Thesenprinzipgespräch
Hier einmal ein denkbares fiktives Gespräch aufgezeichnet, welches vielleicht das komplexe an der ganzen Geschichte noch ein wenig näher bringt. Ziel ist weiterhin, Leser zu finden. Denn, noch einmal kurz in Erinnerung gebracht: das Thema „Fußball“ ist gigantisch groß, genau so groß jedoch die Verbreitung von (meist selbst ernannten, macht aber nicht den geringsten Unterschied) Experten. Insofern hätte jeder, der etwas darüber lesen sollte, genau so viel Zeit dafür aufwenden, wie er benötigte, um das Wörtchen „Einspruch“ auszusprechen. „Weiß ich schon alles, nur halt noch etwas besser als du.“ Der Experte möchte zu Wort gebeten werden und keineswegs etwas darüber lesen. Welche Horizonterweiterung hätte er denn bitte zu erwarten?
Das Gespräch findet nun in etwa so statt. Man sitzt beispielsweise mit einem neuen Arbeitskollegen zusammen, in der Absicht, sich näher kennen zu lernen und die Bürostunden ruhig mal Bürostunden sein lassen. „Hey, ich hab ein paar Thesen über den Fußball aufgestellt.“ „Hab ich auch, man müsste endlich den Videobeweis einführen, weil…, dann ist der vierte, fünfte Offizielle eine Farce, dann regen mich die Schwalben enorm auf, die überhöhten Gehälter und Ablösesummen sind ja nicht mehr real und…“ Man unterbricht nun, so schwer es auch ist, den Redefluss zu stoppen und so einhundertprozentig recht der Mann auch hat und und und…
„Nein, ich meinte, ICH habe ein paar Thesen, die klingen etwas anders.“ Nun gut, widerwillig erklärt der Mann, bei dem Versprechen, ihm später ein Bier auszugeben, sich für auf eine kurze Schweigeminute einzulassen. „Also meine erste These lautet so: Fußball ist ein reiner Fansport.“ Man spürt, wie der Mann doch für einen kurzen Moment überrascht ist. „Ja, und? Was heißt das?“ „Ist das eine Zustimmung oder ein Widerspruch?“ setzt man nach. „Keine Ahnung, ich verstehe es nicht, sehe aber auch kein Problem daran.“
Nun, immerhin für den Moment gelungen, dass er zu weiteren Ausführungen bereit ist. „Reiner Fansport heißt, dass jeder Zuschauer, der im Stadion oder vor dem Bildschirm sitzt entweder für die eine oder die andere Mannschaft ist, jedoch keiner der Zuschauer neutral ist.“
„Ja, und? Es gibt unendlich viele Fans und außerdem warum sollte man denn gucken, wenn man keinem der Beiden die Daumen drückt?“ Man muss nun die erste Frage wiederholen: „Ist das nun eine Zustimmung oder eine Widerrede?“ Recht haben könnte man im Prinzip nicht, da die Aussage „reiner Fansport“ in dieser Form noch nicht gehört wurde, also kein Thema ist und auch keines sein kann, schon gar nicht die Beobachtung stimmen. „Nein, die These ist falsch. Ich denke, es gibt sehr viele Menschen, die ein Bundesligaspiel zum Beispiel am Abend in einer Kneipe mit Sky anschauen. Oder auch beim Freundesbesuch. Oder auch mal so ins Stadion gehen.“ Nun gut. Es gibt den zu erwartenden Widerspruch.
