Was wäre wenn… ein Regelverstoß eine Strafe nach sich zöge?
Das hier angesprochene „Problemfeld“ ist gar keines. Zumindest keines, welches jemals Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. Dennoch kann man durchaus etwas daran problematisieren.
Dazu muss man vermutlich etwas weiter ausholen. Und zwar in etwa so weit, wie das Spiel Fußball alt ist oder gar noch weiter, bis dahin, wo die Menschheit angefangen hat, sich über „Erziehung“ Gedanken zu machen.
Prinzipiell gibt es für den Umgang der Menschen miteinander Regeln, welche jedoch meist gar nicht erst notiert werden und nicht einmal notiert werden müssen. Dieses macht man so, jenes etwas anders, das unterlässt man besser. Wichtig wäre an dieser Stelle noch, anzumerken, dass Verletzungen dieser ungeschriebenen Regeln keine Strafe nach sich ziehen außer vielleicht jener, schräg angeschaut zu werden oder ein Kopfschütteln zu ernten.
Für gröbere Verstöße, welche sich im Verlaufe der Menschheitsgeschichte einschlichen (schon früh, wie man hört, bei Kain und Abel) gab es die so genannten Gesetze, welche eine Übertretung derselben unter Strafe stellten. „Das darfst du nun wirklich nicht.“ „Und wenn ich es doch tue?“ „Da steht im Gesetzesbuch, was wir dann machen. Aber jedenfalls wirst du bestraft.“ Kleinere Vergehen milder, gröbere Vergehen härter.
Offensichtlich war der Sinn bei diesen Strafen – welche teils später angepasst, justiert wurden –, eine derartige Regelverletzung möglichst für jetzt und alle Zukunft auszuschließen. Das ist verboten, weil man das nicht macht und weil das kein Mensch sehen möchte und weil man damit Schaden anrichtet und weil man vermutlich einen Eigennutz daraus ziehen möchte, auf Kosten anderer. Es gibt also eine Regelübertretung und meist einen Profitierenden – den Täter – und einen Geschädigten – das Opfer. Wobei dies keinen Anspruch auf Absolutheit erhebt. Es führt nur in etwa zum richtigen Gedanken und die Vereinfachung dient dazu, etwas deutlich zu machen.
Auch in der Erziehung greift dieses Prinzip grundsätzlich. Jedoch ist es meist so, dass ein Erwachsener einen oder mehrere Minderjährige zu erziehen hat und diesen die Regeln für das Leben da draußen und ihre Zukunft möglichst gut beibringen möchte. Die Schutzbefohlenen sind dabei meist eben nicht nur zwecks Erlernens des Umgangs miteinander in dieser Rolle, sondern, wie dieses alternativ eingesetzte Wort andeutet, zugleich vom Erwachsenen zu schützen.
Wie auch immer: die Erziehungsmaßnahmen sind keineswegs gesetzlich festgelegt. Man kann eine gewünschte Verhaltensweise für den guten Umgang miteinander erklären, aussprechen, einfach nur eine Regel nennen, und man kann mit Einhaltung oder Verletzung derselben rechnen. Sofern sie verletzt würde, müsste man sich eine Maßnahme ausdenken, damit eine Wiederholung möglichst vermieden wird. Auch hier gibt es vermutlich einen Strafenkatalog, weil man die Feststellung macht, dass bloßes nennen oder erklären der Regel nicht ausreicht. Die Kinder und Jugendlichen wollen teilweise auch wissen, wie ernst es damit steht und testen die Grenzen aus.
Wie auch immer geht es um aufgestellte Regeln und deren gewünschte Einhaltung. Sowohl im Gesetz als auch in der Erziehung. Der positive Satz von Regeln muss dabei nicht notiert werden. „Ihr könnte miteinander reden oder spielen, um die Wette laufen oder auf das Klettergerüst dort, ihr könnt im Buddelkasten spielen oder die Rutsche benutzen, ihr könnte Einkriege spielen oder eine Sandburg bauen. Ihr könnte auch die Bank benutzen, ebenso die Schaukel. Mit dem Ball dürft ihr auch spielen.“ Nein, es wird meist nur erwähnt, was verboten ist – der Rest ist offen und dem gesunden Menschenverstand überlassen.
