Ein kurzes privates update: Wie schon 1994 und 1998, so habe ich aus alter Tradition auch vor dieser WM rasch noch für Nachwuchs gesorgt. Diesmal sogar mit der mir Angetrauten. Am 28. Mai habe ich einen ganzen Haufen Zwillinge bekommen. Denn auf die Frage: „Sind das Zwillinge?“ pflege ich zu antworten: „Ja. —– Vom Sternzeichen.“ Und ich habe den erstaunten Frager kein bisschen belogen. Ihre Namen sind David Gabriel und Giulia Isabelle. Und wie gesagt, das rätseln nach der Anzahl bleibt. Denn Zwillinge, die Zwillinge sind, könnten doch theoretisch auch Vierlinge sein? Zumal, Kuriosum am Rande, sie sich einen wunderschönen freien, unbelasteten Tag ausgesucht haben. Die 27 war für mich und meine große Tochter Chiara reserviert, die 29 für die Mutter von Ben und Chiara, sowie deren beiden größeren Kinder, die 30 wiederum für Ben, also blieb noch die 28. Da sie aber 10 Wochen zu früh unter unglaublichen Umständen – unglaublich unglaublich daran: meine Frau war im Jahr 2001 genau um ein Jahr Zeit versetzt schon einmal schwanger, ebenfalls Junge und Mädchen, und musste am 9. April ins Krankenhaus; die traurige, unfassbare Nachricht: beide raus, 22. Woche, nicht lebensfähig; 2002 wieder am 9. April ins Krankenhaus; diesmal gerade so die Frühgeburt verhindert; sie wollten wohl lieber im WM-Jahr geboren werden? – geboren wurden, wusste ich in den ersten Wochen nicht so recht, ob ich mich freuen sollte oder nur Sorgen machen. Dazu kam, dass meine Frau nach der Geburt ebenfalls krank wurde – nennen wir es „Schwangerschaftsdepression“ – und ich die Wochen der WM praktisch durchgehend in Krankenhäusern verbracht habe. „Nebenbei“ musste ich auch noch einen Umzug organisieren…
Erinnerungen an dieses Turnier? Sicher, habe ich, und nicht einmal wenige. Wenn auch die Begleitumstände einen reinen Genuss verhinderten. In diesem Jahr habe ich einfach nicht so intensiv gewettet. Und für eine ganz kleine Genugtuung musste ich diesmal bis zum Finale warten.
Deutschland marschierte mal wieder zur Endrunde. Das gewohnte Bild. Leichte Gruppe und alle spielen für sie. 90% sind in deutscher Hand eben doch automatisch 100%. Die zugelosten Gruppengegner waren nach deutschem Geschmack und der selbigen Gewohnheit: Irland, Kamerun und Saudi-Arabien. Im Auftaktspiel bekam man es gleich mal mit den Saudis zu tun. Anders als die Vereinigten Arabischen Emirate konnte keiner der Saudis diesmal einen Mercedes für ein erzieltes Tor ersch(l)eichen. Dafür haben sie sicher jede Menge Autogramme abgestaubt, die die Deutschen nach dem 8:0 sicher großzügig verteilten. Die Konkurrenz bekam gleich wieder einen Eindruck: Die „deutschen Panzer“ waren wieder auf „Überrollkurs“.
Das 1:1 gegen Irland war sicher spielerisch keine Offenbarung. Aber verlieren und Deutschland? Das passt einfach nicht zusammen. Merkwürdigerweise waren die Afrikaner allesamt ein bisschen schwächer geworden, wie ich fand. So hatten doch gerade Kameruner Löwen und zuletzt die „Supereagles“ aus Nigeria für einige Furore bei vorherigen Turnieren gesorgt? Diesmal war Kamerun merkwürdig blass und hatte im Abschlussspiel keine besondere Chance. Deutschland wieder durch, Deutschland wieder Gruppensieger, und Deutschland wieder mit einer Art Raumlos fürs Achtelfinale. Oder sollte etwa ausgerechnet Paraguay zum Stolperstein werden?
Nix Stolperstein. Und wenn das Spiel in etwa ausgeglichen wäre, würde sowieso nur einer gewinnen. Meinetwegen war aber Deutschland sogar einen Tick besser. Das 1:0 wird auch Morgen schon abgehakt, nicht wahr? Vor allem von den Medien, die eher mäkeln als feiern nach so einem dürftigen Sieg. Dass andere, ebenso große Nationen schon wieder auf der Heimreise sind? Weltmeister Frankreich zum Beispiel? Der Kommentar der Deutschen? „Die sind eben zu blöd. Als Weltmeister nicht mal ein Tor erzielt!“ Pech gibt es für Großkotze nicht. Aber auch kein Glück. Und das musste wieder mal reichlich strapaziert werden…
Nämlich am Viertelfinale. Dass man mit den USA einen auf dem Papier leichten Gegner bekam, ist mal wieder der eine Teil des Glücks. Immerhin war doch auch Brasilien, England, Spanien noch im Turnier? Und England bekam es traditionsgemäß mal wieder mit den übermächtigen Brasilianern zu tun. Warum erwähnt denn das nicht irgendwann mal jemand hier? Wir hatten einen leichten Weg. Das ist die Wahrheit. Jeder weiß es, im Ausland sowieso, aber niemand spricht es aus. Gibt es diese Komponente gar nicht?