Man wagt sich einen Schritt weiter vor: „Schaust du denn Spiele ohne eine Beziehung zu einer der beiden Mannschaften?“ „Ja, äh, nein, also, klar, die Sportschau und so, WM Halbfinale Brasilien – Italien hab ich auch geschaut, sogar Real – Atletico im Championsleague Finale.“ Nun, klar, es gibt die absoluten Ausnahmeereignisse, der Gesprächspartner triumphiert, denn immerhin hat er was parat. Dennoch insistiert der Gegenüber: „Na gut, Großereignisse, WM, Champions League, alles klar. Aber es wäre mehr die Frage, ob du es regelmäßig tust. Die Sportschau, nebenbei bemerkt, zählt schon mal gar nicht. Es geht um ganze 90 Minuten. Heute Abend zum Beispiel VfL Bochum – Fortuna Düsseldorf. Bist du dabei?“
„Ja, ok, nein, also so wirklch, heute Abend? Hatte ich schon was vor. Und überhaupt; Zweitligafußball? Nein, wenn dann mal Erste Liga, frag mich dann doch noch mal.“ „ok. Noch mal kurz zurückzukommen auf die Leute in der Kneipe. Warst du da schon mal dabei?“ „Ja, klar, kommt sogar öfter vor.“ „Habe ich auch schon gemacht. Zu Beobachtungszwecken. In Berlin. Ergebnis: wenn die Hertha nicht spielt, dann läuft zwar Fußball, aber a) schaut keiner hin und b) ist der Ton aus.“ „Also bei uns war einmal der Ton an. Als Bayern gegen Dortmund lief.“ Nun ja, aber irgendwie ist der Mann doch „ertappt“. Ganz kurz zur Ergänzung und Klarstellung: „Wenn du ehrlich bist: wenn nicht der lokale Club übertragen wird, dann flimmert die Kiste vor sich hin, keiner schaut und noch weniger hört, da Ton aus. Man kennt das Zwischenergebnis und trinkt sein Bier. Wenn mal ein Tor fällt, dann stößt einen irgendeiner an, und man schaut sogar die Wiederholung an. Stimmts?“ „Na, das stimmt schon etwa so.“
Zurück zur Ausgangsfrage: „Schaust du regelmäßig Fußballspiele über 90 Minuten?“ „Na, nein, also nicht wirklich, das stimmt schon, aber ich bin ja auch gar kein so richtiger Fan oder so. Ich schaue meinen VfB, die Sportschau, alle zwei Jahre die großen Turnier…“ noch einmal das Wagnis, ihn zu unterbrechen, „aber nur wenn Deutschland spielt…“. „Ja, das stimmt schon, nur bei Deutschland Spielen bin ich dabei. Ansonsten doch, klar, Halbfinale, Spanien – Frankreich oder so.“
Die Wahrheit ist einfach die: er schaut auch nicht. Der Widerspruch war zwar partout eingelegt, aber er hält nicht ernsthaft stand. Fußball schauen, einfach so? Wer macht das schon? Tut eben keiner.
Heißt aber lange noch nicht, dass der Mann nun etwa „gefügig“ wäre. „Ja, ok, reiner Fansport hin oder her. Ist mir total egal. Ich schaue, wenn mein Club spielt, weil es mir Spaß macht und ich schaue die besonders großen Spiele und ich schaue Deutschland. Sportschau gehört dazu wie ein Grillfest zum Sommer oder so. Na und? Ich kenne mich aus, selbst wenn ich darüber, was du sagst noch nicht nachgedacht habe. Höchstens das gebe ich zu. Aber ein Problem ist weit und breit nicht in Sicht. Die Stadien sind voll, die Gehälter utopisch und die Ablsösesummen erst, das sprengt ja jegliche Vorstellungskraft, Neymar…“ „Nein, halt, Bier war versprochen, deine Thesen machen wir nächstes Mal, jetzt sind meine dran. Ich erhöhe sogar auf zwei Bier, weil ich schon wieder unterbrechen musste.“ „Ok, dann, red du weiter…“
