In den Jahren 1985/1986 hatte ich auch ein paar Auftritte auf dem Berliner Kiez. Wie es dort zugeht sollte, wie ich finde, hier im Buch nicht fehlen. Die einzige Besonderheit hierbei: Ich werde etwas sparsamer mit Namen der handelnden Personen umgehen. Die Gründe behalte ich für mich….
- Eine SevenEleven Partie mit Riesen Vorteil
Also das SevenEleven Spiel ist so ein richtiges Kiez-Spiel. Ich widme dem Spiel sogar ein eigenes Kapitel, weil es sich auch hervorragend zur mathematischen Grundlagenerarbeitung eignet. Wer es nicht kennt, sollte zunächst dieses Kapitel („SevenEleven“) lesen.
Das Spiel wird auch in richtigen Spielcasinos angeboten, aber eben nicht in deutschen. Für die „Privatcasinos“ in der Berliner Unterweltszene wurden sogar speziell solche Tische angeschafft, die auch in (ferneren) Casinos verwendet werden.
Ich betrat also, man könnte sagen fast zwangsläufig, irgendwann mal eines dieser Lokale. Man sieht einer solchen Einrichtung auch nicht von außen gleich an, dass in Hinterzimmern gezockt wird. Es ist eher so eine fast gewöhnliche Kneipe, aber sie befindet sich auf dem Kiez. Und der Berliner Kiez ist schon etwas besonders. Hart vielleicht, aber Hamburg ist noch ein bisschen härter, würde ich sagen.
Natürlich sind die Betreiber dieser Casinos prinzipiell an neuer „Kundschaft“ interessiert. Nur gibt es dabei folgende Punkte zu bedenken: Sie haben sicher einen besonderen Geruchssinn entwickelt für die so genannten „Zivis“ (Polizisten in Zivil, aber wem sage ich das?), so sollte man also nicht erscheinen. Aber ein ganz „Fremder“ wird vielleicht immer zunächst etwas skeptisch beäugt. Auf der anderen Seite soll sich der potenzielle Freier ja dort auch wohl fühlen. Zum potenziellen Freier qualifiziert man sich, wenn man durch irgendetwas zu erkennen gibt, dass man Geld (dabei) hat. Zum Wohlfühlen sind die hübschen Bedienungen da.
Ich ging als Zivi einfach nicht durch. Ich hatte zwar kein Geld, aber immerhin hatte ich mein gesamtes Vermögen immer dabei und meist, ein bisschen zockertypisch, in der Tasche und nahm, damals vielleicht sogar ein bisschen protzerisch, zum Bezahlen den ganzen „Knödel“, die ganze „Welle“, heraus. An diesem Tage waren es (bei Eintritt) ca. 1000 DM. Jetzt dämmert es mir gerade, warum mich mein Vater vor Ausübung dieses Berufs so eindringlich gewarnt hat und mich wohl in seinen Visionen immer (oder eines Tages) mit eingeschlagenem Schädel in irgendeinem Hinterhof liegen sah.
Ich wusste aber bereits, dass es in dieser Kneipe ein solches Hinterzimmer gab. So etwas spricht sich, wenn auch vorsichtig, herum. Ich durfte also, von einem netten Mädchen begleitet, das Hinterzimmer betreten. Der bekannte Unterweltkönig stand dort also an seinem Würfeltisch. Zuschauen kostet ja nichts, oder? Es standen ein paar andere Zocker um den Tisch herum. Der Mann begann, zu würfeln. Es lagen etliche Hunderter auf dem Tisch. Zwei schöne, echte, durchsichtige, professionelle, rote Würfel. Er machte seinen Anwurf. Es war keine 7 und auch keine 11. Dann versuchte er, den Regeln gemäß, diese Zahl nachzuwürfeln. Die ersten drei Versuche gingen daneben. Es war aber auch keine 7 dabei, die das Spiel beendet hätte. Dann fragte er mich: „Willst du noch rauf?“
Nun ja, die Mathematik und mein Spatzenhirn in Kombination ergaben eine (ganz) einfache (Milchmädchen-)Rechnung: Ich habe einen riesigen Vorteil. Selbst wenn er eine 6 oder ein 8 vorgelegt hatte: Die 7 kommt einfach häufiger. Dieser Verlockung konnte ich nicht widerstehen, ich, der große Mathematiker, der Spielprofi, mit allen Wassern gewaschen, nur das Schild „Freier“ hatte ich heute vergessen umzuhängen, aber ich schätze, es war an diesem Abend auf meine Stirn tätowiert.
Ich kramte also einen Hunderter aus der Tasche und legte ihn auf den Spieltisch. Der Mann probierte noch ein paar Mal, dann hatte er seine Zahl bestätigt. Keine 7 gewürfelt, sondern das, was er brauchte. Der 100er wurde einkassiert. Das nächste Spiel begann. Nun ist es ja so üblich, dass derjenige, der gerade „einen Guten“ hatte, weiter würfeln darf.
