Um zu verstehen, was ich mit einem Spiel und dessen –entwicklungen meine, müsste man die Spiele ein wenig einteilen. Ein Spiel ist prinzipiell so, dass man irgendwie einen Sieger ermitteln möchte, diesen auf spielerische Art. Der Reiz des Spielens liegt unter anderem darin, dass der Sieger nach Möglichkeit vorher noch nicht feststeht. Wenn ein Spiel besonders reizvoll, spannend ist, kann es sogar Zuschauer anlocken. Wem es nicht spannend genug ist, der kann sogar darauf wetten.
Es gibt Spiele, wo man nach Möglichkeit Glücksfaktoren eliminieren möchte, und solche, wo man sie bewusst hinzufügt.
Es gibt oftmals Favoriten und Außenseiter. Aber es gibt auch die Spiele, die man bewusst ausgeglichen, fair gestaltet. Dabei gibt es dann meist einen Veranstalter, der zu profitieren versucht. Man kann an Spielen teilnehmen oder Spiele beobachten. Es gibt Kinderspiele und Erwachsenenspiele.
Alle Teilnehmer an einem Spiel (es gibt ja Teamspiele und Einzelspiele, es gibt eins gegen eins oder auch 16 Starter, die alle eine Siegchance haben). Dennoch gibt es die möglichen Ausgänge, die alle eine bestimmte Wahrscheinlichkeit haben. Diese addieren sich zu 100% auf.
Die Siegchancen können vor Beginn des Spiels oder während des Spiels ermittelt werden. An der Summe der 100% ändert das nichts. Nur die Verteilung kann sich verschieben. Sie verändert sich ständig. Mit jedem „Zug“ oder dem für dieses Spiel verantwortlichen Element. Das geht so lange, bis der Sieger ermittelt ist oder das Spiel abgepfiffen wird. Und zum Ende des Spiels ist einer der möglichen Ausgänge bei 100%, alle anderen bei 0%.
Dann gibt es die Teilnehmer und die Zuschauer. Beide Parteien spielen eine Rolle. Die Teilnehmer müssen das Spiel ja erstmal austragen. Dazu ist es erforderlich, dass das Spiel Spannungsmomente enthält. Darüber hinaus kann ein Teil der Faszination von der Ungewissheit eines Glücksfaktors ausgehen. Die Zuschauer müssen das Spiel möglicherweise auch noch annehmen, indem sie zum Zuschauen verleitet werden. Wer wird gewinnen?
Meine Behauptung ist dann: Je länger die einzelnen Ausgänge von 100% entfernt bleiben und je größer die Schwankungen, umso größer die Spannung und die Eignung des Spiels, sowohl die Zuschauer als auch die Teilnehmer zu faszinieren. Ich werde nun einige Spiele untersuchen und anhand der Diagramme die Besonderheiten der einzelnen Spiele herausstreichen. Also derart auch ihre Eignung als Spiel untersuchen, insbesondere als „Geldspiel“.
1) Schach
Beim Schach hängt das Spielentwicklungsdiagramm sehr wesentliche von der Spielstärke der beiden Teilnehmer ab. Das bedeutet aber nicht, dass dadurch die Spannung ansteigt. Schach ist das langweiligste Spiel, und das in vielerlei Hinsicht. Das aber nur nebenbei. Abgesehen davon ist es im Prinzip nur für die Spielenden oder bestenfalls für Schachspieler selber zum Zuschauen geeignet. Für ein breites Publikum wird Schach nie zugänglich sein. Wie soll ein neutraler Zuschauer denn Spannung empfinden, wenn er die Züge gar nicht versteht? Beim Tennis zum Beispiel kann man auch ohne selber spielen zu können erkennen, ob ein Schlag gut gespielt war oder nicht, ob er die Linie berührt hat oder aus war. Aber wie soll man denn einem Nichtschachspieler erklären, dass Läufer nach d3 um Nuancen besser ist als Läufer nach c4? Er wendet sich einfach ab und sagt: „Nee, ohne mich. Spielt mal schön alleine.“
Dennoch kann ich die „Uneignung“ des Schachspiels als Zuschauer Spiel anhand der Spielentwicklungsdiagramme erläutern.
