Wieder eines der ganz großen Turniere mit einem riesigen Triumph und dem obligatorischen Jubelfest einer Deutschen Mannschaft. Und wieder ein kleiner Querkopf, der den Spaß verderben möchte.
Das Turnier wurde erstmals mit 16 Mannschaften ausgetragen und kam so im Umfang einer früheren Weltmeisterschaft gleich. Die Kommerzialisierung des Fußballs bleibt auf dem Vormarsch. Und noch wird alles vom zahlenden Zuschauer „geschluckt“. Für ein Endturnier dieser Art gibt es aber keinen Zweifel: das zieht die Massen in den Bann. Jedoch für die Spieler muss man schon gewisse Abstriche machen. Während es früher nach einer harten Saison eine wohl verdiente und für den Körper zur Regenration erforderliche Sommerpause gab, werden die Fußballer heute auch schon in gewisser Weise „ausgebeutet“. Eine Profikarriere mag sich zwar erstrebenswert anhören – da Ruhm und Reichtum quasi mitgeliefert werden. Auf der anderen Seite ist das ganze Leben nur noch dem Fußball untergeordnet, verschrieben. Nun, ich möchte kein Klagelied anstimmen. Nur versuche ich gewohnt (bemüht) objektiv, ein paar Klammerbemerkungen mit anzuführen.
Im Turnier selber hatte Deutschland zwar in dem Sinne kein „Losglück“, dass eine Gruppe mit Italien, Tschechien und Russland keinesfalls ein „walk-over“ war. Andererseits waren andere Gruppen auch vergleichbar schwer. Die Abfolge der Spiele war dennoch wieder günstig, da man zunächst gegen die beiden Außenseiter ran durfte. Und wie gewohnt wurde das Auftaktspiel gegen Tschechien mit 2:0 gewonnen. Wieso Deutschland da nie auf ernste Schwierigkeiten stößt, bleibt mir ein Rätsel. Der Respekt vor dem Giganten?
Das zweite Spiel wurde mit einem überragenden Jürgen Klinsmann noch leichter und deutlicher mit 3:0 gewonnen. Damit war die Fahrkarte für das Viertelfinale schon wieder gelöst. Die Paarung mit dem Giganten Italien hatte aus deutscher Sicht nur noch den Wert, möglicherweise Italien rausschmeißen zu können – was die Chancen für später erhöhen könnte. Dass man auf diese Art „entspannt“ die verzweifelten Bemühungen der Italiener verflogen konnte, ist mal wieder typisch und spielte den Deutschen – da dulde ich keinen Widerspruch – in die Karten.
Italien hatte nämlich im zweiten Spiel gegen das zu diesem Anlass „geborene“ große tschechische Team mit 2:1 verloren. Der überragende, noch ganz junge, Pavel Nedved startete durch zu einer Weltkarriere – wurde natürlich bald nach dem Spiel in die italienische Serie A berufen, so sehr waren die Italiener von seinen Künsten fasziniert, nach dem sie das Leid tragen mussten. Ein anderer, dort geborener Star: Karel Poborsky.
Denn im letzten Gruppenspiel musste Italien nun gegen das relaxte Deutschland ran. Parallel spielte Tschechien gegen Russland. Durch die Niederlage der Italiener gegen Tschechien war ein Sieg Pflicht. Aber nur scheinbar. Denn bei einem Sieg der bereits ausgeschiedenen Russen gegen Tschechien könnte man auch bei einem Remis weiterkommen. Italien rechnete wohl mit einer B-Elf von Deutschland, dachte, wie es sicher in Italien üblich gewesen wäre. Aber Deutschland hatte möglicherweise Sorge, der Wettbewerbsverzerrung bezichtigt zu werden oder sah die Riesenchance, einen Giganten rauszukegeln, ging also konzentriert in Bestbesetzung zu Werke. Auch ich rechne ihnen das hoch an, keine Frage. Italien bekam schon frühe einen Elfmeter zugesprochen, den Andy Köpke parierte. Auch danach war eine wirklich phantastische italienisch Mannschaft permanente am Drücker, jedoch gelang es ihnen nicht, den Mann mit den mächtigen Tentakeln im Tor der Deutschen zu überwinden.
