Analyse eines Reporterkommentars
Auf Fußball bezogen habe ich bereits einiges erzählt, was mir an den Kommentaren auffällt. Die Berichterstattung ist generell negativ. Die Ursachen dafür: 1) Der Fußball ist eine so gigantisch große Sportart, dass man ihn prinzipiell gar nicht kaputt kriegen kann. Er wird weiter leben, auch wenn man schlecht über ihn spricht. 2) Ein Kommentator muss mit Lob vorsichtig sein. Bei der Vielzahl der (häufig selbst ernannten) Experten könnte ein Lob auf „Laienstatus“ hindeuten. Der wahre Experte gibt sich dadurch zu erkennen, dass er immer weiß, wie man es besser, wenn nicht gar richtig machen könnte/sollte/müsste.
Beim Tennis war ich zwar bisher der gleichen Auffassung, dass die Kommentare prinzipiell nicht gut sind. Aber das war eher unauffällig. Viele der Kommentatoren zeichneten sich auch für mich erkennbar durch Fachkompetenz aus. Im Vergleich zum Fußball war es also eine Wohltat, eine Tennisreportage zu hören. Selbst wenn die Tennisreportage immer noch sehr schlecht war.
Die Reporter aber haben offensichtlich einen Jargon übernommen, dessen man sich bei allen Gelegenheiten und Sportarten zu befleißigen hat. Grundregel Nummer 1: „Da ich weiß, wie es steht, kann ich alles sagen, was dem Spielstand nicht widerspricht.“ Also schließt es sich dadurch aus, dass ein Verlierer, Fußball oder Tennis, „gut gespielt“ hat. Warum? Ganz einfach, kenn ich selber vom Fußball spielen aus der Kabine. Wenn ich sagte, wir hätten doch heute trotz der Niederlage gut gespielt, hörte ich sofort: „Wenn wir gut gespielt hätten, hätten wir auch gewonnen.“
So unsinnig das auch ist (es gibt doch unterschiedliche Leistungsniveaus? Nicht jeder, der gegen Tiger Woods ein Golfmatch verliert, hat auch schlecht gespielt, oder?), es ist ein Standardsatz, der uns einfach eingebläut wird. Gut spielen und verlieren schließt sich aus. Vor allem weiß der Berichterstatter aber, woran es liegt, dass einer verliert. Das ist nämlich Regel Nummer 2. Dabei überschlägt man sich in der Regel an lächerlichen Analysen, die allesamt unwahr, aber flüssig vorgetragen sind. Wenn zufällig mal ein richtiger Satz dabei sein sollte, kann ich das einfach nur dem Zufall zuschreiben. Wichtig, Regel Nummer 3: Man kennt eine Reihe von Fehlertypen, die man beliebig aneinander reiht
Also, auf Fußball bezogen, hört sich das so an: „Zu viele Ballverluste im Aufbauspiel“, „zu viele Abspielfehler“, „zu wenig Aggressivität in den Zweikämpfen“, „Katastrophale Stellungsfehler“, „individuelle Fehler“, „die schlechte Chancenverwertung war das Hauptproblem“ oder auch „keine Durchschlagskraft im Angriff“ oder „da fehlte der finale Pass“ oder „die zündenden Ideen“. Man kann noch beliebig viele hinzufügen. Der wahre Experte zeichnet sich dadurch aus, dass er den Sieger kennt und alle diese Sätze fehlerfrei und möglichst schnell hintereinander aussprechen kann.
Nun gut, das war Fußball. Tennis und auch anderen Sportarten hielt ich prinzipiell durch ihre geringere Verbreitung für „besser geschützt “, so dass ein Berichterstatter doch befürchten müsste, dass, wenn er ein Spiel, Match, komplett, „verreißt“, ihm die Zuschauer wegbleiben würden (oder würden Sie bei einem Wasserballspiel zuschauen, wo Sie ständig auf die schlimmen Fehler aufmerksam gemacht würden?). Jedoch sind diese Bedenken seitens der Reporter grundsätzlich verflogen und dem Prinzip „ich weiß einfach alles und bin der Größte“ untergeordnet. Also hat der Virus jetzt auch dort um sich gegriffen und selbst Tennismatches sind nicht mehr zu ertragen.
Ich habe also vor ein paar Tagen mal wieder ein Tennismatch angeschaut. Aus Interesse und Begeisterung für diese Sportart. Heute ist der 27.Juni 2009, es wird gerade in Wimbledon gespielt. Am 24.Juni spielte Gisela Dulko aus Argentinien gegen Maria Sharapova aus Russland auf dem Centre Court. Dadurch wurde das Match also live auf DSF übertragen. Nichts weiter Aufsehen erregendes. Man schaut oder man schaut nicht. Ich schaute. Und wurde vom Kommentar „belästigt“.
