Da ich Ihnen nun bereits ansatzweise mein Herangehen an die Fußballwetten und die Ermittlung der Einschätzungen und Quoten sowie der darauf folgenden Abwicklung der Wetten erläutert habe, möchte ich dies auch fürs Tennis tun. Das Herangehen unterscheidet sich dabei in einigen Punkten. Und auch mathematisch bietet es inhaltlich einiges, was auch sonst gut verwendbar ist.
- Der erste, nicht ausreichende, Ansatz
Den Ansatz, den ich beim Fußball hatte, habe ich versucht, auf das Tennis zu übertragen. Die Spielstärke wird dabei gemessen in Wahrscheinlichkeiten, einen Punkt zu machen und der Gegenwahrscheinlichkeit, einen Punkt abzugeben. Der Heimvorteil ist, auf das Tennis übertragen, der Aufschlag. Offensichtlich erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, einen Punkt zu erzielen dann, wenn man Aufschlag hat. Im Prinzip ist die Spielstärke dann die Wahrscheinlichkeit bei Aufschlagspielen einen einzelnen Punkt zu machen und bei Returnspielen einen einzelnen Punkt zu machen. Die Spielstärken der beiden Spieler können dann analog (mein Bruder hat mal eine Ana mit großgezogen und die hat immer die Wahrheit gesagt…) zum Fußball so verrechnet werden, dass man Wahrscheinlichkeiten bekommt, dass Spieler 1 in dem konkreten Match bei Aufschlag bzw. bei Return einen einzelnen Punkt macht.
Wenn man diese beiden Wahrscheinlichkeiten kennt, kann man nicht nur simulieren (was zwar auch möglich wäre), sondern sogar exakt ausrechnen, wie wahrscheinlich Spieler 1 das ganze game gewinnt, bei Aufschlag oder bei Return (Spieler 2 hat die Gegenwahrscheinlichkeit). Daraus kann man dann sogar exakt die Wahrscheinlichkeit für einen ganzen Satz und daraus für das ganze Match und sogar für ein ganzes Turnier ausrechnen. Das ist beim Tennis durch das verwendete Paarungssystem relativ einfach, da ja die möglichen Gegner, auf die man treffen kann, schon am ersten Turniertag feststehen.
Dass dieser Ansatz nicht funktioniert, erkennt man recht schnell. Die Ergebnisse, die man erhält, sind unbefriedigend. Nicht nur, wenn man darauf wettet, was man nach Möglichkeit unterlassen sollte, sondern rein optisch, man hat ja auch intuitiv eine Einschätzung. Warum er nicht funktioniert, erkennt man, zumindest ich, erst bei einigem Nachdenken. Der Grund ist aber dann doch bald offensichtlich: Es gibt immer wieder Spiele, die ein Spieler einfach „abschenkt“. Pete Sampras hat typischerweise seine Matches immer 6.4 6:4 gewonnen. Warum das so war, ist auch klar. Er macht pro Satz ein break, das genügt ja schließlich. Wenn man jetzt als Basis für seine Spielstärke die erzielten einzelnen Punkte nimmt, hat man ein verzerrtes Bild. Diese Punktausbeute deutet auf ein relativ ausgeglichenes Match hin. Der Computer sieht keinen Grund, seine Spielstärke nach oben zu korrigieren. Er unterschätzt den Spieler also.
Den anderen Grund hat Boris Becker geliefert: Die so genannten „big points“. Immer, wenn es wichtig war, machte er den Punkt. Das lässt sich leicht übertragen, es ist nur der Begriff. Es gibt die big points, die Spiel entscheidenden Punkte. Da ist die Anzahl der vorherigen Punkte, auch, in welchem Verhältnis sie erzielt wurden, irrelevant.
2) Der ultimative Ansatz
Also sucht man einen anderen Ansatz. Und dieser ist mathematisch hochinteressant und auch weiter verwendbar, nicht nur auf Tennis anwendbar sondern im Prinzip überall. Noch dazu ist er, wie es sich für einen mathematischen Ansatz auch gehört, absolut einwandfrei.