Das genügte aber noch lange nicht an Glück. Die USA waren ein sehr starker Gegner. Diesmal darf ich zwar die Leistung der Deutschen Mannschaft durchaus loben – das war toller Fußball – jedoch auch erwähnen, dass die USA aus meiner Sicht kein bisschen schlechter waren. Nur gab es die ein kuriose Szene, die anscheinend ein Deutscher auch schlichtweg aus dem Gedächtnis streicht abgesehen von den zahlreichen anderen Großchancen, zugegeben auf beiden Seiten. Die eine Szene aber: Christian Wörns fiel auf der Torlinie rückwärts hin, bekam im Sitzen den Ball an den auf den Boden gestützten Arm. Die anschließende Diskussion? Bedauerlicherweise habe ich weder amerikanische noch irgendeine andere ausländische Aufarbeitung der Szene verfolgen können. Die Deutsche war mehr oder weniger in dem Sinne: Ja, schon Handspiel, aber entweder hat der Schiri es nicht gesehen oder als „unabsichtlich“ ausgelegt.
Für mich ist der Begriff „unabsichtlich“ in diesem Zusammenhang aber dermaßen sinnlos und dumm, dass ich es einfach nicht fassen kann. Was spielt es denn für eine Rolle, ob es beabsichtigt oder nicht war? Der Ball wurde eindeutig mit einem nicht zum FUSS-Ball spielenden Körperteil von einem absolut gesicherten Tor abgehalten. Wie kann man da eine Diskussion drüber führen? Das ist ein Elfmeter. Ohne Wenn und Aber. Alles andere wäre Augenwischerei.
Ballack hatte per Kopf das 1:0, erzielt, später der Schlusspfiff. Ja, die Amis haun wa locker raus. Zwei 1:0 Siege in Serie. Die Presse? „Nichts Besonderes.“ Eher Kritik als Jubellaune. Geht’s denn noch? Man spielt bei einer WM, bekommt Haudi-Saudi, Irland, Kamerun, Paraguay und USA, keinen einzigen Namen bisher, molcht sich wieder mal ins Halbfinale und die Leute murren noch?
Aber auch jetzt reichte es noch lange nicht mit dem Deutschen Dusel. Nachdem die alte Tradition, dass Veranstalter immer weiter kommen bereits durch die Doppelausrichtung der EM in Holland und Belgien gebrochen wurde und Belgien rausflog – so auch 2002, als Japan schon in der Vorrunde scheiterte –, musste wenigstens Südkorea die Euphorie in spätere Runden transportieren. Südkorea bekam es im Viertelfinale mit Spanien zu tun. Und dieses Spiel war wirklich ein Skandal. Dass sie vorher schon Italien rauswerfen durften, mag gerade noch so vertretbar gewesen sein – nach meiner Erinnerung auch ein paar sehr merkwürdige Schiedsrichterentscheidungen. Aber gegen Spanien weitete es sich zu einem ernsthaften Skandal aus. In der Verlängerung hatten die aufopferungsvoll kämpfenden Südkoreaner einfach nichts mehr zuzusetzen. Der Schiri musste mindestens zwei Mal beide Augen zudrücken, falls nicht Tomaten die Sicht behinderten, um klare Tore der Spanier abzuerkennen. Das Elfmeterschiessen ging dann an Südkorea.
Deutschland hatte nun Südkorea im Halbfinale. Das war mal wieder wie für sie geschaffen. Denn ein weiteres Mal konnte der underdog einfach nicht auf diese Art „gepusht“ werden. Deutschland musste nur noch die Ernte einfahren. Schon wieder ein 1:0 Sieg! Schon wieder ein Finale. Paraguay, USA, Südkorea aus dem Weg geräumt, abgefidelt, geputzt. Einfach irre! Wir lassen die Italiener, Spanier, Franzosen, Argentinier, Engländer und Portugiesen sich gegenseitig rauswerfen und schliddern irgendwie durch, blind auf beiden Augen, unfähig, dieses Glück zu erkennen, klopfen uns anschließend zufrieden auf die Schultern und sagen: „Na, wo sind se denn wieder mal alle? WIR sind im Finale. Und ihr?“
Die späte Genugtuung kam in dem Finale. Ich hatte bereits vor dem Turnier als einzige richtig teure Wette Brasilien auf Weltmeister getippt. Vor dem Spiel gegen Deutschland habe ich noch mal nachgesetzt. Das konnten die Deutschen doch einfach nicht schaffen? Wirklich?
Dieses eine Mal habe ich Glück gehabt, zugegeben. Denn Olli Kahn, der mit so unglaublichen und zahlreichen Paraden den Finaleinzug für Deutschland fast im Alleingang geschafft hatte, patzte dieses eine Mal. Und, wenn man ganz ehrlich ist, und im Gewinnfalle bin ich das auch gerne, haben die Deutschen gerade in diesem Spiel ihre beste Leistung gebracht, waren wirklich nahe dran.
Bemerkenswert auch noch: Die beiden Nationen sind mit Abstand die erfolgreichsten bei Weltmeisterschaften und haben folgerichtig auch die meisten WM-Spiele absolviert. 2002 mussten sie das erste Mal gegeneinander antreten.
Nicht, dass Brasilien nicht dennoch die bessere Mannschaft gewesen wäre. Aber für mich als gerne so genannter „professioneller Spieler“ muss die Qualität, auch und gerade die von gewonnenen Wetten, immer überprüft werden. Und die angebotene, von mir erhaltene Quote auf Brasilien war für diesen Spielverlauf einfach zu gering. Dieses eine Mal scherte auch ich mich nicht darum. Das Geld war eingetütet. Und der Triumph, wenn auch ein später, so doch ein intensiver. Das Glück musste doch einfach mal abreißen?
„Wenn nicht jetzt, wann dann? Wenn nicht hier, sag mir wo und wann?“