Privat hatte sich auch vor dieser Endrunde wieder etwas bewegt. Trotz der zahlreichen „on and offs“ mit Annette, der Mutter von Chiara, hatten wir uns mal wieder für eine Weile zusammengetan – einer sehr schönen Zeit Mitte 97 – und die „Früchte“ dieser Versöhnung am 30. Januar „geerntet“: Sie brachte ein weiteres gemeinsames Kind mit Namen Ben-Luca zur Welt.
Micha war nicht mehr dauerhaft Partner. Es gab keinen Streit oder so etwas. Er hat sich einfach lukrativeren Spielen zugewandt, während ich weiterhin der Meinung war, mich mit dem Fußball und den Wetten durchschlagen zu können. Allerdings hatten wir für die Fußball-WM doch wieder eine Vereinbarung. Er hatte ein paar interessante, große Spieler gefunden, ich belieferte ihn mit Zahlen. Dazu hatte ein weiterer Wettkollege aus Österreich mir den gleichen Vorschlag gemacht, wie Jessi vier Jahre zuvor. Er bekommt die Zahlen, ich bekomme die Hälfte der Wetten. Jessi existierte auch noch, gab aber immer nur Auszüge von Wetten auf meine Zahlen durch. Dazu hatte ich, wie immer, haufenweise Wetten bei ausländischen Buchmachern platziert. Das ganze Spielen war etwas schwieriger geworden. Das lag aber nicht daran, dass man keine hohen Beträge mehr spielen konnte. Viel eher daran, dass es eigentlich kaum noch Fehler gab, da jeder alles wusste – dank internet. Man kannte alle Kurse, auch die von anderen, und alle Kursbewegungen. Dazu gab es bereits die Wettbörse betfair, wo man sozusagen von privat zu privat seine Wetten vermittelt bekam und nicht einmal mehr auf traditionelle Buchmacher angewiesen war. Und, wie ich später erfuhr, beinhaltete diese WM auch den ersten Auftritt und Einfluss des später so bedeutsam werdenden Asiatischen Wettmarktes.
Für die Dauer der WM waren sowieso alle Gesetze außer Kraft gesetzt. Da hatte auch so schon niemand mehr Skrupel, seiner Wettleidenschaft unverhohlen nachzugehen. Man erfuhr alles über die Spiele, man diskutierte mit, man wettete. Das galt für Jedermann. Und ich hab wieder mal Frauen diskriminiert?!
Die Deutsche Mannschaft war, wie immer, locker durch die Quali marschiert. Keine Frage. In der WM-Vorrunde wurden ihr die klangvollen Namen USA, Iran und Jugoslawien zugelost. Sah wieder mal nach Durchmarsch aus und wurde es auch. Die Leistungen waren nach meiner offensichtlich nicht objektiven Einschätzung alles andere als grandios. Dennoch Gruppensieg. Im Achtelfinale traf man auf Mexiko. Und ganz ehrlich nach meiner Meinung gefragt: In diesem Spiel war Mexiko die besserer Mannschaft. Gewonnen hat aber die Deutsche. So läuft Fußball eben. Hast du das immer noch nicht kapiert?
Für einen Deutschen ist das alles selbstverständlich. Nur wehe, wenn man dann wirklich einmal verliert. Au weh. Da wird mit Bösartigkeiten, Häme, Schuldzuweisungen und Vorwürfen nicht gespart. Wenn ich mich recht entsinne, dann beschloss der gesamte Deutsche Tross, freiwillig schon mal zu Trainingszwecken ein Bad in faulen Eiern und Tomaten zu nehmen. Denn das war das, auf was man für die Rückkehr vorbereitet sein musste. Falls überhaupt jemand käme und seine faulen Eier zu einem solchen Zwecke verschwenden wollte. Das waren diese miesen Kicker doch gar nicht wert. Und Berti Vogts wurde gleich mal im wahren Wortsinne „in die Wüste geschickt“. Einen solchen Versager – wie, bitte, konnte er Wörns überhaupt aufstellen? – wollen wir hierzulande nicht mehr sehen. Halbfinale ist das Minimum. Und wenn „ihr“ da verlieren solltet, dann werden wir großzügig den Mantel der Vergebung über euch ausbreiten. Es sei denn, es wird dann nur Platz vier…