„Ok, also du schaust, wie fast jeder sonst, ein Spiel nur dann, wenn du emotional mit von der Partie bist, richtig?“ „Ja, richtig, war doch geklärt.“ „Ok, regst du doch während des Spiels auf, wenn dein VfB spielt?“ „Ob ich mich aufrege? Und ob ich mich aufrege! Wenn einer von uns gelegt wird, kriegen wir keinen Elfer, wenn ein Stürmer von denen stolpert, zeitgt der aufn Punkt. Da soll man ruhig bleiben? Wenn unser Mann frei vorm Tor ist, soll Abseits gewesen sein und ich stehe genau auf der Linie und sehe doch, dass es nicht stimmt. Oder neulich lagen unsere zurück, gegen Werder, da ham die in der Nachspielzeit nur noch die Eckfahne angegriffen und zwei Mal ausgewechselt! Der Schiri hat keine einzige Sekunde drangehängt an die drei Minuten! Nee, ich könnte schon wieder ausrasten!“
„Du weißt aber schon, dass dir keiner zuhört, wenn du das sagst?“ „Na, ungerecht war es auf jeden Fall. Das haben die Bilder später gezeigt, hätte Elfer geben müssen und das eine Mal war wirklich kein Abseits.“ „Nein, so meine ich nicht: in den Situationen hast du sicher recht. Zuhören tut nur keiner, weil du es als Fan sagst.“ „Oh, ja, könnte sein. Aber Himmel schreiend ungerecht war es trotzdem.“ „War es doch. Bleib mal aufm Boden. Ich meine, dass es ungerecht war, gebe ich dir ja recht, nur hat ver VfB nicht zwei Wochen davor auswärts von einem nicht gegebenen Elfmeter gegen sie profitiert?“ „Doch, stimmt, weiß ich auch noch, ja, gegen Hoffenheim war das, das meinst du doch?“ „Exakt.“
„Das Problem ist also: es gibt permanent Ungerechtigkeiten und diese gleichen sich irgendwie schon aus.“ „Nein, muss ich widersprechen, gab doch neulich mal eine Untersuchung, wer davon mehr profitiert hat und so.“ „Ach, das ist zufällig und passiert mal so, mal so. Der Bayern-Massel, wie man so schön sagt, kommt doch nur dadurch zustande, dass sie eben doch öfter die gefährlichen Situationen am Ende produzieren, da sind sie halt einmal häufiger im Strafraum und kriegen vielleicht eher mal nen Elfer, weil sie überhaupt vorne sind.“ „Stimmt schon, kam ja so auch gar nicht raus bei der Studie.“
„Also, dass der Fan, der du in dem Moment bist, sich aufregt und Ungerechtigkeiten empfindet liegt daran, dass er die an ihm verübten stark wahrnimmt und die umgekehrten, von denen seine Mannschaft profitiert, kaum registriert, sie sozusagen als Ausgleich schlicht hinnimmt, auf diese Art erhalten sie aber keine erhöhte Aufmerksamkeit. Ist das einleuchtend?“ „Ja, schon, weiß ich doch auch. Ich rege mich auf – und nächste Woche freu ich mich über den Sieg, obwohl es auch nicht ganz gerecht so war. Aber trotzdem regt man sich doch auf? Das ist doch wohl klar?“ „Sicher ist das klar. Vielleicht kommen wir aber darüber allmählich zu dem Folgeproblem von These 1?“
„Und zwar, wie lautet dieses Problem?“ „Nun, wenn irgendeiner, praktisch egal wer, sagen würde `der Fußball ist ungerecht´, dann hätte er als bestmögliche Reaktion Gelächter zu ernten. Denn: er gilt automatisch und per se als befangen. Er ist nämlich Fan – wie du eben bestätigt hast, dass es nur ein solcher schaut – und würde sich, wie du es auch tust, an den an seiner Mannschaft verübten Ungerechtigkeiten aufreiben, die umgekehrten aber verschlucken. Klar?“ „Ja, klar, ich kann folgen.“ „Es gibt Niemanden, der sagen könnte, dass da was faul ist am Fußball. Die Trainer beißen sich auch schon auf die Zunge nach den Spielen, denn sie regen sich genau so auf wie du, und sie wissen auch, dass das alles nicht korrekt so war, nur dürfen sie genau in dem Moment nichts sagen. Also schlucken sie den Ärger runter und sagen: