld, und selbige im weiteren Verlauf „immer wieder überfordert.“ Nun ja, wer sich bemühen sollte, da Zusammenhänge zu erkennen, die irgendetwas mit dem gemeinsam haben, was die Trainer – und wen, wenn nicht diese dürfte man zur Analyse heranziehen? – in der Kabine zu ihren Spielern, und auch in der anschließenden Pressekonferenz über den Spielverlauf sagten, drfte leer ausgehen: niente, nix da, hat keiner außer dem Sprecher so beobachtet und für festhaltenswert eingestuft.
Falls doch einer, dann wäre es vielleicht der Mainzer Trainer, der tatsächlich sogar den Vorschlag machte, es verstärkt über die linke Seite zu probieren. Wenn dem aber so war, so hätte es sich um keinen Mangel mit der Linkslastigkeit gehandelt, sondern das Umsetzen einer Taktik. All dies wird wohl auf Lebzeiten dem sprechenden Herren verborgen bleiben.
Die ständige Suche nach Verallgemeinerungen mag im Leben also gewisse Anhaltspunkte bieten, mag auch verhaltensmäßig einsichtig und logisch sein, da es permanent um Entscheidungsfindung geht und man sich auf der Suche nach Hilfen diesbezüglich befindet. Diejenigen, die es in einem Fußballspiel zu tun hätten, sind die Trainer und Spielebeobachter. Sie haben die Aufgabe, Muster zu erkennen und nach Möglichkeit die gewonnenen Erkenntnisse Vorteil bringend einzusetzen. Sei es für das folgende Spiel in Bezug auf die eigenen Mannschaft oder den beobachteten Gegner oder sei es während eines Spiels, um gegebenenfalls taktische Anpassungen vorzunehmen, um entweder einen eigenen Missstand auszubügeln oder sich einen beim Gegner erkannten nutzbar zu machen. Sofern es der Sprecher tut, hat es keine Funktion, außer die gewohnte der Selbstdarstellung und — bedauerlicherweise das gängigste und am meisten angekreidete – die Spannung zu vernichten, wenigstens zu verringern. Denn sowie man auf „Analysemodus“ umschaltet – und damit nicht nur den Zuschauer ebenfalls dazu einlädt sondern eher ihm das aufzwängt –, hält nüchternes Nachdenken und nicht emotionale Anspannung oder Begeisterung Einzug. Welches davon will man mehr, als Zuschauer?
Die Beispiele sind dafür so vielfältig und irgendwie geht es den Sprechern anscheinend in Fleisch und Blut über. Dem Zuhörer geht es vergleichbar ein wie Werbung – man hört immer wieder das gleiche und beginnt allmählich, unmerklich, die Produkte ohne Nachfrage zu kaufen, der Wiedererkennungseffekt – und man schluckt es nach und nach. Die Sprecher haben sich im Grunde mit dieser „Strategie“ (ohne davon Kenntnis zu haben) das Leben leicht gemacht. Sie beten permanent Standardphrasen herunter anhand weniger beobachteter Spielszenen, in denen sie meinen, ein Muster zu erkennen und fertig ist der Lack. Der Job ist erledigt, das Spiel habe ich durchschaut, der Rest ist einfach.
Besonders auffällig wird das übrigens bei Zusammenfassungen. Man meint, indem man Zuschauern das Muster vorgibt, dass dieser es ebenfalls dadurch wieder erkennt. Die Frage, ob man dadurch glaubt, die Spannung zu steigern, kann hier natürlich nicht endgültig beantwortet werden, aber noch weniger jene: wo wird eigentlich in den entsprechenden Etagen überhaupt nachgedacht? Die Vermutung lautet: es gesschieht rein gar nicht.
Nur insoweit, dass es, wie man gerne durch Nachvollziehen und das eigene Empfinden dabei prüfen kann, nicht geschieht. Man kann keine Spannung empfinden, wenn einem solche Serien von Allgemeinplätzen aneinandergereiht runtergebetet werden. Zum Glück ist es aber bald vorbei, weil eben so kurz. Und die paar schönen Tore wollte man durchaus gerne sehen.
