Die Trainerentlassung des Markus Babbel
Die Befürchtungen, die man nach dem gestrigen Pokalaus des VfB Stuttgart bei der SpVgg. Greuther Fürth haben musste, haben sich heute, am 28. Oktober 2009, bestätigt: Markus Babbel ist als Trainer entlassen worden.
Nun ist eine derart betrübliche Meldung heute Gang und Gäbe und in keiner Weise überraschend. Auch äußere ich mein Bedauern weder als Fan des VfB Stuttgart noch als Anhänger von Markus Babbel persönlich. Ich äußere es eher als Fan des Fußballs im Allgemeinen aber auch als absoluter Feind von Ungerechtigkeiten, als skeptischer Betrachter und Zuhörer der Berichterstattung aber auch als Freund der Mathematik, spezielle der Wahrscheinlichkeitsrechnung, und als Freund der Menschen, die leider bei Betreten der recht dünnen und noch dazu extrem rutschigen Eisfläche der Wahrscheinlichkeitsrechnung regelmäßig ausrutschen oder gar einbrechen. Diese Eisfläche bildet aber unsere Lebensgrundlage und jeder Versuch, sie gar nicht erst betreten zu wollen, ist leider vergebens. Man muss versuchen, sich hindurch zu lavieren und das gilt wirklich für jeden.
Erfahren habe ich persönlich es heute Morgen beim Bäcker, als sich drei Bauarbeiter unterhielten. Nur war es in dem Sinne keine Unterhaltung, das Gespräch wurde gleich eröffnet mit den Worten: „Babbel ist entlassen.“ Antwort: „Ja, er hat ja verloren gestern.“ Das zeigt mir, dass die Medien mit ihrer Kampagne ein weiteres Mal Erfolg hatten. Es gibt einfach nichts Spannendes zu berichten, so zumindest muss man schlussfolgern. Das einzig Spannende ist, wenn Köpfe rollen. Das war auch gestern Abend bereits bei der Übertragung auf Sky festzustellen und abzusehen. Spielverläufe interessieren nicht mehr. Sie werden vom Ergebnis sowieso radikal ausraddiert. Wenn also eine Mannschaft Vieles richtig macht, das Spiel bestimmt, die Vielzahl der Chancen herausspielt, es noch dazu jede Menge anderer gelungener und eigentlich den Fußball attraktiv machender Aktionen passieren, dann wird doch am Ende nur das Ergebnis zurate gezogen. Also kann man sich, nach Ansicht der Berichterstatter, auch gleich die Kommentierung einer einzelnen gelungenen Aktion sparen. Weil: Entweder, die Mannschaft gewinnt am Schluss, dann hat der Gegner alles falsch gemacht, oder sie verliert und dann waren das alles Muster ohne Wert.
Nun gut, der VfB Stuttgart hat das Spiel verloren. Es gibt die ganzen 90 Minuten eigentlich nur ein Thema: Kann der VfB gewinnen und Herrn Babbel retten oder verliert er und er muss gehen? Ich aber, als treuer Fußballgucker und auch Fußballwetter, habe mir die Mühe gemacht, das Spiel anzuschauen. Ich habe, so, wie ich es immer tue, mir ein Bild davon gemacht, was die Spieler richtig machen und was sie falsch machen. Den allgemeinen Spielfluss, die Schiedsrichterentscheidungen, das Publikum, den gesamten Spielverlauf und die Reportererkenntnisse wahrzunehmen gehört dabei alles zur Routine. Mein eigenes Schicksal berücksichtige ich auch noch mit und dieses lautete bei dem Spiel: Ich habe eine kleine Wette auf das over. Das heißt, bei genau drei Toren gewinne ich die Hälfte der Wette, ab vier Toren die gesamte Wette. Mein Computer hatte mir in dem Falle noch nicht einmal dazu geraten. Es war eine Überzeugung, dass Stuttgart heute unbedingt gewinnen will und einfach optimistisch herauskommt, nach vorne spielt und im günstigen Falle einfach das eine oder andere Tor erzielt.