Parallel ereignete sich aber folgendes Drama: Die zur Halbzeit sicher führenden Tschechen gerieten gegen ein ganz stark auftrumpfendes russische Team noch mit 2:3 in Rückstand. Zu diesem Zeitpunkt war Tschechien raus und Italien weiter. Ich erinnere mich auch gut, wie ich beide Spiele live verfolgte, auf zwei Fernsehern und zwei verschiedenen Kanälen, und angesichts des Dramas – insbesondere, da meine Freunde, die Italiener, betroffen waren — wieder mal im Sessel stand. Es war unglaublich. Denn mit dem Schlusspfiff waren die Italiener weiter, aber ca. 10 Sekunden später nicht mehr…. Tschechin hatte in der Nachspielzeit den Ausgleich erzielt.
Nun frage ich mal wieder: Italien, das eine wirklich damals von Niemandem angezweifelt große Mannschaft hatte, die wirklich begeisternden Fußball spielte, musste auf so tragische und wirklich unverdiente Art und Weise ausscheiden. Warum passiert so etwas niemals den Deutschen? Für mich unglaublich. Mit diesen Italienern musste man einfach mitweinen. Es war so ungerecht. Und ganz ehrlich bin ich auch sicher: Jeder Mensch, der dieses Turnier verfolgte, wollte diese Mannschaft noch weiter sehen. Das auch im Gegensatz dazu, wie selten man eine Deutsche Mannschaft noch sehen wollte – abgesehen von den Missgünstigen wie mir und den Einheimischen. Der deutsche Fußball war oftmals nicht die Offenbarung. Keine Kritik an den Leistungen bei dieser EM. Das war zum Großteil sehr guter Fußball. Aber Italien war besser. Und hatte es verdient, dabei zu bleiben.
Im Viertelfinale traf man auf Kroatien. Angesichts der Alternativgegner England, Spanien, Holland oder den damals sehr starken Portugiesen mal wieder eines der leichteren Lose. Und Deutschland erledigte diese Aufgabe mal wieder „en passant“. Wie viel Prozent hatten sie denn dieses Mal? Waren es wirklich 100%? Gibt es 100%? Für ein in der Zukunft liegendes Ereignis? Der Wettmarkt jedenfalls kam nicht darauf, obwohl Deutschland natürlich eindeutiger Favorit war.
Überhaupt kann ich mich bei dieser EM kaum an besondere finanzielle Bewegungen erinnern. Eines weiß ich ganz sicher: Die Europameisterschaften waren nie so überzeugend vom finanziellen Ergebnis her wie die Weltmeisterschaften. Aber genauso sicher weiß ich, dass die Vorrunde nicht ungünstig war. Verloren haben wir wohl nicht, da bin ich ziemlich sicher.
Das Halbfinale stand an. Und dieses Halbfinale macht diese ganze EM erzählenswert. Dass Deutschland immer wieder dort steht, nimmt man einfach so hin. Die Engländer – die übrigens nicht nur aufgrund ihres Pechs stets die Objektivität bewahrt haben, wie ich zahlreichen Live-Übertragungen mit englischem Kommentar entnehmen konnte – hatten gerade in diesem Jahr und dazu noch im eigenen Land die Phantasie, dass es diesmal gelingen könnte. Selbst wenn der Respekt, der auch etwas mit Sportsgeist, Fairplay und Objektivität zu tun hat, sicher angemessen groß war.
Die beiden Tore fielen recht früh. 1:0 England, Alan Shearer, dann der Ausgleich – für Deutsche kein Problem, so etwas. Der Rest war von Anspannung und doch eher Verbissenheit und Vorsicht geprägt – nur aufgrund dessen, was „at stake“ war spannend, aber fußballerisch nicht zu wertvoll. Die Verlängerung stand an. Für dieses Tor wurde das Golden Goal eingeführt – und bald danach wieder abgeschafft. Jedoch mache ich diese einmalige (blöde) Regel dafür verantwortlich, dass es auch diesmal wieder hieß : „Deutschland über Alles“.
