Immerhin hatte ich für diese EM einmal die ganz kurze Gelegenheit, auf das Glück der Deutschen auch öffentlich aufmerksam zu machen. Es kam nämlich so, dass ich vom WDR eine Einladung erhielt zu der Sendung „Dellings Woche“. Der Moderator: Gerd Delling, wie man eventuell vermuten könnte. Seine Sendung war keine Sportsendung, insofern könnte ich mich auch als „leicht deplatziert“ empfinden. Jedoch lechzend nach publicity habe ich selbstverständlich sofort zugesagt, keine Frage. Ich hatte ein nettes Vorgespräch mit Herrn Delling. Dabei versuchte ich, ihm verständlich zu machen wie die „Berechnung einer Fußball Europameisterschaft“ Computertechnisch funktionieren würde. Nun waren dafür sicher fünf Minuten nicht ausreichend, selbst für einen Fachmann wie Herrn Delling. Er zeigte sich auch mehr interessiert am Tagesgeschehen und wie es der Zufall so wollte spielte an jenem Abend, einem Mittwoch, die Fußball Bundesliga. So sollte ich ihm im Studio eher eine Live Wette präsentieren und wie man sie abschließt, vielleicht später noch mit einem Ergebnis, bevor ich meine Berechnungen für die EM auf den Bildschirm bringen durfte.
Gesagt, getan. Ich platzierte eine Live Wette und kommentierte kurz die Zwischenergebnisse im Zusammenhang mit meinen Wetten. Herr Delling hatte reichlich andere Studiogäste mit denen er sich gebührend beschäftigte. Die Zeit schritt voran, und auch der Name Delling garantiert keinen Gottschalkschen Überziehungskredit. Wir mussten pünktlich Schluss machen. Er befragte mich also kurz zu den Chancen der Mannschaften, meine vorbereitete berechnet Tabelle kam auf den Monitor – für den Zuschauer ganz kurz zu erkennen – kombiniert mit der Frage: „Wer wird denn nun Europameister?“ Meine Antwort: „Favorit ist tatsächlich Deutschland.“ ALs ich aber zur Erläuterung ansetzen wollte, wieso gerade Deutschland? Vor allem, wenn man mein Verhältnis zur Vorgeschichte ihrer Erfolge berücksichtigt? Ja, ich wollte ergänzen, wurde aber vom Abspann unterbrochen.: „Das haben die Deutschen aber nicht etwa ihren überragenden Fähigkeiten zu verdanken, sondern einmal mehr den ihnen bereits im Ausland so geneideten sprichwörtlichen (Los-)Glück. Diesmal bescherte dieses ihnen in der Vorrunde die Mannschaften Polen, Österreich und Kroatien. So sehr man diese Nationen schätzen mag: Eine Gruppe mit Holland, Italien, Frankreich und Rumänien klingt doch etwas stärker?
Die Gegner der Deutschen, Polen und Österreich, waren in meiner Spielstärkerangliste – welche von den gängigen Wettbörsen und –anbietern bestätigt wurde – auf den Plätzen 15 und 16. Was angesichts 16 teilnehmender Mannschaften schon eine ziemlich gewaltige Aussage ist. Kroatien war im günstigsten Fall auf Platz 8. Glück, Glück, Glück. Da war es schon wieder….
Wurde die Vorrunde damit mal wieder zum gewohnten Spaziergang? Nein, wage ich zu behaupten. Der Sieg gegen Polen mag korrekt und herausgespielt gewesen sein, die Niederlage gegen starke Kroaten zwar unglücklich, aber dennoch möglich. Damit wurde das Abschlussspiel gegen Österreich zum Entscheidungsspiel, bei welchem den Deutschen ein Remis genügt hätte. Jedoch stemmten sich die Österreicher mit Allem, was sie zu bieten hatten, gegen die scheinbare Deutsche Übermacht und waren nahe dran am Wunder. Das 0:1 bestätigt dennoch ein paar Gedankengänge, die im Kapitel über die WM 2006 geäußert wurden. Es gab auch wieder jede Menge Schiedsrichterentscheidungen, gerade in den Spielen von Österreich, an denen sich die Gemüter erhitzten. Selbst wenn die Tendenz der Entscheidungen diesmal nicht ganz so eindeutig waren: Das Argument, dass im Zweifel gegen die Stürmer entschieden würde, habe ich noch nie vernommen. Bedeutet für mich aber nicht, dass es nicht wahr wäre.
