Was wäre wenn… man sich für die Fans interessieren würde?
Es gibt kaum je diese Fragestellung: wofür interessiert sich der Fan, was macht diesen aus, wie wird man dazu, was würde er sich wünschen, was macht ihm Spaß, was bindet ihn an das Spiel? Falls dieser übehaupt mal in den Fokus rückt, dann mit Feuerwerken, Ausschreitungen, Schlägereien, Ausrastern, Aggressionen, die man ihm zwar zuschreibt, die man aber nur Kopf schüttelnd zur Kenntnis nimmt und sich eher fragt: wie können wir das loswerden?
Allgemein sei gesagt: die Menschen mögen den Fußball irgendwie schon. Selbst wenn zum Teil eine Tradition, der sie folgen: sie mögen die Atmosphäre im Stadion, die Stimmung, sie spielen selbst ein wenig und bewundern insofern all die, die es um so vieles besser können. Sie möchten auch irgendwo und irgendwann und irgendwie einen Ort finden, an welchem sie ein paar Emotionen ausleben können, sich sogar mal gehen lassen können. Sie möchten unter Ihresgleichen sein und suchen insofern vielleicht eine Gruppe, welcher sie sich anschließen können.
Dieser Punkt „Emotionen erzeugen“ ist dabei ein ganz zentraler Aspekt. Falls man sich mit Spielsucht beschäftigt, so wird man mit Sicherheit feststellen, dass eine Ursache dafür hier zu suchen ist, dass eine gewisse Ereignislosigkeit im eigenen Leben vorliegt, man dieser jedoch „spielend“ leicht entgegentreten kann. Sobald man nämlich anfängt, Geld zu setzen auf gewisse Ereignisse, so ist ein gewisser Adrenalinausstoß zu garantieren. Sollte sich das Glücksgefühl des Gewinnens einstellen, so versucht man, dieses so wunerschönge Gefühl zu rekonstruieren. Man nimmt Rückschläge aber auch gerne in Kauf, weil es diese Achterbahnfahrt ist, die einem den Kick gibt. Immer nur gewinnen ginge gar nicht und wäre vermutlich auch bald langweilig. Wozu täte man es? Das Gewinnen wäre das Standardgefühl und somit keines mehr, welchem man nachzujagen hätte.
Ähnlich verhielte es sich bei einem Fan. Das Problem liegt jedoch noch etwas tiefer, um welches es hier geht. Hochgefühle, Trauer, Rückschläge, Verzweiflung, eskalierende Freude und Begeisterung, Wut, Ärger, Missgunst, Neid, Anteilnahme, Mitfiebern, Frust, ausflippen, jubeln, sich herzen und umarmen, vor Freude tanzen. All dies kann in einem Wechselspiel stattfinden und sich in Sekunden das eine zum anderen verwandeln. Sicher ein Teil der Motivation, sich in ein Stadion zu begeben.
Gut. Das wäre noch immer nicht als „Problem“ zu verstehen. Wobei sich das Gedanken machen so oder so rentieren kann? Man kann sich auch stets selbst damit in Abgleich bringen? Was empfindet man bei einem Fußballspiel? Hat man Emotionen, sucht man diese, welcher Art sind sie?
Das Problem, welches allmählich eingekreist werden soll, besteht darin, dass die Menschen also irgendwo eine Art von Ventil suchen. Irgendwo muss man etwas ausleben, irgendwo sich angliedern, irgendwo sich geborgen fühlen. Ok. Es liegt nahe, dies beim Fußball zu tun. Auch und noch immer gut. Es gibt diese Fankultur, man findet spielend leicht einen Club, den Verein aus der Region, eine Kneipe, wo geschaut wird und sich Fans begegnen. Schon wäre man dabei. Wenn man jedoch ein Spiel schaut, dann passiert im Grunde auf dem Platz nicht viel. Es fällt kaum je ein Tor und wenn, auch noch für die Falschen. Danach gibt es kein Zurück. Das Spiel ist verloren. Zugleich spürt man einen Haufen von Ungerechtigkeiten und immer, wenn mal ein Stürmer frei wäre ist die Fahne oben und wenn ein Spieler schießen möchte, wird er behindert und der Ball geht daneben.
Die Behauptung ist die: durch die ausgeprägte Ereignislosgkeit auf dem Platz, in einem Fußballspiel, wird man noch viel mehr gezwungen, Fan zu sein. Mit all seinen positiven Effekten, die unerfreulichen aber genau so dabei.
Man sucht etwas, was mit diesen Emotionen zusammen hängt, dem Ausleben derselben, zugleich ein gewisses Gemeinschaftsgefühl. Man findet es hier. Der Fußball lebt, der Fußball boomt, überall kann man etwas hören, lesen, sehen. Aber er ist wie des Kaisers neue Kleider: eigentlich ist da gar nichts. Man soll aber begeistert sein und man sieht auch, wie viele Menschen dies sind. Also muss ja irgendwas da dran sein? Was hat er denn nun an, der Kaiser, ich kann gar nichts sehen? Egal, ich feiere mit.
