1) Im Allgemeinen
Das Zeitspiel ist generell eine höchst ärgerliche Angelegenheit, wie der Leser mit Sicherheit bestätigen kann. Zunächst mal gilt es, ein paar Beobachtungen zu schildern und, wie gewohnt, der Sache ein wenig auf den Grund – und sei es auch ein psychologischer – zu gehen.
Zunächst gilt fast gesichert für den neuzeitlichen Fußball, dass ein Tor anerkanntermaßen – vor allem tun dies die Spieler auf dem Platz – extrem schwer zu erzielen ist. Die Leistungsunterschiede sind sehr klein geworden, große Überlegenheit gibt es selten, und die Frequenz der Tore ist gering. Sowie also eine Mannschaft das 1:0 erzielt hat, ist es weit mehr als nur die halbe Miete. Die Zeichen stehen ganz klar auf Sieg. Das gilt international fast ausschließlich und ist längst keine Domäne der Italiener mehr: Ab dem Zeitpunkt des Führungstreffers beginnt die Verwaltung desselben. Hinter dem Begriff der Verwaltung verbirgt sich aber durchaus eine Erfolg versprechende Taktik: Jeder –nennen wir ruhig die Trainer an erster Stelle – weiß, dass es so schwer ist ein Tor zu erzielen. Darüber hinaus ist das Verständnis längst zur Trainerbank durchgedrungen, dass sich die Chance erhöht, ein Tor zu erzielen, sobald der Gegner zum Angreifen gezwungen ist. Dies ist ab dem Erzielen des Führungstores der Fall. Theoretisch. Denn auch der Gegner kennt dieses Gesetz. Angreifen müssen bedeutet fast den sicheren Untergang. Vor allem der „bedingungslose Angriff“. Insofern verhält sich auch der Gegner taktisch geschickt (im Sinne des reinen Ergebnissports; Zuschauer vergraulen tun beide), dass er nämlich nicht bedingungslos angreift. Man versucht, weiterhin hinten dicht zu halten und hofft – durch intuitive Wahrnehmung längst erspürt – vorne auf das Wunder einer Toraktion, die dann sogar Erfolg bringt.
Das Spiel plätschert dahin, wie wir es alle kennen. Die einen wollen nicht (mehr), die anderen können nicht. Es steht 1:0, das zweittypischste aller Fußball Ergebnisse (direkt nach dem 0:0, welches bei jedem gesichert irgendwann eintritt, zum Beispiel bei Anpfiff). Zu gucken gibt es eigentlich nichts. Die Führenden hoffen auf die möglichst bald eintretende Dummheit, dass der Gegner zu früh und zu viel riskiert – und damit seine Chancen herunterschraubt durch das ungünstige Verhältnis von Chancen auf Erzielen eines Tore zu Chancen zum kassieren eines weiteren –, der Zurückliegende lauert auf die eine einzige Chance. Und betet so lange.
Im Grund – siehe Überschrift – läuft diese ganze Partiephase bereits unter Zeitspiel. Es ist zwar erst die 35. Minute. Aber die paar Minuten zur Pause bringen wir locker durch, und dann ist es auch nicht mehr lange. In den letzten 15 Minuten geschieht dann doch das Erhoffte, das Erzwungene. Die Zurückliegende Mannschaft bringt eine zusätzliche Offensivkraft (!) und wagt sich weiter nach vorne. Nun gibt es drei Möglichkeiten: Es gelingt dieser Mannschaft, den Druck aufzubauen, es geling ihr nicht, oder der Führende erzielt das 2:0. Im letzten Fall wird es gänzlich uninteressant, allerdings geschieht es oftmals spät bis sehr spät.
