Eine Regel besagt, dass der Torhüter im Fünfmeterraum einen besonderen Schutz erfährt, so dass er, sofern dort auch nur berührt, angegangen, angesprungen, weggedrängt oder was auch immer wird – also eine Anzahl von Attacken, die außerhalb dieses Raumes ansonsten nicht geahndet würden –, er dafür einen Freistoß zugesprochen bekommt.
Selbstverständlich wurde eine solche Regel entworfen zu einer Zeit, da weit und breit nichts von Torarmut registriert wurde. Der Torwart hat eine Sonderstellung, die es ihm grundsätzlich gestattet, den Ball mit jedem beliebigen Körperteil spielen zu dürfen. Er hat einen riesigen Kasten zu verteidigen, so bitte, gebe man ihm einen gewissen Abstand zu diesem Kasten, in dem er nicht wie ein beliebiger Feldspieler normalen Körperattacken ausgesetzt ist. Rein optisch hat er diese Sonderstellung schon, dadurch, dass er mit der Hand spielen darf, also lasst ihn in seinem Revier auch ein paar weitere Sonderrechte. Bitte, gerne.
Obwohl bereits dieses zu überdenken wäre, sofern man sich der Absicht verpflichtet sieht, für mehr Toraktionen und mehr Tore zu sorgen, so gibt es dennoch selbst bei Erhalt der Regel ein paar kritische Anmerkungen über ihre heutige Anwendung zu machen. Gut übersetzt: Die Regel könnte bei korrekter Anwendung ebenfalls für mehr Tore sorgen. Denn bei ihr ist es heutzutage so, dass sie viel zu häufig angewendet wird. Also steht die Aussage: Der Torhüter erfährt einen weitaus übertriebenen Schutz.
Es ist bei fast jeder Regel so, dass sie sich in irgendeiner Form einschleift, so dass sowohl die Spieler als auch die Schiedsrichter einen gewissen, und nach einer Zeit möglichst einheitlichen, Umgang mit ihr pflegen. Die Medien haben dann mit ihrer Art, auf zweifelhafte Entscheidungen einzugehen, natürlich einen ebenso großen Einfluss und damit ein Mitspracherecht. Sofern es kein Aufsehen um gewisse Entscheidungen gibt, fühlen sich die Schiedsrichter mit ihrer Form der Auslegung wohl. Falls etwas wiederholt aufgegriffen wird und als fehlerhaft dargestellt wird, wird die Aufmerksamkeit von allen Beteiligten erhöht.
Hier hat es sich so entwickelt: Die Torhüter spürten irgendwann, dass sie die Auslegung zu ihren Gunsten nutzen konnten. Sicher war es früher so, dass ein Torhüter ab und zu mal im Fünfer in Panik geriet, da so viele Angreifer – natürlich auch Verteidiger – um ihn herum auftauchten. Er versuchte aber sehr wohl, die Regel einzuhalten und lediglich auf normale Art an den Ball zu gelangen, Sofern er daran von einem Angreifer gehindert wurde, oblag dem Schiedsrichter die Aufgabe, dies als regelwidrig einzustufen und entsprechend abzupfeifen. Nach und nach jedoch entwickelte es sich, dass die Torhüter die Grenzen abtasteten, welches Stürmerverhalten als regelwidrig gelten würde.
Dieses Abtasten bezieht sich nun darauf, dass man im eigenen Verhalten immer dreister wird, also beispielsweise Hechtsprünge wagt, die einem früher nie in den Sinn gekommen wären. Man stellt fest, dass, sowie einem ein Stürmer irgendwo in die Quere kommt und man deshalb den Ball nicht erreicht, stets dem Stürmer die Schuld zugeschrieben wird. Es fand eine Berührung zwischen Stürmer und Torhüter statt, die Aktion war im Fünfmeterraum, also gibt es Freistoß für den Torwart. Wie oder wodurch die Berührung zustande kam, spielt beinahe keine Rolle mehr.
