Dazu rekapituliere ich noch einmal von Anfang an:
Im Jahre 1985 war ich also erstmals in Monte Carlo. Ich hatte das Black Jack komplett ausgerechnet. Ich hatte ein Black Jack Programm entwickelt. Ich hatte außerdem das Backgammon Spiel studiert und reichlich gespielt. Ich hatte sogar schon zwei Turniere gewonnen. Alles hatte ich angewendet. Aber ich hatte ganz sicher keine Reichtümer angehäuft, im Gegenteil. Ich war weiterhin an der Untergrenze, es reichte grad so zum Leben. Aber mir stand ja alles bevor. Jetzt war ich dort und hatte erstmals wirklich etwas Geld in der Tasche. Nur geborgt. Jedenfalls hatte ich dort die Gelegenheit und das große Vergnügen, einen der legendären amerikanischen Profispieler kennen zu lernen: Dennis Carlston. Er war ein sehr guter Backgammonspieler. Und er war ein noch besserer Black Jack Spieler. Er sagte immer, er hätte seine erste Million mit dem Black Jack gemacht. Und es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln. Er ist sogar viel später, im Jahre 2005, einmal Backgammonweltmeister geworden. Ich war im Jahre 2005 auch zum letzten Mal dort. Aber der (Backgammon-)Computer, snowie, hat sein Spiel nicht all zu hoch eingeschätzt. Er hatte eher Glück beim Gewinn. Die junge Generation ist besser, das muss man einfach erkennen. Gegönnt habe ich es ihm trotzdem. Und ein starker Spieler ist er allemal, versteht sich.
Also Dennis erzählte mir von den goldenen Anfangszeiten des Black Jack. Da wurde in Las Vegas mit einem einzigen Kartenspiel gespielt, 52 Karten. Vorteil: Da kann man leicht noch viele weitere Dinge mitzählen oder sich merken. Dazu wurde aus der Hand gedealt. Vorteil: Man sah manchmal zufällig eine kommende Karte. Dann wurde das Deck bis zu Ende gedealt, praktisch alle Karten spielten mit. Das war das Paradies.
Die eine Legende darüber geht so: Man weiß als Spieler, dass noch zwei 7en und drei 8en im Stapel sind, also genau 5 Karten, 7en und 8en. Dann spielt man Maximum, so viel wie geht. Wenn die Karten zu Ende wären, würde neu gemischt werden und man bekäme eine zufällige. Aber bei diesem Spiel muss nicht gemischt werden. Egal welche zwei Karten man bekommt, zwei 7en, zwei 8en oder je ein, man bleibt stehen. Und der Dealer bekommt die drei restlichen Karten. Und er macht garantiert mehr als 21. 7+7+8 = 22, überkauft, genau wie jede andere Kombination. Also der Dealer ist garantiert überkauft, wenn man restet, stehen bleibt. Es ist nur eine Legende, dass es das Spiel einmal so gab, in der Konstellation. Aber immerhin.
Er hatte sogar mit den Füssen gezählt, alle Karten.
Sicher merkten die Casinos irgendwann, dass es Gewinner gab. Dauerhafte und regelmäßige Gewinner. Und sie fingen an, die Regeln zu ändern. Und die Spieler zu sperren. Und, wie ich schon erzählt hatte, wurden die Gewinner sogar teilweise von den Casinos engagiert, um andere Profispieler zu entlarven. Also die Regeländerungen: Es wurden mehr und mehr Decks verwendet. Es wurde aus einem so genannten „Schlitten“ gedealt. Da konnte man nix mehr sehen. Und dann wurde eine Karte eingeführt zum Abstecken einer Anzahl von Restkarten, die nicht mehr am Spiel teilnehmen konnten.
Und in der Zeit, als ich anfing zu spielen, wurde bereits mit 6 Decks gespielt. Und davon wurde zwischen 1/6 und 1/3 abgesteckt, je nach Casino. Also bis zu ein Drittel Karten gab es, über die man einfach keine Information hatte. Besser ausgedrückt: Wenn in diesen Karten die viel versprechenden „face cards“, 10en und Asse lagen, konnte man sicher nicht mehr gewinnen. Je mehr Karten abgesteckt wurden, umso geringer die Gewinnerwartung (falls überhaupt noch eine).