Das Viertelfinale gegen Kroatien hatte wirklich einen besonderen Hintergrund. Denn ich hatte einfach so mal auf Deutschland Sieg gewettet. Die Quote war eine 1.70. Also eine ziemlich kleine. Mein Computer hätte bereitwillig eine 1.80 bezahlt. Ich startete einen Versuch, mir das Glück der Deutschen nutzbar zu machen und wettete 8.000 DM auf einen Sieg. Im Prinzip wettete ich gegen mich selber und gegen mein eigenes Grundprinzip. Vor allem wettete ich gegen meine Überzeugung. Denn ich habe die Deutschen niemals ihrer Erfolge entsprechend stark gesehen. Sie waren oftmals auch nicht schlechter als die Konkurrenz. Das mag schon sein. Obwohl es auch dafür genügend Beispiele gäbe, in einzelnen Spielen. Insgesamt betraf das natürlich alle großen Nationen. Mal ist man schlechter, verliert. Mal ist man schlechter, gewinnt. Mal ist man besser, verliert und mal besser und gewinnt. Ziemlich normal eben. Nur bei Spielen der Deutschen sieht es anders aus. Egal, ob besser oder schlechter…
Ich hatte meine Wette platziert mit der einfachen Begründung: Ich spiele sie einfach, weil sie immer gewinnen. Man könnte auch sagen, dass ich einen Wettstreit aufgenommen habe, der lautete: „Mein Pech gegen euer Glück.“ Da bin ich aber als klarer Sieger hervor gegangen. Oder ist ein 0:3 etwa nicht deutlich genug? Wie schon im EM Finale von ´92 habe ich erfolgreich eine Deutsche Niederlage „provoziert“. Mit den oben beschriebenen Folgen. Aber wer glaubt mir schon?
Das Spiel sah so aus, dass Deutschland stark begann und zwei Chancen hatte. Dann kam es zu dem berechtigten Platzverweis gegen Christian Wörns. Und mit 10 gegen 11, noch dazu gegen eine wirklich gute kroatische Mannschaft, war diesmal nichts zu machen. Davor Suker, später Torschützenkönig, war der Star. Aber auch sonst war es eine toll funktionierende Truppe.
Meine 8.000 DM „went beginng“, sind betteln gegangen, waren weg. Na gut, dass muss man in Kauf nehmen. Eine Befriedigung in Form von erfreulicher Medienreaktion, Anerkennung dennoch für die Leistung, unter den besten acht der Welt gewesen zu sein oder womöglich Trauer oder auch nur Bedauern – auf so etwas, so war mir schon bewusst, würde ich eh vergebens warten. Deutschland war raus. Eine nationale Katastrophe.
Nur im Ausland hat man sich die Hände gerieben. Keiner wusste ja, wem sie das ursächlich zu verdanken hatten. Einfach auf den Glückszug aufspringen? Nee, Pauli, so nun auch wieder nicht…
Der Rest des Turniers war in finanzieller Hinsicht dennoch ein Erfolg. Dabei bin ich vor allem Paraguay zu Dank verpflichtet, die in einer Abwehrschlacht im abschließenden Gruppenspiel Spanien ein 0:0 abgetrotzt und dadurch den Gegner rausgekegelt haben. In diesem Spiel war noch etwas bemerkenswert und, offen gestanden eine wirkliche Glücksgeschichte meinerseits: Zur Halbzeit rief Andy an aus Graz. Das Live-Wetten war gerade erst dabei, populär zu werden. Ich hatte mir dazu noch keine ernsthaften Gedanken gemacht, nur meinem Computer kurz erklärt, wie er das berechnen müsste. Und auf Andy Anruf hin ihn kurz angeworfen. Er spuckte mir zur Pause eine 1.90 aus auf Sieg Spanien. Vor dem Spiel war mein mutiger Kurs sowieso nicht ganz marktgerecht eine 1.55. Aber zur Pause auf 1.90 hoch zu gehen? Das hätte wohl keiner gewagt. Die Spanier wussten doch, worum es ging und mussten das Spiel gewinnen. Nach heutigem Kenntnisstand würde ich unter diesen Umständen maximal eine 1.65 bezahlen. Ich schätze mal, auch der Markt würde das nicht viel anders sehen. Die 1.90 waren ein Fehler. Und abgesehen von allen anderen Wetten, die ich bereits auf die Ereignisse „Sieg Spanien“ und „Weiterkommen Spanien“ hatte, waren das noch weitere 6.000 DM Nach dem Strickmuster alter Frauen…
Ich hatte einen Fehler gemacht und war einem gewaltigen Swing auf den Sieg oder Nicht-Sieg der Spanier ausgesetzt. Aber es ging gut. Das sind echte Feiertage. Aber man muss auch ehrlich mit sich selber sein: Es war Glück. Es war auch so, dass zu diesem Zeitpunkt noch keine große Mannschaft ausgeschieden war, so dass man in den Kombis der ganzen Favoriten auf Weiterkommen, die ich von Andy erhalten hatte, noch reichlich hätte ausbezahlen können, falls…
Danach scheiterte noch Belgien im Spiel gegen Südkorea und auch sonst lief nicht alles „nach Plan“. Die Wetten von Andy waren nur kurzzeitig eine Gefahr, wo wir bereits begonnen hatten, über Versicherungswetten nachzudenken, um gegen den SuperGAU gewappnet zu sein.