Als nach den ersten drei Torchancen, allesamt für Stuttgart, der Ball mal wieder nicht reinging, waren Markus Babbel und ich für den Moment Leidensgenossen. Aber auch der Sprecher konnte sich dieser Überlegenheit des VfB nicht verschließen. Auch er musste erkennen, dass es nur eine wirklich gute Mannschaft gab, was übrigens für mich auch keine besondere Erkenntnis ist, da immerhin ein Klassenunterschied besteht. Als allerdings Progrebnjak die dritte Möglichkeit vergab hatte er seine erste waghalsige, dem Ergebnis geschuldete Bemerkung zu machen: „Progrebnjak ist noch nicht richtig ins Spiel integriert.“ Brillant. Wie kommt er dann zu den Chancen? Ein deutscher Sprecher darf einfach alles sagen, so lange es nur dem Spielstand nicht widerspricht…
Dann kam ein winziger Glücksmoment für mich persönlich, auf den ich im Nachhinein aber gerne verzichtet hätte: Es spielte nur eine Mannschaft und — wie Andy Brehme schon richtig feststellte „Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß.“ – die andere bekommt eine einzige Chance und der Ball ist drin. 0:1. Fürth liegt vorne. Für mich ein Tor, was günstig ist, da ich Tore, egal für wen, brauche. Die Ungerechtigkeit eines solchen Tores ist Alltag. Nur ist in diesem Falle nicht Alltag, dass es schon wieder die gleiche Mannschaft betrifft. Den VfB Stuttgart. Das macht mich selber etwas betroffen und ich fühle mit den Spielern und den Trainers. Derartige Gefühle sind dem Berichterstatter fremd. Er hat nicht einmal die Absicht, diese Emotionen aufzudecken. Er fühlt sich wohl, wenn er die platten Sprüche wie „Fußball ist ein Ergebnissport“ zitieren kann und am wohlsten fühlt er sich, wenn er sich schon die Fragen für nach dem Spiel zurechtlegt und zeitgleich die Säge noch ein bisschen weiter in den Stuhl des Herrn Babbel hineinjagt. Das sind wahrhaft große Kommentatoren! Sie können 1 + 0 zusammenzählen und sogar miteinander vergleichen!
Der VfB machte ein tolles Spiel. Jeder, der etwas anderes sagt, versteht nichts vom Fußball. Es geht um die eine einzige Winzigkeit einer Aktion, dass der Ball das eine Mal perfekt kommt, perfekt getroffen wird oder auch zufällig genau so, wie man ihn nicht haben wollte und er trotzdem reingeht. Es geht um den einen Abseitspfiff oder die eine Aktion im Strafraum, wo man Elfer oder keinen gibt. Es geht um den Pfosten, der einige Male um ein paar Millimeter zu breit war und so den Torjubel verhindert hat. Nur passiert auch das täglich, in jedem Spiel und die bessere Mannschaft gewinnt genau im Verhältnis der Chancenverteilungen in der Häufigkeit öfter als der Außenseiter. Nur wenn es ein paar Mal in Serie die gleiche Mannschaft betrifft, dann hat es die besagten Folgen.
Von Unsicherheit oder von mangelnder Laufbereitschaft, mangelndem Einsatz- oder Durchsetzungsvermögen, fehlendem Engagement, von einem „Trainer, der die Spieler nicht erreicht“ kann zu keinem Zeitpunkt die Rede sein. Es war ein Fußballspiel, wie viele andere zuvor. Es fehlte Stuttgart gar nichts an spielerischem Vermögen. Es fehlte nur das Quäntchen Glück, was man auch dann noch braucht, wenn man vieles bis fast alles richtig macht. Der Ball muss über die Linie. Nur ein einziges Mal. Die Verbrüderung mit Herrn Babbel konnte ich wieder spüren. Denn auch ich hätte dieses kleine bisschen Glück gebraucht, um meine Wette zu gewinnen. Auch die letzte Chance – und es gab wirklich reichlich – in der Schlussminute wurde vertan. Das Spiel war aus. Die Bauarbeiter haben sicher nicht zugehört und auch nicht zugeschaut. Denn was man zu hören bekommt kann ich sehr schlicht zusammenfassen: „Blablabla.“ Reiner Zufall übrigens, dass gerade in dem Fall fast die gleichen Buchstaben wie beim Trainernamen vorkommen Und die Art, wie es erzählt wird ist in einem ähnlichen Tonfall wie bei dem Großereignis „Queen Mum besucht Berlin.“ Nur nicht die Stimme heben, da könnte man die längst schlafenden Zuschauer ja noch aufwecken. Dazu kommt aber noch ganz viel Häme.
