Was wäre wenn… es bei Fouspiel im Strafraum Elfmeter gäbe?
Im Grunde spürt es jeder, eigentlich weiß es sogar jeder. Nur traut es sich kaum jemand auszusprechen. Für all dies gibt es gute Gründe. Dennoch hier zunächst die noch recht simpel klingenden Aussage, bei welcher man sich dennoch die Hand vor den Mund zu halten hätte: im Strafraum wird ein Foulspiel anders bewertet als außerhalb.
Man könnte dies weiter präzisieren oder versuchen, es besser auf den Punkt zu bringen. Zunächst jedoch, wie die allgemeine Einschätzung dieser Situation ist und welche Statements dazu abgegeben werden – alle noch immer mit der gewissen Wahrung der Vorsichtspflicht.
In England hieß es bereits vor guten zehn Jahren: „Anywhere elso on the pitch, that is a foul. In the area it´s not.“ Auch in Deutschland hat man diese Äußerung bald danach gehört, in der Übersetzung: „Überall ist das ein Foulspiel, im Strafraum nicht.“ In England sowie in Deutschland wurde jedoch meist angefügt: „I don´t know, why“ oder eben „das verstehe ich nicht“.
Bevor auch dies ein wenig näher betrachtet wird im Sinne von „Ursachenforschung“ für dies und jenes, sollte zunächst angeführt werden, dass auch die Regeloffiziellen im Ansatz ein Problem erkannt haben müssen. Denn eine Anweisung an die Schiedsrichter vor der Saison 2016/2017 lautete: „Elfmeter bitte nur bei ganz klaren Aktionen verhängen.“ Dies deutet zwar an, dass man spürte, dass es dort eine Schieflage gab, jedoch geht dieser Fingerzeig zur Bekämpfung in die total falsche Richtung.
Warum in die falsche Richtung? Weil die Verteidiger nun wussten, dass bei kleineren, kaum merklichen, aber noch immer höchst effektiven Behinderungen kein Strafstoß verhängt wird, wegen der noch mehr mangelnden Eindeutigkeit.
Es gab ein paar weitere Äußerungen, die auf die Problematik aufmerksam machten. Als erstes war es wohl ein aufgebrachter Winni Schäfer, der – offensichtlich nach einer Niederlage seiner Mannschaft – im Interview sich empörte und meinte, dass er nochmal ins Regelwerk schauen müsste, ob da steht, dass man im Spiel nur einen einzigen Elfmeter bekommen kann. Denn: seine Mannschaft hatte bereits einen erhalten und dennoch gab es mindestens zwei weitere elfmeterreife Szenen. Die Rekapitulation der Geschichte erhebt keinen höheren Anspruch auf Authentizität, denn ob es Winnie Schäfer oder Christoph Daum war spielt eigentlich keine Rolle.
Wer als Zuseher genau darauf achtet, der wird feststellen, dass eine Menge daran ist. Man bekommt schon ab und an mal einen Strafstoß – sollte sich eine weitere ähnliche Szene oder auch eine andere verdächtige, gerade innerhalb kürzester Zeit, ereignen, die einen Elfmeter zur Folge haben müsste, bleibt die Pfeife in der Regel stumm. „Was regt ihr euch denn auf? Ihr hattet doch grad einen Elfer? Die fallen doch nicht von den Bäumen!“ So etwa die gedachte Belehrung an die Spieler.
Eine weitere Bemerkung ist aus England aufgeschnappt worden, die in etwa so lautete: „It is hard to get a penalty these days.“ Schwer heutzutage, einen Elfer zu bekommen. Was deutet man damit wohl an?
Bevor dies nun von allen Seiten aus beleuchtet werden soll noch kurz die Reaktion und Beurteilung der Medien einbeziehend, wenn es zu einer kritischen Situation kommt. Allein schon die Formulierung, welche mittlerweile Einzug gehalten hat zur Bewertung, lässt tief blicken. „Joa, das reicht nicht für einen Elfer.“ Alternativ hört sie sich so an: „Nä, dafür kann man keinen Elfer geben.“ Der Sprecher sieht die Wiederholung, jedermann erkennt, dass es nicht ganz sauber zuging, das Urteil fällt dennoch so aus: „Reicht nicht.“ Hier darf man nun erstmals nach einem Inhalt dieser Aussage forschen und den selbstverräterischen Teil hervorheben: „es reicht nicht“ kann man doch nur dann sagen, wenn überhaupt etwas zu beobachten war? Es wurde eine Regelwidrigkeit erkannt, die jedoch als „zu geringfügig“ eingestuft wird. Ganz offensichtlich jedoch würde der Sprecher bei einer Wiederholung im Mittelfeld von einer Regelwidrigkeit gleichen Ausmaßes sowie dem logischerweise erfolgten Pfiff, falls dazu verpflichtet, das Urteil abgeben: „Foulspiel, klar, da sieht man es ganz deutlich.“ Nur wäre er nicht verpflichtet, die Szene würde auch gar nicht erst wiederholt werden und wenn jemals, dann als „unbedeutend“ abgetan werden.