Ich möchte mir aber nur einen einzigen Kommentar herauspicken und diesen in seiner Aussage untersuchen. Dazu nur noch die kleine Vorüberlegung: Maria Sharapova war mal die Nummer 1 auf der Welt (wenn auch sehr kurz). Sie ist in der Weltrangliste zurückgefallen, durfte aber noch immer als 24 gesetzt starten. Ihre Gegnerin war ungesetzt. Favoritin am Wettmarkt war Sharapova. Der Kurs vor dem Spiel war eine 1.31. Das entspricht in etwa einer Siegwahrscheinlichkeit von 75%. Wo die Realität lag, also wie die Siegchancen tatsächlich waren, kann man nur raten. Aber der Wettmarkt wird sicher nicht so weit von der Wirklichkeit entfernt gelegen haben. Wusste der Reporter, wer Favorit war? Zumindest wird man während des Matches nicht darüber aufgeklärt.
Allerdings würde ich sagen, dass es Reporterpflicht ist. Nicht nur, das zu wissen, sondern auch, das dem Zuschauer mitzuteilen. Unsere Schlauköpfe warten einfach ab, wer gewinnt und erklären einem dann, dass sie es die ganze Zeit gewusst haben. Na gut, das nennt man dann wohl meinerseits Polemik. Der Spruch „wahre Propheten warten die Ereignisse ab“ wird dennoch täglich bestätigt. Seitens der Reporter. Also ich hoffe mal zu Gunsten des Kommentators, dass er wusste, wer Favorit war. Und 75% ist schon ein ziemlich klarer Favorit.
Jetzt also zum Match und zu dem unsäglichen Kommentar. Der erste Satz ging ziemlich glatt an Dulko. Keine Riesenüberraschung, aber doch eine kleine. Im zweiten Satz setzte sich Dulkos Überlegenheit fort. Sie gewann die ersten drei Spiele, war also bei 1:0 Satzführung und 3:0 im zweiten klar auf der Siegerstrasse. Hatte sich der Wettmarkt so geirrt? Hatte Sharapova denn gar nichts entgegen zu setzen? Das zumindest hätte ich als Reporter als Frage aufgeworfen. Und sie hatte. Wen könnte das überraschen außer unseren Berichterstatter? Sie verbesserte ihr Spiel merklich. Auf einmal ging sie früh vor, die Schlagpräzision nahm zu, etliche gut platzierte, harte Grundlinienschläge, die die Gegnerin, Frau Dulko, unter gewaltigen Druck setzten. Dazu das traditionelle „Sharapova-Stöhnen“ bei jedem Schlag. Ein spannendes Match. Als Reporter wäre ich glücklich, wenn ich eine solche Situation präsentiert bekäme. Man vergleiche es damit, dass Dulko auch den zweiten Satz mit 6:1 gewänne?
Es stand also jetzt 3:3 im zweiten. Sharapova hat angedeutet, dass sie wirklich die klare Favoritin sein könnte. Aber ob sie das Match auch drehen könnte? Noch ein weiter Weg. Sie machte auch im 4.Spiel den ersten Punkt. Das könnte es werden, das break. Gewaltige, aggressive Angriffsbälle, sie schien, die Sicherheit im Spiel gefunden zu haben. Dulko blieb für eine Weile nur die Zuschauerrolle. Gegen diesen Angriffschwung wäre wohl auch Martina Navratilova oder Steffi Graf ins Hintertreffen geraten. Der Wettmarkt reagierte auch. Es gab jetzt live einen Kurs auf Sieg Sharapova. Dieser Kurs lag jetzt bei 1.70. Das ist immer noch ein Favoritenkurs. Aber nur ein leichter Favorit. So etwa bei 55% – 56%. Aber immerhin. Sie musste ja auch noch einen Satz aufholen, man bedenke!