Bei Spielen nun werden ebenfalls Regeln aufgestellt. Wobei es hier zwei Unterschiede gäbe: erstens gibt es ein Spielziel, welches meist auf eine Siegerermittlung hinaus läuft, zweitens gibt es den positiven Satz der Regeln, wie man das Spielziel erreichen darf.
Die Siegerermittlung ist dabei ein kritischer Punkt: man möchte sich natürlich gut unterhalten, man möchte seinen Spaß haben, man möchte zugleich Fähigkeiten trainieren, die auf allen Gebieten sein können, aber man möchte am liebsten auch nicht der Verlierer sein. Insofern kommt es bei Spielen denn doch gerne mal zu Regelverstößen, die, vergleichbar mit dem „richtigen Leben“ einer Seite einen Vorteil verschaffen, zugleich einer anderen Seite schaden.
Nun notiert man also Regeln, den positiven Satz, sowie das Spielziel und wie es zu erreichen wäre. Bei vielfacher Wiederholung eines Spiels werden gewisse Regelverletzungen sich vermutlich ebenfalls wiederholen. Dafür gibt es dann einen Sanktionenkatalog. Die Absicht wäre hier wie auch in den anderen genannten Beispielen: Regelverletzungen sollen nach Möglichkeit vermieden werden und am besten gänzlich ausbleiben. Das Spielziel soll mit den vorgegebenen positiven Regels erreichbar sein und auch erreicht werden und nicht irgendwie anders erschlichen. Idee der Sanktionen: es gibt keine Regelverletzungen. Dies würde den Spaß des Spiels erheblich eindämmen bis ganz vernichten. Man spielt eine Partie Schach, will gerade den Mattzug ausführen und der Gegner wirft das Brett um, er behauptet dazu, er wäre nur gegen gestoßen. Um es bei dem einen Beispiel zu belassen: keiner weiß mehr, wie es steht und die Partie kann nicht gewertet werden. Der Gegenspieler wäre grob unsportlich gewesen und würde vielleicht vom Wettbewerb ausgeschlossen oder man würde in Zukunft vermeiden, mit ihm zu spielen – oder man hätte ein gutes Reperoire an Strafen, um dieses Verhalten auszuschließen.
Wie auch immer: man kann all dies nun sehr einfach auf den Fußball übertragen und gar nicht mal so unwahrscheinlich, dass man bei den bis hierher getätigten Erklärungen stets dies irgendwo im Hinterkopf hatte. Wobei man sich dann womöglich ein klein wenig ertappt fühlen müsste, denn man war doch bis heute von der Annahme ausgegangen, dass Foulspiel zum Fußball dazu gehörte? „Macht doch jeder, also wo ist das Problem?“ Nun, wie gesagt, das Problem existierte ja bisher auch gar nicht. Nun ist es aber plötzlich aufgekommen.
Man kann ja mit einem ganz einfachen Beispiel anfangen, auf den Fußball bezogen. Was hat man von einer Notbremse zu halten? Wem nützt es, wem schadet es? Gibt es überhaupt Notbremense, sind diese erwünscht oder unerwünscht? Gibt es ein vernünftiges Strafmaß?