Es gibt noch eine weitere Kommentierung derartiger Szenen, welche sich durchgesetzt hat. Diese lautet „den wollte er zu sehr“. Sofern ein Stürmer also nach einem klaren Foulspiel – worauf ginge sonst die Äußerung zurück? – hinfällt, obwohl er es möglicherweise geschafft hätte, sich auf den Beinen zu halten, dann bekommt er ebenfalls keinen Elfmeter. Dass er, falls er sich auf den Beinen gehalten hätte vergeblich versucht hätte, ein Tor zu erzielen, einfach, weil er aus dem Tritt geraten ist oder weil ihm eine Zehntelsekunde fehlte aufgrund der sichtbaren Behinderung, schert keinen. „Den wollte er – also bekommt er nicht. Basta!“
Sollte er jedoch andererseits auf den Beinen bleiben und den Ball dennoch versuchen, im Tor unterzubringen, vielleicht den Ball sogar trotz der Widrigkeiten zu erreichen, jedoch mit einem viel weniger platzierten, kontrollierten Schussversuch – aufgrund der Behinderung – scheitern, dann hätte er angeblich den „Vorteil“ genutzt – und bekommt selbstverständlich genau so keinen Elfmeter zugesprochen. „Willst du etwa zwei Torchancen haben? Du träumst wohl!“ Nicht selten wird er (und der genervte Zuschauer) auch dann noch vom Sprecher belehrt: „Ja, wenn er da gefallen wäre, dann hätte der Schiri keine Wahl gehabt…“ Pustekuchen! Denn die alternative Szene war ja zuvor geschildert. So oder so nicht.
Es kommt in der Summe heraus: man bekommt keinen Elfmeter. Fallen oder nicht fallen, gefoult werden, leicht behindert, schwer getroffen, es läuft immer wieder darauf hinaus: „Da bleibt die Pfeife stumm.“
Wenn man nun noch sämtliche Zusammenfassungen bei „alle Spiele – alle Tore“ bei Sky oder auch aus der Sportschau hernimmt, dann kommt ein krasses Missverhältnis heraus, was das im Nachhinein getroffenen Urteil bei einer kritischen Entscheidung angeht. Hier müssten aufsummiert werden alle Fehlentscheidungen, bei welchen ein Elfmeter verhängt wurde, obwohl sich alle einig waren, dass es keiner war und ins Verhältnis gesetzt werden mit jenen, in denen es hieß „hier hätte es Strafstoß geben müssen.“ Auch die so genannten fifty-fifty Entscheidungen könnte man mit einbeziehen, wo sich dann ein herausstellen würde: hätten sie nur immer ninety-ten gesagt – und die ninety gegen den Strafstoß – dann wären sie viel näher dran gewesen. Das Verhältnis wäre in der Summe in etwa das genannte: viele, viele Elfer, die es hätte geben müssen und ganz selten mal einer, der zu unrecht verhängt wurde.
Nun wären zunächst noch die Ursachen zu klären. Die Engländer mit ihrem „don´t know why“ die Deutschen mit dem „ich verstehe das nicht“. Warum besteht dieses Missverhältnis, dem sich nach der Vielzahl der genannten, gehörten, Äußerungen, der Anweisung an die Schiris, doch bitte niemand mehr entziehen möge sondern sich stattdessen mit auf die Suche begeben?
Das eine Problem bei der Wertschätzung der vorsichtig getätigten Betroffenen Äußerungen ist jene: ein Winni Schäfer sagt dies nach einer Niederlage. Ein Spieler erkennt das Problem im Interview, sagt, er wäre klar gefoult worden, die Bilder hätten es bestätigt, aber es gab keine Elfer – seine Mannschaft hat verloren, also „Ausredensuche“. Auch er wird für befangen erklärt.