Es gibt drei typische Konstellationen, die jeweils unterschiedliche Diagrammtypen liefern. Die erste Konstellation ist, dass zwei schwache Spieler gegeneinander spielen. Diese Konstellation wird wahrscheinlich dazu führen, dass es relativ klar erkennbare und große Zacken im Diagramm gibt. Dennoch sorgt das nicht unbedingt für Spannung. Vielleicht grad mal für die Teilnehmer. Die Zacken, die man klar erkennen kann, sind alle ursächlich auf die groben Fehler zurückzuführen, die schwache Spieler einfach machen und die unter guten Spielern eine direkte Entscheidung herbeiführen würden.
Einem neutralen Zuschauer fällt womöglich selbst das nicht mal auf und ein guter Spieler wendet sich ab. Abgesehen davon würde man auch sonst nicht gerne all zu viel von Stümpern berichten oder beobachten wollen.
Die zweite Konstellation, „Amateur gegen Meister“, wird ein sehr langweiliges Diagramm ergeben. Der Meister ist vielleicht schon vor dem Spiel nahe 100%. Aber selbst wenn man das dem Computer, der nur die Züge analysiert und nichts von den Spielstärken weiß, vorenthält, wird die Kurve relativ schnell in Richtung 100% für den Favoriten ausschlagen. Der Amateur macht einfach Fehler, der Meister nutzt die aus. Der neutral analysierende Computer stellt sehr bald eine klare Überlegenheit in der Stellung fest.
Und bei der Konstellation Meister gegen Meister sieht das Diagramm so aus, dass es sich fast gar nicht bewegt. Die Meister sitzen stumm da, machen alle paar Minuten einen unverständlichen Zug und objektiv haben sich die Chancen nach diesem Zug nicht verändert. Und das Ganze geht dann über Stunden. Wo soll da Spannung herkommen? Noch dazu geht es zu 60% in der Großmeisterpraxis Richtung 100% für den friedlichen Ausgang, das Remis.
Hier also ein paar typische Diagramme:
Amateur gegen Amateur:
Amateur gegen Meister:
Meister gegen Meister:
2) Backgammon
Beim Backgammon sieht die Sache schon ganz anders aus. Durch das zusätzliche Element des zufälligen Wurfes wird die Spannung schon mal wesentlich erhöht. Denn auch der beste Spieler kann nichts ausrichten, wenn die Würfel ihm einen Streich spielen. Ein typisches Diagramm sieht also so aus, dass man eine Chancenverteilung vor dem Wurf hat, dann eine nach dem Wurf und letztendlich wieder eine nach dem Zug. Die Chancen für einen Spieler können ansteigen durch einen guten eigenen Wurf, durch einen schlechten Wurf des Gegners oder durch einen schlechten Zug des Gegners. Verschlechtern tun sich die Chancen, wenn man selber einen schlechten Wurf macht, wenn man einen schlechten Zug macht oder wenn der Gegner einen guten Wurf macht.
Hier ein Diagramm eines Backgammon Matches, welches sogar im TV übertragen wurde. Es war das Finale von London 2008, welches mein Partner Christian Plenz gegen John Hurst erreicht hat. Die für das Diagramm gelieferten Daten und Zahlen hat das Computerprogramm „snowie“ geliefert, welches anerkanntermaßen ausgesprochen spielstark ist. Zum Beweis: Die guten Spieler wetten heutzutage auf Backgammon Positionen, indem sie nach wie vor ihre (unterschiedlichen) Meinungen kundtun, als Schiedsrichter wird aber das Computerprogramm gefragt. Die Meinung wird akzeptiert (früher wurden so genannte propositions gespielt. Dabei setzten sich die zwei Spieler, deren Meinungen voneinander abwichen, ans Brett und die Stellung wurde gespielt, bis einer kapituliert hat). Hier also nun das Diagramm:
Leider verlief das Match nicht zugunsten von Christian. Hier sind seine Chancen aufgezeichnet und diese entwickelten sich doch am Ende sehr plötzlich Richtung 0 %. Kurios ist, wie man hier sieht, dass er kurz vor Schluss noch klarer Favorit war, mit einer Chance von ca. 75%. Dann kam der plötzliche Absturz auf 42%, dann wieder ein Anstieg auf 67% und dann das plötzliche Aus.
