Ich konfrontiere den Leser gleich mit der absolut schockierenden Erkenntnis für das bald so getaufte „Sommermärchen“: Für mich war die WM nicht nur schwach sondern auch noch langweilig. Es gab kaum schöne Spiele und auch sehr wenig Spannung, geschweige denn irgendwelche großen „Sensationen“.
Sehr merkwürdig für mich, dass der Erfolg von Ghana in der Vorrunde als eine solche Sensation verkauft werden sollte. Sie haben Tschechien besiegt. Das stimmt. Das war „das Ergebnis“ der WM, wenn man so will. Davor hatten sie brav gegen Italien verloren. Im letzten Gruppenspiel benötigten sie nur noch ein Unentschieden gegen die USA. Für mich waren die USA klar besser, verloren aber dennoch mit 1:2. Eine wahre Sensation. Nur: verglichen mit allen Vorgängerturnieren finde ich ein einziges solches Ergebnis nicht gerade besonders viel.
Man erinnere sich, wie willenlos die Mannschaften aus Togo, Trinidad & Tobago, Costa Rica, Tunesien, Iran, Angola oder Saudi-Arabien sich verabschiedeten. Es gab keinen Widerstand in total langweiligen Spielen. Auch die vorher noch als ernsthafte Konkurrenten betrachteten Farbtupfer aus der Elfenbeinküste oder Japan verabschiedeten sich ziemlich sang- und klanglos.
Das Erinnerungsvermögen sagt mir dabei übrigens, dass es keine spannenden Spiel und Gruppenkonstellationen gab. Das Internet klärt mich genauer auf. Ghana flog dann ebenso hoffnungslos im Achtelfinale raus, so dass die Fußballwelt als „heil“ zu betrachten war, indem nur noch die großen Nationen untereinander spielen durfte. Für mich war das sowohl wetttechnisch unerfreulich als auch fußballerisch uninteressant.
Deutschland hatte sein Sommermärchen begründet, indem es ihnen gelang, Polen in der Nachspielzeit mit 1:0 zu bezwingen. Es war mit Sicherheit ein sehr gutes Spiel, das unbestritten, mit dem Ausbruch der Emotionen, als das verdiente Siegtor zum 1:0 doch noch fiel. Jedoch darf ein kleiner Einwand erlaubt sein, der einen 1:0 Erfolg im Heimspiel gegen den kleinen Nachbarn aus Polen so glorifiziert. Keine Frage, es war ein Erlebnis, das Spiel. Und mich hat es auch nichts gekostet, finanziell betrachtet. In dem Sinne war ich „neutral“.
Aus der Vorrunde ist mir besonders das Spiel der Kroaten gegen Japan in Erinnerung geblieben: Kroatien hatte einen Gewinnplan ausgemacht. Der lautete, die körperliche Überlegenheit auszunutzen, indem man hohe Bälle in den gegnerischen Strafraum hineinschlägt. Dann wird schon irgendwann einer das Kopfballduell bei durchschnittlich geschätzten 13 Zentimeter Größenunterschied gewinnen und den Ball im Tor platzieren können. Der Schiedsrichter hatte aber seine Interpretation der Lage: Jedes gewonnene Kopfballduell eines Kroaten hat er generell als Foulspiel, wohl wegen Aufstützens, da es ihm so ungewohnt erschien, dass immer ein Angreifer an den Ball kam, und abgepfiffen. Die Taktik ging nicht auf, sie konnte einfach nicht aufgehen. Es gab sicher 25 Bälle, die auf diese Art „abgewehrt“ wurden. Ergebnis: 0:0. Kroatien gelang es zwar im nächsten Spiel, kurz vor Schluss das 2:1 gegen Australien zu erzielen, jedoch kassierten sie sofort danach wieder den Ausgleich und waren raus. Zumindest ein Spiel, welches von Verlauf und Torfolge her Spannung zu bieten hatte.
