(oder auch: wie lernt man den guten Umgang mit Wahrscheinlichkeiten?)
Der Fehler liegt, wie der aufmerksame Leser sicher sofort bemerkt, in der Fragestellung. Denn: so lange es nicht feststeht, wie es medial so schön heißt „rein rechnerisch“, bleibt es ein Spiel von Wahrscheinlichkeiten.
Die Frage wird dennoch häufig gestellt. Und obwohl sich die Befragten (wie gerne beruft man sich, als Fragensteller, dabei auf so genannte „Experten) oftmals schon (mit sich selbst) einig sind, dass auch sie es einfach nicht wissen können, bemühen sie sich, die Frage – nach bestem Wissen und Gewissen – dennoch zu beantworten. „Die Bayern werden sich am Ende schon durchsetzen. Die sind einfach zu stark.“
Dass dieser „Experte“ mit der getätigten Aussage jedoch – auch vom Fragensteller unbemerkt – in die Gefahr gerät, seinen Expertenstatus auf Lebzeiten und endgültig einzubüßen, bleibt den Beiden, genau wie wohl auch den Zuhörern, dabei unbemerkt. Denn: sollten es die Bayern dann „am Ende DOCH NICHT machen“, dann hätte ein von ihm auf 100% festgelegtes Ereignis sein Eintreten verweigert. Und das ist das vom Mathematiker zum „unmöglichen Ereignis“ erkorene – mit der Gegenwahrscheinlichkeit von 0% –, welches eingetreten wäre. Und dies ist, wie es der Name schon sagt, „unmöglich“. Diesen Fehler könnte man nur ein einziges Mal machen. Die Glaubwürdigkeit wäre dahin.
Es ist eben nicht nur sozusagen „logisch“, rein verbal argumentiert, dass das nicht geht, aber es wäre auch quasi rechnerisch sein Ende. Denn: auf das unmögliche Ereignis, welches mit der Wahrscheinlichkeit von 0% bedacht ist, könnte man nicht nur sondern MÜSSTE man sogar, rein wetttechnisch gesehen, eine Quote von unendlich bezahlen, nämlich den Kehrwert von 0. Da es nicht passieren kann, ist jeder Einsatz, den ich auf dieses Ereignis annehme, ein Geschenk an mich. Das Geld gehört mir schon. Weil ich unter keinen Umständen – man erinnere sich, zu 0%, also im unmöglichen Fall – etwas auszahlen müsste. Zu 0% zahle ich unendlich viel aus. Umgekehrt gehört das gesetzte Geld IMMER MIR.
Falls es nun doch zu dem Eintreten des Gegenereignisses käme, wäre man nicht nur unmittelbar kein Experte mehr, sondern unmittelbar und auf Lebzeiten pleite. Unendlich viel Geld kann man NIEMALS KOMPLETT ausbezahlen. Man bleibt für immer pleite.
Nun ist es schon vorstellbar, dass der Fragensteller auf eine Art von Festlegung besteht und der Befragte ihm auch diesen Gefallen tut. Beide würden jedoch auf keinen Fall ins Wettgeschehen einsteigen. Sollte also jetzt der Fragensteller, so er denn clever genug wäre, darauf reagieren mit „ok, Sie sagen Bayern, ich nehm Dortmund“, dann würde der Befragte sicher klugerweise so reagieren: „Klar, können wir machen.“ Nur haben die Beiden bisher noch gar keine Quote ausgehandelt. Das Gespräch könnte also weitergehen: „Bin dabei. Sofern Sie mir fünffaches Geld bezahlen. Ich 100 Euro an Sie, wenn Bayern Meister wird, Sie 500 Euro an mich, wenn es Dortmund wird.“ Die Fortsetzung oder Einigung oder der weitere Verhandlungsverlauf soll hier mal offen bleiben. Es ist alles eine Frage der Wahrscheinlichkeiten oder, umgekehrt gerechnet, eine Frage der Quoten, die bezahl werden. Denn merke: die Quote ist immer eine Art von Kehrwert einer Wahrscheinlichkeit. Und vermutlich liegt einer der beiden näher dran mit seiner Wahrscheinlichkeitseinschätzung – bei jeder abgeschlossenen Wette – und hätte somit einen höheren Teil Anspruch auf die Summe der von beiden Seiten getätigten Einsätze.