Denn in der Verlängerung kam die hierzulande gerne vergessene Szene, als Paul Gascoigne einen quer zum Deutschen Tor rollenden Ball nur noch über die Linie schubsen musste. Er war im vollen Tempo und hätte den Ball locker erreicht, falls er nicht, wie Usain Bolt, der es sich aber leisten konnte, kurz vor der Ziel- (hier: Tor-)linie das Tempo reduziert hätte. Er riss bereits die Arme hoch, sah sich als allzeitlichen größten Englischen Helden, wollte sich bereits wie King Kong vor die Brust schlagen, als er — mit einem Mal feststellte, dass der Ball ein klein wenig mehr Tempo hatte, als von ihm angenommen. „Uih, der ist aber schnell. Jetzt muss ich mich aber beeilen für den „Ruhm“… Das denken und verzweifelt das lange Bein ausfahren und — den Ball verfehlen waren eins. Es war zu spät. Die eine Zehntelsekunde des Zögerns hat es ausgemacht. Welchen Deutschen juckt so was? Nichts mit Gascoigne und Englischer Held. Keine Trophäe in Form eines Skalps der siebenköpfigen Bestie. Das blanke Entsetzen auf sämtlichen außer-deutschen Minen.
Das obligatorische Elfmeterschießen hatte den obligatorischen Sieger. Die Münze fiel mal wieder auf (Bundes-)Adler. „Die könnens halt nicht“ so der Tenor. Glück? Haben „wir“ nicht. „Wir“ sind die Besten. Hier und immerdar.
Und bitte Vorsicht: In England nicht zu häufig den Namen „Gareth Southgate“ verwenden — und sich gleichzeitig als Deutscher zu erkennen geben. Man sieht noch heute in seinem Gesichtsausdruck – aber lassen wir das.
Wie viele Worte soll man noch über das Finale verlieren? Der Gegner hieß Tschechien. Ist das nicht kurios? Die Tschechen waren doch schon raus, bis zur Nachspielzeit, und, nur diese kleine Frage sei erlaubt, wie hätte man alternativ gegen diese große Italienische Mannschaft ausgesehen? Alles Wenn, Aber und Hätte zählt nicht, ich weiß. Alles war wieder vorbereitet für den großen Deutschen Triumphzug. Was sollte da noch in die Quere kommen? Die Tschechen etwa? Die hatten „wir“ doch schon in der Vorrunde „abgefrühstückt“, stimmts?
Nun gut, es musste erstmal Oliver Bierhoff eingewechselt werden, um überhaupt das 0:1 ausbügeln zu können. Das sprichwörtlich „glückliche Händchen“ hatte Vogts. Flanke, Kopfball Bierhoff, drin, 1:1. So machen das Deutsche eben. Nicht lange hinterher rennen. Lieber her mit dem Ball und rein ins Tor. Fertig. Tu was dagegen, Welt! Nur was? Die Verlängerung war gesichert. Dann noch einmal der Ball im Strafraum, Bierhoff dreht sich – oder versucht das, wie Gerd Müller einstens –, trifft den Ball überhaupt nicht, zumindest nicht so, wie beabsichtigt, und er trudelt rein. Golden Goal. Das erste in der Geschichte…!? Deutschland, Deutschland, Deutschland, DEUTSCHLAND. Über alles. Über alles auf der Welt. Das merk ich mir. Könnte ein Hit werden.
Wozu werden bloß immer diese lästigen Qualifikationsspiele und überhaupt das ganze Endturnier veranstaltet? Könnte man Deutschland nicht einfach so zum kosmischen Meister erklären, für alle Zeiten — und mit dieser Regelung von solch lächerlichen irdischen Turnieren ausschließen?
Wenn die Mannschaft jetzt etwa fünf Mal in Folge in der Qualifikation ausscheiden würde, so meine Theorie, dann wäre sie glücksmäßig in etwa wieder pari. Nur würde es dann in Deutschland immer heißen : „Die haben schon wieder verloren.“ Und Waldi hätte bestimmt ein paar nette Gesprächspartner, denen er sein „ein neuerlicher Tiefpunkt“ unter die Nase reiben könnte.