Nein, nicht schon wieder das Ziegenproblem. Doch, schon wieder das Ziegenproblem. Also ich kann mich noch gut erinnern, als ich diesem Problem das erste Mal begegnete. Mein hochgeschätzter Programmiererkollege Thomas Bez, grüß Dich, Thomas, brachte mir so einen Artikel mit, 1990 war das, und wirkte sehr aufgeregt. Dort stand, dass es in Amerika ein Quizspiel gäbe. Und es kam in diesem Spiel zu folgender Situation. Der Kandidat sah drei verschlossene Türen vor sich, Hinter einer dieser Türen verbarg sich ein Auto, hinter den anderen beiden je eine Ziege.
Der Kandidat durfte eine der Türen auswählen, aber sollte sie nicht gleich öffnen. Nun, wir als geübte Wahrscheinlichkeitsrechner dividieren spielend eine günstige Tür durch drei mögliche Türen und erhalten die Chance von 1/3, den Hauptgewinn abzustauben. Das muss einfach stimmen. Dann folgendes Intermezzo: Der Quizmaster öffnete eine der beiden anderen Türen. Eine, hinter welcher sich eine Ziege befand. Danach fragte er den Kandidaten, ob er bei seiner Wahl bleiben wolle oder vielleicht auf die verbliebene dritte, auch noch verschlossene Tür wechseln wolle. Nun, die meisten Kandidaten dankten höflich für das nette Angebot, wollten aber ihre erste Wahl nicht mehr ändern. Wieso sollten sie auch? Sie hatten nun eine von zwei Türen zur Auswahl. Entweder hatten sie jetzt die richtige oder die falsche, fifty-fifty sagt man da wohl.
Mein geschätzter Kollege zeigte mir also all das. Und ereiferte sich. Denn: Eine überkritische Leserin hätte den Kandidaten vorgeschlagen, lieber die Tür zu wechseln. Sie würden ihre Gewinnchance erhöhen, gar verdoppeln!
Es genügte ja nicht mal, sich über einen derartigen Unsinn aufzuregen, sondern in diesem Falle musste ein Leserbrief her. Der war auch längst verfasst und abgeschickt. Wie ich vernahm, gingen bei der Zeitschrift tausende von Briefen ähnlichen Wortlautes ein. Wie es möglich wäre, das eine so populäre und wissenschaftlich anerkannte Zeitung einen derartigen Unsinn veröffentlichen könne. Die Chance ist fifty-fifty, nicht mehr und nicht weniger.
Die Zeitschrift verstieg sich sogar zu der ungeheuerlichen Behauptung, es wären Computerprogramme entwickelt worden, um in einer Simulation herauszufinden, wie die tatsächliche Chancenverteilung war! Und diese hätten erstaunliche Ergebnisse geliefert: Sie hätten die Behauptung der Dame gestützt.
Ich persönlich habe mir sogar etliche der Leserbriefe später noch durchgelesen, da sie zum Teil veröffentlicht wurden. Der Inhalt war vergleichsweise weniger interessant, als die merkwürdige Häufung der Unterzeichnenden von Doktoren und Professoren. Thomas hatte sich sogar den Programmcode erbeten, um den Fehler im Code aufzudecken!
Das war nun für mich doch etwas befremdlich. Ich bat Thomas, einmal kurz und tief Luft zu holen und Platz zu nehmen. Dann erklärte ich ihm, behutsam und möglichst schonend, dass — die Dame Recht hatte.
Die nachfolgende Diskussion hat nur aus einem einzigen Grund keine Freundschaft zerschlagen: Ich hatte vorsorglich ein Kartenspiel besorgt. Ich nahm ein Ass und zwei weitere beliebige Karten heraus. Papier und Bleistift lag auch schon bereit. „Bitte, lieber Thomas, ich bin der Kandidat, du bist der Quizmaster. Ich wähle eine Karte, dann drehst du eine der anderen beiden Karten um. Dann darf ich entscheiden, ob ich wechsle. Anschließend notierst du, ob ich in diesem Versuch das Ass gefunden habe oder nicht. Am Schluss zählen wir die richtigen und die falschen zusammen. Einverstanden?“ „Einverstanden.“ Wir begannen also das Experiment. Ich hatte keinerlei Absicht, das Spiel um Geld zu machen, so viel nur nebenbei. Nach ca. 20 Versuchen brach er das Experiment ab. Und es war nicht nur Glück, dass ich in den 20 Versuchen eine so hohe Trefferquote hatte. Er merkte einfach bei der Durchführung des Experiments, dass er jedes Mal, wenn ich das Ass nicht gewählt hatte bei meiner ersten Wahl, er immer kurz überlegen musste, wo es denn nun war und er dann die andere Karte umdrehen musste.
Die Antwort ist nun wirklich eindeutig: man muss wechseln.
Es gibt aber durchaus noch einige Aspekte, die erläuterungsbedürftig sind, Betrachtungsweisen des Zustandekommens der Verwirrung und sogar Betrachtungsweisen des Problems selber.