Long story short, lange Rede kurzer Sinn, er machte noch weitere 10 gute hintereinander. Er legte immer irgendeine Zahl vor, versuchte, sie nachzumachen, fragte mich nach ein paar Versuchen, ob ich noch rauf wolle, ich setzte 100 DM, er brachte seine Zahl nach, der Hunderter war weg. Einmal, ich als Schlaukopf, ein klein wenig Skepsis, aber nur irrelevante, weil auch er einfach wissen musste, dass er einen Nachteil hätte, fragte zurück: „Warum darf ich denn…?“ Die Antwort hatte er vielleicht doch nicht zum ersten Mal gegeben: „Weil ich grad einen Lauf habe.“ Gute Begründung, für Spatzenhirne allemal ausreichend. Mein Geld wanderte wieder zunächst auf den Spieltisch und kurze Zeit später in seine Tasche.
Nun werden Sie sicher über meine Naivität lachen müssen. Ich selber auch. Und wenn ich es schaffen würde, dann würde ich mir jetzt sogar selber in den Hintern treten. So haue ich mir einfach nur, wie damals auch, nur viel zu spät, mit der Hand vor den Kopf. Aber es gab einen Grund, dass ich damals so agiert habe: Im ersten Wurf hat er oftmals die 7 gewürfelt. Also es konnte eine 7 kommen.
Mit den eigenen Verlustgeschichten ist man in der Regel etwas vorsichtiger bei der Verbreitung. Also erfuhr ich erst viel später (ahnte an dem Tage nur), bei einem meinerseitigen Geständnis der Dummheit, wie das dort gemacht wird (zumindest an dem Abend wurde): Es gibt zwei Würfel, deren Zahlen sich nicht zu 7 ergänzen können. Genauere Betrachtungen dessen habe ich mir damals und auch heute erspart. So ist es eben. Zumindest einer der beiden (vermutlich beide) wurden beim Anwurf unmerklich ausgetauscht. Die anderen Herumstehenden, Fluchenden oder Verzweifelnden, waren nichts als Staffage. Sie saßen alle im gleichen Boot. Mit meinen 1000 DM kommen sie zwar nicht all zu weit. aber vielleicht kam ja später noch jemand?
- Backgammon in der Disco
Das war auch im Jahre 1985, als ich, wieder in Berlin, ständig unterwegs war und irgendwo „Partien“ suchte. Das gezockt wurde war klar. Nur hatte ich meine Probleme mit dem Gegner finden. Gerade wenn sich wachsende spielerische Fähigkeiten auch noch herumsprechen (wozu auch Turniererfolge ihren zweifelhaften Beitrag leisten), wird die Auswahl nicht unbedingt größer. Abgesehen davon hatte ich weder einen besonderen Charme noch sonst den erforderlichen Unterhaltungswert, der einem Türen öffnen könnte. Insofern war die Qualität der Partien gelegentlich eher fragwürdig.
An diesem Abend war ich mit dem damaligen und sehr vorüber gehenden Partner Peter unterwegs. Wir hatten gehört von einem Mann, der wohl ganz gerne spielen würde. Eine andere flüchtige Bekanntschaft hätte den Mann ausfindig gemacht. Seine Nationalität war die eines nicht ganz nahe gelegenen, eher kalten, aber doch östlichen und ebenfalls sehr großen Landes. Dazu hatten die Beiden, auf die wir trafen, recht stattliche Staturen. Der Partner war aber Deutscher, so dass das Zustandekommen der Partie gewährleistet war.
Nun, der Eine war Inhaber einer Disko an der Lietzenburger Straße. Also wurde die Partie kurzerhand innerhalb der Disko, an einem etwas entlegenen Ort aber mit mindestens noch 70% Musikeinwirkung ausgetragen. Peter hatte sich mit dem ausländischen Spielpartner herumzuschlagen, ich mit dem Deutschen.
Peter war auch ein ganz ordentlicher Spieler und schien seinen Gegner zu beherrschen. Ich gewann auch, klein, klein. Irgendwann fragten wir beide mal ganz schüchtern nach einer Auszahlung?
Diese Frechheit und Anmaßung hätten wir uns sparen sollen. Quintessenz war die: Am Ende konnten wir auf jeden Fall froh sein, überhaupt halbwegs unversehrt und noch immer mit unserem eigenen Geld ausgestattet das Lokal verlassen zu dürfen. Denn außer einer Ohrfeige, die ich noch mit auf den Weg bekam und die mich zufällig geradewegs auf die Tanzfläche beförderte (wir waren bereits im Gehen), haben wir fast nichts abbekommen.