Im Beispiel wäre es so: der eine riskiert 100 Euro, der andere riskiert 500 Euro. Sofern die Teilnehmer dieses Geld, aus nennen wir es „Vertrauensmangel“, unmittelbar einlegen, bei einer neutralen Person zum Beispiel, einem Notar, um ganz sicher zu gehen, dann lägen 600 Euro in diesem Pott. Entweder bekommt es diese Seite oder jene Seite. Nehmen wir ruhig mal für den Moment andere Ereignisse aus oder stellen uns vor, dass, falls ein anderes Team Meister wird oder gar die Meisterschaft abgebrochen würde, gar kein Meister gekürt würde, die Parteien ihren Einsatz zurück erhielten. Dennoch hätte nun jede Seite einen von einer fiktiven Wahrscheinlichkeit bestimmten Anspruch auf das im Pott liegende Geld.
Gehen wir nun mal, zur Fortsetzung des Beispiels, von einer Chance für Bayern auf den Titel von 81.4% aus und für Dortmund von 13.6% (die Summe dieser Werte ist 95%, so dass 5% für andere Mannschaften bleiben). Dann hätte der Befragte einen Anspruch von 81.4% *600 Euro (Bayern Meister, er bekommt den gesamten Pott) + 5% * 500 Euro (WEDER Bayern NOCH Dortmund werden Meister, er bekommt seinen Anteil am Gesamtpott zurück; dieser beträgt 500 Euro). Multipliziert man diese Werte aus und addiert sie auf, so erhält man einen Wert von 513.40 Euro. Somit hätte er also aus seinen 500 Euro 513.40 Euro gemacht oder eine equity von 13.40 Euro auf 500 Euro, demnach einen Vorteil von 2.68%.
Für die Gegenseite ist die Rechnung sehr ähnlich. Er hätte Anspruch auf 13.6% * 600 Euro + 5% * 100 Euro (sein Einsatz ist kleiner, aber er bekommt ihn zu 6% ebenfalls zurück). Ausmultipliziert und aufaddiert ergibt sich hier der Wert 86.60 Euro. Derjenige, der Dortmund als Meister nimmt und „nur“ fünffaches Geld verlangte, hätte aus seinen 100 Euro nur noch 86.60 Euro gemacht. Er hätte den Nachteil bei der Wette, sein Geld wäre weniger wert als vorher.
Die offenen Fragen blieben die: a) sind die berechneten Werte überhaupt richtig? Und b) wer wird es denn nun tatsächlich, unabhängig von den hier angestellten Zahlenspielchen? Dabei ist hier ein Teil der Frage dort verborgen: gewinnt nicht auch häufiger mal die Seite, welche den Nachteil bei einer Wette hat? Antwort hier eindeutig: ja, selbstverständlich. Und mitgeliefert gleich die Erkenntnis: und das ist auch gut so.
Der gesamte Wettmarkt rankt sich nämlich um dieses Spiel der Wahrscheinlichkeiten, welche nicht nur permanent veränderlich sind, sondern zudem zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise fest bestimmbar bleiben. Alle raten so in der Gegend herum und jeder versucht natürlich, sich möglichst häufig auf die richtige Seite zu schlagen. Dabei wäre ihm zwar egal, ob es die richtige oder die falsche — im mathematischen Sinne – wäre, sondern allein wichtig, ob die von ihm gewählte Seite eintritt, er seine Wette ausbezahlt bekommt oder, als Anbieter vielleicht, das vom Kunden gesetzte Geld bei ihm bleibt. Nur dürfte sich hier langfristig herausstellen, dass das Geld bei demjenigen landet, der häufiger oder, im Idealfall immer, auf der richtigen Seite spielt. Er wird dabei gerne temporäre Verluste in Kauf nehmen, denn genau das macht ja das Geschäft überhaupt aus, dass der Ausgang noch unbekannt ist und somit jeder – auch der schlechte Spieler – immer eine Chance hat. Der schlechte Spieler würde sich die Einsätze logischerweise verkneifen, wenn der Sieger der Wette bereits bekannt wäre. Das Geschäft lebt davon, dass auch oft genug derjenige, der auf der falschen Seite spielt, dennoch gewinnt. Nur müsste es eben, aus Sicht des guten Spielers, nur so oft (oder besser: selten) geschehen, dass es a) dem schlechten Spieler weiterhin Spaß bereitet und er immer hofft, aber vor allem b) noch immer etwas übrig bleibt für ihn selbst.