Deutschland war also wie gewohnt durch, wie mein Computer auch vorhergesehen hatte, wenn auch nur zu etwa 90%… Was geschah in den anderen Gruppen?
Bemerkenswert hier wirklich eine Serie von Spielen, die doch wieder den Fußball im Vergleich zur WM 2006 etwas aufleben ließ. Die Türken konnten zunächst das Spiel gegen die Schweiz in einer dramatischen Schlussphase drehen zum 2:1. Das alleine genügte aber nach der Auftaktniederlage noch nicht zu ihrem Glück. Sie lagen gegen Tschechien mit 0:2 hinten und auch mir wäre vermutlich zur 75. Minute ein Pfifferling zu wertvoll erschienen, um ihn auf die Türken zu riskieren… wenn ich nicht schon vorher etwa 16 Tonnen Pfifferlinge auf sie gehabt hätte. Sie schafften den Anschluss zum 1:2. Eine Viertelstunde Hoffnung. Und es war mehr als Hoffnung, da es sogar Torchancen gab. Tatsächlich! Drei Minuten vor Schluss das 2:2! Unglaublich, so etwas. Kurioserweise hätte ein 2:2 in diesem Spiel sogar auch ein Elfmeterschießen bereits in der Vorrunde zur Folge gehabt. Punkt- und Torgleichheit in allen Instanzen. Jedoch erzielten die Türken quasi mit dem Schlusspfiff das 3:2. Für mich alles andere als merkwürdig, dass ein solches Spiel bald danach in die Liste der 10 besten EM-Spiele aller Zeiten gewählt wurde. Man bedenke jedoch: Jedes dieser Spiele ist eines mit Toren, in der Regel vielen, und dazu noch abwechselnd erzielten. Das nur zum Thema „Tore beim Fußball“, wo nach meiner Ansicht durch Auslegung der Regeln für immer weniger davon gesorgt wird.
Sehr besonders auch der Auftritt der Rumänen in der Todesgruppe mit Frankreich, Italien und Holland. Nachdem sie Frankreich ein 1:1 abgetrotzt hatten, mussten sie gegen Italien ran. Und so sehr ich den Italienern auch Erfolge gönnen mag, in diesem Spiel haben sie es nicht wirklich verdient. Die Rumänen hatten kurz vor Schluss einen Elfmeter, der ihnen, falls verwandelt, das Weiterkommen gesichert hätte, falls man im abschließenden Gruppenspiel gegen Niederlande knapper als 1:4 verliert, oder auch gar nicht. Und das wäre doch möglich gewesen? Im letzten Gruppenspiel kam es so zu einem Endspiel zwischen Italien und Frankreich, in welchem nur der Gewinner der beiden großen Nationen die Hoffnung haben durfte auf das Weiterkommen. Denn die Niederlande standen als Gruppensieger fest und durften so mal wieder die B-Elf gegen Rumänien ranlassen, welche auch gefahrlos hätte verlieren dürfen und damit einen großen Konkurrenten gleichzeitig eliminiert hätte. Nur taten die B-Spieler, was ihnen Fair-Play und A-Elf-Aufrückgedanken vorschrieben. Sie nahmen die Sacher ernst und eliminierten stattdessen die Rumänen. Gleichzeitig besiegte im Verliererduell Italien Frankreich, so dass meine Freunde doch noch ins Viertelfinale aufrücken durften.
Das Viertelfinale brachte auch noch einiges an Drama hervor. Mit der gewohnten Suppe gesegnet konnten die Deutschen Kicker die Portugiesen mit 3:2 besiegen. Ein spannendes, ein tolles Spiel. Mit dem gewohnten Ausgang. Spanien bezwang die wieder einmal nicht viel falsch machenden Italiener nach einem torlosen Spiel im Elfmeterschießen. In der Paarung Niederlande gegen Russland hielten die Russen dem Druck stand, erreichten die Verlängerung und konnten schließlich in dieser noch zwei Tore erzielen. Gemessen an anderen Ergebnissen in einem solchen Turnierstadium könnte man das meinetwegen als Sensation werten. für mich nichts weiter als die Realisierung einer kleineren Wahrscheinlichkeit.