Micha hatte auch immer reichlich Wetten von seinen Leuten, die ich nur teilweise bekam. So wurde zu dieser WM aber außer dem Live Wetten auch das over/under Wetten populär(er). Michas Leute wetteten mit großer Begeisterung auf viele oder wenige Tore. Dabei ist in aller Regel die „line“ die zweieinhalb Tore Marke. Also wettet man auf „over“ wettet man meist „drei oder mehr Tore“, bei under auf „höchstens zwei Tore“.
So kam es, dass das letzte Gruppenspiel der Brasilien Gruppe auch einen besonderen Stellenwert bekam. Brasilien war bereits durch und konnte sich eine Niederlage erlauben. Norwegen, der Gegner, benötigte einen Sieg und im Parallelspiel musste nach Möglichkeit eine der beiden Mannschaften Schottland oder Marokko gewinnen.
Marokko tat das auch in überzeugendem Stile, während Brasilien gegen Norwegen lange Zeit torlos blieb. Die Micha.Leute hatten allesamt auf „over“ im Brasilien Spiel gewettet, so dass wir allmählich schon mal mit dem dann zu erwartenden Gewinn einkaufen gegangen sind. So in etwa zur 80. Minute ging dann Brasilien in Führung, nicht früher. Das beruhigte einen insofern, als man mit Manipulation rechnen, sie zumindest befürchten musste, da Brasilien eine Niederlage nicht wehtun würde, und sie mit einem faden Auftritt Wettbewerbsverzerrung betreiben könnten. Während wir also virtuell einkaufen gingen, hat sich Marokko beim eigenen Spielstand von 3:0 allmählich auf die Jubelfeier vorbereitet.
Dann erzielte Norwegen plötzlich den Ausgleich, 86. Für uns ein Alarmsignal, für Marokko vermutlich mehr als das. Hilflos mussten wir alle mit ansehen, wie der Schiri Norwegen in der 89. einen Elfmeter zusprach, der verwandelt wurde. Ganz ehrlich hat mein eigenes Schicksal mich weniger bewegt für den Moment, als ich die fassungslosen und bald danach weinenden Marokkaner ansehen musste… Und über Brasilien wage ich es nicht, etwas Schlechtes zu sagen. Aber denken darf man doch mal daran, ob sie nicht vielleicht doch den einen Fuß vom Gas…?
Weitere, keinen Deutschen jemals interessierenden Schicksale, nein, beinahe Tragödien, spielten sich in anderen Spielen ab. So mussten die Schwergewichte Argentinien und England beispielsweise im Achtelfinale (!) gegeneinander antreten – und ich erlaube mir die provozierende Frage: Warum passiert so etwas niemals Deutschland? – und einer der beiden auf der Strecke bleiben. So sehr ich auch den argentinischen Fußball mag, in diesem Duell waren meine Sympathien eindeutig bei den Engländern. Insbesondere, da ich ihr so häufiges Pech sehe und ihnen daher einfach mal Glück wünsche. Auch als Freund der Gerechtigkeit muss ich in diesem Duell sagen, gäbe es nur einen verdienten Sieger. Und das war England. Der Schiri verweigerte noch in der Verlängerung einen absolut offensichtlichen Elfmeter, hatte zwei Gelegenheiten, den meinetwegen berechtigten Platzverweis gegen Beckham, der auf dem Bauch am Boden liegend das Bein — ohne jegliche Verletzungsgefahr für den Gegenspieler, das möchte ich betonen — aber doch offensichtlich gegen den Gegenspieler gerichtet hob, wieder auszubügeln und einen Argentinier runterzustellen. So kam es mal wieder, dass England in einem heroischen Kampf ins Elfmeterschießen musste und dort könnte man sagen ahnt man das Schicksal bereits: „It will only end in tears…“
Spektakulär der temporär für mich ausgesprochen günstige Ausgleichstreffer der Dänen gegen Brasilien, als Brian Laudrup zum 2:2 traf und dreisterweise unmittelbar den wohl gepflegten Rasen zur Liegewiese deklarierte. Er stützte als „Jubelpose“ dabei gelangweilt den Ellenbogen auf den Rasen und seinen Kopf darauf, so dass man ihm gerne gleich die Zeitung gereicht hätte. Den Brasilianer hat er so en passant mal „einen eingeschenkt“, nicht der Rede wert. Ein Aufsehen erregender Jubel. „Temporär“ war der Ausgleich nur insofern günstig, als er nicht hielt. Dänemark verlor das Spiel mit 2:3,
Ein sehr erfreuliches Tor fiel auch noch im Viertelfinalspiel zwischen Holland und Brasilien. Brasilien war in Front, mit 1:0, aber Holland am Drücker. Und tatsächlich gelang Dennis Bergkamp in der 86. Minute der Ausgleich. Warum ich das so genau weiß? Solche Tore zu solchen Zeitpunkten prägen sich ein. Zumal ich die Anspannung in dem Spiel wirklich nicht aushielt und den Vergleich mit dem Tiger auf mich nehmen muss. Jedoch einem recht sprunggewaltigen. Denn in der 86. Minute erreichte ich tigergleich mühelos die Zimmerdecke… Holland schied dennoch aus, nach Verlängerung.