Falls es also der zurückliegenden Mannschaft gelingt, Druck aufzubauen, so ist der typischste aller Fälle eingetreten: Jetzt heißt es wirklich: Zeit von der Uhr nehmen. Natürlich gibt es hier acht Fälle: Es gibt eine Heim- und eine Auswärtsmannschaft, es gibt einen Favoriten und einen Außenseiter, und einmal führt diese mit jener Ausprägung, einmal die andere mit solcher. Die an den Tag gelegten Verhaltensweisen unterscheiden sich aber nur unwesentlich. Falls ein Favorit Heimrecht hat und zurückliegt, so kann es schon passieren, dass der aufgebaute Druck sehr stark wird, mit ihm die Zuschauerunterstützung und mit ihr auch die Schiedsrichterunterstützung, der dann hier oder da mal zugunsten der Heimmannschaft auslegt. Einerseits aus Gerechtigkeitssinn, andererseits unter dem empfundenen Zuschauerdruck.
Jedenfalls beginnt die Phase, in der ernsthaft auf Zeit gespielt wird. Eine führende Heimmannschaft, die nominell die schwächere ist, hat hier die meisten Beweggründe und die besten Chancen. Das Publikum – nutzlos zu erwähnen: es besteht aus Anhängern dieser Mannschaft – unterstützt den underdog nach Kräften, nimmt alles in Kauf, jubelt zu, bejubelt auch Unfairness und Schauspielerei, da ihnen gerade in der Außenseiterrolle die Mittel noch gleichgültiger werden. Der Schiri wird hilfloser, zumindest im Sinne von Gerechtigkeit, da es ihm einfach nicht gelingt, dieses Zuschauer gestützte Verhalten zu unterbinden.
An hauptsächlichen Mitteln seien genannt: Am Boden liegen bleiben bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Wer hier noch eine Statistik zum Beleg mit aufnehmen möchte, im Sinne einer Beweistechnik: Sofern in den letzten 10 Minuten ein Spieler am Boden liegt, so gilt die Beobachtung, dass der zu 90% das Trikot der Führenden anhat. Es wird nach Herzenslust gewälzt. Und sollte der Schiri das eine einzige Mal die Dreistigkeit besitzen, nicht abzupfeifen, nicht anzuhalten wegen offensichtlicher Schauspielerei, so ist ihm ein Spießrutenlauf garantiert. Dieses Pfeifkonzert – während des Spiels; nach dem Spiel wird es noch schlimmer, falls der Erfolg eingebüßt wurde – erzwingt dann die Spielunterbrechung. Es gibt keine Chance, der Schauspieler hat Erfolg.
Schiedsrichter, die oftmals anzeigen, dass sie die geschundenen Sekunden gnadenlos nachspielen lassen, machen dabei immer noch einen großen Fehler. Denn nicht nur – siehe auch Kapitel „Was ist eine Strafe?“ –, dass es ja in keiner Weise mit einer Strafe zu tun hätte, wenn man diese 20 geschundenen Sekunden 1:1 draufpacken würde, zwei wesentlich wichtiger Punkte kämen hinzu: Der eine ist der, dass es noch nicht einmal 20 Sekunden werden, der andere der, dass das wichtigere Element oftmals während des Spiels die Unterbrechung des Spielflusses ist. Der Angreifer hat gerade eine richtige Lawine losgeschickt, Einwurf, Eckball, Einwurf, Torschuss, Eckball. Eine Art Power-Play. Plötzlich liegt ein Spieler unvermittelt am Boden. Irgendein Kopfballduell, egal was. Er liegt da. Der Spielfluss ist gebrochen. Selbst wenn es 20 Sekunden wären, die hinzukämen: Sie werden es nicht. Wenn 20 Sekunden wäre es im Sinne einer Bestrafung zu wenig. Aber noch viel mehr bekommt man den Spielfluss nicht zurück. Es ist traurig, mit anzusehen. Aber der Erfolg ist beinahe gesichert. Und dieser heiligt so lange die Mittel, wie alle rundherum da mitspielen. Die, die noch dabei sind, tun es ja auch. Nur gewinnt man Niemanden hinzu, und dabei hätte man es so leicht, bei einem so schönen Spiel wie Fußball es sein könnte…
Man muss und darf übrigens sehr wohl ein wenig differenzieren zwischen dem Ausland und Deutschland. In Deutschland ist das Phänomen zwar auch zu beobachten, aber ein wenig moderater. Der Grund ist der, dass die Medien ihren gewaltigen Einfluss auch hier einsetzen. In diesem Fall ist die Macht aber von Naivität geprägt, was sie grundsätzlich wenig abschwächt. Hier wird weiterhin der 50er oder 60er Jahre Gedanke mit Inbrunst ins Mikrofon geblasen, dass man ja nach einer 1:0-Führung nicht auf Halten derselben ausgehen sollte. Dies würde unweigerlich bestraft werden und wäre schlichtweg dumm. Dumm ist zwar nur der Reporter – er wird sicher sagen, dass er es zwecks Spannungsmache so gesagt hätte –, jedoch sind die Spieler und Trainer noch ausreichend beeinflusst, dass sie Teile davon zu glauben scheinen. In Deutschland wird oftmals weiter gestürmt. Allerdings – dies aber nur bedingt mit Häme – gibt es nach eigener Beobachtung auch kein Land, in dem so häufig Führungen abgegeben werden.