Das Achtelfinale hatte immerhin mal wieder zwei Gigantenpaarungen zu bieten. Die erste mit Spanien gegen Frankreich, in welcher sich die Spanier verabschiedeten. Ein 1:3 klingt immerhin nach einem halbwegs interessanten Spiel, wenn man die Anzahl der Tore betrachtet. Und Portugal gegen Holland, welches die Portugiesen mit 1:0 für sich entscheiden konnten. Frage nur mal so, die man doch einfach stellen muss: Warum hat Deutschland nie solche Gegner?
Ansonsten war Langeweile Trumpf. England gegen Ecuador 1:0, ein tolles Fußball Ergebnis. Oder? Italien gegen Australien 1:0. Kurz vor Schluss der wenn-auch-berechtigte Elfmeter für Italien durch den clever agierenden Grosso „herausgeholt“. Das schlimmste aller Spiele aber Schweiz gegen Ukraine, in welchem beide Mannschaft über die gesamten 120 Minuten meiner Erinnerung nach nicht mal eine echte Torchance hatten und die Schweizer sogar ihre drei wirklich großen Chancen im Anschluss, nämlich die drei Elfmeter, auch nicht nutzen konnten. Unfassbar!. Aber sind das wirklich die Ereignisse, die Romanstoff bieten? 1:0 oder 0:0 Spiele, Spiele ohne jede Begeisterung, ohne Dramatik und ohne richtige Torchancen, die am Schluss den Favoriten durch sahen? Abgesehen davon hatten mich die Fehlschüsse der Schweizer auch noch eine ganze Stange Geld gekostet, da die Schweizer einer meiner Geheimtipps waren, dazu mein Geld gegen die richtig schwachen Ukrainer platziert war.
Insofern ein Kompliment an die deutsche Mannschaft. Ihr Achtelfinalspiel gegen Schweden riss einen wirklich von den Sitzen. Das war so unwiderstehlicher Fußball, das war begeisternd, mitreißend, faszinierend. Das kann ich neidlos anerkennen. So sollte Fußball sein. Blitzschnelle Kombinationen, bei denen weder der Gegner noch der Zuschauer die nächste Anspielstation vorhersieht und dennoch die Bälle ankommen, gefolgt vom perfekten Torabschluss. Dass die beiden Hauptverantwortlichen, das Traumduo Klose und Podolski, ursprünglich mal Polen waren, vergisst man unter diesen Umständen doch ganz gerne…
Finanziell war es auch erträglich, da ich in diesem Turnier keinen besonderen Anlass sah, mich gegen Deutschland zu stellen. Ab dem Viertelfinale gab es also nur noch Schwergewichtsduelle. Ok, der einzige Außenseiter, Ukraine, der für mich keinerlei Berechtigung hatte, dabei zu sein, und das nicht nur, weil es mich Geld gekostet hatte, Sie hatten schon in der Vorrunde das eine ganz grausame Spiel gegen Tunesien gespielt, in etwa ein so schwaches Spiel wie gegen die Schweiz, und nur mit überaus großzügiger Schiedsrichterhilfe, der zwei Toren der Tunesier die Anerkennung fälschlicherweise versagte, welches sie dann mit 1:0 (!; wohl das Standardfußballergebnis für die Zukunft?!) gewinnen konnten. Dieser Außenseiter wurde von Italien mit 3:0 abgefertigt. Derart war auch mein Gerechtigkeitsempfinden wieder hergestellt.