Gut gemacht, Jungs. Eure Grundeinstellung „ich kann erzählen, was ich will“, ist insofern zutreffend, als man den Satz spielend ergänzen kann mit „… es hört ja eh keiner zu.“
Nach dem Spiel war mir ja klar, dass sie jetzt ihr Antlitz als Schlaftabletten unisono und spontan in jenes von Hyänen verwandeln. Zugeschaut haben sie auch selber nicht, erzählt haben sie, siehe oben, was sie wollten. Nur die Tore wurden aufmerksam mitgezählt. Und es blieb beim 0:1. Nun, da kann man schon mal selbstbewusst auftreten. Nun kann man fragen, was man will. Der Befragte Verantwortliche des VfB hat ja keine Möglichkeit, der erdrückenden Last des Ergebnisses zu entweichen. Wenn man nun dreist und unverschämt einfach behauptet, dass es wieder mal an den Abschlussproblemen lag und nur den Ansatz eines Widerspruches hören sollte, dann verweist man einfach wieder auf die Ergebnistafel. Wenn nun jemand den einen Ball, der vom Innenpfosten abprallte und dann parallel zur Torlinie rollte um am Ende neben dem anderen Pfosten ins Aus zu gehen herbeizitiert, dann weiß der gute Frager eine Antwort. „Ja, aber was zählt schon hätte, wenn und aber. Der Ball war nicht drin. Die Mannschaft hat verloren.“ Es gibt kein Entrinnen.
Bereits am Samstag nach der äußerst unglücklichen Niederlagen der Stuttgarter waren die Fragen ähnlich dreist, aber man darf sie auch getrost als naiv bezeichnen. „Naiv“ ist auch spielend zu übersetzen mit „keine Ahnung vom Fußball“. Teilweise wurde aber auch einfühlsam gefragt, was gerade dieses Mal auffällig war. Man spürt den Befragten – in Persona Horst Heldt, Manager des VfB – an, dass sie am liebsten das Mikrofon nehmen und dem Frager in das zu diesem Anlass dann sicher weit geöffnete Maul stopfen würden. Der Anstand gebietet Einhalt. Jedoch weiß man auch, dass es keine Antwort gibt, die dem ergebniswissenden Frager mundtot machen könnte. „Wir haben gut gespielt.“ „Wenn Sie gut gespielt hätten, dann hätten Sie doch nicht verloren?“ AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAARRRRRRRRRRRGGGGGGGGGRRRRRRR.
Dennoch hat mich der samstägliche Frager mit einer wirklich guten Frage überrascht. Diese an den Trainer: „Man könnte sich nun hinstellen und das alles als Pech bezeichnen. Geht Ihre Analyse tiefer?“ Erstaunlich und gut. Er überlässt es dem Trainer. Er fragt nach der ihm abgehenden Kompetenz und schreibt sie dem wahren Fachmann zu. Ob er die Antwort dann gelten ließe ist eine andere Frage. Später wird er sich doch wieder auf das Ergebnis berufen. Aber immerhin bestand auch die Möglichkeit, die von allen trotz ihrer erkennbaren Existenz nur äußerst ungern verwendete Vokabel „Pech“ für dieses Mal als Erklärung zuzulassen. Es war Pech, Das steht fest. Die Frage nur: wie viel Pech und inwieweit hätte man es durch geschickte Maßnahmen unwahrscheinlicher machen können, die Chancen also zu den eigenen Gunsten verschieben können.