Unerfreulich bleiben die Verhaltensweisen, da sie auch hier mehr und mehr Einzug halten. Jedoch potenzieren sie sich, sobald…
2) Die Nachspielzeit
beginnt. Denn eines ist sicher: Die letzte Wechseloption hat sich die führende Mannschaft noch aufgespart. Ja, ja Nachtigall, ick hör dir… Und in praktisch jedem Spiel geschieht es, dass direkt im Moment, da die Nachspielzeit angezeigt wird, der Auswechselspieler zur Seitenlinie trabt. Der Offizielle wartet auf eine günstige Gelegenheit, auf eine Spielunterbrechung, und winkt den Auswechselspieler heran. Der auf dem Feld Betroffene verleiht nun zunächst seiner Verwunderung darüber Ausdruck, dass es ihn, ausgerechnet ihn treffen solle? Er hat nämlich nicht registriert, dass exakt er es war, der sich zum Auswechselzeitpunkt auf der der Ersatzbank entferntesten Position auf dem Platz befand, was per se schon ein gutes Auswechselargument ist. Nachdem es ihm mühsam von Trainer und Mitspielern begreiflich gemacht wurde, dass es tatsächlich ihn betreffen solle, stellt er fest, dass der Trainer wirklich einen exzellenten Grund hatte, ihn auszuwechseln, denn außer seine Position auf dem Feld nicht zu registrieren und die Auswechselnummer nicht erkennen zu können, hat er eine weitere, bislang unbemerkte Malässe: Er ist total erschöpft. Im Moment, da es ihm klar wird, dass er vom Feld muss, stellt er fest, dass die Entfernung zur Bank im Grunde unmenschlich weit ist und er im Prinzip eine Trage brauchte, welche ihm aber partout nicht verfügbar gemacht wird.
Sofern er das Heimtrikot anhat, nutzt er übrigens die letzten verbliebenen Kräfte auf dem Weg zur Wechselbank, um sich von jedem Zuschauer einzeln per … nun gut, zumindest in die eigenen Hände klatschen geht. Er bedankt sich, jeder sieht, dass er unmittelbar an den Tropf gehört, was die Begeisterung noch erhöht, denn der Mann hat nun wirklich alles, bis zur letzten Sekunde, für seinen Verein gegeben. Denn diese 45 Sekunden, die die eigene Mannschaft noch vom Sieg trennte hat er und nur er herausgeholt.