Das Wunder an dieser Geschichte war das: Ich traf meinen Spielpartner etliche Wochen später in einem anderen Spiellokal am Ku-Damm. Und er war ausgesprochen freundlich, entschuldigte sich sogar und zahlte mir noch 400 DM aus! Das ist wirklich unglaublich, da ich sowieso keinerlei Druck ausgeübt hätte, sogar so etwas überhaupt nicht könnte. Der Mann war einfach insoweit ehrlich, dass er die Spielschulden als die berühmten „Ehrenschulden“ ansah. Am Abend in der Disko war er sicher selber unter Druck geraten , von seinem Partner ausgehend und musste symbolisch handeln, weil wir sozusagen beide beleidigt hatten (was denn, ihr wagt es, mich auf Geld anzusprechen?).
- Baccara in der Grolmannstrasse
Diese kleine Geschichte muss ich einfach auch noch loswerden. Die Grolmannstrasse war die berühmte Spielerstrasse mit etlichen kleinen solchen Lokalen. Das Baccara war eigentlich auch ein Casinospiel. Ein Kartenspiel, dessen Regeln ich jetzt und hier nicht näher erläutern möchte. Es ist ein Spiel, bei dem die Bank dadurch garantiert gewinnt, dass sich die Mitspieler am Tisch untereinander „bekriegen“ und pro gewonnenem Coup ein Prozentsatz abgezogen wird.
Wenn man das Spiel in einer offiziellen Spielbank selber spielt, dann ist der Bankvorteil eher klein, aber beständig. Wenn man es auf dem Kiez spielt, dann werden, nach meiner Erinnerung, satte 10% von der Auszahlung abgezogen. So etwas nennt man dann auch ein „Rasiermesser.“ Da kann man einfach nicht gewinnen.
Einmal aber hatte ich mal wieder zu viel Geld und ging doch in so ein privates Casino. Die Leute empfingen mich dort überaus freundlich und es war keinerlei Anlass zur Sorge gegeben. Es war schön, ein neues Gesicht zu sehen. Und es gibt ja auch jede Menge „ehrliche Betrüger.“ Beim Baccara, wie gesagt, muss man nicht befürchten, dass Karten gezinkt sind oder man sonst wie „auf der Rolle“ ist. Die Bank gewinnt sowieso, ohne Zweifel. Wer sich darauf einlässt, muss wissen, was er tut.
Ich nahm also Platz. Ich war auch der Überzeugung, ganz sicher nicht viel verlieren zu werden. Irgendwann war ich dran. Bei dem Spiel wird jeder reihum mal die Bank, es waren vielleicht sieben Mitspieler. Alle spielten auch mit kleinem Geld. Ich riskierte 30 DM für den Coup. Die werden dann entweder vom nächsten Mitspieler oder später von der Summe aller Spieler „gehalten“. Die Karten wurden gegeben, ich gewann. Im Einsatz sind jetzt 60 DM minus 10%, also 54 DM. Ich ließ alles stehen.
Die 54 DM kamen zusammen, ich gewann wieder. 108 DM – 10% macht ca. 97 DM. Ich ließ stehen. Ich gewann. 97 * 2 = 194. 194 DM – 10% = ca. 175 DM. Ich ließ stehen. Die Summe von 175 DM kam wieder zusammen von den anderen Mitspielern. Die Karten wurden ausgeteilt. Ich gewann. Jetzt waren in der Mitte 350 DM, abzüglich der 10% = 315 DM. Ich ließ wieder alles stehen. Jetzt hat sich wohl ein Spieler allmählich geärgert. Er rief: „Banco“ oder „Banco solo“. Beides bedeutet so viel wie: „Ich halte alles, und zwar alleine.“ Kennt man doch auch aus einem James Bond Film, oder?
Jedenfalls war damit gewährleistet, dass ich noch ein weiteres Mal um Alles spielen würde. Das war nicht unbedingt zu erwarten und auch nicht Usus. Eher wäre zu erwarten gewesen, dass die Mitspieler vielleicht allmählich Respekt bekommen oder das Geld weniger wird und sie nur Teile meines Einsatzes „zusammen bekommen“. Das würde mir dann den Rest als Gewinn garantieren. Aber ich machte jetzt auch keinen Rückzieher und ließ stehen. Cincinnati-Kid lässt grüßen.
Long story short, ich verlor diesen Coup. Der Coupier strahlte über beide Backen und lud mich noch zu einem Getränk ein, denn ich hatte die Partie durch mein Spielverhalten so richtig „angeheizt“. Abgesehen davon hatte er in kürzester Zeit einen ganz ordentlichen Verdienst erzielt. Wenn man alles zusammen rechnet, kam er auf 134 DM in ein paar Minuten (vom letzten Pott, meinem verlorenen, hat er ja auch noch 10% kassiert).
Ich habe die Einladung angenommen, den Spieltisch aber verlassen, kurz darauf das Lokal und bin nie wieder in so eine „Spielhölle“ hinein gegangen. Immerhin war ich kurz davor, mal was zu gewinnen…