Die so genannten „whistleblower“ haben derzeit – Stand: September 2019, mit ungewisser Zukunft – Konjunktur. Insofern möchte sich der Autor hier einmalig als Trittbrettfahrer versuchen, auf den mit sich so Bezeichnenden überfüllten Zug aufspringen und ebenfalls mal kräftig in die Pfeife blasen. Sein Thema: der moderne Fußball.
Es gibt eine gigantische Menge an Hinweisen, dass es dem Fußball gar nicht so gut geht, wie es vielleicht noch immer den Anschein haben mag. Eher ist es sogar so: der professionelle Fußball steht kurz vor dem großen Crash, wie einst die großen Börsencrashs in den USA 1929 oder jener des „Neuen Marktes“ im Jahre 2000. Auch hier ist davon auszugehen, dass es so gut wie jeden Beteiligten, aber auch die Unbeteiligten, völlig überraschend traf, quasi von einem Tag auf den Anderen, von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt.
Auf den Fußball bezogen iese Alarmsignale sind an einzelnen Stellen aufzuzeigen, welche hier Punkt für Punkt angesprochen, kurz vorgestellt und später en detail näher beleuchtet werden sollen. Wobei hier keineswegs ein Anspruch auf Vollständigkeit gestellt wird. Noch ein paar weitere Worte der Einführung dennoch vorweg.
Der Vergleich mit „des Kaisers neuen Kleider“ hat sich in letzter Zeit mehr und mehr aufgedrängt. Auch in dieser kleinen Geschichte hatte ein jeder offensichtlich ausreichend viel Anlass, über des Kaisers neue Kleider den Mund vor Staunen gar nicht mehr zu zu bekommen, andererseits jedoch hatte der gleiche Staunende aber vielleicht, jeder für sich, genau so viel Anlass, darüber zu staunen, dass er selbst gar keine Kleider sehen konnte, über die er gerade zu staunen hatte, da alle anderen es auch taten und er dies zwangsläufig der eigenen Sinnesverwirrung zuschreiben musste, dass er so rein gar nichts an dem Kaiser sah außer das berühmte Adamskostüm. Erst ein Kind musste mit seiner „Naivität“ herhalten und auch in dieser kleinen Geschichte in die Pfeife blasen, dass die Menschen wieder ihrer eigenen Wahrnehmung vertrauten: der Kaiser hatte nichts an, man hatte, in gegenseitiger, ungewollter Übereinkunft, die gesamte Zeit über eine Fata Morgana bestaunt.
Ähnlich ist es beim Fußball. Jeder spürt also im Grunde, dass der Fußball krank ist, und das nicht nur in unerheblichem Maße. Nur spürt es zwar jeder Einzelne, aber genauso sieht sich dieser Einzelne nicht mit der ausreichenden kindlichen Naivität ausgestattet, endlich mal auszusprechen, was er sieht: es ist ein Windei, es ist eine Mogelpackung, es ist ein golden angemalter Riesennugget, in dem sich nichts weiter als ein faules Ei verbirgt. Man soll strahlen, wenn man das Wort „Fußball“ hört, aber im Grunde fühlt man viel eher: „Fußball? Nichts wie weg!“
Da stünden an: 90 Minuten ärgern und schimpfen – und/oder viel, viel Langeweile. Und viele, viele hässliche Szenen. Von fairen Gesten, von wahrer Emotion, die auch Trauer und Anteilnahme umfasst, von wahrer Herzlichkeit, auf oder neben dem Platz, nach alldem man sich so sehr sehnte: keine Spur.
Jeder Leser mal bitte Hand aufs Herz: macht es wirklich Spaß, sich ein Fußballspiel anzuschauen? Vor allem: macht es Spaß, sich 90 Minuten lang ein Spiel anzuschauen, in welchem die eigene Mannschaft nicht beteiligt ist?
Woran könnte man dies nun festmachen, dass sich die Leute dem „Kleinkind Autor“ hier anschließen und ebenfalls darauf aufmerksam machen, dass sie das so nicht mehr hinnehmen wollen, dass es dringend an der Zeit ist, etwas anders zu machen, es wieder zu dem Spiel machen, was wir als schön, spannend, attraktiv, faszinierend, begeistern, fesselnd, mitreißend eines Tages entdeckt haben und was uns in seinen Bann gezogen hat, so dass wir es eigentlich als lebenslangen Zeitvertreib, im selber spielen oder zuschauen, ausgemacht hatten?