Zunächst mal als Grundidee, dass eines jeden Spielers Spielstärke als Wahrscheinlichkeit (eines ist sicher: nicht der, die oder das ist das häufigste Wort in diesem Buch) ausgedrückt wird. Diese Wahrscheinlichkeit drückt prinzipiell seine Siegwahrscheinlichkeit aus. Aber gegen wen? Na ja, vorsichtig formuliert müsste ich sagen „gegen den Durchschnittsspieler“. Das ist auch in dem Sinne korrekt. Nur: Wer ist der Durchschnittsspieler? Wer ist überhaupt gerne Durchschnittsspieler?
Das ganze System, wenn es einmal ins Laufen kommt, sorgt für sich selber. Man hat anfängliche Einschätzungen. Wenn man es für die Tennistour macht, kann man mit den Matchrecords anfangen. Man dividiert für jeden Spieler seine Siege durch seine Niederlagen. Selbst wenn man dabei zunächst den Fehler macht, dass einige Spieler ihren Matchrecord gegen bessere Gegner erzielt haben können.
Bei der Sucher nach einer Formel für derartige Probleme geht man nach meinen Erfahrungen immer so vor: Die trivialen Fälle müssen garantiert erhalten bleiben. Man prüft also eine Formel zumindest immer mit diesen Trivialfällen. Gelegentlich sind sie aber auch hilfreich bei der Herleitung.
Die Trivialfälle sind die: Wie viel Prozent erhält man gegen den Durchschnittsspieler? Und: Wie viel Prozent hat man gegen einen Spieler, der exakt die gleiche Spielstärke hat? Im Prinzip ist die Antwort auf Frage 1 ja per Definition gegeben. Die Spielstärke ist so definiert, dass man diese Wahrscheinlichkeit, also sein eigene, exakt gegen den Durchschnittsspieler hat. Die Formel muss das also als Antwort liefern. Auf Frage 2, zwei Spieler gleicher Spielstärke gegeneinander, kann die Antwort nur lauten: Es müssen exakt 50% herauskommen. Auch das muss die Formel als Antwort liefern.
Die Formel ist eigentlich gar nicht so schwer zu finden. Wir rechnen wieder, dennoch in leichter Analogie zum Fußball, die Spielstärke um in das Verhältnis Siege zu Niederlagen. Und das für beide Spieler. Die Spielstärke ist dann also ausgedrückt als Quotient. Diese beiden Quotienten durcheinander dividiert ergibt die Überlegenheit (oder Unterlegenheit) des einen Spielers gegenüber dem anderen aus. Dieser Quotient muss dann anschließend wieder zurückgerechnet werden auf die 100%. Selbst wenn es sich noch etwas kompliziert anhört, wird es am Beispiel relativ einfach klar:
Wir betrachten zwei Spieler. Der eine hat eine Spielstärke von 65%, der andere eine Spielstärke von 42%.
Nun rechnen wir die Spielstärken der beiden Spieler um in ein Siege zu Niederlagen Verhältnis. Spieler 1 gewinnt 65% seiner Spiele, also verliert er 35%. Das Verhältnis Siege zu Niederlagen ist also der Quotient 65/35. Das ist in etwa 1.857. Das Verhältnis für Spieler 2 ist 42/58. Das ist in etwa 0.724. Ein Spieler hat die (umgerechnete) Spielstärke 1.857, der andere von 0.724. Wie viel öfter gewinnt dann Spieler 1 gegen Spieler 2? Ja, dafür haben wir ja umgerechnet. Er gewinnt 1.857/0.742 = 2.565 Mal so oft.
Jetzt kommt nur noch das Zurückrechnen auf 100%. Die Fragestellung, die sich aus dieser Art der Berechnung und des nun gefundenen Ausdrucks als Maß für die Über- (bzw. Unter-)legenheit des einen gegenüber dem anderen, ergibt lautet nun: Zu wie viel Prozent gewinne ich denn das Match, wenn ich 2.565 Mal so oft gewinne wie der andere? Und eigentlich sind solche Formen von Dreisatzaufgaben Lehrstoff der 8.Klassen, ich tue mich aber auch immer wieder schwer damit.
