Diese Europameisterschaft ist aus Deutscher Sicht einigermaßen schnell erzählt. Denn bereits in der Qualifikation gab es nur müde Spiele. Das Abschlussspiel in München gegen die Türken konnte man getrost als Auswärtsspiel bestreiten und die Türken hatten auch ausreichend viele Chancen, um das 0:0 Endergebnis zu durchbrechen und die Deutschen einfach mal vor einem Turnier rauszuhauen. In Deutschland wurde das Halten des Ergebnisses gewohnt gelassen hingenommen. Qualifizieren tut man sich doch eh immer. Mich hätte aber, ebenfalls der Gewohnheit entsprechend, eine Niederlage auch nicht zufrieden gestellt – nichtsdestoweniger hätte ich sie mir gewünscht – aufgrund der dann zu erwartenden Schelte der Medien und dem darauf folgenden Echo und dem Abwenden der Rest-deutschen-bevölkerung. „Die lahmen Vollidioten. Kassiern Millionen und sind zu faul zum Loofen. Und kämpfen tun se schon ja nich. So ne Dreckstruppe. Muss n neuer Trainer ran, und die Spieler ooch alle austauschen.“ Und so weiter. Deutsche haben das Recht auf Siege. Gilt wohl seit dem zweiten verlorenen Krieg?
Ich habe dazu natürlich wieder meine eigenen Theorien. Siehe Text zur WM 1998. Deutschland ist im Viertelfinale gescheitert. Das wurde als Katastrophe gewertet. Es ist so lächerlich, das so zu nennen. Die Ansprüche sind durch die Verkettung von Glücksumständen unberechtigterweise so in die Höhe gegangen – ungebremst von den Medien, die den Jargon im Prinzip vorgeben –, dass ein Viertelfinale nicht etwa als „geht in Ordnung, unter den besten acht einzulaufen“ oder als ganz leichte Enttäuschung, sondern als nationale Katastrophe aufgefasst. Und wenn man es genau bedenkt, dann ist man unter den letzten acht nicht achter geworden sondern geteilter fünfter. Man ist definitiv dort gelandet, wo man es erhoffen oder im aufdringlichsten Fall erwarten kann. Das ist das Denken und Empfinden, wo einen permanentes Glück hinbefördert. Man verliert die Objektivität und die Bodenhaftung. Das für mich grundlegende Ärgernis an der Sache.
In der Folge bedeutet es aber auch, dass Fehlentscheidungen getroffen werden. Nationale Erfolge werden – genau wie andere auf Glück basierende Erfolge übrigens auch, wie ich an genügenden Beispielen aus meiner Spielerkarriere berichten könnte – zur Selbstverständlichkeit erklärt, die wahre Ursache für die Erfolge nicht richtig gedeutet, in der Konsequenz auch die Ursache für einen empfundenen Misserfolg. Der Trainer, der eine ganz normale, da den mathematischen Erwartungen entsprechende Leistung, auch im Sinne der Ergebnisse, erbracht hat, wurde geschasst. Spieler wurden ausgetauscht, die ebenso normale, ihren Fähigkeit entsprechende Leistungen erbracht hatten, ein großes Chaos wird ausgelöst. Und was man sich unbewusst erhofft? Das Glück muss doch einfach zurückkehren. Das haben wir abonniert.
Objektivität ist gefragt. Die gibt’s erst wieder zu erwarten nach einer langen Kette von Misserfolgen. Und da sie dann dankenswerterweise mit ein klein wenig angebrachter Demut oder – etwas schwächer ausgedrückt – Respekt einhergeht, kann ich nicht anders, als mir diese zu wünschen.
Deutschland erzielte im ersten Spiel „nur“ ein 1:1 gegen Rumänien. Neue Katastrophenleistungen wurden bescheinigt. Gegen einen Gegner, der bei allen großen Turnieren zuletzt große Leistungen erbracht hatte und ganz sicher nicht umsonst die Zulassung für das Turnier erworben hat, sogar im letzten Spiel die Engländer, die ärmsten, mit 3:2 besiegten – übrigens darf ich es hier erwähnen, dass der Sieg in dem Spiel eher den Engländern zugestanden hätte – und sie damit rauswarfen. Tja, wenn man so vom Glück verblendet wurde, dann ist die öffentlich Medienreaktion mal wieder abzusehen und möglicherweise auch ursächlich dafür verantwortlich, dass im nächsten Spiel entweder schon wieder (gute) Spieler ausgetauscht wurden (gegen Schwächer oder ebenso gute) aufgrund des öffentlichen Drucks, oder die Beine der doch wieder aufgestellten Spieler aufgrund der (unverdienten) Schelte ein klein bisschen schwerer waren als sie sein sollten. Man verlor das Spiel gegen England mit 0:1. So sehr die Engländer die eine Revanche für die vielen von den Deutschen zugezogenen Wunden auch gefeiert haben mögen – zum Weiterkommen hat es nicht gereicht.