Ein kleiner Vergleich noch: in der Rock-Oper „Tommy“ war der taube, stumme und blinde Junge König unter den Flipper-Spielern. Selbst Elton John war abgemeldet und gegen ihn chancenlos. Nun liefen ihm seine Jünger hinterher und wollten erlernen, was ihn so gut machte und wie er es machte? Alle kamen zusammen in „Tommys Holiday Camp“. Nur merkten auch sie in einem Moment, dass nichts dahinter war und sie lehnten sich urplötzlich gegen ihren Messias auf, indem sie sich zusammenschlossen und plötzlich einen Aufstand wagten und sämtliche Flipper zerlegten und dazu immer wieder skandierten „we´re not gonna take it!“ „Never did and never will“. So wollen wir es nicht, so wollten wir es nie und so werden wir es nie wollen.
So, wie es vor den großen Börsencrashs sicherlich die whistlebower hätte geben können oder sich beim Kaiser, schon bevor das „naive“ Kind den Mut hatte, es unbedacht auszusprechen, was es sah, sich ein Selbstbewusster hätte eingefunden haben können, ausrufend „schaut doch mal genau hin, der Kaiser hat rein gar nichts an! Das findet ihr schön und spielt Begeisterung?“, so dürfte es beim Fußball wohl auch ein paar Warner geben, die schon längst erkannt haben, dass „das längst nicht mehr ihr geliebtes Spiel ist, was sie einst in den Bann zog.“ Nur: der „Börsenwarner“ war derjenige, der seine Aktien gewinnbringend verkauft hat anstatt in die Pfeife zu blasen, und er hat den Crash, anstatt ihn anzumahnen, zuerst ausgenutzt und zugleich damit ausgelöst, der ehemalige Fußballfan hat befunden: „ohne mich!“ und hat seine Leidenschaft schlichtweg an den Nagel gehängt. Er mag hier und da mal wieder in gewisse Wehmut verfallen, wenn er sieht, was aus seinem schönen Spiel geworden ist, wenn er zufällig mal vorbeischaut, aber er wird seine Enttäuschung für sich behalten und vor allem nie mehr einen Cent dafür ausgeben.
Die Unterteilung der Missstände sollte in einzelne Punkte erfolgen. Als grobe Überschriften ließe sich dies hier nennen: das Spiel Fußball selbst, die Zuschauer, die man gerne hätte oder jene, die man hat, die Regeln des Spiels und die Berichterstattung über den Fußball, die Medien also im Umgang damit, allgemeiner gesagt. Selbstverständlich hängen die Punkte untereinander zusammen, haben Schnittstellen, an allen Ecken, Enden und Kanten, insofern wäre die Akzeptanz eines einzigen Punktes vermutlich schwerlich abzukoppeln von jener der anderen. Also: „das stimmt“ und „das stimmt nicht“ geht vermutlich nicht so gut auf. Man muss schon zuerst über den eigenen Schatten springen und sich der Möglichkeit aufschließen, es für möglich erklären, dass der Crash bevorsteht oder auch dem Umstand, dass der Kaiser gar keine Kleider anhat, welche man nun dauerhaft und konsequent als „wunderschön“ erachtet hat, sich nicht trauend, das Gegenteil zu erkennen und vor allem, wenn sie es täten, es auszusprechen. Die Alternative des Abwendens ist übrigens eine jener, welche viele wählen und welche zugleich Anlass bietet, die Pfeife zu benutzen. An ihr ist nichts auszusetzen, nur dürfte man gerne erkennen, wie viele dies zur Zeit tun.
Teil 1: der Fußball selbst.
Der moderne, professionelle Fußball ist hässlich. Angeblich ist das alleinseligmachende der Sieg – hier bereits die erste Verknüpfung der Punkte: von den Medien dazu erklärt – und dementsprechend verhalten sich die Spieler auf dem Platz, aber auch die sie Umgebenden, wie Trainer, Manager, Verantwortliche, aber auch und insbesondere (Verknüpfung Nummer 2) die „Fans“.
Die Hässlichkeit ist beispielsweise in Zweikämpfen, in „Verletzung billigenden“ Grätschen, in permanentem Fußball Verhindern durch die Defensivspieler festzumachen, denen jedes Mittel recht ist, den Gegenspieler nicht auf und davon ziehen zu lassen. Sprich: spätestens, wenn der Abwehrmann ausgespielt wäre – eine Szene, die einen wahren Anhänger des Spiels mit der Zunge schnalzen ließe – packt er die Grätsche aus, die längst nicht mehr dem Ball gilt.