Auffällig ist bei den Nachbetrachtungen übrigens, dass sich der Zuschauer in dem Falle nicht einmal wehren kann. Wenn ein Live-Kommentar erfolgt und eine der entsprechenden Analysen vorgetragen wird – „sie probieren es immer wieder durch die Mitte“ – dann könnte der Zuschauer sich zumindest m Geiste dagegen wehren, sich an Spielszenen erinnern, abgesehen davon, dass nicht als Mangel sondern Qualitätsmerkmal erachten. Wenn er nur ein paar Szenen zu sehen bekommt – Zusammenfassung – dann kann ihm der Sprecher alles erzählen. Und das nutzt er weidlich aus: „Schauen Sie mal, eine für das Spiel typische Szene: Immer nur Ballgeschieben, quer und zurück, nach vorne ging auf beiden Seiten garnix.“ Abgesehen mal wieder davon, dass es negativ ist, soll man sich als Zuhörer damit einfach abfinden. „So wie hier ging es die ganze Zeit.“ „Oh, danke, großer Meister, für die Erhellung. Aber ab nächster Woche schalte ich nicht mehr ein. Das ist mir langweilig.“
Es gibt nichts, was einem den Spaß mehr verderben kann. Jegliche Differenzierung wird negiert, für nicht existent erklärt. Spannung? Fehlanzeige. Gab es nicht. Warte auch nicht drauf. „Es ging immer nach dem gleichen Strickmuster.“ Auch ein beliebter Satz. „Muster“ – dass des Stricks – erkannt, Schlinge draus gebastelt und selbst dran aufgehängt. Gut gemacht, Junge.
Zwei weitere, nur so eingefangen: .Holtby ist mit dieser Chance sehr schludrig umgegangen.“ „Ein unrundes Spiel, viel Hektik“ (nach 14 Minuten)
Auch an dieser Stelle seien ein paar alternative Schilderungen gegenüber gestellt und man frage sich, welche der beiden den höheren Unterhaltungswert hätte: „Schon wieder ein toller Schuss aus der Distanz.“ Oder „erneut über die linke Angriffsseite, das sieht gefährlich aus…“
Allgemein steht immer diese Aussage im Raum: nüchtern/sachlich/analytisch ist die Deutsche Berichterstattung. Selbst wenn die gemachten Beobachtungen richtig wären, würden sie noch immer auf den Unterhaltungswert negativ wirken. Bedauerlicherweise sind sie jedoch in aller Regel überkritisch und zudem schlichtweg falsch. Insofern stimmt bedauerlicherweise diese Einschätzung, wie man so etwas, eher umganssprachlich und hemdsärmlig sagt: „Klugscheiberei“ oder so ähnlich.
Eine Szene einfach nur so zu beschreiben gelingt keinem dieser Halbgötter in bunt. Es wird stets eine Einschätzung, gar ein Urteil darüber hinzugefügt. Der Ursachen gibt es einige. Ein Beispiel: der Berichterstatter sähe seine Position gefährdet, wenn er einfach nur ein „super gemacht, toller Schuss, ebenso gute Parade.“ Das käme aus seiner Sicht einem „hach, ist der Rasen schön grün“ gleich. Ein ahnungsloser Dämling, der an ALLEM Freude zu haben scheint, vom tatsächlichen Geschehen selbst jedoch nicht die geringste Peilung hätte. Ein wahrer Fachmann MUSS, und zwar UNVERZÜGLICH, den Finger in die Wunde legen, sonst büßt er seinen Status ein. Gleichgültig dabei jedoch, ob er richtig liegt und ob der Zuschauer dabei Freude hat.
Ein weiterer, offensichtlicher Grund: der Fußball wird als so gigantische groß erachtet, dass ohnehin JEDER, ausnahmslos, zuschaut, egal, wie sehr man sich gar bemühte darum, ihn zu vergraulen. „Heute ist Fußball, das MUSS ich schauen.“
Nur ist diese Annahme irrig. Ein Spiel über 90 Minuten schauen die wenigsten und wohl nur noch sehr besonders herausstechende Spiele. Außerdem: gegen einen guten Unterhaltungswert wäre so oder so nichts einzuwenden?! Zusätzlich auch nichts dagegen, dass eine jegliche sachliche Analyse doch zumindest an den Kern der Sache herankommen sollte und nicht beliebig aus der Luft gegriffen sein?
Ein weiterer Grund: Deutschland hat so viele Meisterschaften, Länderspiele, Pokale, Spiele gewonnen (und/oder dabei die namhafte Konkurrenz zuhauf ausgestochen), dass man hier „einfach alles weiß über Fußball“, denn sonst wären diese vielen Siege und Titel doch niemals so zustande gekommen? Wir sind die Besten, und das erkennt man auch in der Berichterstattung. Jeder hier „hört die Flöhe husten“ und merkt direkt, wo der Fehler lag, egal, zu welchem Zeitpunkt einer Aktion man dies einwerfen würde: „wartet zu lange – hätte er längst spielen können – da ist die Situation fast schon verpasst – und dann ist er doch drin.“ Alles falsch gemacht, aber ein Tor damit erzielt? Schon kurios. Nur erfähft man direkt danach, dass sich da die komplette Abwehr hat düpieren lassen und eher in sener Ordnung einem Hühnerhaufen glich.