Die Spielfortsetzung ergibt nun einen panischen Angriff der Verlierermannschaft – auch der Sprecher hat längst erkannt, dass sie „viel zu spät aufgewacht sind“ –, der in einem Ballverlust mündet, der Konter verspricht einiges, aber das Publikum ist versöhnlich gestimmt, als nämlich der Ball führende, anstatt geradewegs dem gegnerischen Tor zuzustreben plötzlich eine völlig andere Richtung einschlägt: Er hat noch ein Techtelmechtel mit der Eckfahne vor, denn auf diese strebt er – und hier kann man getrost von „unaufhaltsam“ sagen – zu. An ihr angekommen, plant er die Umarmung, hat aber dabei nicht vor, den Ball aus den Füßen zu geben. Die Gegenspieler – als Beobachter solcher Szenen nähert man sich verdächtig der Überlaufphase eines Dampfdrucktopfes an – versuchen verzweifelt, zumindest den Ball ins Aus spielen zu können, was ihnen zwar gelingt, aber nur unter Inkaufnahme eines stürzenden Gegenspieler, welcher nicht nur schwer verletzt ist, sondern energisch eine Gelbe Karte für dieses rüde und unerlaubte Einsteigen fordert. Der Schiri aber, der mit dem guten Auge, entscheidet „nur“ auf Einwurf — trotz der Gnädigkeit der Zuschauer hat er noch sein kleines Pfeifkonzert verdient, denn was Recht ist muss Recht bleiben und der arme Stürmer an der Eckfahne hat doch lediglich versucht, auf Ehre und Gewissen, den Ball zu behaupten, um ihn im nächsten Moment per Seitfallzieher mit Außenristeffet von der Eckfahne aus im hinteren Torwinkel zu versenken, was jeder im Stadion spürt, nur der fiese Mann in Schwarz nicht — , der Einwurf wird vom Einwurfspezialisten ausgeführt, nachdem die ersten drei Spieler achtlos am von den heimischen Balljungen nur schwerfällig verfügbar gemachten Spielgerät vorbeigelaufen waren, und nur zwei gegnerische Spieler in der Zwischenzeit verwarnt wurden, da sie den Schiri unzulässigerweise auf eine von ihnen unverständlicherweise empfundene Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen versuchten, als der linke Außenverteidiger endlich zur Ausführung an der rechten Eckfahne bereit steht. Nun kann man beobachten, dass auch ein Spezialist seine Schwächen hat. Denn innerhalb der nächsten 13 Sekunden gelingt es ihm nicht, einen einzigen freien Mitspieler aufzuspüren, bis endlich – man beachte, er hat den bösen Blick des Schiris im Augenwinkel bemerkt, der zu erkennen gibt, dass er sich nicht mehr viele solcher Spirenzchen gefallen lassen wird, ohne am Ende noch weitere 3 Sekunden auf die angekündigte Nachspielzeit draufzupacken — der Spezialist den Adressaten findet: Dieser steht zwei Meter fünfzig vor ihm – ja, eben, ein richtiger Spezialist, der für die weiten Einwürfe –, dieser stoppt den Ball, stellt den Fuß drauf und – strebt erneut der Eckfahne entgegen! Dort setzt er sein Rendezvous fort (es ist der gleich Spieler wie zuvor), wird aber jäh aus allen Liebesbekundungen gerissen, als er wirklich rüde von hinten umgehauen wird. Diesmal schwankt der Schiri, Denn für ein solches Einsteigen kann es nur Rot geben. Er blickt gnädig zur Uhr – und pfeift ab! Es waren zwar nur 2:57 Nachspielzeit, aber die Verlierer sollen sich bloß nicht beschweren: Sonst hätten sie noch einen Mann verloren, das Spiel ja sowieso.
Wenn man sich den Text noch einmal durchliest, stellt man fest, dass unter dem richtigen Blickwinkel betrachtet die Nachspielzeit wirklich jede Menge Dramatik liefert. Mit ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl und Beobachtungsgabe ließe sich daraus allein stehend ein ganzes Buch schreiben. Der Titel: „Die bisher unerkannte Dramatik in der Nachspielzeit“ oder so.
Jedenfalls ist eines sicher: Die als Regelfortschritt erachtete Anzeige der Nachspielzeit hat die Spannung in derselben drastisch reduziert. Die Willkür sollte gebremst werden, so die einhellige Ansicht. Anfangs hörte sich die Idee noch ganz ordentlich an. Jedoch zeigte die Praxis recht bald – ein bisher noch nie gehörtes Argument –, dass es nicht zur Spannungssteigerung geeignet ist. Sobald das Auffallen sollte – möge der kleine Text oben dazu seinen Beitrag leisten – empfähle sich eine erneute Regelmodifikation. Denn ein Abfall der Spannung kann dich an sich nicht günstig sein?