Die anderen Spiele? England – Portugal 0:0. Verlängerung. 0:0. Toll. Dramatisch. Elfmeterschießen. Was soll das alles? Portugal war weiter. Münzwurf wäre mir lieber. Frankreich gegen Brasilien. Oh, ein Tor! Gibt’s doch gar nicht. Aber auch wirklich nur eins. Und das für Frankreich. Möge der Bessere gewinnen! Das Drama kam bei Deutschland gegen Argentinien. Und hier hat sogar die Kanzlerin eine ihrer Begeisterung über den Fußball und die Dramatik in der Torabfolge Ausdruck verliehen: „Toll, wie die Deutschen das Spiel gedreht haben.“ Und nicht genug damit, dass ich sie absolut verstehe in dieser Aussage. Sie hat sogar absolut Recht. Das „Drehen“ bestand dabei daraus, dass man aus einem 0:1 ein 1:1 machte. Und ein Blick auf alle anderen Ergebnisse verrät, dass es eine solche Ansammlung von Dramatik praktisch im ganzen Turnier nicht gab. Wahnsinn! „Also, stell dir mall vor. Ein Fußballspiel. Die eine Mannschaft führt, ja? Kannst du mir folgen?“ „Ja, ich höre. Ich versuche, mich hinein zu versetzen.“ „Ok, also die ein Mannschaft führt, mit 1:0. Ja?“ „Ja, ok.“ „Und dann, stell dir mal vor. Die anderen schießen den Ausgleich. Das 1:1.“ „Nee, das glaube ich nicht. Was denn. Die einen hatten doch schon geführt? Also du meinst, die haben geführt, und am Schluss nicht gewonnen, ja?“ „Ja, genau so.“ „Mensch, Wahnsinn, jetzt verstehe ich, was du meinst. Ich glaub, ich geh nächste Woche wieder ins Stadion. So ne Dramatik. Das hätte ich nicht für möglich gehalten. Da steigt man ja zwangsläufig aus dem Sitz.“
So war es. Gedreht, das Ding. Es war unglaublich. Aber reichte noch nicht zum Sommermärchen. Dazu musste erst noch der augebootete Olli Kahn zu seinem Konkurrenten Jens Lehmann gehen und ihm vorm Elfmeterschiessen einen Zettel zustecken. Das haben die Kameras eingefangen. Ein so selten gewordener Akt der Kameradschaft und Menschlichkeit im sonst so harten Profigeschäft. Da schießen einem doch zwangsläufig die Tränen in die Augen. Olli Kahn hätte doch alles dafür tun müssen, dass Lehmann als Versager dasteht und eher den Argentiniern einen Zettel, lieber aber vorm Finale, zuschieben müssen? Nein, also so eine Kameradschaft, wirklich. Ein verschworener Haufen. Da wird sogar der größte Feind zum Freund. Ich bin ganz hingerissen. Später wurde der Zettel sogar versteigert. Der Inhalt der wertwollen Botschaft? Ich hab es mir nicht angeschaut und hätte sowieso nur gelacht. Aber ich hatte eine Idee, was er geschrieben haben könnte: „Egal, wohin die schießen, wir werden gewinnen. Wir sind Deutsche und wir gewinnen immer. Hugh, ich habe gesprochen.“
Und so geschah es auch. Deutschland im Halbfinale. Aber angesichts der Leistungen der anderen Mannschaften will ich es dieses Mal gar nicht schlecht reden. Es hätte auch anders kommen können und so. Selbst wenn ich dabei bleibe, dass es stimmt…
Das böse Erwachen kam ja erst noch. Und jetzt hat es wirklich Tore gehagelt. Dabei begann der Torhagel relativ spät. Um genau zu sein in der 119. Minute. Schon da schlugen die Italiener zu. Und eine Minute später das zweite. Deutschland raus. Ich hatte mir meine Chinaböller sorgfältig von Sylvester für irgend so ein Großereignis aufgehoben. Und konnte gleich zwei davon zünden. Diesmal war es aber auch finanziell lukrativ….
Deutschland hielt sich dann in einem weiteren wirklich guten Fußballspiel an Portugal schadlos und hatte den dritten Platz erreicht. Ein gutes Ergebnis. Und rein vom Fußball her hat genau diese Mannschaft die Highlights gesetzt, keine Frage.