Aber unser Kommentator hatte längst ausgemacht, „woran es lag.“ Und jetzt kommt der Kommentar, dem ich diesen Text hier gewidmet habe: „Dulko muss wieder aggressiver werden.“
Ich wusste natürlich gleich, was in ihm vorging. Mir fiel seine argentinische Großmutter ein, er war sicher von Anfang an für Dulko gewesen. Warum sonst sollte er so etwas sagen? Das ist doch eindeutig parteiisch? Ich ergänzte für mich den Satz. Ich dachte gleich so: „Sie muss wieder aggressiver werden, damit sie das Match gewinnt.“ Also er wollte sie als Siegerin sehen. Dennoch fielen mir ein paar andere Ergänzungen ein: „Sie muss wieder aggressiver werden, damit ich endlich wieder, wie schon die ganze Zeit vorher, auf Sharapova herumhacken kann.“ Auch eine Version. Was wäre nämlich gewesen, wenn sie tatsächlich die nächsten Punkte gemacht hätte? Den Kommentar höre ich, auch ohne dass es geschah: „Sharapova hatte nur ein kurzes Aufflackern, bei dem sie angedeutet hat… jetzt ist sie wieder in ihren alten Trott verfallen. Das wird nichts mehr.“ Oder auch ein schlichtes „Viel zu viele Fehler.“ falls nicht „Sie übertreibt das Risiko.“
Vergessen Sie das mit der Großmutter. Ich versuchte kurzzeitig, mich in Dulkos Trainer hineinzuversetzen. Der sah natürlich auch, dass die große Gefahr bestand, dass sie, Dulko, das Match „aus der Hand“ geben würde, dass die Favoritin sich doch noch durchsetzen könnte. Und er wird sicher mit ihr ein paar Szenarien durchgegangen sein vor dem Match. Ich dachte so bei mir, eines wird er ihr ganz sicher nicht gesagt haben. Und das ist: „Wenn Sharapova ins Rollen kommt und die Bälle perfekt trifft, dich unter Druck setzt, dann musst du aggressiver werden.“
Also was bleibt an diesem Kommentar? Falsch ist er sowieso. Unsinn, Blödsinn. Spannung raubend ist er auch. Wenn also jemand wegen der Spannung schaut, dann schaltet er eher ab, wenn er das hört. Man möchte einfach nicht permanent „beklugscheißert“ werden, wer wann was zu machen hat und wer alles wann was falsch gemacht hat. Ein Sportereignis lebt auch von der Spannung. Diese wird nicht mit Fehleranalysen oder dümmlichen „Spielverbesserungstipps“ erzeugt. Das könnte eine Analyse nach dem Match ergeben. Dazu noch ist er einfach nicht neutral. Wenn ein deutscher Athlet antritt und ein Deutscher kommentiert, dann darf man sehr wohl einen parteiischen Anstrich erwarten, zumindest durchgehen lassen. Aber doch nicht, wenn eine Argentinierin gegen eine Russin spielt? Auch da wäre es zu dulden, sofern man eindeutig auch schon vor dem Match Stellung bezieht. Das kann natürlich nur ein Ausnahmefall sein.
Wenn er Dulko dazu einen solch dämlichen Tipp mitgibt, welche hätte er denn für Sharapova haben müssen? Und falls er Sharapova kurz vorher geraten hätte, ihrerseits „aggressiver“ zu spielen und sie drei Spiele in Folge gewonnen hätte, dann hätte er doch sagen müssen „Endlich spielt sie aggressiv. Das ist ihre Stärke, dem ist Dulko nicht gewachsen.“ Denn durch irgendetwas muss sie doch zur Favoritin geworden sein?
Zusammengefasst: es kommt nichts als Unsinn heraus. Egal, von welcher Seite man es betrachtet. Noch dazu wird das wichtigste Kriterium verletzt: Spannung erzeugen. Oder gilt das gar nicht mehr? Den Zuschauer an ein spannendes Match fesseln mit einer gelungenen Reportage? Nicht bevormunden, keine weisen Ratschläge („Long line war doch das Feld offen!“), einfach nur das, was es ist: ein tolles Tennismatch. „Danke, dass Sie eingeschaltet haben. Danke, dass ich sprechen darf. Schön, dass Sie zuhören. Ein tolles Match, was auch anders hätte ausgehen können.“. „Danke für die spannende Übertragung.“
Übrigens: Sharapova gewann den zweiten einfach. Man musste annehmen, dass sie auch den dritten einfach gewinnen würde. Der Wettmarkt hat die Quote wieder Richtung 1.30 korrigiert nach dem zweiten, so wie vor dem Match. Aber Dulko gewann das Match.
Der Trainer steht übrigens im Verdacht, während des Matches mit Ohrstöpseln die deutsche Live-Übertragung gehört zu haben (mit Übersetzung ins Spanische!) und ihr vor dem dritten Satz per Zeichen zu verstehen gegeben hätte, dass sie „aggressiver spielen müsse.“
Der Protest läuft…