Die Ursachen für solch eine Entwicklung sind klar: Das Match steht auf der Kippe, der Spielstand muss ausgeglichen sein. Das Match wurde auf 17 Punkte gespielt. Da haben anfänglich weder glückliche Würfe noch grobe Fehler einen großen Einfluss. Die Verschiebungen sind immer nur im Prozentbereich. Was soll auch groß passieren? Man macht einen Glückswurf, gewinnt damit einen Punkt und hat seine Chancen um 2 % verbessert. Denn wenn man den Glückswurf nicht gemacht hätte, hätte man die Partie ja nicht automatisch sofort verloren. Dann wäre sie eher nur ausgeglichen gewesen und wäre einfach weiter gegangen. Aber auch sonst spürt man schon, dass die Veränderung des Matchstandes von 2:2 auf 3:2 nicht so gigantisch groß die Gesamtchancen verändert.
Offensichtlich ist auch, dass ein Match, welches 15:7 steht auch nicht zu gigantischen Veränderungen neigt. Denn wenn der führende verliert, verringern sich seine Chancen auch nur um ein paar Prozent.
In diesem Match muss es wohl einen so genannten „double match point“ gegeben haben. Das bedeutet, dass beide Parteien das Match gewinnen, wenn sie diese Partie gewinnen. Und in dieser Partie hatte Christian klare Vorteile, bis ihn ein Unglück ereilte. Sehr häufig sind diese „Unglücke“ Schusschancen, die man dem Gegner lässt und die dieser auch nutzt. Offensichtlich hat Christian danach aber noch mal Glück gehabt und die Partie wieder gedreht. Wahrscheinlich konnte er den getroffenen Stein günstig einsetzen und wieder ein Stück weit ums Brett bringen. Dann musste John den Stein noch mal treffen. Es gelang ihm und er kam endgültig auf die Siegerstrasse.
Dennoch ist es interessant, zu sehen, welche Informationen man noch aus der snowie Analyse herausziehen kann. Dazu zunächst das folgende Diagramm:
Das verlangt eine Interpretation: Die Kurve „Glück John“ zeigt an, wie John Hursts Würfe (nicht die Züge) seine Chancen verändert haben. Es gibt, wie erwähnt, immer eine Chancenverteilung vor dem Wurf und eine nach dem Wurf. Das ist logisch, das Glückselement Würfel wurde bewusst und absichtlich in dieses Spiel integriert. Und wenn snowie die Chancen nach dem Wurf als besser als vor dem Wurf erachtet, dann handelt es sich offensichtlich um einen „Glückswurf“. Die Menge des Glücks ist messbar. Sie ist durch den Zuwachs an Gewinnchancen durch den jeweiligen Wurf bestimmt. Selbstverständlich gilt für einen schlechten Wurf umgekehrtes. Er verschlechtert die Chancen, insofern ist das auch Pech.
Entsprechendes gilt für die Kurve „Glück Christian“. Dennoch ist bemerkenswert, dass beide Kurven des Glücks mehr oder weniger stetig ansteigen. Das bedeutet übersetzt, dass beide Spieler Glück hatten. Dabei ist Christians Glück offensichtlich stark eingeschränkt. Entscheidend getrübt durch den letztendlichen Ausgang des Matches. Er hat verloren (Strafe übrigens für diese Form des Pechs: „nur“ 15000 Euro für Platz 2). Glückspilze werden in der Zockersprache auch „Molche“ genannt. Und John war eben von zwei Molchen der größere.
Die Kurven „verschenkt John“ und „verschenkt Christian“ geben den Chancenverlust durch mangelnde Setztechnik an. Dabei wird snowies Urteil zunächst als objektiv und korrekt angesehen. Also wenn man nach seinem Wurf eine Chancenverteilung hat, dann beurteilt snowie diese selbstverständlich inklusive des damit verbundenen „besten Zuges“. Wenn man diesen „besten Zug“ nicht ausführt, hat man einen Chancenverlust zu verzeichnen.
Dieser Verlust wächst selbstverständlich immer an. Die Summe der verschenkten Prozente kann nie kleiner werden. Dazu müsste man einen besseren Zug als der Computer finden, jedoch stellt er die Basis für die Analyse dar. Selbst wenn der Zug objektiv besser wäre, würde es der Computer nicht merken. Dennoch kann man hier noch mehr bestätigt sehen, dass Christian letztendlich Pech hatte. Er hat besser gespielt, also weniger verschenkt. Snowie rechnet das sogar in Prozente um. Er behauptet, Christian war sogar 65.42% Favorit.