Wie gesagt, der Reporter fragte teilweise gestern Abend auch erstaunlich einfühlsam. Horst Heldt war sichtlich betroffen vom Ergebnis, aber eingangs auch genervt von der Kenntnis der vorhersehbaren Fragen. Zugute wird ihm dann gehalten, dass er sich den Fragen stellt. Jedoch betreibt auch er die Politik des geringsten Widerstandes. Die Prügel ist ungleich größer, wenn man sich nicht stellt.
Die Art zu fragen gefiel mir gestern. Wirklich. Horst Heldt hat sich sogar während des Gesprächs entspannt, weil er spürte, dass der Mann irgendwie mitfühlte. Er fragte sehr ruhig und sehr sachlich und ausnahmsweise mal nicht besserwisserisch, was mich lehrte, dass es in Deutschland doch möglich sein könnte, dass man im Interview eines fernen Tages doch wieder unterscheiden könnte, wer der wirkliche Experte für Fußball ist, und, bei Wiederholung eines solchen Ereignisse sogar, wer der Fachmann für Fragen sein sollte.
Das galt aber nur, bis es dann zu dem unsäglichen Abschluss im Dialog kam. Und dieser ging so:
„Unter welchen Umständen würden Sie denn reagieren?“ (Also die übliche Reaktion meinend: Den Trainer entlassen.) Horst Heldt: „Wie ich schon sagte. Wir müssen das Richtige tun.“ Und jetzt diese abschließende Frage, die alles vorher Gehörte auf den Kopf stellte, ad absurdum führte und ich hätte es ahnen müssen. Der Reporter verstieg sich zu der folgenden unerhörten Abschlussfrage. „Wann?“
Muss man das noch kommentieren? Er weiß also offensichtlich, was das Richtige ist. Das ganze Interview über behielt er dieses Wissen für sich. Er gab vor, sich wirklich für irgendetwas zu interessieren. Es ist ihm sogar gelungen, dem größten Skeptiker, mir, Dirk Paulsen, weiszumachen, dass heute alles anders ist. Und dann das.
Es stellt sich für ihn nur noch die Frage des Zeitpunktes, wann der VfB „das Richtige“, dass vom Reporter aber längst bekannte Richtige, tun wird. Jede noch so erfreuliche vorherige Frage ist damit komplett ausgelöscht. Es ist die Dreistigkeit, die sich Tag für Tag noch potenziert. Es ist einfach unfassbar! Und heute Morgen habe ich auch noch die bedauerliche Antwort bekommen…
Ein wenig Mathematik:
Um für Markus Babbel aber auch alle vorher schon völlig zu Unrecht und unüberlegt entlassenen Trainer eine Lanze zu brechen, habe ich mal ein paar Zahlen herausgesucht.
Ich habe meine Datenbank befragt, wie wahrscheinlich diese fünf konsekutiven Niederlagen des VfB waren. Mein Computer errechnet mir für jeden der drei möglichen Spielausgänge eine Wahrscheinlichkeit. Natürlich ergibt sich in der Multiplikation eine kleine Zahl, aber dennoch ist die Chance noch gut messbar. Hier die einzelnen Werte, die Spiele sind chronologisch sortiert, Werder liegt am längsten zurück:
Werder | Schalke | Sevilla | Hannover | Fürth |
33.11% | 34.84% | 49.50% | 36.76% | 27.32% |
Die aufgezeichneten Chancen sind die jeweils für eine Niederlage des VfB. Man berücksichtige bitte auch die Namen der Gegner, was an sich keinen Einfluss auf die Gesamtwahrscheinlichkeit hat. Dennoch sind es Gegner, gegen die man verlieren kann. Also die Multiplikation ergibt: 33.11% * 34.84% * 49.50% * 36.76% * 27.32% = 0.57%. Immerhin noch ein gutes halbes Prozent. Die Frage, inwieweit dieses Ereignis durch reines Pech, Verkettung ungünstiger Umstände zustande kam, oder ob diese Chance durch Fehlmaßnahmen des Trainers oder anderer Individuen beeinflusst wurde, wird weiter unten behandelt.