In Berlin wurde im Casino noch eine Weile lang mit halbwegs vernünftigen Bedingungen gespielt. In der Zeit habe ich dann noch gewonnen (Anfang bis Mitte der 90er). Ich bin auch nicht so oft hin, denn ich hatte ja meine andere Hauptbeschäftigung, die Fußballwetten. Als ich aber dann eine Weile lang regelmäßig, fast täglich, kam, geschah folgendes: Sowie ich mich an den Tisch setzte, kam einer der Saalchefs und flüsterte dem Croupier (ich kenne die weibliche Form nicht, aber das waren fast alles Frauen) etwas zu und ab dem nächsten Schlitten wurde die Hälfte der Karten abgesteckt.
Diese Maßnahme diente dem oben genannten Zweck. Und wenn tatsächlich die Hälfte der Karten abgesteckt werden, dann kann man sich das „card-counting“ fast sparen. Es hilft nichts mehr, man kann einfach nicht mehr gewinnen. Was hätte ich also tun sollen? Reklamieren und fragen warum sie das tun? Ich kannte ja die Antwort. Nur müssen Sie versuchen, zu verstehen, wie man sich dabei fühlt. Punkt 1: Ich kann also nicht mehr gewinnen. Und das Geld verdienen entschädigt wirklich für vieles. Punkt 2: Die Skeptiker, alle, die mich so im Allgemeinen auslachen für meine Tätigkeit, Profispieler, könnten einem ja dann wenigstens die Anerkennung aussprechen. Jetzt könnte man ja wenigstens mal hören: „Ok, du hattest Recht, du bist gut und ich habe mich geirrt.“ Aber warum sollte man jemandem eine solche Geschichte eigentlich erzählen? Man würde vielleicht noch mehr ausgelacht werden. „Jetzt denkt er sich noch solche Geschichten aus, der Irre.“ Zusammengefasst: Man kann nichts mehr verdienen und bekommt keine Anerkennung für Fähigkeiten.
Also ich wurde rausgeekelt. Die anderen Leute haben sich beschwert am Tisch über die große Menge der abgesteckten Karten, weil das bedeutet, dass öfter gemischt werden muss. Und wer da sitzt, will ja spielen und nicht beim Mischen zuschauen. Der Unterschied zu Amerika ist auch dieser: Dort sind die Casinos immer in den großen Hotels. Und die haben die Alleinverantwortung. Also dürfen sie auch Hausverbote aussprechen. In Deutschland ist alles staatlich. Also ich könnte nicht einfach rausgeschmissen werden, deshalb eben rausgeekelt. Und sie hatten Erfolg damit. Ich bin nicht mehr da hin gegangen. Aber da sehen Sie mal, was für ein hartes Leben man als Profispieler hat: Man kann etwas, sogar vielleicht wirklich gut, aber man muss es heimlich tun, Und noch dazu wird man nicht gemocht. Weder von den Mitspielern am Tisch noch vom Veranstalter.
Wenig später wurden dann noch die Mischmaschinen eingeführt. Da werden nach jedem Spiel die Karten wieder in den Mischer gesteckt und eingemischt. Jegliches Gewinn bringendes Spielen ist damit ausgeschlossen.
2) Scheveningen 1997
Aber eines Tages, im Frühjahr 1997, bekam ich einen Anruf von einem Freund aus Holland. Und er fragte, ob ich noch Black Jack spielen würde. Ich verneinte, es wäre uninteressant. Aber er meinte, ich müsste unbedingt nach Scheveningen kommen. Da gäbe es gute Bedingungen. Ich war skeptisch. Das Black Jack war doch tot, vorbei? Nein, für dieses Casino hätte es einen Gerichtsbeschluss gegeben. Sie müssten das Spiel noch so veranstalten, wie es war.
Also bin ich gleich in den Flieger. Er holte mich ab am Flughafen Amsterdam und brachte mich nach Scheveningen. Jaap wohnte auch direkt dort. Ich nahm ein Hotel gleich gegenüber vom Casino. Eine Woche lang nur Black Jack. Und es war wirklich unglaublich dort. Ich habe zwar, trotz cardcounting, mich gerne mit den anderen Gästen unterhalten (noch lieber mit den weiblichen Croupiers, versteht sich), aber nur belangloses oder lustiges, man hat eben geflachst. Ich wollte ja nicht, dass ich irgendwie anders erscheine. Und die Unterhaltung, der Spaß, gehört doch auch dazu, oder?
Aber im fremden Land war es erst mal anders. Ich kannte bisher auch eher immer nur ein durchschnittlich bis schwaches Niveau von Spielern. Das ist in Deutschland einfach so. Aber dort? Ich war vom ersten Moment an verblüfft, dass praktisch jeder am Tisch jede Entscheidung richtig machte. Und wenn einer einen „Fehler“ machte, wurde er gleich von allen anderen am Tisch kritisch beäugt, alle schauten zu ihm.
