- Roulette
- Schach
Als ich bereits 13-jährig das Schach entdeckte, war ich dem Spiel sofort verfallen. Es war auch das Jahr 1972, das Jahr, in dem das legendäre Match zwischen Bobby Fischer und Boris Spasski stattfand. Ich habe mir sofort Schachbücher besorgt und allesamt aufmerksam studiert. Dann gingen mir allmählich die Spielpartner aus und Anfang 1973, gerade 14-jährig, trat ich einem Schachclub bei.
Da gab es natürlich Spieler aller Klassen, auch mir weit überlegene. Ich ließ mich aber nicht entmutigen und studierte fleißig weiter. Da meine bis dahin geplante Fußballerkarriere ohnehin nicht allzu erfolgreich verlief, verschrieb ich mich vollends dem Schachspiel.
Es gelang mir ein ziemlich rasanter Aufstieg von der untersten Spielklasse bis in die höchste Spielklasse innerhalb von 4 Jahren. Mit 18 Jahren gab ich also bereits mein Debüt in der Bundesliga und wurde zeitgleich auch Clubmeister.
In bester Erinnerung habe ich noch ein Turnier, welches ich ziemlich am Anfang meiner Karriere spielte. Ich durfte noch als so genannter „Ungesetzter“ starten. Für die Ungesetzten gab es einen Extra Preisfonds, obwohl alle Teilnehmer im gleichen Feld spielten. Ich schwänzte am Sonnabend die Schule, um mitspielen zu können. Und ich gewann tatsächlich bei den Ungesetzten den (geteilten) 1.Preis. Und das waren immerhin 125 DM! Weit mehr, als ich damals an Taschengeld bekam, denn das lag noch bei 20 DM.
Ich spielte dann noch viele weitere Turniere und konnte mein Taschengeld auch regelmäßig aufbessern. Noch träumte ich von der großen Karriere. Ich fuhr zu den ersten Internationalen Open Turnieren, um mich da mit Topspielern zu messen. Einmal ging ich sogar 4 Wochen lang Zeitungen austragen, um mir die Reisekosten zu verdienen.
Es gab sicherlich hier und da mal ein paar Preise, die ich gewann. Doch meistens waren die Kosten höher. Die schönsten Turniere waren natürlich die, wo man eingeladen wurde. Und für Jugendliche und talentierte Spieler gab es natürlich auch Fördermittel, über den Deutschen Schachbund. Leider war mein Verhältnis zum Deutschen Schachbund nie besonders gut. Ich habe mich nicht so ohne weiteres verbiegen lassen und immer meine Meinung gesagt. Das brachte mir ein schlechtes Image ein. Die Einladungen blieben aus.
Dennoch konnte ich mehrmals die Deutsche Jugendmannschaftsmeisterschaft spielen, für Berlin, und zwei Mal die Deutsche Jugend Einzelmeisterschaft. Dort erreichte ich einen 4. und einen 8. Platz. Die schönste Einladung erhielt ich zur Junioren Mannschaftsweltmeisterschaft 1981 in Graz. Ich hatte schon ein Interrail Ticket gebucht mit meiner Freundin, musste aber die Tour nach ca. 2 Wochen abbrechen um nach Graz zu reisen.
Dort hatte ich das erste Mal Gelegenheit, Topspieler der ganzen Welt zu sehen. Jussupow war da, auch Kasparow spielte mit. In der letzen Runde mussten wir sogar gegen Russland spielen. Aber ich musste aussetzen, Kasparow wurde auch „geschont“ und wir verloren dennoch klar, Russland war überlegener Sieger, was auch sonst.
Kurze Zeit später bekam ich noch eine weitere Einladung zu einem Turnier in Krosno, Polen. Das war nicht gerade ein Traum, denn 1981 war gerade der Einmarsch der russischen Truppen dort. Polen war in größter Armut. Ich nahm mir reichlich eigenes Proviant mit. Wenn wir spät abends vom Turniersaal zum Hotel gingen, sahen wir oft schon Schlangen von Menschen vor irgendwelchen Einkaufsläden. Dort sollte dann am frühen Morgen Brot oder Butter kommen…
Ich spielte sehr stark, verschenkte aber haufenweise Punkte, so dass ich am Ende nur 4. war und die Norm für den Internationalen Meistertitel um einen halben Punkt verfehlte. Der Schachbund hatte seine Bestätigung. Ich war nicht gut genug. Keine Einladungen mehr. Nur einmal sollte ich noch zu einem Turnier nach Rumänien fahren. Das war nur ein Ausweichturnier, es gab viel bessere, interessanter. Ich bekam Ticket und Reiseplan zugeschickt, ließ aber, aus Wut über den DSB, alles verfallen. Das Ende meiner Schachkarriere.