Mittlerweile ist also nicht nur so, dass der Torhüter nach Belieben jeden, der in seiner geschützten Zone auftaucht, nach Belieben „abräumt“, sondern darüber hinaus sofort nach der von ihm selbst verursachten Berührung theatralisch hinfällt, um im nächsten Zug dann auf den bedröppelten Angreifer loszustürmen, ihm sein rüdes Verhalten anzukreiden und beim Schiri Gelb für dieses angebliche Foul zu fordern – meist mit Erfolg. Hinzu kommt jedoch schon längst, dass dieses Verhalten auch weit außerhalb des Fünfmeterraumes Einzug gehalten hat. Hier erfährt man dann schon gelegentlich vom Berichterstatter ein „oh, die Aktion war außerhalb des Fünfers, da hätte er eigentlich gar keinen Schutz mehr gehabt, er gilt dort als normaler Feldspieler.“ Damit ist die Aktion aber auch abgehandelt. Für weiteres Aufsehen, außer, dass es immerhin erkannt wurde, sorgt das nicht.
Übrigens haben auch die Verteidiger längst erkannt, dass der Angreifer immer der Übeltäter ist. Sobald also der Torhüter irgendwo im Strafraum mal einen Ball fallen lässt, ist die Entscheidung auf Stürmerfoul quasi garantiert. Der ausgemachte Schurke wird von allen Seiten bestürmt, an sich mit der Frage konfrontiert: „Wieso tauchst du überhaupt hier auf? Hier ist Abwehrzone, hier ist Torhütergebiet, also Feindgebiet, hier hast du nichts verloren. Und wage ja nicht, nicht einmal im Traume, ein Tor erzielen zu wollen!“
Die Schiedsrichter spielen dieses faule Spiel mit. Es kommt ihrer Neigung aber auch sehr entgegen, immer irgendeinen Grund finden zu wollen, der eine Spielunterbrechung und ja kein Tor hervorruft. Man pfeift einfach ab und alles ist gut. Vor allem dann, wenn es nach Torgefahr riecht. So auch hier. Wenn der Ball frei liegt, irgendwo, der Torhüter ihn nicht erreicht oder fallen lässt, bahnt sich eigentlich für jeden das gewünschte Spektakel an – außer, immer wieder, also den paar Spielern und Fans der betroffenen Mannschaft –, eine Toraktion. Jedoch wird dort der Zuschauer beinahe genauso oft frustriert: „Oh, jetzt wird’s spannend.“ „Nee, setz dich wieder, ist längst abgepfiffen.“
Wenn man es sehr genau betrachtet, dann ist eigentlich der Fünfmeterraum gar nicht mehr wirklich für Stürmer zugänglich. Denn: Ein Tor erzielen ist unmöglich, man setzt sich nur der Gefahr einer Verletzung und/oder einer Gelben Karte aus.
Ein Beispiel:
Es gab mal eine Szene in einem Bundesligaspiel vor einigen Jahren, in denen ein (Cottbusser?) Torhüter weit außerhalb des Fünfmeterraumes bedrängt einzig von zwei eigenen Mitspielern (!) den Ball fallen ließ. Der davon profitierende (Nürnberger?) Angreifer schob den freien Ball ins leere Tor. Die Entscheidung lautete: Stürmerfoul. Sicher wurde hier medienseits erkannt, dass es sich um eine krasse Fehlentscheidung handelte. Gefallen ist sie dennoch und könnte einen weiteren Beleg für die Richtigkeit einiger Aussagen liefern: Manchmal ist es eigentlich egal, warum man als Schiri abpfeift. Hauptsache es fällt kein Tor. Der Torhüterschutz ist eine dieser weit übertrieben genutzten Maßnahmen zur Spielunterbindung – und damit Torverhinderung.
Zusammenfassung:
Die Regel mag sinnvoll sein. Nur müsste sie auch so angewendet werden, wie sie niedergeschrieben ist. Der Torhüter kann nicht bei jedem fallen gelassenen Ball einen Freistoß einfordern. Selten wurde er wirklich behindert, oftmals sind es auch eigene Verteidiger, die ihm im Wege stehen. Tore sind und bleiben das Salz in der Suppe. Bei korrekter Anwendung auch dieser Regel würde es einige mehr geben.