Eine weitere Frage, welche angesichts der so häufig gehörten und logischerweise damit auch gestellten Frage „Wer wird Deutscher Meister?“ auftaucht ist diese: inwieweit meint man denn, bei den Sendeanstalten, damit dem Zuschauer eine gute Unterhaltung zu bieten? Es wird oft gefragt, oft wird auch geantwortet, aber fast nie kann man etwas damit anfangen. Wäre es nicht viel sinnvoller, mal damit aufzuräumen und eben nicht mehr diese so sinnlose und nicht weiter helfende Frage zu beantworten, sondern stattdessen die richtige Frage zu stellen: „Wer wird MIT WELCHER WAHRSCHEINLICHKEIT Deutscher Meister?“
Genau an dieser Stelle hätte man nicht nur klug gefragt, sondern könnte darüber hinaus tatsächlich Expertenmeinungen einsammeln, diese vielleicht vergleichen, vor allem aber mit dem Wettmarkt, und vielleicht zu sinnvollen Ergebnissen kommen, die darüber hinaus den Zuschauer tatsächlich a) interessieren und b) weiter helfen könnten? Sogar im Sinne davon, gute Wetten ausfindig zu machen und zu platzieren? Sofern man nicht sogar selbst eine bessere Meinung herausbilden könnte, sofern man überhaupt nur ansatzweise mit sinnvollen Informationen gefüttert würde.
Hier ist einmal graphisch dargestellt, wie sich aus Sicht des eigens entwickelten Computerprogramms, mithilfe einer Simulation, die Chancen auf die Meisterschaft im Laufe der Zeit entwickelt haben. Erstmal durchgeführt wurde die Simulation am 17. Spieltag, also zum Ende der Hinrunde.
Dort hatte zunächst – aus Sicht des Computers, aber auch unter den Experten gab es durchaus Fürsprecher für Leipzig – Leipzig die besseren Chancen (da sie in der Tabelle vorne lagen, aber auch „gut drauf“ waren). Die Bayern haben jedoch recht bald übernommen und sich dann, außer nach dem 0-0 gegen Leipzig daheim, mit welchem sich die Chancen geringfügig verschlechterten, immer weiter an Prozenten zugelegt und mittlerweile tatsächlich – aus Sicht des Computers, die Zahlen allerdings vom Wettmarkt bestätigt – die 81.4% erreicht. Leipzigs Chancen gingen durch die vielen Remisen in den Keller, während Dortmund konstant etwas zugelegt hat. Natürlich nicht ganz einfach, da zuzulegen, wenn man bedenkt, dass Siege nicht einmal wirklich helfen, so lange die Bayern ebenfalls gewinnen und sowohl ein Rückstand bleibt als auch die Anzahl der ausstehenden Spiele reduziert wird. Gladbach ist zwar konstant geblieben, aber eben auch bei einem sehr niedrigen Wert.
Ein für den Moment letztes Wort noch zu der Frage und zur Entwicklung von Wahrscheinlichkeiten: die Frage nach dem Titel wurde lange Zeit und viel gestellt. Da jedoch Bayern nun doch wieder klar vorne liegt, findet man das langweilig und fragt NICHT mehr. Hätte Dortmund diesen Vorsprung (oder Leipzig) und die ähnlichen Chancen von 80% oder mehr – nicht allein damit zu erreichen, dass man die Mannschaften in der Tabelle im Geiste austauscht, da Bayern aufgrund der höheren Spielstärke dann noch immer bessere Chancen als Dortmund hätte; sagen wir so: Dortmund bräuchte, für diese 81.4%, vielleicht sechs Punkte Vorsprung, die Bayern nur vier –, dann würde man weiterhin fragen und würde es als spannend empfinden. Da es aber erneut die Bayern sind (gähn), fragt man nicht mehr.
Das letzte Wort dazu wäre aber dieses: das Eintreten von kleinen Wahrscheinlichkeiten (welches exakt dem Nichteintreten von sehr großen Chancen entspricht) ist das, was uns immer wieder fasziniert und was für die ganz große Story sorgt, für eine, an die man sich erinnert und welche man noch in Jahren oder gar Jahrzehnten zum Besten geben kann („Weißt du noch, damals, im Halbfinale 1982, als Deutschland gegen Frankreich in der Verlängerung eins zu drei hinten lag und dann…“; nur zur Verdeutlichung: die Franzosen sehen es zwar umgekehrt, werden es aber ebenfalls oft erzählen und auch nicht vergessen haben, wie dicht sie dran waren – und dann doch scheiterten). Insofern sollte man, gerade als Sportreporter, immer darauf lauern, das irgendwo so ein kleines Wunder geschieht – und man am besten selbst und live dabei war. Es lohnt sich zwar nicht, darauf zu warten, dass man ein 0-2 ab der 89. Minute noch dreht (war da nicht mal Dortmund – Malaga, als sie DREI Tore brauchten und alle erzielt haben?), aber man sollte es möglichst auch nicht ausschließen – und in der Kommentierung somit den Zuschauer vergraulen („das Ding ist durch“, „das war´s“, „Deckel drauf“, „der Drops ist gelutscht“, „die Messe ist gelesen“). Denn: vielleicht passiert ja gerade hier und jetzt das ganz große Wunder und wehe, man hätte es DANN verpasst?!