Dennoch gab es auch hier ein paar erinnernswerte Geschichten, unter anderem meine ersten Begegnungen mit dem Wetten.
Einen Monat später fuhr ich dann mit C. zum Turnier nach San Bernardino. Das war ein richtig familiäres Turnier. Jeden Tag nur eine Partie, alle Teilnehmer kannten sich (nach ein paar Tagen) untereinander, wir machten täglich gemeinsame Ausflüge in der herrlichen Landschaft.
Aber C. und ich boten auch hier für die täglichen Partien Quoten an. Wie wir die Quoten ermittelt haben ist mir bis heute ein Rätsel. Aber alle Teilnehmer machten mit und wetteten auf unsere Quoten. Wir machten auch mit Kombizwang. Es mussten also vier Partien kombiniert werden.
Am Abend nach der Runde kam die Abrechnung. Ab und zu mussten wir natürlich kleine Beträge auszahlen, aber unterm Strich blieb ein ordentlicher Gewinn von ca. 160 SFR. Nur am letzten Tag hätten wir beinahe eine hohe Wette auszahlen müssen. Aber eine Partie, die eigentlich schon Remis war (und wir hätten zahlen müssen) wurde doch noch entschieden. Da hätten wir den gesamten Gewinn der Woche wieder verloren und sogar ein kleines Minus gemacht. Ob unsere Quoten stimmten oder wie gut sie überhaupt waren wird sich aber nie mehr nachprüfen lassen…
In meiner Schachkarriere habe ich sicher immer wieder probiert, auch so Blitzpartien um Geld zu spielen. Aber man stellt sehr bald fest, dass die Beträge zu klein sind, die man verdienen kann. Die Gegner sehen nach einer Weile einfach ein, dass man besser ist und spielen entweder nur noch ganz klein oder gar nicht um Geld.
Die einzigen Erlebnisse, die ich damit sehr positiv hatte, waren jene, in denen ich mich verstellt habe. Durch unsicheres Auftreten und unsicheres Bewegen der Figuren gelang es mir gelegentlich, den Eindruck zu erwecken, ein absoluter Amateur zu sein. Dennoch hatte ich zu der Zeit ja auch manchmal etwas Geld in der Tasche, so dass man auch wohlbegründet angeben konnte, auch um „Geld“ spielen zu wollen.
Die Gegner waren dann oft nur halbwegs fortgeschrittene Amateure. Selbstverständlich gelang das nur, wenn ich an einen neuen Ort kam, wo mich noch keiner kannte. Dann habe ich entweder abgewartet, bis die Geldgier des Gegners durchdrang und er fragte, ob ich auch um Einsatz spielen wolle, alternativ dazu habe ich selber bei Gelegenheit gefragt, ob hier auch um Geld gespielt würde. Mein Auftreten am Brett war dann geeignet, die Gegner leichtsinnig werden zu lassen und sich auch tatsächlich auf Spiele um höhere Beträge einzulassen.
Die Qualität der Züge konnte ich ja dann jeweils dem Niveau des Gegners anpassen und häufiger mal nur äußerst knapp und glücklich gewinnen. Dennoch hält sich mein schlechtes Gewissen in Grenzen: Jeder, der um Geld spielt, will ja auch mein Geld. Und wer weiß schon, vielleicht bin ich ja mal auf einen verkappten Kasparow gestoßen? Allerdings hätte ich das möglicherweise nach ein oder zwei Partien gemerkt, aber immerhin.
Die höchsten Partien, die ich dann gespielt habe, gingen um 100 DM. Aber dafür, dass doch der Sieger schon einigermaßen sicher feststand, war es ganz ordentlich. Hätte man das System perfektionieren wollen, dann hätte man noch wesentlich geschickter und häufiger Verlustpartien einstreuen müssen. Aber es war ja zu einer Zeit, als mein Hauptgeschäft aus Backgammon und Black Jack bestand, Schach war bestenfalls nur ein Nebenverdienst.
Rottweil
Eine lustige Geschichte mit Verstellen auf ganz andere Art ereignete sich 1983, bei einem kleinen Schachturnier in Rottweil. Ich war noch nie in der Gegend geschweige denn gerade dort. Wir hatten 4 Spieler aus Freiburg angemeldet (mein Wohnort war 1983 Freiburg, wie ich im Zusammenhang mit dem Backgammon noch erzählen werde). Einer war nicht dabei. Das war Wolfgang Ludwig. Die Organisatoren fragten bei unserer Ankunft, wer denn nicht erschienen war, da wir eben nur drei Mann waren. Meine Antwort lautete: „Dirk Paulsen ist nicht mitgekommen.“ Also war ich fortan und für die Dauer des Turniers Wolfgang Ludwig. Ebenfalls übernommen habe ich seine (verzeih mir, Wolfgang) halbwegs bescheidene Spielstärkeeinschätzung in Form seiner Elo Zahl.