Spielstärken
Der Einschub dieses Kapitels ist früher oder später ohnehin erforderlich. Es gibt Qualitätsunterschiede der Spieler selber. Beim Schach ist das ziemlich offensichtlich. Es gibt zwar kleinere Zufälle, wie weiter oben erläutert. Dennoch ist es auch offensichtlich, dass man die Spielstärke langfristig messen kann und dass es dabei unterschiedliche gibt. Auch wenn der Ausgang einer einzelnen Partie von einigen Glückselementen abhängt, so hat doch der stärkere Spieler die wesentlich höheren Gewinnchancen. Um diese Spielstärken messbar zu machen, hat sich ein ungarischer Physik Professor namens Arpad Elo schon in den 1930er Jahren Gedanken dazu gemacht.
Ich widme diesem System und dessen Anwendungsmöglichkeiten ein eigenes Kapitel. An dieser Stelle möchte ich nur erwähnen, dass es selbstverständlich sowohl im Schach als auch im Backgammon (wie wir in dem Buch gesehen haben gibt es fast kein Spiel, …) bei dem es nicht auch ein gewisses Maß an Spielstärke gibt. Die Backgammon Diagramme gehen zunächst davon aus, dass diese Spielstärken identisch sind. Der Computer, der die Partien und das ganze Match analysiert hat kennt ja auch die unterschiedlichen Spielstärken nicht. Wie wir heraus gearbeitet haben, hat Christian besser gespielt als John. Das kann natürlich ein Zufall sein. Für diese Form des Zufalls gibt es verschiedene Erklärungsmöglichkeiten. Die eine wäre, dass Johns Entscheidungen „schwieriger“ waren als Christians. Er kann also häufiger in schwierigeren Situationen entscheiden müssen. Er kann auch in vielen 50-50 Situationen zufällig die schlechtere Entscheidung getroffen haben. Außerdem gilt beim Backgammon wie beim Schach: Man macht einen (richtigen) Zug aus einem falschen Grund oder umgekehrt. Alle diese Elemente betreffen beide Spieler. Insofern könnte auch Christians Zugauswahl zufällig die bessere sein.
Wenn die beiden allerdings viele Matches gegeneinander spielen würden, so ist auf keinen Fall auszuschließen, dass sich dieses kurzfristige Ergebnis bestätigt: Christian ist der bessere Spieler. Wenn das allerdings der Fall wäre (und wenn ich gezwungen wäre, einen Schluss zu ziehen, dann nur den, dass Christian tatsächlich der bessere Spieler ist; warum sollte es John sein, wenn er mehr und größere Fehler gemacht hat?), dann würde die Kurve von Anfang an ganz anders aussehen. Der Einstiegswert für Christian wäre möglicherweise bei 56%. Und dieser Wert wäre ausschließlich auf den unterschiedlichen Spielstärken basiert.
Das gleiche gilt, sogar in erheblich größerem Maße für Schachpartien. Zu Details darüber aber bitte das Kapitel „Das Elo System“ lesen.
3) Fußball
Die Besonderheiten beim Fußball sind die, dass ein Tor einen so großen Einfluss auf die Chancenverteilung hat, dass für meine Begriffe die Zufälligkeit dieses Umstandes das Spiel eher etwas „langweilig“ macht, zumindest aus Sicht des Entwicklungsdiagramms. Hier aber dennoch mal ein Diagramm, welches zum Saisonauftakt der zweiten Liga der Saison 2008/2009 zwischen Duisburg und Rostock aufgezeichnet wurde. Dabei sind die Chancen den angebotenen Quoten bei betfair entnommen worden. Diese Quoten werden sekündlich verändert. Hier wurden die angebotenen Werte jede Minute einmal aufgezeichnet. Hier also das Diagramm:
Die blaue Kurve gibt die Siegwahrscheinlichkeit für Duisburg an, die rote die Siegwahrscheinlichkeit Rostock und die gelbe die Wahrscheinlichkeit für das Unentschieden. Das Spiel verlief so: Duisburg ging als Favorit ins Spiel (W-keit ca. 45%). Dann fiel schon nach 3 Minuten das 1:0. Anstieg der Wahrscheinlichkeit auf 70%. Dann konstant weiterer, leichter Anstieg. Es ist Spielzeit vergangen und Duisburg war auch weiterhin überlegen. Dann kurz vor der Pause der Ausgleich, sehr überraschend. Das Remis steigt an, die Siegwahrscheinlichkeit fällt für Duisburg und die für Rostock steigt an. Dann, kurz nach der Pause das 2:1. Anstieg auf 80%, wegen der späteren Spielminute. Dann, wenige Minuten später, ein (unberechtigter) Elfmeter incl. Platzverweis. Die Siegwahrscheinlichkeit für Rostock übersteigt nach Verwandeln des Elfmeters die Siegwahrscheinlichkeit von Duisburg, da ja jetzt 11 gegen 10 gespielt wird und das Spiel ausgeglichen steht. Dann steigt die Remiswahrscheinlichkeit konstant an, während die beiden Siegwahrscheinlichkeiten aufeinander zu laufen. Das ging bis zum Schlusspfiff so, das Remis stieg auf 100%, die beiden Siegwahrscheinlichkeiten gingen beide gegen 0, bei Abpfiff stand das Ergebnis dann fest: 2:2.