Alle Siege gegen die Engländer, die ganzen fröhlichen Feierstunden, die als Folge der Ansammlung von Glück erzielt wurden, werden hingenommen und Häme ausgeschüttet über dem gescheiterten Konkurrenten, der nichts weiter falsch gemacht hat, als nicht unter dem Glücksstern geboren zu sein. Aber die eine Niederlage, die kann man nicht sportlich fair schlucken. Gratulieren, beglückwünschen, „diesmal ward ihr dran“ sagen und vom Platz gehen. Symbolisch natürlich auch die Medien.
Das letzte Spiel gegen Portugal stand an. Eine kleine Strafe für die Überheblichkeit und die Unbeliebtheit im Ausland mussten die Deutschen hier hinnehmen. Das Kuriosum an der Gruppenkonstellation war nämlich, dass Portugal dank zweier Siege bereits gesichert weiter war. Deutschland hatte sein Schicksal zwar nicht mehr selbst in der Hand, dadurch, dass England mit einem Sieg garantiert weiter gewesen wäre, aber dennoch hätte Portugal ja erst mal bequem „das Ding rüberspielen“ können. Sie traten auch wirklich mit einer so genannten B-Elf an. Zumindest wurden einige Stammkräfte „geschont“. Aber die, die aufliefen waren heiß und fertigten eine wirklich müde deutsche Truppe mit 3:0 ab. Verstehen tue ich aber die gelähmten Beine recht gut. Irgendwann verweigert man als Kicker einfach, die zu hohen Ansprüche erfüllen zu wollen/müssen. Deutschland war raus. Mit einem Punkt. Das gibt’s doch gar nicht, oder?
Für mich hatte das Turnier einigen Erinnerungswert. Die Wetten liefen nicht gut. Bei Portugal gegen Deutschland habe ich mich auch nicht getraut, gegen die Deutschen anzutreten, obwohl mein Computer mir das natürlich geraten hatte. Aber die Gruppenkonstellation sprach dagegen. Der verschossene Elfmeter von Raul in der letzten Minute gegen Frankreich war sehr teuer. Dann sollte Frankreich unbedingt raus. Alles, nur nicht Frankreich. Und dramatisch das Halbfinale schon gegen Portugal, als den Franzosen doch in der letzten Minute der Verlängerung ein dann verwandelter, aber vorher heiß diskutierter Elfmeter aufgrund eines scheinbar unglücklichen Handspiels – für mich übrigens ein klarer Elfer – zugesprochen wurde.
Es lief einfach nicht. Nur wäre ich immer noch pari rausgekommen aus dem Turnier, wenn, ja wenn, hätte und aber… aber hier meine Geschichte:
Finale Frankreich gegen Italien. Und wenn ich es jemandem gönne, dann den Italienern. Sie haben eine wirklich tolle Fußballkultur und noch viel mehr spürt man, dass sie, jederMann, etwas davon verstehen, was ich leider in Deutschland nicht behaupten kann. Aber auch sonst hatte ich selber Italien auf Turniersieg gewettet und alles gegen Frankreich. Nicht, weil sie so schwach waren, sondern weil sie am Markt überschätzt waren.
Die Italiener spielten gewohnt stark, es war keine Favoritenstellung für Frankreich zu erkennen. Als Italien dann auch noch in Führung ging, habe ich wohl den Fehler gemacht, den Champagner schon mal kalt zu stellen. Denn: es kam die letzte Minute. Die Italiener hatten eine Konterchance, verloren den Ball aber. Ich wusste, das war der letzte Angriff. Das musste der letzte Angriff werden. Ich sah am Bildschirmrand, wie Delvecchio nach Ballverlust nicht zurücklief, sondern sich die Stutzen hochkrempelte. Er baute wohl auf seine Abwehr und auf den Schiri mit dem Schlusspfiff. Ich schrie ihn – also meinen Fernseher – an, er solle entweder vom Feld gehen oder zurücklaufen. Denn tatsächlich wurde der Angriff der Franzosen abgewehrt und der Ball aus der italienischen Abwehr heraus nach vorne geschlagen. Delvecchio hatte aber weder den Rückweg bewältigt noch das Feld verlassen. Der Schiri entschied auf Abseits. Der Ball wurde sofort wieder von den Franzosen nach vorne geschlagen – und mit dem nun definitiv letzten Angriff das 1:1 erzielt. Meine Mine wurde lang und länger, mein Gewimmer bang und bänger. In der Verlängerung erzielten die Franzosen gleich noch das 2:1 obendrauf.
Da ich nur wenige Wochen zuvor – man spricht wohl von einem „déja-vu“ Erlebnis – bereits das Champions League Finale Bayern München – Manchester United auf ähnlich tragische Art und Weise mit ähnlichen finanziellen Folgen verloren hatte, mit einem Gesamtschaden der beiden Ereignisse von etwa 55.000 DM, kann man sich den Neid auf meinen Beruf wohl abschminken? Nix mit Gewinn und nix mit Netto… Alles ausgekippt.