Das wahre Drama in der Partie Türkei gegen Kroatien. Hatten die Türken schon ausreichend ihr Glück strapaziert – deutsche Ausmaße wird so schnell keiner erreichen –, so kam es doch hier zur Krönung. Das 0:0 hielt und bestätigte wieder einmal. für diese EM aber nur im wesentlich kleineren Rahmen, meine Befürchtungen in Richtung Torarmut bei Großereignissen. Nach 119 Minuten aber erzielten die Kroaten das 1:0 Siegtor. Das konnte nicht anders unter diesen Umständen. Das Siegtor war aber eher das Niederlagentor. Denn nach dem in letzter Sekunde kassierten 1:1 schleppten sie ihre frustrierten Köpfe auf den träge gewordenen Beinen nur noch zum Elfmeterpunkt und – versagten nacheinander. Wäre es beim 0:0 geblieben, wäre das Elfmeterschießen vielleicht auch anders verlaufen? Die Türken wieder weiter. Auf dramatische Art, noch mehr aber glückliche.
Nur wen bekamen die Deutschen nun „zugelost“? Genau, die Türken. Die Glücksritter dieses Turniers hatten ihr Glück nun aber endgültig aufgebraucht. Und gegen Deutschland mit Glück ankämpfen zu wollen, ist vergleichbar mit der Mission, die Ägäis auf dem Fahrrad durchqueren zu wollen. Sie kamen zwar auch in diesem Spiel kurz vor Schluss zum 2:2 Ausgleich, was mich tatsächlich für ein paar Sekunden aus dem Phlegma in meinem Fernsehsessel katapultierte, jedoch wirklich nur für ein paar Sekunden. Lahm nahm den Ball, eilte nach vorne, umkurvte rasch noch ein paar für den Moment ob des glücklichen Ausgleichs lethargische Gegenspieler, hämmerte drauf, drin, 3:2, Deutschland im Finale. Tja, die Ägäis ist wirklich ein ganzes Stück lang, Und breit. Und alles auf dem Fahrrad. Nä, das wird nix.
Und wo waren all die anderen? Ja, das durfte man sich dann wieder für ein paar Tage in den Medien anhören. „Wir“ sind mal wieder da. Die anderen raus. Aber erkennt man nicht auch, woran es zu einem großen Teil liegt? Die Qualität der Spiele der Deutschen Mannschaft kann jedenfalls nicht eine neuerliche Finalteilnahme rechtfertigen. Und die harte Konkurrenz hatte sich offensichtlich gegenseitig eliminiert. Wo waren sie also geblieben? Auf der Strecke, ja. Jeder auf seine Art. Nur waren die Gegner meist härter als die der Deutschen.
Der letzte Stolperstein wartete im Finale mit den für dieses Jahr der Rolle der Vereinsmannschaften im internationalen Fußball gleich kommenden Spanier. Und diese waren in dem Spiel eindeutig eine Nummer zu groß. Mein Computer hatte sich also doch geirrt?! 1:0. Das schönste aller Fußballergebnisse?!. Zumindest bald das häufigste…
Meine Datenbank verrät mir gerade, dass in den letzten beiden Spielzeiten von allen erfassten Ligen und Ergebnissen tatsächlich das 1:0 das häufigste war. Sofern man 1:0 und 0:1 zusammenrechnet natürlich. Es ist zu 17,83% eingetreten. Das 1:1 an zweiter Stelle nur zu 12.32%. Wenn man das 0:0 noch betrachtet mit seinen 8.02%, dann sind die torarmen Spiele eindeutig auf dem Vormarsch mit über 25% für 0 oder 1 Tor insgesamt. Und man bedenke: Es sind alle Ligen vertreten, auch viele kleinere, wo die Gefahr noch viel geringer ist.