Als Dreisatz umformuliert suchen wir also zwei (Prozent-)Zahlen, deren Summe 100% ist, und deren Quotient = 2.564 ist. Die finden wir durch Division von 2.564/(2.564 + 1), also 2.564/3.564 (so etwas kann man durch Umformung zweier Gleichungen mit zwei Unbekannten zuverlässig herausbekommen). Aber wir sehen das Ergebnis und prüfen einfach, dann merkt man, dass es stimmt. Das Ergebnis 2.564/3.564 = 71.95%. Die Gegenwahrscheinlichkeit von 71.95% ist 28.05%. Die Division von 71.44/28.56 = 2.564. Also die Rechnung stimmt. Die Summe ist 100%, der Quotient ist 2.564, alles richtig gemacht.
Wir dividieren also beider Spieler Spielstärken (die Spielstärke angegeben als Siegwahrscheinlichkeit gegen den Durchschnittsspieler) durch ihre „Spielschwäche“, also die Niederlagenwahrscheinlichkeit gegen den Durchschnittsspieler. Anschließend dividieren wir diese beiden Werte durch einander (das ist kein Chaos), egal, welcher im Zähler und welcher im Nenner, anschließend dividieren wir diesen Quotienten durch die erhaltene Zahl + 1. Das ist die Siegwahrscheinlichkeit des einen Spielers. Die Siegwahrscheinlichkeit des anderen ist 1- diesen Wert.
Ausgeschrieben sieht das so aus. S1 ist die Spielstärke Spieler 1, S2 ist die Spielstärke Spieler 2. Die Formel lautet also:
((S1/(1-S1))/(S2/(1-S2)) / (((S1/(1-S1))/(S2-(1-S2))+1)
Jetzt muss nur noch geprüft werden, ob auch die beiden Voraussetzungen erfüllt sind. Also geben wir ein S1=65% und S2=50%, das Ergebnis muss sein 65%. Es ergibt sich 65/35 = 1.857. Der Gegner mit 50/50 = 1. Also 1.857/1 = 1.857. Dann das Ganze geteilt durch das + 1, also 1.857/2.857. Und das ergibt 0.65 = 65%. Stimmt also.
Die zweite Prüfung, 65% S1 und 65% S2, müsste 50% ergeben. Wir prüfen: Es ergibt zunächst: 0.65/0.35 = 1.857. Das Gleiche für Spieler 2. Dann dividiert man 1.857/1.857. Das ergibt 1. Dann dividiert man 1 / (1+1) = 1/2 = 0.5 oder 50%. Stimmt auch. Unbestechliche Mathematik! So einfach lässt sich eine Formel herleiten und verifizieren.
Zumindest die Mathematik stimmt. Tennis ist ja auch nicht das einzige Spiel. Man kann diese Formel auf alle anderen Spiele auch anwenden, zumindest bei Spielen, wo es zwei Parteien gibt und es um Sieg oder Niederlage geht. Selbst auf Fußball oder jeden Sport, wo es auch Unentschieden gibt, könnte man es anwenden. Die Verhältnisse von Siegen zu Niederlagen ergeben sich mit der gleichen Berechnungsmethode. Nur müsste man die Unentschiedenwahrscheinlichkeit noch separat ausrechnen. Aber auch das wäre möglich, möchte ich jetzt aber nicht tun.
Dennoch ergeben sich in der Folge zwei weitere Fragestellungen: Wie erhält man die ursprüngliche Spielstärkeeinschätzung? Und wie nutzt man es praktisch aus?