Hier noch ein weiteres Diagramm eines Fußballspiels. So langweilig wie das Diagramm war übrigens auch das Spiel: Ein 0:0. Keinerlei Verschiebungen in den Wahrscheinlichkeiten oder plötzliche Sprünge. Keine besonderen Ereignisse. Das Verhältnis der Siege zueinander bleibt immer in etwa erhalten. Nur wird diese Chance, dass überhaupt noch eine der beiden Mannschaften gewinnt, immer geringer bei fortlaufender Spieldauer, bis die Remiswahrscheinlichkeit schließlich 1 erreicht, der Schlusspfiff. Ein klein wenig bemerkenswert bleibt, dass der Absturz der Siegwahrscheinlichkeit für Hannover erst so richtig zur 60. Minute in etwa beginnt. Man würde vorher vielleicht sagen: „Es ist noch genug Zeit, ein Tor zu schießen.“
Dringend erwähnt werden muss, dass dies Einschätzungen für die drei möglichen Ausgänge ausschließlich den Wettangeboten bei betfair entnommen wurden. Das heißt, dass waren eben nicht nur Angebote, sondern es wurde für dies Werte auch „gehandelt“, also Wetten abgeschlossen. Es steht aus, dafür eine objektive Einschätzung abzugeben. Man kann zwar annehmen, dass der Markt sich im Großen Ganzen „vernünftig“ verhält, dass also die Einschätzungen in etwa der Realität entsprechen, dennoch können auch da Fehler vorliegen. Insbesondere geht der Markt ja sozusagen von einer Grundeinschätzung aus. Und diese Grundeinschätzung ist ja eine, die von mir angezweifelt wird. Denn meinen Lebensunterhalt habe ich über einen langen Zeitraum nur durch ausnutzen der Fehlern in der Grundeinschätzung bestritten.
Also Hannover geht hier im Diagramm mit ca. 62% los. Das ist eine faire Quote von 1.613. Meine faire Quote, also die Computereinschätzung, die bei mir im Bedarfsfall nach Erfahrungswerten angepasst wird, war 1.59. Also der Hannover Sieg wurde von mir etwas höher eingeschätzt. Dummerweise blieb ich in diesem Spiel die Richtigkeit der Einschätzung schuldig. Ich habe es nicht nur „falsch“ eingeschätzt sondern auch noch Geld verloren. Ich hatte Hannover Sieg gewettet.
4) Tennis
Ein Tennismatch zeichnet sich durch Regelbesonderheiten aus. So kann man mit einzelnen Punkten „nur“ Spiele gewinnen, mit einzelnen Spielen Sätze gewinnen und erst mit mehreren Sätzen Matches. So lange noch ein Punkt ausgespielt wird, haben beide Spieler noch eine Chance. Das ist insofern ein Unterschied zum Fußball, als es dort eine zeitliche Begrenzung gibt, einen Schlusspfiff, und bei einem Spielstand von 0:3 in der letzten Spielminute sich am Sieger nichts mehr ändern kann. Beim Tennis könnte man auch (und ich habe das einige Male live beobachten können) selbst bei einem 0:2 Satzrückstand und einem 1:5 Spielstand das Spiel noch drehen, sofern man den nächsten ausgespielten Punkt gewinnt. Im Anschluss wird garantiert wieder ein Punkt ausgespielt und man muss – je nach Situation – nur oft genug den nächsten Punkt gewinnen um am Ende dann das ganze Match noch zu gewinnen. Es gibt keine zeitliche Begrenzung. Allerdings unterscheidet es sich in dieser Hinsicht nicht vom Backgammon.