Was war mit meinen Italienern? Tja, sie haben sich auch bei diesem Turnier nicht viel zu Schulden kommen lassen. Viertelfinale, dort treffen sie auf Frankreich (nur zur Erinnerung: Deutschland hatte Kroatien, und bei aller Wertschätzung – aber sie sind ja auch raus), das Spiel geht 0:0 aus, über 120 Minuten, und dann ein verpasster Elfmeter. Un calcio di rigore, si dice in italiano, und dann kann man noch sagen „che sfortuna“. Fortuna wäre Glück, sfortuna ist das Gegenteil.
Das Finale durften ausnahmsweise mal die besten Mannschaften – „da Deutschland nicht dabei war“; kann ich mir hier nicht verkneifen und ist eigentlich nicht einmal sarkastisch – des Turniers bestreiten. Frankreich als Ausrichter und mit einer Riesentruppe und Brasilien, da sie, außer ihrer gelegentlichen Überheblichkeit einfach immer zu den Besten gehören, falls sie es nicht einfach sind.
Für mich hat das Finale einen besonderen Erinnerungswert deshalb: Ich hatte meine Quoten gemacht und konnte keinen Fehler daran feststellen, diese Paarung als ausgeglichen anzusehen. So war der Kurs auf beide Seiten eine 2.45. Irgend etwas schien aber der Welt an dieser Einschätzung nicht zu gefallen und ich rätsle bis heut, was es gewesen ein kann? Frankreich war bärenstark und hatte den Heimvorteil, der von mir aus in einem Finale keine so große Rolle mehr spielt, aber dennoch. So kam es, dass Jessi mich innerhalb von 10 Minuten zwei Mal anrief. Ich saß auf dem Fahrrad, nahm mein Handy ab und hörte: „20.000 DM auf Brasilien geht das?“ „Ja, geht.“ Der nächste Anruf: „Noch einmal 20.000 DM auf Brasilien. Geht?“ „Ja, geht.“
Das war noch zwei Tage vor dem Spiel. Ich war in gewisser Weise erwartungsfroh. Angst hatte ich längst nicht mehr, denn ein Gewinn war mir für dieses Turnier sicher. Außerdem war ich mir für dieses eine Mal auch meiner Einschätzung sicher und dazu noch der Überzeugung, dass es in jedem Spiel Manipulationen geben oder gegeben haben mag, aber an letzter Stelle in diesem. Das war ein fairer Kampf um Einschätzungen. Und da fühle ich mich wohl.
Das Spiel selber wurde zum reinen Freudenfest für mich. Zinedine Zidane, ein Augen-, Ohren- und Zungenschmaus – Augen- wegen seiner Art, sich zu bewegen und den Ball zu streicheln, Ohren- wegen dem Klang des Namens und Zungen- wegen.. sprechen Sie den Namen mal aus –, köpfte zwei Mal auf fast identische Weise ein. 2:0. In der Nachspielzeit noch das 3:0. Schöner geht’s nimmer.
Deutsche Eigenschaften und Neid und Missgunst – da war doch was? Lasse der Leser seinen Empfindungen freien Lauf: Kassensturz ergab 80.000 DM Nettogewinn. Und ich betone, gewohnt provokativ: NETTO. Und hab vermutlich untertrieben… Ich freu mich schon auf die nächste… Wer sprach da von „Katastrophen-WM“?