Also wie man die Spielstärken erhält ist nicht ganz einfach, so viel ist aber wenigstens klar. Man muss eben mit vernünftigen Einschätzungen anfangen. Wie sollte man sonst einen Spieler, über den man noch keine Informationen hat, einschätzen? Man muss ihm einfach eine Einschätzung verpassen. Das geschieht in meinem Programm automatisiert. Aber ich kann die Einschätzung immer aktualisieren, da die Datenbank wächst. Und ich nehme einfach den Durchschnittswert sämtlicher Spieler, deren erstes Match ich aufgezeichnet habe. Das kann selbstverständlich ein Fehler sein, da garantiert nicht alle Spieler gleichgut sind, die ihr erstes Match (auf der Tour) spielen. Dennoch habe ich keinen besseren Wert und fange einfach damit an. Aber in den ersten Matches reagiere ich wesentlich schneller auf die Ergebnisse als später. Das ist sozusagen der Einsteiger Korrekturfaktor.
Der Schlüssel ist ohnehin die korrekte Anpassung. Also für Neueinsteiger habe ich nun einen Wert und die Datenbank wächst. Und nach einer Weile hat sich alles eingespielt, so dass die Spielstärken nach und nach immer exakter werden. Dennoch bleibt das Problem: Wie soll man reagieren auf die Ergebnisse? Selbstverständlich müssen die Spielstärken aller Spieler ständig aktualisiert werden. Ich erinnere mich durchaus noch an die Anfangszeit von Roger Federer. Da war ich noch nicht ganz sicher und es war auch nicht klar zu erkennen, dass er so einen rasanten Aufstieg an die Spitze vollziehen würde. Die Ergebnisse waren wechselhaft. Anders bei Andy Roddick. Der hat gleich die ersten 10 Matches gewonnen, die ich aufgezeichnet habe.
Also die nächste Frage ist die, wie man vernünftigerweise korrekt, angemessen auf die Ergebnisse reagiert. Man darf nicht zu schnell und auch nicht zu langsam reagieren. Die Spielstärken verändern sich, das ist offensichtlich. Junge Spieler entwickeln sich schneller, auch klar. In der Praxis sieht das so aus: Wenn man ein Match verliert, verliert man auch Spielstärke. Wenn man gewinnt wird man besser. Die beiden Veränderungen müssen gleichermaßen durchgeführt werden, damit die Daten konsistent bleiben. Wenn ein Spieler, der 70% Favorit war und verliert, verliert er mehr als er gewinnen würde, wenn er gewinnt. Die gegnerische Spielstärke muss mit beachtete werden, ebenso verständlich. Und letztendlich muss man auch noch die Höhe des Sieges ein wenig berücksichtigen. Also ein 6:1, 6:1 ist besser als ein 7:6, 4:6, 7:6. Dennoch überwiegt es, dass man gewonnen hat. So werden nach und nach die Daten alle angepasst und die Spielstärken aller Spieler auf einem möglichst ihrem Vermögen entsprechend sind.
Der praktische Nutzen ist dann auch klar. Durch die Wahrscheinlichkeiten für Sieg – Niederlage hat man auch die fairen Quoten und damit kann man wieder, wie beim Fußball, auf die Spiele wetten. Dennoch bleibt es ein schwierigeres Geschäft. Die Ursache ist aber schnell ausgemacht: Bei einem Sport Eins gegen Eins zählen wesentlich mehr persönliche Befindlichkeiten. Eine Verletzung hat möglicherweise entscheidenden Einfluss auf den Ausgang, beim Fußball würde der Spieler einfach ersetzt werden und sich die Chancen vielleicht gar nicht verändern. Außerdem sind Manipulationen bei einem Einzelsport auch viel einfacher, weil es ja nur zwei Eingeweihte geben muss, auch im Gegensatz zum Fußball.
Dennoch ist das theoretische Konzept absolut schlüssig, wie ich finde. Praktisch ließe es sich eben auch auf andere Sportarten anwenden. Mir fehlt dafür die Zeit, ich bin mit meinen Aufgaben ausgelastet. Aber wenn Sie vielleicht eine andere Sportart erschließen möchten? Nur zu, die Formeln funktionieren.