Um dem Problem auf die Schliche zu kommen: Die oben erwähnte alltägliche Auswechslung hat, wie man sich unschwer ausmalen kann, einen Grund: Es gibt keine erschöpften Spieler und es gibt auch keine taktischen Erfordernisse, die das rechtfertigen würden. Es gibt nur einen Anlass, es zu tun: Man gewinnt dadurch Zeit. Sofern diese Erkenntnis gewonnen ist – und das dürfte dich nicht schwer fallen? – wäre es an der Zeit, diesem Ärgernis ein Ende zu setzen. Das häufig verwendete, aber so überaus schnöde Argument, dass „es die andern genauso machen würden“ zieht einfach nicht. Es ist das auf dem Tisch tanzende Kind. Es ist eine derartige Absurdität, dass ein solch offensichtlich auf ein einziges Ziel angelegte Verhalten Erfolg zeitigen soll, dass einem die Schamröte ins Gesicht steigen müsste, sofern man dies zu verantworten hätte.
Auch hier gilt: Die Auswechslung darf im Sinne eines Zeitgewinns unter keinen Umständen den gewünschten Erfolg bringen. Sofern man ganz einfach die ablaufende Zeit bis zur vollzogenen Auswechslung verdoppeln würde als Nachspielzeit – der Mann hat sich 45 Sekunden lang bemüht, vom Platz zu kommen, also kommen 2*45 =90 Sekunden auf die angezeigte Nachspielzeit drauf –, dann würde er vielleicht umgehend Flügel bekommen, nein, falsch, schon der Trainer würde zusehen, dass er, falls er noch einen Wechsel vorhat, diesen beizeiten durchführt. Dass der Referee stattdessen das ganze Spektakel mit anschaut und meist nicht eine Zehntelsekunde hinten ranhängt, ist unfassbar.
Dass aber der Angreifer bei Ballbesitz Richtung Eckfahne strebt, ist ebenfalls ein Unding, hat sich aber in der Praxis durchgesetzt. Übrigens wurde das erstmals beobachtet – man möge gerne Archivaufzeichnungen dieses Spiels heranziehen – als die polnische Mannschaft gegen die UdSSR bei der Fußball Weltmeisterschaft 1982 zu spielen hatte. Die Gruppenkonstellation war die, dass Polen ein 0:0 genügte, die UdSSR eine Sieg brauchte. Es waren aber ausgerechnet die Jahre des polnischen Aufstandes durch Lech Walesa und Solidarnoscz, welches Polen das russische Embargo einbrachte. Diese Spiel wurde in gewisser Weise zum Krieg und das 0:0 wurde den Polen weltweit gegönnt, Nur so ist zu erklären, dass damals schon polnische Spieler bei Ballbesitz die Eckfahne anstrebten und damit die Russen zum Narren hielten, Der Schiri wusste kein Mittel aber fühlte sich möglicherweise von der Welt geschützt. Das zweite Mal war es übrigens bei einem Ausscheidungsspiel zwischen Trinidad und Tobago und wem auch immer, zur Weltmeisterschaft 2006. Es war das letzte Spiel der WM-Quali und Trinidad und Tobago brauchte nur noch dieses Remis, welches ebenfalls mit diesem Mittel erzwungen wurde. Seitdem – das große Vorbild Trinidad und Tobago? – wird es auf allen Fußballplätzen der Welt eingesetzt – mit der kleinen Einschränkung, dass der Führende doch bitte die Heimmannschaft sein möge.
Der Erfolg jedenfalls scheint diesem Manöver garantiert. Der Ball ist einfach nicht zu erobern. Man schaue sich die Spielsituation einmal an oder halte sie sich plastisch vor Augen: Ein exzellenter Fußballer, der so ziemlich alles mit dem Ball kann, beabsichtigt nichts weiter, als ihn auf dem Schnittpunkt zweier Auslinien zu behaupten. Er stellt seinen Fuß darauf und stellt seinen Körper zwischen sich und den Ball. Wie, bitte schön. außer mit einem Foulspiel soll man ihn erobern? Die einzige entfernte Möglichkeit besteht darin, ihn per kick unter der Schuhsohle ins Aus zu befördern. Die Spekulation, der man sich gerne hingeben darf, dass doch logischerweise nicht eindeutig sein kann, wer ihn dann tatsächlich als Letzter berührt haben müsste, sei nur am Rande erwähnt: Die Entscheidung fiele eindeutig aus. Einwurf für den Ballbehaupter. Und das geht über einen endlos lange Zeitraum.