Man kann gerne ein wengi zurückblicken aber die Häufigkeit der Notbremsen hat auf keinen Fall abgenommen. Falls etwas abgenommen hätte, dann wäre dies lediglich das Ungeschick, eine zu verüben. Sprich: die Verteidiger sind schlauer geworden bei Notbremsen und versuchen, diese so gut es geht zu „tarnen“. Wie auch immer dies nun funktioniert: die Häufung hat zugenommen, erstens von geahndeten und noch viel mehr von den großzügig durchgehen gelassenen, trotz erkennbarer Absicht. Vergliche man zunächst mit dem Aufkommen in der Bundesliga in den 60er, 70er Jahren, dann käme vielleicht ein Verhältnis von 10:1 heraus, wie oft es heute geschieht im Verhältnis zu damals. Man machte es einfach nicht, weil es sich nicht gehörte, weil es verschmäht war, weil man ausgebuht wurde und sich dies noch zu Herzen nahm, weil man einen Stempel des Rüpels aufgedruckt bekam und dies heute mit einem „Aggresssivleader“ vergleichbar wäre vom Auftreten, aber keineswegs von der Wahrnehmung her. Damals: pfui. Heute: hui. Der räumt alles ab, was in den Weg kommt, klasse, der Mann.
Selbst wenn diese Statistik in Zweifel gezogen würde: möchte man gerne – und diese Frage sozusagen zeitlos zu stellen – Notbremsen sehen oder wäre eine schöne Toraktion und ein Treffer oder eine Parade die schönere Aussicht? Rümpfte nicht jeder die Nase, wenn er eine sähe, selbst wenn es der Abwehrspieler seiner eigenen Mannschaft täte?
Es wäre noch die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer solchen zu stellen. Diese wurde recht eindeutig von der FIFA beantwortet. Als nämlich Alpay bei der EM 1996 seinen Gegenspieler Vlaovic NICHT von den Beinen holte um einen Gegentreffer zu verhindern in der letzten Minute der Partie Türkei gegen Kroatien, da wurde ihm direkt der Fairplay Preis verliehen dafür. Weil ganz offensichtlich erkannt wurde: er hätte seiner Mannschaft einen riesigen Dienst erwiesen, wenn er den Gegenspieler umgesenst hätte, kurz hinter der Mittellinie. Rote Karte, ok, danke, Schiri, gerne, versteht sich, ich bin auch schon runter. Hauptsache kein Gegentor, 0:0 gerettet, vielleicht kommen meine weiter. Nach Schlusspfiff hätte er vermutlich auf den Schultern seiner Mitspieler eine Ehrenrunde gedreht, um ihn gebührend zu feiern – so erhielt er nur das Linsengericht eines Fairplay Preises. Irgendwie müsste man es doch im Grunde als Eigentor der FIFA auffassen? Der Mann war so fair, die Regeln einzuhalten. Der bekommt den Preis. Weil vermutlich sonst kein anderer im Turnier die Regeln eingehalten hat?
Foulspiel ist laut Regel verboten. Notbremse ist die übelste Form des Foulspiels. Es erfüllt drei niederträchtige Kriterien: a) den Vorsatz, b) die Verletzungsgefahr, die bei einem vorsätzlichen Foulspiel einkalkuliert werden müsste und hier, wie es so schön heißt, billigend in Kauf genommen wird, und c) last but keineswegs least, das Vereiteln einer klaren Torchance. Niedertracht hoch drei, dürfte man dies so sagen? Wenn du nicht so niederträchtig bist, wirst du geehrt. Weil es sonst jeder andere wäre.
Das Grundproblem wäre noch einmal zusammen gefasst so auf den Punkt zu bringen: Fußball ist ein Zweikampfsport und weder Wattepusten noch Basketball. Gut. So soll es bleiben, das möchten die Zuschauer sehen. Es kann auch mal zu einem Foulspiel kommen, das kann man auf diese Art eben nicht ausschließen. Beide gehen zum Ball, einer ist schneller dran, Pech gehabt, der Gegenspieler trifft dessen Fuß und nicht den Ball. Foul. Ist passiert. Nur kommt jetzt die wichtige Überlegung: es darf nicht zu einem Vorteil für den Foul spielenden werden. Das Foulspiel, welches hier gerne als „unbeabsichtigt“ zu bezeichnen sein mag, müsste dennoch Konsequenzen haben für den Täter, dass er vielleicht beim nächsten Mal doch schon die eine Zehntelsekunden vorher merkt, dass es nicht reicht und eben nicht den Fuß des Gegenspielers trifft – weiterhin bitte die Verletzungsgefahr im Auge behalten. Das Foulspiel soll durch die verfügbare Sanktion demotiviert werden.