Auch das Finale war an Dramatik nicht zu überbieten. Denn schon in der ersten Halbzeit fielen zwei Tore, kann man kaum glauben. Die waren gerecht verteilt. 1:1. Verlängerung. 1:1. Elfmeterschießen. Zidane war schon runter, nach dem legendären Kopfstoß gegen den provozierenden Materazzi, so dass die Franzosen vielleicht sogar deswegen verloren. Und, ganz ehrlich, zur Freude gab mir dieser Erfolg der Italiener keinen Anlass. Nur zu der kleinen Genugtuung, dass sie trotz der gelegentlichen Pechsequenzen gegenüber Deutschland jetzt die Nase vorne hatten: Vier gegen drei Titel. Und sie sind auch wirklich besser…
Zusammenfassend zu dem Turnier möchte ich dennoch einmal die Aufmerksamkeit Richtung Regeln, deren Auslegung und die Schiedsrichter lenken: Alle Spiele sind eng und stehen auf der Kippe. Bitte schön. Man hat Angst, einen Fehler zu machen, der zu einem Tor führt. Nationen können in Trauer gestürzt werden, ganze Imperien einstürzen. Gut. Aber immer noch haben wir einen Sport. Und diesen auch zu schützen und zu verteidigen. In jedem Spiel nur darauf zu warten, macht überhaupt einer ein Tor und wenn, wer, wird für mich sicher nicht zur spannenden Fragestellung. Insbesondere dann nicht, wenn mit diesem einen Tor der Sieger feststeht. 1:0, das wars. Jetzt kannst du die Kiste abschalten. Da passiert garantiert nichts mehr. Es sei denn, Deutschland spielt und dreht das Ding… nicht wahr, Frau Merkel?
Was haben nun die Schiedsrichter damit zu tun? Sie pfeifen doch nur das, was sie sehen, oder? Hier melde ich Zweifel an. Die Tendenz geht eindeutig gegen die Stürmer. Das, was für die 94er WM als große Verbesserung, nein, fast einzig durchsetzbarer Verbesserung von den Amis eingeführt wurde – bei Abseitsentscheidungen im Zweifel für den Angreifer zu entscheiden – wurde längst ins Gegenteil verkehrt. Eine gerade bei der 2006er WM befragte Zuschauerin gab die absolut korrekte Antwort auf die Frage, was Abseits sei? „Abseits ist immer, wenn einer frei steht.“ Genau so war es. Und genau so wurde es gepfiffen. Der Reflex dabei: „Hui, ist der frei. Schnell die Fahne hoch.“ Dass die Kameras in 5 von 10 Fällen nachher bewiesen, dass es kein Abseits war, hat niemand mehr zur Kenntnis genommen. Es handelt sich häufig um die größten Torchancen und um die spannendsten Spielsituationen. Das ist, was der Fan sehen will (außer vielleicht die ganz wenigen nicht neutralen Zuschauer, die auf Seiten der Verteidiger stehen). Ein Mann alleine frei vorm Tor. Und jedes Mal der Anti-klimax. Egal, ob es stimmt oder nicht, Es wird abgepfiffen. Die Konsequenz: gar keine Tore mehr. Der Tod des Fußballs.
Dass die Pfeifenmänner zugleich auch bei jedem aus dem Strafraum heraus erzielten Tor ein Haar in der Suppe finden können und nach gusto einfach auf Stürmerfoul entscheiden können – natürlich ohne jegliche zu befürchtende negative Karrierekonsequenz – hat für mich das Spiel Kroatien gegen Japan bewiesen. „Wie ist das Spiel denn ausgegangen?“ „Der Schiedsrichter hat auf 0:0 entschieden.“ Die Schiris sind immer fein raus, wenn sie Spielsituationen unterbinden, abpfeifen. Dafür werden sie niemals belangt. Selbst wenn eindeutige Tore zurückgepfiffen werden (Ukraine – Tunesien!). Aber wehe, einer gibt einen Elfmeter oder gar ein Tor, was nicht korrekt war. Der muss mit langen Strafen rechnen. Ich fordere daher: Umdenken! Wir brauchen Tor im Spiel. Derjenige, der ein Tor nicht anerkennt, welches korrekt war, muss mit den gleichen Konsequenzen rechnen wie derjenige, der ein inkorrektes anerkennt. Eine übersehen Abseitsentscheidung muss genauso gnädig behandelt werden, wie das nach der dritten Kameraeinstellung und Zeitlupe nachgewiesene Abseits, welches zu einem Tor führte! Dann gibt es wieder Tore und Spannung. Und dann können wir auch wirklich wieder sagen: Heute ist Fußball. Ich gehe hin.
Der Farbtupfer bei dieser WM übrigens ganz eindeutig: DEUTSCHLAND.