Aufgezeichnet ist hier das Halbfinalmatch der Australian Open 2010 zwischen Andy Murray und Marin Cilic. Die Situation war die, dass Murray ins Halbfinale gelangt war ohne einen einzigen Satz abzugeben, also in überragender Form und durch die Kürze der Matches auch in dem besseren Fitnesszustand war, während Cilic praktisch in allen Matches über 5 Sätze gehen musste und in einigen in sehr ausgeglichenen Partien sich ganz knapp durchsetzte, allerdings hat auch er sehr stark gespielt. Der Markt hatte aber vor dem Match einen klaren Favoriten ausgemacht. Hier nun das Entwicklungsdiagramm von Anfang bis Ende, darunter die Erklärung, welche Ereignisse für die Ausschläge verantwortlich waren und dazu mein Verhalten und meine eigenen Einschätzungen dieser Marktbewegung:
Das Diagramm zeigt die Siegchancen von Murray vor und während des Matches. Entnommen sind diese Werte ebenso den Wettangeboten bei der Wettbörse betfair. Murray war also vor dem Match in der Größenordnung von knapp 80% Favorit. Während der ersten Ballwechsel stieg diese Wahrscheinlichkeit in dem Sinne an, dass Zuschauer offensichtlich „etwas wetten wollten“ und folgerichtig den Favoriten spielten. Denn es war keinerlei Überlegenheit von Murray zu erkennen. Beide gewannen ihre Aufschlagspiele, für mein persönliches Empfinden war sogar Cilic „besser im Match“. Als der Kurs auf 1.22 fiel, demnach die Siegwahrscheinlichkeit in dieser Matchphase auf 82% „eingeschätzt“ wurde, machte ich selber eine Wette, und zwar auf Cilic. Meine Begründung dafür lautete: Ich bin überzeugt davon, dass der Kurs bald ansteigt auf Murray, habe das auch telefonisch mit meinem Wettpartner besprochen, denn wir hatten vor dem Match nur Murray Sieg gespielt, nach unserem Computer, zur Quote von 1.27. Unsere Live-Wette lautete also jetzt: „Wir zahlen 1.22 auf Sieg Murray.“ Begründung: Wir bekommen später irgendwann einen besseren Kurs und können die Wette dann mit Gewinn verkaufen.
Cilic schaffte tatsächlich das Break. Logischerweise hatte sich meine Prognose damit erfüllt, dass man einen besseren Kurs bekommt. Dieser Kurs lautete 1.40 (im Kehrwert eine 70% Siegchance Murray). Jedoch haben wir die Wette dann noch nicht verkauft, da wir auf einen weiteren Kursanstieg hofften. Theoretische erzielte (Zwischen-)Gewinne zählen gar nichts, es zählt nur das, was man wirklich macht. Wie man aber im Diagramm sieht, stürzte der Kurs weiter auf Cilic (und stieg umgekehrt auf Murray), da Cilic souverän spielte und den ersten Satz sogar mit einem weiteren Break mit 6:3 gewann. Der Marktkurs war zu diesem Zeitpunkt bei 1.66, also Murray noch immer Favorit. ALs Cilic im zweiten Satz einfach nicht lachließ, „änderte“ der Markt quasi seine Meinung, indem der Kurs auf Murray kurzzeitig auf über 2.0 (2.02) anstieg, was ihn für diesen kurzen Moment zum Außenseiter erklärte. Ob es nun Zufall war oder der berühmte „6. Gang“, den wir den besseren Spielern bei Grand Slam Turnieren einräumen, welchen Murray dann einfach einlegte, ist schwer zu beurteilen. Jedenfalls gelang ihm genau in diesem Moment ein break zum 4:2. Wir hatten (wohl aus Gier) die Wette noch immer nicht verkauft, taten dies aber direkt nach dem Break, da die Quoten immer noch bei 1.52 lag, also weit höher als der Wert von 1.22, welchen wir auf Murray bezahlt hatten. Da dann das Match einseitig wurde und auch sämtliche Experten, während des Matches und nach dem Match erklärten, dass es die offensichtliche Erschöpfung bei Cilic ist, die am Ende den Ausschlag gab (nie vergessen: wahre Propheten warten die Ereignisse ab), so hatten wir doch zumindest ziemlich viel richtig gemacht und ein ordentliches Plus erzielt auf das Match. Die Siegchancen für Murray näherten sich danach ziemlich kontinuierlich den 100% an. Warum eigentlich nicht immer Favoriten spielen?