Verletzungen gibt es fast zwangsläufig in jedem Spiel. Aber das sind nicht nur einfache Zerrungen, Überdehnungen oder andere Muskelverletzungen, nein, kaum ein Spiel, wo nicht mindestens zwei Spieler mit den Köpfen zusammenrauschen und blutend zu Boden gehen oder die Knochen krachen, Spieler abtransportiert werden müssen. Richtig üble Verletzungen wie Knochenbrüche, Gesichtsverletzungen jeglicher Art – von Ellenbögen ausgelöst –, Bänder- und Sehnenrisse, Kreuzbandrisse und was nicht alles sind fast an der Tagesordnung. Fragt man sich nicht ab und zu: warum gab es das früher nicht in dieser Häufigkeit, was hat sich verändert, wer hat hier die Vorgaben gemacht, dass man sich „bis aufs Blut“ bekämpft und bald derjenige zum Sieger erklärt werden könnte, wie im alten Rom bei den Gladiatorenkämpfen, der als Letzter noch auf den Beinen geblieben ist? Nein, es ist hässlich, es ist traurig und es war früher nicht so.
Auch im Umgang miteinander, auf dem Platz, aber auch neben dem Platz gibt es fast nichts, was einem das Herz erwärmen könnte. Man bekämpft sich mit allen Mitteln, verbale, psychologische Kriegsführung, Nickeligkeiten, Beschimpfungen, Provokationen, die ganze Palette der Hässlichkeiten wird ausgeschöpft, alle Register gezogen, um irgendwie den Platz als Sieger zu verlassen. Auch hier die Frage: soll das schon immer so gewesen sein? Ist es das, was man sehen möchte? Ist es das, was dem Zuschauer Spaß macht? Nein, ist es nicht. Man kann es hinnehmen und weiterhin der Illusion einer heilen Welt nachjagen, man kann sich rauserklären, wie es viele schon getan haben – oder man kann den Mund aufmachen, sich zusammenschließen und ausrufen: „We´re not gonna take it!“
Fazit: es war mal schön. Es ist nicht mehr schön. Es ist hässlich. Jeder Verantwortliche würde jederzeit die Parole unterschreiben „heute gilt es, die drei Punkte einzufahren, egal wie!“ Und wenn dabei erneut einer der viel zitierten „dreckigen Siege“ herausspringt, dann kommt das medial gesehen eher einem Ritterschlag gleich als einem Armutszeugnis, welches es eigentlich sein sollte. Denn es lässt nur eine Schlussfolgerung zu: die bessere Mannschaft hat verloren, der Sieger hat grenzwertige Mittel eingesetzt und hat den Sieg irgendwie über die Ziellinie gebracht, mit Zeitschinden und provozieren und allem, was so dazu gehört, damit es das Adjektiv „dreckig“ auch verdient.
Die Nachbetrachtung von „in zwei Wochen fragt eh keiner mehr“ ist ebenfalls nur Medienvorgabe und „self-fulfilling prophecy“: wenn die Medien zwei Wochen später die „tolle Serie“ loben anstatt die „drei dreckigen Siege“ hervorzuheben, dann haben sie es wahr gemacht: nicht nachgefragt, Ergebnisse und Tabelle gelesen. Wer oft so hässlich und dreckig gewinnt, ist gut. Schau auf die Tabelle.
Teil 2: die Zuschauer
Die Zuschauer verdienen einen eigenen Teil. Denn selbstverständlich sind sie mitverantwortlich dafür, wie es läuft. Sollten sie nämlich Tommys Holiday Camp verlassen und die hier häufig zitierte Zeile nicht nur skandieren sondern den Worten Taten folgen lassen – nicht, indem sie, wie bei Tommy die Flipper Automaten alternativ sämtliche Stadien oder Züge oder gegnerische „Fans“ zerlegen, obwohl der Gedanken ihnen gelegentlich gar nicht mal so fern zu liegen scheint, sondern schlichtweg den Geldhahn zudrehen und anstatt nur „We´re not gonna take it“ zu singen einfach mit „we´re not gonna pay it“ reagieren –, dann hätte man, auf allen Ebenen, im Nu die Quittung für die Vergewaltigung des einst so schönen Spiels. Das „böse Erwachen“ ganz einfach umschrieben: Sky pleite, keine Fernsehmillionen mehr in die Clubkassen, Insolvenzen allerorten, viele Arbeitsplätze im Umfeld in Nullkommanichts weg, nun, was benötigte man noch für eine handfeste, anhaltende Krise, welche dem genannten Börsencrash gleich käme?