Zunächst mal erstaunlich, dass es mit einem einfachen Versuchsaufbau gelingt, bereits derartige Verwirrung zu stiften. Dann die intuitive Reaktion der meisten, denen das Problem erstmals geschildert wird. Und dann noch, dass es zur Ereiferung ausreicht, dass sich also hoch gebildete Menschen in eine Phantomidee verrennen können. Und, nicht zuletzt, dass ein so schlichtes Experiment, welches jedermann sofort und überall durchführen könnte, ausreicht, um die Verwirrung aufzulösen. Zumindest hätte man, nachdem man den Versuch durchgeführt hat, für sich selber die Bestätigung, dass man einem Denkfehler aufgesessen ist. Damit hat man zwar das Problem noch nicht gelöst, aber man könnte sich die Peinlichkeit zumindest sparen, seine (falsche) Einschätzung auszuposaunen. Und ich bin auch überzeugt, dass ein jeder, der das Experiment durchführt, alsbald feststellt, wo der Denkfehler liegt.
Zur Erörterung des Problems selber dient mir beispielsweise die Überlegung, dass der Kandidat doch bei der erstmaligen Wahl der Tür offensichtlich eine Chance von 33.33% hat. Und durch das Intermezzo der geöffneten Tür kann diese Chance doch nicht ansteigen. Ich stelle es mir dann so vor, dass der Kandidat eine Tür wählt. Jetzt hat er seine 1/3 Chance. Da würde niemand dran zweifeln. Dann sagt der Quizmaster, er öffnet jetzt eine Tür. Der wechselunwillige Kandidat sagt: „Bitte, öffnen Sie, aber ich schau nicht hin, was da ist, ich will es gar nicht wissen. Ich bleibe bei der Tür.“ Der Quizmaster öffnet dennoch, seinen vorgegebenen Regeln entsprechend eine Tür. Dann öffnet der Kandidat die Augen wieder und, Hokuspokus, hat er 50%.
Auch wird gerne die Betachtungsweise herangezogen, dass es 100 Türen gäbe. Der Kandidat geht in völliger Ahnungslosigkeit zu einer beliebigen Tür und stellt sich davor. Dann beginnt der Quizmaster, Türen zu öffnen. Nun müsste der Kandidat ja allmählich beginnen, sich die Hände zu reiben. „Seht ihr, ich hab gar nicht so schlecht getippt. Meine Chance steigt und steigt, jetzt bin ich schon bei 10%, 20%, 30%.“ Der Quizmaster öffnet immer neue Türen, die Chancen steigen. Die vorletzte Tür wird geöffnet. Wieder eine Ziege! Dann sagt sich der Kandidat: „Na, dann muss das Auto ja hier sein, wo ich stehe.“
Oder ist es vielleicht doch die einzige vom Quizmaster noch nicht geöffnete Tür?
Oh, fast hätt ich’s vergessen. Wie rechnet man es denn nun eigentlich aus?
Also wenn man bei dem Dreitürenproblem bleibt, ist die Chance, die man erhält durch wechseln natürlich 2/3. Die Begründung ist einfach: Man hat 1/3 mit der Tür, vor der man grad steht. Die restlichen 2/3 sind hinter der anderen Tür. Irgendwo muss sie ja schließlich sein.
Es gibt noch eine allerletzte Betrachtungsweise, die man erst bei Durchführung des Experiments sozusagen feststellt: Wenn man also, mit der unverrückbaren Wahrscheinlichkeit von 1/3 /bei 100 Wahlmöglichkeiten 1/100) gewählt hat und der Quizmaster am Zug ist, dann hat dieser zwei Möglichkeiten, zwei Türen zur Wahl. Zu 1/3 befindet sich hinter beiden Türen nichts. Denn der Kandidat hat die Ziege gefunden, sie ist hinter der gewählten Tür. In den anderen 2/3 der Fälle ist hinter der einen Tür die Ziege, die der Moderator öffnen könnte. Hinter der anderen Tür ist nichts. Jetzt könnte er genau so gut sagen: „Lieber Kandidat. Sie haben nun diese Tür gewählt. Sie hatten eine Chance von 1/3. jetzt zeige ich Ihnen, wo sich die Ziege aber tatsächlich befindet. Nämlich hier.“ Und er könnte dann die Tür mit dem Auto öffnen und dann fragen, ob der Kandidat wechseln will. Das erlauben die Regeln nicht, also zeigt er die Tür, wo sich eine Ziege dahinter befindet und sagt damit praktisch, augenzwinkernd und hinter vorgehaltener Hand: „(ich darf Ihnen ja nicht die Tür öffnen, wo das Auto ist, nur die andere, aber nun müssen Sie schon selber drauf kommen, wo sie tatsächlich ist. Gut, richtig, logisch, hinter der anderen.)“
Noch einfacher bei den 100 Türen. Sie haben eine davon gewählt, nur die winzige Chance von 1/100. Also sehr selten die richtige. Dann ist der Moderator dran. Und anstatt nun die anderen 98 Türen, wo Ziegen dahinter sind, könnte er auch direkt auf die „richtige“ Tür verweisen. „Ok, die Tür haben Sie gewählt, das ist die Falsche (klar, fast immer). Hier ist die Richtige.“
Bei Durchführung des Experiments ist es eben in der Vielzahl der Fälle (zu 2/3 bei 3 Wahlmöglichkeiten), das Spieler 1 nicht das Ass gefunden hat. Dann ist Spieler 2 dran und sagt eben in diesen Fällen: „Ok, die Karte hast du gewählt, jetzt zeig ich dir mal, welche die richtige ist.“