Also nach und nach stellte sich heraus, dass ich tatsächlich nicht der Einzige war, der den Tipp bekommen hatte. Da waren sämtliche Profispieler der Welt versammelt, so schien es. Und das machte Spaß! Alle wussten, was los war, worum es ging. Keine blöden Diskussionen, wie sonst manchmal üblich. Übrigens wussten die Croupiers auch über alles Bescheid. Sie kannten ja auch den Gerichtsbeschluss, sie haben auch immer mitgelacht und mitgemacht. Sie wussten auch schon, wer eine Karte wollte, wer doppelt, splittet oder restet. Ach, war das angenehm.
Und endlich konnte ich das von mir erarbeitet System mit dem anderer Profis vergleichen. Denn: alles, was ich gemacht habe, war nicht Ergebnis eines Buchstudiums, sondern von mir selbst errechnete Entscheidungen. Und es war ja fast alles deckungsgleich. Und immer, wenn einer eine meiner Entscheidungen anzweifelte (es gibt auch in diesem Spiel Nuancen), konnte ich meine Entscheidung begründen, den minimalen Unterschied aufzeigen.
Dazu muss man wissen, dass es neben der „basic strategy“, die schon recht viele Leute kennen (man muss da Deutschland explizit ausnehmen),
und der angepassten Strategie. Bei der angepassten Strategie geht es darum, dass man, dem count entsprechend, Entscheidungen modifizieren muss. Sicher, das wurde nur für wichtig erklärt, wenn man einen hohen Einsatz getätigt hat. Abgesehen davon, dass bei einem erkennbar positiven count eben offensichtlich irgendeine Verschiebung eingetreten ist (sonst ist der count eher „neutral“, +-0, knapp plus oder knapp minus, da ändert sich eben nichts), sind die dann angepassten Entscheidungen auch wirklich wichtig. Das sollte ein jeder Profispieler wissen, zumindest in den Situationen, wo es wirklich einen Unterschied ausmacht.
Aber wenn der count sehr negativ ist, gibt es auch Entscheidungen, die man ändern muss. Der Witz an der Sache ist der, dass man, wenn man immer die dem count angepassten, besseren Entscheidungen trifft, schon auch bei gleich bleibenden Einsätzen insgesamt nicht verlieren würde. Also sogar diese scheinbar unwichtigen Anpassungen addieren sich am Ende so auf, dass sie irgendwann relevant werden. Ich hatte das zwar nicht perfektioniert, aber dadurch, dass ich immer wusste, wie knapp oder weniger knapp die Entscheidungen waren, war auch da meine angepasste Strategie wesentlich besser als die der anderen Profispieler, die sich im Prinzip darum einfach nicht gekümmert haben.
Ich war doch auch sehr stolz. Außerdem war es wirklich mal ein Erlebnis, sich unter seinesgleichen, noch dazu so vielen, aufhalten zu können. Und die Woche verging (leider, ich hatte ja auch andere Verpflichtungen, u.a. schon ein Kind) leider viel zu schnell. Ich sollte nicht vergessen zu erwähnen, dass ein Tag aus 24 Stunden besteht und ich maximal pro Tag 6 Stunden gespielt habe. Die restliche Zeit konnte man gerade in Scheveningen herrlich verbringen. Wie gesagt, es war Frühjahr. Es hatte sich bereits deutlich erwärmt. Scheveningen liegt ja auch direkt am Meer. Ich habe meine allmorgendliche Joggingrunde direkt am Sandstrand gedreht. Dazu konnte man an der wunderschönen Strandpromenade Cafés oder Shops aufsuchen. Abends verwandelten sich einige der Cafés in richtige Diskos. Und Jaap war sogar Mitbesitzer einer dieser Diskos, so dass auch für die Abendunterhaltung gesorgt war. Ein Traumhafter Urlaub mit allem Drum und Dran. Und gelohnt hat sich das ganze auch noch.
Man redet sich ein, dass es besser läuft, wenn alle am Tisch gleich spielen und zusammen spielen. Aber das ist natürlich Blödsinn. Ich hatte einfach Glück, aber wer mit Vorteil spielt, hat das Glück eben etwas eher. Ein kleiner Wermutstropfen: Am Nachmittag des letzten Tages war ich schon bei über 50000 Gulden (ca. 45000 DM) und dann kam zum Abschluss noch eine richtig schlimme Serie. Ich schloss die Woche also nur mit etwas über 20000 Gulden Gewinn ab, also ca. 20000 DM. Aber das waren auch wirklich die letzten Wochen, auch in Scheveningen wurden alsbald die Regeln geändert.