Die Erkenntnis der Spieler ist eindeutig: Besser, auf Ballbehauptung auszugehen – welcher nach obiger Beschreibung fast sicherer Erfolg beschieden ist –, als einen Konterangriff mit ernsten Torabsichten zu fahren. Denn falls man so vorgehen sollte ist die Chance immer noch klein, dass es wirklich gelingt, während die Ballverlustgefahr so groß ist, wonach der Gegner seinerseits noch eine Angriffsmöglichkeit hätte, mit offenem Ausgang. Das lächerliche „Eckfahnengeplänkel“ hat einem Torangriff zwecks Erzwingung der eigenen Zeile den Rang abgelaufen.
Gesagt oder gemerkt hat das anscheinend noch keiner. Denn sowie man es feststellt gibt es nur eins: Eingreifen, etwas ändern, da muss etwas geschehen, das ist nicht mit anzusehen, unerträglich, Zuschauer vergraulend.
Vorschlag zunächst: Die geschundene Zeit wird zumindest doppelt draufgeschlagen. Überhaupt wird das Zeitspiel in der Nachspielzeit ziemlich übertrieben, nicht nur in den beschriebenen zwei Situationen. Man darf sehr wohl die Begriffe „Offensichtlichkeit“ und, damit einhergehend „Schiedsrichters Ermessensspielraum“ ins Regelwerk mit aufnehmen: Sofern es sich, wie oben einfach nicht anders zu erkennen, um offensichtliches Zeitspiel handelt, obliegt es dem Schiedsrichter, dieses einfach zu unterbinden. Einerseits könnte es mit Freistoß geahndet werden, andererseits mit der entsprechenden Erhöhung der Nachspielzeit.
Sehen will solche Aktionen keiner, außer dieser paar Fans (welche, zugegebenermaßen, gerade in der Umgebung des Schiedsrichters in der heimischen Überzahl sind). Jedoch wird wieder und wieder betont, dass Fußball durchaus ein Sport sein könnte, der für jedermann attraktiv, spannend und schön anzuschauen ist , auch ohne Fanleidenschaft. Abgesehen davon stehen im Schnitt diesen Fans die gleiche Anzahl gegnerischer Fans gegenüber, deren Empfindungen gerade umgekehrt sind – während es dem neutralen Zuschauer im Grunde egal sein könnte, wer nun von diesem Verhalten profitiert, den nur Ungerechtigkeiten im Allgemeinen verärgern, verjagen –, und bei denen man, analog zu dem Ausrasten des ungerecht behandelten Spielers, durchaus mit unartikulierter, aber deswegen nicht weniger gezügelter Wut rechnen kann, was in der Praxis oft genug geschieht. Die Presse zieht über die üblen Krawallmacher her, jedoch macht man sich im Grunde nicht klar, dass diese Fanwut oftmals ihre Ursachen in offensichtlichen Ungerechtigkeiten hat, welche, selbst bei Befähigung, nicht ausgesprochen werden können/dürfen. Die Wut, die Aggression muss raus. Und sie bahnt sich ihren Weg.
Selbst wenn man immer wieder ein Abschweifen in der Argumentation beobachten kann, hier im Text, so darf doch ruhig immer wieder betont werden, dass die Dinge alle miteinander zusammenhängen. Der Leser könnte nach und nach für die zahlreichen Ungereimtheiten – von denen er mit Sicherheit ausreichend viele selbst aufgespürt hat, es sei denn, dass er sich bereits abgewendet und abgewunken hat – sensibilisiert werden, insofern ist das Schweifen durchaus beabsichtigt. Die Argumente kehren wieder und sind an vielen Stellen einsetzbar. Abgesehen davon, dass man sich als Autor auch an dieser oder jener Stelle mal schreibenderweise aber unbeabsichtigt in Rage bringt.