Hierzu gäbe es die folgenden Möglichkeiten, dafür zu sorgen. Die eine wäre, die Fouls mitzuzählen, wie es eben doch im Basketball der Fall ist. Die Unterteilung in Teamfouls und individuelle Fouls ebenfalls analog.
Problem dabei, wie bei allen vorgeschlagenen Maßnahmen: Amateur- und Profifußball sollen bitte nicht auseinander laufen. Wäre ein einzelner Schiedsrichter bei einem Amateurspiel damit eventuell überfordert? Vermutlich ja. Vorstellbar dennoch: Fouls sind ja unerwünscht, durch diese Maßnahme demotiviert, somit seltener anzutreffen, somit wäre die Aufgabe vielleicht doch eine überschaubare? Eine Strichliste, die Rückennummer dazu oder wie auch immer. Könnte man allgemein verfügbar machen, so dass es sich vereinfachen ließe. Im Profibereich dürfte es ohnehin kein Problem sein. Ausreichend viele Regelüberwacher anwesend.
Als fortgeschrittene Sanktionen wären vorstellbar: wenn eine Anzahl von Teamfouls erreicht ist, gibt es einen Elfmeter (oder eine alternative, an anderer Stelle vorgeschlagene Strafe). Das Ziel im Auge behalten: die Regeln sind ursprünglich so verfasst, dass ihre Einhaltung erwünscht ist und keine Übertretungen. Selbst wenn es also „hart“ klingt: vielleicht sorgt es ja für eine „vorschriftsmäßige“ Zweikapmfführung? Bei weiteren Vergehen verkürzt sich natürlich die Anzahl der Foulspiele bis zum nächsten Strafstoß erheblich.
Individuell würde man einfach den Spieler des Feldes verweisen. Wobei hier vermutlich eine Auswechslung zuvor kommen dürfte. Allerdings wäre dies keineswegs ein Nachteil für den Gegner: vielleicht stehen bald drei Gegenspieler vor der kritischen Grenze oder es sind bereits drei ersetzt worden und man spielt dadurch ab der 80. In Überzahl?
Eine Alternative bestünde darin, die Schwere des Vergehens mit gestaffelten Freistoßvarianten zu bestrafen. Absichtliches Foulspiel: Freistoß von einem bestimmten Punkt in Gegners Hälfte, 40 Meter, Außenposition zum Beispiel, egal, wo das Vergehen war. Foul an einen Flankengeber in aussichtsreicher Position: Freistoß in zentraler Position, 24 Meter Torentfernung.
Ein letztes Beispiel wäre: Notbremse – immer Elfmeter. Was ist denn das Problem einer Doppelbestrafung? Die Notbremse soll unterbleiben. Also rechne damit, wenn du es tust, dass es gar nicht gut ausgeht, für dich und deine Mannschaft.
Dies nur Vorschläge, die beliebig variiert werden können. Man könnte eine gewisse Staffelung vornehmen, dies die Grundidee. Wichtig bei der Version: die Freistoßposition hängt nicht von dem Ort des Vergehens ab sondern von dessen Schwere.
Auch dies wäre umsetzbar. Andererseits müsste sich das erst einspielen und man ein wenig Erfahrung sammeln, was wie und wo geahndet würde.
Fazit insgesamt: es gibt ein paar sinnvolle und machbare Lösungen, um Regelübertetungen grundsätzlich zu demotivieren. Die einzige „zu befürchtende“ Folge: weniger Fouls, mehr Spielfluss, mehr Torszenen, mehr Torchancen, mehr Tore, mehr spannende Verläufe. Zu wessen Schaden könnte das sein?