Zur konkreten Analyse der Spiele aber: Gegen Werder war das vielleicht einzige wirklich schlechte Spiel. Aber Werder ist auch in einer Top Verfassung. Danach das Spiel gegen Schalke war nur eines von drei möglichen Resultaten. Nach dem Rückstand ist der VfB eine Weile lang vergebens angerannt, hat dann endlich in der 76. Minute den längst verdienten Ausgleich erzielt, um dann drei Minuten später „shockfrosted“ zu werden mit dem erneuten Rückstand. War das ein Moment der Unkonzentriertheit? Das würde ich hier nach dem langen vergeblichen Anrennen in einem Moment der Entspannung für möglich halten.
Das Spiel gegen Sevilla wurde von allen attestiert als sehr gutes Spiel mit einem unglücklichen Ausgang. Stuttgart war in der ersten Halbzeit die klar bessere Mannschaft. Sevilla war aber wirklich clever, dennoch für mich schwächer als erwartet. Die Spiele gegen Hannover und Fürth verdienen nur eine einzige Überschrift, die die Medien aber auch gefunden haben: „Ergebniskrise.“ Stuttgart war beide Male die klar bessere Mannschaft und hat nur in etlichen Situationen das Glück nicht gehabt. Wir erinnern uns an Andy Brehme. Aber auch der Spruch von der „Kobra“ Jürgen Wegmann: „Zuerst hat man kein Glück und dann kommt auch noch Pech dazu“ enthält viel mehr Wahrheit als Lächerlichkeit. Denn wenn man kein Glück hat, dann ist das noch lange kein Pech. Es ist eher der Normalfall. Man hat weder Glück noch Pech. Normal eben. Pech ist es erst, wenn es ins Negative ausschlägt.
Ein wenig Philosophie:
Den Mathematiker konnte ich jetzt eh nicht verleugnen, nun versuche ich mich darüber hinaus noch als Philosoph: Die Chance für Stuttgart, gestern Abend gegen Fürth zu verlieren betrug laut Computer 27.32%. Diese Zahl mag ohnehin bereits – und das auch noch zurecht – angezweifelt werden. Auch hier stellt sich die Frage nach einer Exaktheit, einem Zeitpunkt der Einschätzung oder gar nach Schicksal oder sonstiger Weltanschauung, wodurch Ereignisse zu unseren Gunsten aber auch zu unseren Ungunsten ausgehen können. In Ermangelung einer alternativen Einschätzung und in Kenntnis des Wettmarktes, der dank der viel zitierten Massenintelligenz ja auch ein mehr als Ernst zu nehmender Gradmesser verwendet werden kann und welcher diese Zahl im Groben bestätigte, nehme ich diese Zahl mal als gegeben. Nun ist die Frage, ob der heute entlassenen Trainer Markus Babbel zu irgendeinem Zeitpunkt einen relevanten Einfluss auf diese Chance nehmen kann.
Ich unterstelle hier einfach mal: Ja, er kann. Natürlich kann er, wie ich finde. Er kann doch einen Amateur auf Linksaußen stellen, der dort noch nie gespielt hat. Er könnte während des Spiels einem seiner Spieler zurufen, wie einst der legendäre Otto Rehhagel, getreu dem Motto „Machet, Otze“, eine gelbe oder in der Folge rote Karte zu erhalten. Er könnte Hleb rausnehmen oder Hitzlsperger die Kapitänsbinde entziehen. Diese Maßnahmen haben allesamt einen äußerst obskuren Einfluss auf die Chancenverteilung. Zumal man ja die Maßnahmen vor dem Spiel und jene während des Spiels noch unterscheiden müsste, da auch der Wettmarkt entsprechend reagiert, zumindest auf das Vergehen von Zeit und einen Spielstand.