Außerdem beruhigt man sich medienseitig damit, dass „sich am Ende doch alles ausgleichen würde“, was natürlich rein gar nichts mit der Problematik selbst zu tun hat. Es geht um das beruhigte Gewissen dabei, sonst nichts.
Dies jedoch nur der eine Teil der Problematik: die meisten, die sich beklagen über nicht erhaltenen Strafstöße gelten als befangen und ihrem Urteil wird kein Gewicht gegeben. Genau so nämlich wird der Trainer der gegnerischen Mannschaft befragt, wie er das einschätzt, und dieser erklärt meist: „Zu Schiedsrichterentscheidungen möchte ich grundsätzlich nichts sagen, aber letzte Woche hätten wir auch zwei Mal Strafstoß bekommen müssen und die gab es nicht. Also was soll ich jetzt dazu sagen?“ So scheint alles sich wieder im Gleichgewicht zu befinden.
Noch immer ist der Kern des Problems jedoch nicht wirklich ausgesprochen. Dieser ist noch immer ein doppelter. Das eine verbliebene Problem besteht darin, dass intuitiv gesehen ein Strafstoß eine zu hohe Aufwertung der zugrunde liegenden Aktion bedeuten würde. Ein beliebiges kurzes Zupfen, ein kurzes Schubsen, ein minimlaer Kontakt, noch dazu all dies in nicht ansatzweise torreifen Situationen, lässt einen intuitiv davor zurüschschrecken. Deshalb das oftmals so spontan getroffene Sprecherurteil „nee, dafür kann man doch keinen Elfer geben“. Weil es aus keiner die größtmögliche Torchance machte. Dies also der eine Kern.
Der andere Kern liegt in den Spielverläufen und in der Häufigkeit der Treffer, bei derzeitgem Stand : wenn ein einziges Tor ein Spiel entscheidet – wie es mehr und mehr der Fall ist –, dann schreckt man vor einem möglichen Pfiff zurück, und zwar noch wesentlich mehr. Denn sicher spürt man als Schiri „ja, da war was“. Nur steht es, wie üblich, 0:0, es läuft die 67. Minute, und man denkt „wenn ich jetzt Elfer gebe, dann habe ich das Spiel entschieden“.
Auch dies noch nicht ultimativ das Problem, aber schon recht nahe dran und einen Beitrag liefernd. Aber das größte kommt erst noch, in dieser Form :„Wenn sie mir nun nachweisen sollten, dass das ein Fehler war und ich das Spiel somit durch einen Fehler entschieden hätte… nein, das darf nicht sein, das darf unter keinen Umständen passieren.“ Was tut er also? Die einzig vernünftige Entscheidung ist die: nicht pfeifen, weiter spielen lassen.
Falls dieses als Fehlurteil erkannt wird, dann wird dies niemals so überbetont wie der umgekehrte Fehler. Der Gegner, der sich nun darauf berufen sollte, dass ihm „ein klarer Strafstoß verweigert wurde“ wird nur belächelt und würde angeblich die Schuld beim Schiedsrichter suchen.
Nun wäre vielleicht ansatzweise geklärt, wie es zustande kommt, dass Foulspiele im Strafraum schlichtweg anders bewertet werden. Wer hätte daran nun noch Zweifel? Aufgeworfen sollte jedoch umgekehrt viel eher die Frage werden, was wäre, wenn…
Wenn man nämlich doch für die kleinen Regelverletzungen, die angeblich alle „nicht ausreichen für einen Elfer“ oder „die der Stürmer zu sehr wollte“ oder „der Vorteil ausgespielt wurde, aber dies erfolglos“ ein Elfmeter verhängt würde, dann sähe man sich dem von Berti Vogts erstmals so beschriebenen Horrorszenario gegenüber, auf eine Szene angesprochen: „Wenn du dafür Elfer gibst, dann gibt es ja zwanzig Elfer pro Spiel.“
Auch dies wurde später häufiger übernommen und wiederholt zitiert, ohne auch hier Anspruch auf Authentizitä, Orignalität, Einzigartigkeit zu erheben: wie real und wenn, wie schlimm und unvorstellbar wäre denn dieses angesprochene „Horrorszenario“?
Male man sich zunächst die folgende Horrorvision aus: es gab tatsächlich eine Vielzahl von Elfmetern in einem einzelnen Spiel. Die Liveticker vermelden die Tore, die in unregelmäßigen, aber kurzen Abständen eintrudeln. Irgendwann mal explodieren die Leitungen, als es 11:7 steht. „Kann nicht sein, Fehler, das Spiel wird ausgesetzt, Falschmeldungen ohne Ende.“ In sämtlichen Tageszeitungen im In- und Ausland finden sich am nächsten Tag die Ergebnismeldungen, nur bei diesem Spiel steht das „tbd“. „To be determined“. Muss erst noch bestimmt werden, man weiß nicht, wie es ausgegangen ist, was auch immer es hieße? Nein, das wäre ja wirklich der Horror.