So wird allmählich innerhalb der Fansszene ein Randgeschehen inszeniert. Auf dem Platz ist alles öder, müde, lahm, ereignislos, ungerecht. Es passiert nichts und wenn, dann ist das Spiel durch. Man fängt also an, sich mit diesem Randgeschehen zu beschäftigen. Es gibt häufig derartige Effekte zu beobachten : oftmals feiern die Fans sich selbst. Ein Beispiel wäre auch, en Oberkörper frei zu machen, auch in der kalten Jahreszeit. Man möchte irgendwie etwas erleben und das auf dem Platz gibt es nicht her. Egal. Man feiert, man ist untereinander, man hat etwas erlebt, auch wenn es nicht das Spiel selbst war.
Es geht nicht um die Aussage, dass der „eigene Verein“ nun immer verlieren würde. Es gibt eine Tabelle, es gibt Erwartungen, es gibt Ergebnisse, von der eigenen Mannschaft sowie den Konkurrenten, man verfolgt eine Entwicklung, man freut sich über einen Neueinkauf und hat Hoffnungen, man verliert einen Spieler und hat Ängste, man schätzt den Trainer oder hält nichts von ihm, man ist sauer auf den Vorstand und was nicht alles. Es gibt eine Menge, mit dem man sich rundherum beschäftigen kann. Nur ist es nicht das Spielgeschehen selbst.
Man freut sich vielleicht auf die Anfahrt, die bereits am frühen Samstagmorgen beginnt, man freut sich auf die Zugfahrt mit seinen Jungs, man geht im Zug die gesamte Geschichte des Vereins durch, man erinnert sich an große Erfolge oder traurige Momente, Abstiege, Niederlagen, aber man ist unter Seinesgleichen, was einen Großteil dieser Freude erzeugt, nach welcher man sucht. Das Spiel selbst? Na, man muss schon viel Geduld haben und man muss bei der Auswärtsfahrt die Niederlage einkalkulieren. Die Glücksmomente? Rar gesät. Dafür allein ohnte es nicht.
Die Behauptung noch einmal wiederholt: die Fanbeziehung wird dadurch so intensiv, weil es im Spiel nicht viel zu erleben gibt. Man ist gezwungen, sich mit einem Verein bedingungslos zu identifizieren, um das Spiel selbst ertragen zu können beziehungsweise nimmt man dies vielleicht gar nicht wahr. Sicher, da ist ein Tor gefallen, alle springen auf, jubeln, umarmen sich, da ist man gerne dabei. Aber wie und warum und was ist überhaupt passiert? War es ein schöner Spielzug oder ein Kullerball, ein Eigentor? Egal. Ball ist drin – raus mit der Fruede.
Mit der Enge der Fanbeziehung geht einher, dass man sich bedingungslos diesem Verein verschreibt. Das bedeutet aber auch, dass andere Fans zu Feinden werden. Auch hier gibt es ein erzeugtes Randgeschehen. Die Ungerechtigkeiten, welche man nicht artikulieren kann und nicht einmal darf – nur unter sich, aber sonst? „Wir sind verpfiffen worden!“, „Ha, da lachen ja die Hühner!“ – erzeugen teilweise mit diese Aggressionen, welche dafür sorgen können, dass man diese Wut gegen irgendjemanden richten möchte und sie irgendwo loswerden möchte. Wer ist da besser geeignet, als der Fan der gerade jetzt gegnerischen Mannschaft? Man baut hier eine Feindschaft auf, die sich in Gewaltbereitschaft niederschlägt. Ob nun von diesen oder von jenen inszeniert, aufgrund dieser oder jener empfundenen Ungerechtigkeit, aber auch einer längeren Vorgeschichte, welche die neuen Fans nur aus Erzählungen kennen, sich diesem aber anvertrauen und unterordnen. Dortmund und Schalke? Da gibt es nur ein entweder – oder. Krieg oder zumindest Kriegsersatz.
Es wäre im Grunde ein Leichtes, sich diese Dinge zu vergegenwärtigen und sie mit einzubeziehen. Zunächst einmal muss im Spiel selbst Gerechtigkeit geschaffen werden und dann müsste man für Ereignisvielfalt sorgen. Wenn man nämlich im Spiel selbst die Chance hätte – das betrifft jeden, sogar den neutralen Zuschauer –, all die genannten Emotionen zu erzeugen, in dieser Achterbahnfahrt, dabei positive und negative einplanend und in Kauf nehmend, dann wären jenseits des Platzes die Fanausschreitungen bereits erheblich minimiert, da diesen das Potenzial entzogen wird. Einerseits aufgrund der Gerechtigkeit, andererseits aufgrund des hohen Unterhaltungswertes, selbst wenn Enttäuschung oder Frust auch auftreten können, dies aber im gesunden Verhältnis.
Fazit wäre also: sofern man sich an den sämtlichen Vorschlägen im Gesamttext orientiert, wäre auch die Fanproblematik sehr bald nur noch eine „historische Erscheinunng“.