Nun nehmen wir aber mal an, Markus Babbel und auch seine Spieler ziehen an einem Strang, Sie wollen das Ereignis zu ihren Gunsten beeinflussen. Die aufgestellten Spieler sind heiß, gut motiviert. Sie spielen auf ihren angestammten Postionen. Sie wollen auch wirklich. Sie wollen den Bock umstoßen. Sie wollen ihrem Trainer helfen. Sie wollen das Spiel gewinnen. Dennoch stehen dann diese 27.32% gegen sie. Es gibt auch einen Gegner. Es gibt auch 11 befähigte Fußballer. Es gibt ein fanatisches Heimpublikum, welches gerade in einem Pokalspiel noch mehr die Hoffnung und die Freude auf eine Überraschung ins Stadion lockt, in größeren Zahlen. Es gibt diese 11 gegnerischen Spieler, die auch bereit sind, an ihre Leistungsgrenze zu gehen, die einen Championsleague Teilnehmer heute, an diesem Abend, bei maximaler Ausnutzung ihrer Chancen, maximalem Engagement aus dem Wettbewerb kegeln können. Und die sogar damit einer eigenen Hoffnung, einer eigenen größeren Karriere Vorschub leisten können wegen der erhöhten Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit im Vergleich „Zweitligaalltag“ zu „Pokaltag“.
Wenn nun Markus Babbel es schaffen sollte, die Chance nicht zu verlieren, welche entsprechend bei 100% – 27.32%, also bei 72.68% liegt, zu erhöhen auf 75%, indem er nach 5 Minuten zum Beispiel erkennt, dass er bei der Aufstellung des Gegner doch lieber Hitzlsperger etwas offensiver agieren lässt – per Anweisung – und dafür einen anderen Spieler etwas zurückzieht – also ein genialer Schachzug – dann würde das Niemanden auffallen. Er hat es geschafft, aber man merkt es nicht. Dann hat er seine Verlustchancen auf 25% minimiert. Nur gibt es auch für diese 25% keinerlei Garantie, dass sie eintreten. Möglich ist aber auch, dass er während des Spiels Anweisungen gegeben hat oder Maßnahmen ergriffen hat, die die Chancen verschlechtert haben, genauso unbemerkt von jedermann, dann könnte dennoch in der Folge das Ereignis „Nicht Verlust“ eintreten, trotz oder kurioserweise sogar wegen der Chancenverschlechterung. Einfach so. Die Fehlmaßnahme wirkt sich positiv aus. Er hätte die Schulterklopfer, er hätte seinen Job gerettet. Nur hätte er etwas falsch gemacht. Das ist eben Philosophie.
Kurzum: Die Trainerentlassung ist, wie fast jede, einfach nur Blödsinn. Die Aussage: „Wenn wir ihn jetzt entlassen, dann werden wir auch wieder Glück haben“ ist genauso unüberlegt wie jene „wenn wir an ihm festhalten, werden wir wieder Glück haben.“ Es geht einfach nicht darum, ob man Glück oder Pech hat. Beides kommt und geht auch wieder. Es geht um die Einstellung der Mannschaft und darum, wie viel sie richtig machen im Verhältnis zu Ansprüchen und Leistungsfähigkeit. Und das haben die aufgestellten Spieler in den letzten Partien nach meiner Auffassung in völlig ausreichendem Maße getan.
Der nächste Trainer wird bei einem vom Markt noch zu ermittelnden Prozentsatz für Sieg – Unentschieden – Niederlage losgehen, die in etwa jenen Werten von Markus Babbel vergleichbar wären. Der Markt macht seine Einschätzung, ich mache meine. Ein Trainerwechsel hat einen kleinen positiven Einfluss auf die vom Markt nur geratene Chancenverteilung. Ich werde das wohl nicht berücksichtigen. Die langjährige Statistik hat gezeigt, dass Trainerwechsel nichts bringen. Wobei ich bei Statistiken, die ich nicht selbst angefertigt (ich sag doch nicht „gefälscht“) habe, noch skeptischer bin. Aber diese Stuttgarter Mannschaft brauchte keinen neuen Trainer….