Oder würde das Endergebnis von 11:7 vielleicht doch vermeldet werden und als „historisch“ in die Geschichtsbücher eingehen? Würde man im Verlaufe des Spiels mit einer einvernehmlichen Zuschauerevakuierung des Stadions zu rechnen haben? Tor auf Tor – wer braucht denn so was? Ein torreiches Spiel –nichts wie weg hier?
Nun wäre dieses Ergebnis als „historisch“ in die Geschichtsbücher eingegangen, Bitte sehr. Nun wäre es kurioserweise am ersten Spieltag einer neuen Saison gegeben, vor welcher die Schiedsrichter – für jedermann wahrnehmbar — die umgekehrte Anweisung erhalten hätten, dass sie nicht nur bei klaren sondern vielmehr bei jeglichen anderen winzigen Vergehen an den Stürmern so entscheiden sollten, wie überall sonst auf dem Spielfeld.
Und man bedenke dabei bitte, dass die Verteidiger sehr wohl wissen, was sie tun und dass eine kleine Behinderung im idealen Moment ausreicht, um eine günstige Torsituation zu vereiteln, insofern also sogar im Strafraum noch häufiger diese „Kleinstfouls“ verübt werden.
Man nehme weiterhin an, dass der Schiedsrichter keineswegs eine glatte 6 bekäme und dies das letzte von ihm gepfifene Spiel wäre, sondern dass er, im Gegenteil, eine 1 erhielte, weil ihm kein einziger Trikotzupfer – auch bei Eckbällen beliebt, wenn der Ball noch nicht einmal in der Luft ist – entgangen wäre. Was wäre die nun so unvorstellbare weitere Folge in dieser Art von „Horrorszenario“?
Die schlichte Folge wäre diese: die Abwehrspieler würden im Nu verstanden haben: „das dürfen wir, faire Zweikämpfe sind willkommen und gehören dazu; das dürfen wir nicht, denn dafür gibt es Elfmeter.“ Es würde ein Spiel dauern, vielleicht zwei. Dann wäre es die anerkannte Art zu pfeifen und im Strafraum auszulegen. Jeder würde sich danach richten.
Nun der letzte Schritt, und aus dem Horror wird plötzlich die pure Freude: man würde auf einmal Strafraumszenen sehen, wie man sie noch nie gesehen hat. Erstens in ihrer Vielzahl und auch in ihrer Ansehnlichkeit, ganz zu schweigen von dem ständig auf den Lippen lauernden Torschrei. Kurzum: es wäre durchgehend dafür gesorgt, dass die Spiele attraktiv sind und dass viel mehr Fußball gespielt würde anstatt Fußball zu verhindern. Man würde mit Sicherheit mehr Tore sehen – jedoch kein weiteres 11:7, das mag schon sein, wobei auch dann die Frage bliebe: wäre ein solches Spiel zum Weglaufen?
Verlierer wären rundherum nicht zu finden. Falls man unbedingt danach sucht: es gibt natürlich immer eine Mannschaft, die gerade nachteilig von einem weiteren Gegentor betroffen wäre. Diese und ihre Fans wären vielleicht weniger erbaut davon – für den Moment. Jedoch wäre es selbst dann noch, nach einem Gegentor zum 2:3 vielleicht, die Frage, ob man nicht anstatt nun in Depressionen zu verfallen, eher größere Hoffnungen hegte, aufgrund der ständig vertretenen Torchancen, die ja logischerweise auch zugunsten der eigenen Mannschaft ausfallen können?
Falls man es als Nachteil auslegen wollte: vielleicht hätte die Mannschaft, die über die höheren fußballerischen Mittel verfügt, die größeren Chancen gegenüber der Jetztzeit, sich den Sieg zu holen. Aber auch da die Frage: wäre dies tatsächlich so unerwünscht?
Fazit: falls man bei Foulspiel im Strafraum Elfmeter gäbe, so, wie es in den Regeln steht, dann gäbe es auf allen Ebenen nur Gewinner. An erster Stelle: der Fußball, an zweiter Stelle der Zuschauer, an dritter Stelle die bessere Mannschaft.