Der Zuschauer finanziert das ganze Geschäft. Kümmern tut man sich allerdings herzlich wenig um ihn. Höchstens, dass mal wieder der Zeigefinger gehoben wird und es heißt „das sind doch keine Fans für mich, das sind Hooligans, die den Fußball gefährden, denen müssen wir Stadionverbot erteilen, weltweites Reiseverbot, das sind diejenigen, welche den Fußball kaputt machen und nicht jene, die ihn finanzieren. Weg mit denen, am besten in den Knast!“
Nun wäre dies schon etwas mehr als nur „der Zeigefinger erhoben“. Aber dennoch würde man vielen Menschen aus dem Herzen sprechen. Vielleicht würden sich sogar ein paar mehr wieder in die Stadien wagen, wenn es KEINE Fankriege gäbe, KEINE Bengalos, KEINE Schmähgesänge auf den Gegner, den Schiedsrichter, auf den Trainer, welcher die unerhörte Dreistigkeit aufbrachte, schon drei Spiele in Folge NICHT gewonnen zu haben, keine Verunglimpfungen des „Legionärs“, welcher seit seinem Eintreffen noch kein einziges der versprochenen Tore erzielt hätte oder jenen „Huldigungen“ an den eigenen Torwart, der schon in zwei Spielen hintereinander mit einem nicht ordentlich abgefangenen Flankenball und dem Gegentor die Niederlage eingeleitet hat. „Wir sind Schalke (oder Dortmund, Kaiserslautern, Duisburg, Hannover, Düsseldorf, Frankfurt….) – ihr nicht!“ und sich damit alles erlauben dürfen, sogar „ihrem“ Kapitän die Binde entreißen, wie jüngst geschehen.
Trotzdem dürfte man „offiziell“ ruhig mal darüber nachdenken, warum so viele der „Fans“, welche das Geschäft zu finanzieren hätten, sich so aufführen, wie sie es tun? Es einfach nur darauf zu schieben „das sind halt Idioten, die wollen den Fußball kaputt machen“ oder wie auch immer das unerfreuliche Urteil ausfallen mag, ist kurzsichtig und oberflächlich. Das Nachdenken darüber könnte folgende Erkenntnisse zutage fördern: mit der Art und Weise, wie der Fußball derzeit gespielt wird – vielleicht eher als „Kampfsportart“ zu bezeichnen – bleibt ihm halt ein gewisses Klientel als Zuschauer erhalten. Menschen, welche sich für Kunst, Schönheit, Ästhetik, Athletik, für reinen oder schönen Sport interessieren und an ihm Gefallen finden: die sind längst nicht mehr da, sind abgewandert, teilen ihr Interesse und ihre Aufmerksamkeit anderen Sportarten zu. Selbst wenn mit der gewissen Wehmut: „Schade, Fußball war schon früher mal mein Sport, aber heute?“
Den Zuschauer zum Beispiel mal befragen wäre eine Idee. Was möchte dieser gerne sehen? Wie müsste ein Spiel sein, damit es Spaß macht, es anzuschauen?
Hier wäre einzufügen, was vorher schon einmal durchgeklungen haben mag: wer ist eigentlich der Zuschauer, im Stadion oder vor dem Bildschirm? Sind es quasi nur noch „Fans“, welche sich ein komplettes Spiel anschauen? Fans dieser Mannschaft oder Fans jener Mannschaft. Keine neutralen Zuschauer mehr, die ein Spiel schauen einfach, weil Fußball gespielt wird, weil sie Fußball lieben, schon von klein auf, und weil es Spaß macht, Fußball anzuschauen, ohne sich mit dieser oder jener Mannschaft zu identifizieren.
Falls es nämlich gelänge, diese neutralen Zuschauer zurückzugewinnen, dann müsste man sich um die Zukunft keine Sorgen mehr machen. Diese wären so haushoch in der Überzahl, dass es unbedeutend würde, wie viele „Fans“ dieser oder jener Mannschaft eigentlich dabei sind. Allen macht es Spaß, es geht fair und gerecht zu, es gibt Torsituationen und Tore, beides in größeren Mengen, es gibt keine hässlichen Fouls mehr, weil sich alle einig sind, dass es nicht in erster Linie um den Sieg geht sondern dass es in erster Linie darum geht, denjenigen nicht zu vergraulen, der das ganze Business am Laufen halten soll, dass man diesem vor allem eine gute Unterhaltung zu bieten hat, eine, die auf seine Bedürfnisse abgestimmt ist, die alles enthält, was ihn wieder und wieder das Ticket lösen lässt, das Stadion besuchen, den Fernseher einschalten, vielleicht die Cafés und Kneipen zu besuchen, in denen Spiele übertragen werden : den Zuschauer. Befragen tut man ihn nicht. Sollte man aber. Die Illusion, dass man nicht zu fragen hätte weil er schon gesprochen hat, indem der Rubel rollt, ist, was es ist: eine Illusion.