Nun weiß ich nicht mehr genau, ob die Gegner verwundert waren über die Qualität meiner Züge (eher nicht) oder der Veranstalter über den Start-Ziel Sieg eines Durchschnittsspielers, jedenfalls war ich am Ende überlegener Sieger. Ich erinnere mich nur noch, dass ich zur Siegerehrung aufgerufen wurde, als Herr Ludwig, aber die Bühne verließ ohne den mir zustehenden Pokal. Der Turnierdirektor rief mir hinterher, wiederholt: „Herr Ludwig, Ihr Pokal.“ Aber ich reagierte nicht, hatte wohl kurzzeitig meine Identität vergessen. Einige der Turnierteilnehmer stießen mich dann im Vorbeilaufen an und machten mich auf den Umstand aufmerksam. Ich eilte zurück zur Bühne und holte mir meinen Pokal… unbemerkt?
Die Weltmeister des Schachspiels
Eine weitere lustige Begebenheit aus meiner Schachkarriere ereignete sich im jahre 1981 als ich auf der Rückreise vom Turnier aus Krosno/Polen war. Ich musste über Warschau fliegen und hatte zwei Stunden Aufenthalt am Flughafen. Ich schlenderte so durch die Flughafenräume, den Lesestoff „Das Boot“ von Lothar Günter Buchheim hatte ich bereits das zweite Mal durch, und schaute mich um. Nun war ich ja wenige Wochen vorher bei der Junioren Mannschafts WM in Graz gewesen und hatte dort auch Kasparow gesehen, sogar einer Analyse von ihm beigewohnt. Dabei hat er seine phantastischen Gewinnideen aus seiner Partie gegen den Brasilianer Jaime Sunye-Neto vorgeführt.
Jedenfalls sah ich am Flughafen plötzlich — Kasparow. Er hatte die Augen geschlossen, schlief aber nicht. Ich bin, ganz unerschrocken, zu ihm hin und fragte ihn, ob er mich noch kennen würde. Er bejahte, auf Englisch, versteht sich. Wir kamen ins Gespräch. Ich bat ihn, ihm eine meiner Partien zeigen zu dürfen, er hatte so verlockend ein Schachbrett neben sich aufgebaut. Er war einverstanden, aber nur „blind“, ohne Ansicht des Brettes.
Ich sagte ihm die Züge an mit den dazugehörigen möglichen Varianten. Diese Partie war allerdings so kompliziert, dass sie selbst für Kasparaow nicht so leicht zu durchschauen war (es war meine kurz zuvor gespielte Partie gegen den Internationalen Meister Andrzej Adamski). Während wir so die Partie analysierten kamen ein paar andere Herren vorbei und begannen, mit Kasparow zu plaudern, wer ich sei, auf russisch natürlich.
Ich konnte nur verstehen „studentic olympiad“ oder so ähnlich, aber ich betrachtete die beiden Herren genauer. Und wen erkannte ich? Zunächst den Supergrossmeister Alexander Beljawski. Aber daneben stand eine weiter Schachlegende: Exweltmeister Tigran Petrosjan. Die drei waren auf dem Weg zum Großmeisterturnier in Tilburg. Aber was für eine Begegnung!
Man muss dazu wissen, dass ein jeder Schachspieler, der etwas auf sich hielt, schon zu dieser Zeit einfach Kasparow Fan sein musste. Bei mir war die Vorgeschichte aber doch etwas besonders: Von seinem ersten großen Turniererfolg im Jahre 1979 war die Schachwelt in Staunen versetzt worden. Er gewann vor etlichen Großmeistern mit klarem Vorsprung, und das im Alter von 16 Jahren! Ich habe aber nicht nur gestaunt sondern sämtliche Partien, die ich von ihm bekommen konnte, nachgespielt. Eine schöner, berauschender, faszinierender als die andere. Ich erinnere mich noch gut, wie ich während des Studiums häufig meinen damals guten Freund und Schachkollegen Ralf Lau, bald danach selber Großmeister, ab und zu an der Uni traf (er gescheiterter Jurist). Er fragte, was ich so machen würde in letzter Zeit. Meine Antwort: „Kasparow Partien nachspielen.“ Das war meine Interpretation des Begriffs „studieren“.
Also, abschließend durfte ich Kasparow noch fragen, ob er im folgenden Zyklus bereits die Weltmeisterschaft anvisieren würde. Er bejahte das, selbstverständlich. Der Zyklus war im Jahre 1983 abgeschlossen. Und wer wurde in dem Jahr Weltmeister? Ja, mein Freund. Und „mein Freund“ sind Sie in dem Falle.