Nichts ist (wirklich)
Sicher konnten Sie im Laufe der Lektüre feststellen, dass ich einen gewissen Hang zum Philosophieren habe. Und ich weiß auch nicht, wie es kommt, dass man immer reflexartig denkt: Philosophieren ist blablabla. Wird das Wort sogar synonym verwendet (in etwa so: „Jetzt fängt der schon wieder zu philosophieren an.“ Heißt: Auf Durchzug schalten)?
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es a) schicklich und b) die Glaubwürdigkeit meiner Worte erhöht. Aber ich stamme aus einer alten Philosophenfamilie. Mein Urgroßvater, Friedrich Paulsen, wurde post mortem sogar mit einem Straßennamen geehrt, und das in Berlin. Ebenso trägt die Paulsenschule seinen Namen. Und er war Philosoph und Schriftsteller.
Es gibt aber einen weiteren Grund, der diesen Hang mit auslöst und ihn auch fördert. Das ist die innige Beziehung zwischen Philosophie und Mathematik.
Also ich übersetze mal relativ frei ins lateinische, und da heißt, so weit ich weiß, nichts nihil. Also nihil ist in etwa „nichts ist“. Oder Nihilist, wenn man es einfach zusammen ausspricht. Aber was ist ein Nihilist?
Das ist wohl ähnlich wie Murphys law in den Sprachgebrauch übergegangen als etwas sehr Negatives. „What ever can go wrong will go wrong“ heißt „Jedes Unglück wird eintreten“ oder gar „es geschieht immer das größtmögliche Unglück“. Ebenso ist der Nihilist der Lebensverneinende.
Beides ist absolut nicht wahr. Murphys law habe ich an anderer Stelle erläutert. Für mich ist Murphys law eigentlich nur die Aussage, dass die Gesetze der großen Zahlen ihre Gültigkeit besitzen und dass bei korrekter Interpretation auch äußerst unwahrscheinliche Ereignisse irgendwann eintreten werden, wenn man es nur oft genug versucht (siehe Kapitel „Murphys Law“). Dazu gehören auch Unfälle, sogar sehr schlimme Unfälle, genannt SuperGaus.
Ebenso ist der Nihilismus nicht etwa die Philosophie, die das Leben verneint. Vielmehr ist es nach meiner Auffassung die Grundtheorie für unser Leben, die man einmal verstanden haben sollte. Wenn einem also dieser Grundgedanke klar geworden ist, ändert sich gar nichts am Leben und man muss nicht in Depression verfallen sondern kann auch den nächsten Tag mit dem gleichen, wenn nicht größeren, Optimismus angehen. Nur hat man seinen Horizont entscheidend, und das meine ich so, erweitert.
Der Grundgedanke des Nihilismus ist, wie es die Kapitelüberschrift auch schon andeutet, dass nichts wirklich ist. Und sogar der Buchtitel spielt ja darauf an. Der Schein trügt. Also, was soll man anfangen mit der Aussage „Nichts ist wirklich“? Meine Auffassung ist so, dass ich zumindest einmal verstanden habe, und gerade hier ist es paradox, dass zu sagen, ich korrigiere also, ich bilde mir ein, verstanden zu haben, dass ich meine Existenz nicht beweisen kann.
Nehmen wir den Grundgedanken: Wenn ich meine Existenz nicht beweisen kann, wird es sofort klar, dass ich auch sonst absolut nichts und erst recht auch Nichts absolut beweisen kann. Dass ich meine Existenz nicht beweisen kann, finde ich ohne weiteres einsichtig, verspreche aber, mir Ihr Urteil zu herzen zu nehmen. Was wäre ein Beweis? Wäre es, dass ich 100 Prominente, Richter und Schöffen, neutrale Personen und am besten noch Gott selber an einen Tisch rufe, sie alle auch (nur in meiner Einbildung ?) erscheinen und anschließend, nach meinem Vortrag („Bitte bestätigen Sie meine Existenz“) allesamt geschlossen Nicken? Oder ich mir ein Buch kaufe in dem steht „Dirk Paulsen lebt“? Es ist möglich, dass sich das ganze Leben, so wie ein Traum, einfach nur in meinen Gedanken abspielt.
Descartes hat sich darüber zwar auch schon Gedanken gemacht, aber dann für sich selbst (die dann in meiner Vorstellung –zigfach rezitiert wurde) eine einfache Antwort gefunden: „Cogito ergo sum.“ Und obwohl ich kein Lateiner bin, habe ich mir übersetzen lassen, dass es heißt: „Ich denke, also bin ich.“ Anschließend muss man sich keine weiteren Gedanken darüber machen. Eine einfache Schlussfolgerung. Warum sollte man noch zweifeln? Ich denke, also bin ich. Ich sehe etwas, also existiert es. Ich spüre mein Herz, es schlägt. Also lebe ich. Aber möglich bleibt es, dass ich mir alles nur einbilde. Nichts ist wirklich. Oder aber alles ist so, wie ich es wahrnehme.
Und danach handle ich auch. Es gibt auch nichts, was mich davon abhalten könnte. Nur hat das Verständnis der Aussage „Ich kann meine Existenz nicht beweisen“ zu dem Schluss geführt: ich kann letztendlich gar nichts beweisen. Und das ist durchaus hilfreich.
Bei jedem Streit, der geführt wird, in welchem man also erbittert um sein Recht kämpft, scheint mir der entspannende Gedanke dann doch immer zu sein: So wenig, wie ich meine Existenz beweisen kann, kann ich auch beweisen, dass ich im Recht bin. Und wenn ein jeder diesem Gedanken nachgehen würde… da wären wir dann fast schon bei Kant und dem (ebenso viel zitierten) kategorischen Imperativ. Aber damit will ich Sie jetzt nicht auch noch quälen…
Also, jetzt muss ich noch die Brücke zur Mathematik bauen. In der Mathematik nennt man die kleinsten, nicht beweisbaren Aussagen (besser noch heißen sie Grundannahmen) „Axiome“. Und die Aussage „ich bin ein Mensch, ich lebe und existiere“ ist ganz schlicht gesagt ein Axiom.