Es gibt Geschichten die sind so unglaublich, dass sie sich ein Romanautor erst mal gründlich überlegen würde, ob er sie so schreiben kann. Oder wurde ich nur zufällig in einen Roman hineingezogen? Jedenfalls hat sich das Folgende authentisch so ereignet:
Ich war gerade stolzer „Backgammonprofi“ geworden und immer auf der Suche nach einer „guten Partie“. Dieser Begriff mag auch so in die Zockersprache eingegangen sein, denn er ist inhaltlich deckungsgleich mit dem auch sonst und alltäglich verwendeten „man hat eine gute Partie gemacht“ oder wie das dann so heißt. Also besuchte ich mal wieder am Ku-damm eines der Lokale, wo eine Chance bestand, eine solche zu finden. Und ich traf tatsächlich einen jungen Mann, der offensichtlich gewillt war, mit mir Backgammon um Einsatz zu spielen. Ich hatte ihn vorher noch nie gesehen, aber er war ohne Weiteres als Motorradfahrer zu identifizieren, noch dazu stand eine wirklich schicke Harley vor der Tür, so dass sich diese Dinge spielend zuordnen ließen.
Zunächst spielten wir also Backgammon. Er war wirklich kein überragend guter Spieler oder das Glück war mir hold an diesem Abend, jedenfalls gewann ich ca. 600 DM. Die Auszahlung stellte auch kein Problem dar, er war auch nicht all zu geknickt, wie es schien.
Nun, wir verabschiedeten uns und es war offen gelassen, ob oder wann man sich wieder mal trifft. Sein Motorrad durfte ich aber noch bewundern. Er stellte es mir in allen Details vor und rauschte dann mit aufdrehendem Motor davon.
Nun, ich habe mich schlecht ausgedrückt, ich war „Spielprofi“ geworden, Backgammon sollte mein Spiel werden, aber das Black Jack hatte ich ja noch in der Hinterhand. Ich war also hin und wieder auch in der Spielbank. Und bei meinem nächsten Besuch dort traf ich tatsächlich diesen Harley Mann wieder. Wir unterhielten uns eine Weile, ich versuchte, unauffällig das Gespräch wieder Richtung Backgammon zu lenken und ihm eine kleine Revanche zu gönnen; so einen Glückstag hätte ich sicher kein zweites Mal.
Aber er war nicht von seinem Thema abzubringen. Er hatte nämlich eines, er war jetzt auch Spieler geworden, Roulette Spieler. Er trug in allen möglichen Variationen seine Strategie vor. Sie war leider nicht viel besser als die meisten anderen. Sie war sozusagen lächerlich, unüberlegt, naiv. Und ich hätte doch wirklich einen guten Abnehmer für sein Geld gewusst, das musste doch nicht die Spielbank sein. Ich habe ihm also die Schattenseiten dargelegt und die Langfristigkeit des Unternehmens angezweifelt, ja ihm quasi vorgerechnet, dass er so nicht gewinnen könne und würde.
Aber er war mittlerweile regelrecht verbohrt in diesen Gedanken und wollte seine Strategie unter allen Umständen weiter anwenden. Backgammon kam einfach nicht mehr in Frage. Da ich aber weiterhin die Spielbank besuchte, ließ es sich nicht vermeiden, dass wir uns in den nächsten Wochen häufiger dort trafen. Er war ja nicht mein Feind oder so, wir haben uns regelmäßig freundschaftlich unterhalten, aber er lebte irgendwie in einer anderen Welt, das war ihm deutlich anzumerken. Er war irgendwie hektisch, leicht verstört oder so etwas.
Nun, wir trafen uns also, grüßten kurz, wechselten ein paar Worte. Und dann passierte es zwei Mal in der Zeit, dass er sein Portemonnais herausholte und mir vor Augen hielt, möglichst unauffällig. Und es war jedes Mal prall gefüllt mit 1000er Noten. Nun, ich gratulierte ihm und wünschte weiterhin viel Glück, vielleicht hätte er doch irgendwann mal wieder Lust zu einer Partie Backgammon?
Er aber war der Welt entrückt, das ganze sonstige Leben kein Thema mehr für ihn. Und was geschah dann? Ich blätterte eines Morgens, wie auch an vielen anderen, die Tageszeitung durch. Aber an diesem Tag, sonst hätte ich es ja wahrscheinlich nicht erzählt, fiel mein Blick auf etwas Außergewöhnliches. Ich entdeckte irgendwo ein kleines Foto von einem Menschen, der mir bekannt vorkam. Nun, da es etwas unerwartet war, musste ich einen Moment in meinem Gedächtnis kramen, woher ich diesen Menschen kannte? Es fiel mir doch recht bald ein, zumal auch noch der Vorname darunter abgedruckt war: Unser Harley Mann.
Allerdings war der Artikel, der ihm gewidmet war, ein klein bisschen weniger erfreulich: Er war geschnappt worden. Es war von einer dramatischen Verfolgungsjagd die Rede, er hätte auf dem U-Bahnhof seine Tüte weggeworfen, da wäre ein Haufen Geld durch die Gegend geflogen, eben wie im (schlechten) Roman. Aber es war nicht das erste Mal: Er war bei seinem achten Banküberfall endlich geschnappt worden…
Es gibt schon originelle Wege, seine Spielsucht zu befriedigen…