These 1:
Mehr Tore täten dem Fußball gut. Und das tatsächlich in vielerlei (später näher aufgezeigter) Hinsicht. Die Einführung der Dreipunkteregel liefert im Grunde den Beweis, dass auch den Regeloffiziellen ein Mangel an Toren oder zumindest an Action aufgefallen ist. Mehr Tore, mehr Spannung, mehr Action, mehr Fans, mehr sogar neutrale Zuschauer, so die schlichte Formel. „Übersättigung“ an Toren wäre erst ab Handballergebnissen ein zu akzeptierendes Gegenargument.
These 2:
Die Anwendung bestehender Regeln reicht aus, um für mehr Tore zu sorgen.
These 3:
Der Schiedsrichter ist die „Schwachstelle“ in dem gesamten System.
Er trägt eine sehr hohe, eine zu hohe Verantwortung, welcher er als Einzelperson nicht gewachsen ist, vor allem in dem noch immer bestehenden Prinzip, dass die Bewertung einer Aktion seinerseits unmittelbar erfolgen muss und, nachdem er sie bewertet hat, per Pfiff oder Nicht-Pfiff, diese Entscheidung zugleich unumstößlich ist.
Dabei sind die Tore selbst, aber auch bereits Torchancen, Torsituationen in ihrer Entstehung einbezogen (hier speziell: Abseits- und Elfmetersituationen, für oder gegen die Angreifer) und mithin die entscheidenden Ausprägungen. Ein Tor hat ein derart hohes Gewicht im modernen, hoch professionellen Fußball, dass die Anerkennung oder Ermöglichung eines Treffers dem Einzelverantwortlichen mit der Pfeife rein intuitiv widerstrebt. Im Zweifel wird die Entscheidung gegen die Angriffspartei ausfallen.
Dafür gibt es diese Begründung: ein zählendes Tor hat eine wesentlich stärkere Auswirkung als ein Nicht-Tor, für den Fall, dass eine Fehlentscheidung zugrunde liegt. Einerseits findet es Eintrag in das score-sheet, die Tabelle, die Statistiken, die Annalen – und dafür möge doch bitte gelten: da war alles regulär. Andererseits ruft es wesentlich ausgedehntere Diskussionen hervor als es umgekehrt, bei fälschlicher Aberkennung eines Tores (eines falsch bewerteten Abseits, eines nicht zugesprochenen Elfmeters), der Fall wäre. Darüber hinaus hat es aber auch direkte Auswirkungen auf den Charakter des Spiels und den letztendlichen Ausgang. Auch dies wäre bei fälschlicher Aberkennung nicht der Fall. Spielstand bleibt erhalten – es bleibt wie es war. Selbst wenn nicht berechtigt, weil es eben das Tor, die Torchance zumindest, hätte geben müssen.
Als vorletzter Punkt sei genannt: ein anerkannter Treffer, welchem ein Makel anhaftet (dieser als „irregulär“ bewertet wird), hat stets die Auswirkung von einem ganzen Tor. Die Zuerkennung eines (berechtigten) Elfmeters, eine „onside“ Situation, die fälschlich als Abseits bewertet wird, eine strittige Zweikampfsituation, welche vor einem Torabschluss gegen den Angreifer ausgelegt wird („Stürmerfoul“, trotz gleichwertiger Bearbeitung) stehen fast ausnahmslos nur für ein potenzielles Tor und sind somit weniger als ein ganzes Tor wert in der Summe ihrer Fehlerhaftigkeit (Elfer verweigert – „nur“ 0.75 Tore geklaut, weil die Chance weit unter 1 liegt, ihn zu verwerten). Der Schiedsrichter entscheidet sich somit in sehr häufigen Fällen, da er es nicht einwandfrei beurteilen kann, rein intuitiv für die kleinere Fehlersumme, also gegen den (möglichen) Treffer.
Es gibt natürlich die wesentlich selteneren Fälle, in denen ein Elfmeter irrtümlich verhängt wird. Wenn dieser verwertet wird, beginnen die umfangreichen Diskussionen und der Schiedsrichter rückt (unerwünscht) in den Fokus. Wird der Elfmeter hingegen nicht verwertet, so wird dies als „ausgleichende Gerechtigkeit“ gewertet und man geht zur Tagesordnung über: kein Schaden wurde angerichtet, keine längeren Diskussionen.
Genauso bei Abseitsentscheidungen, die den Stürmer bevorteilen. Ein Angreifer wird laufen gelassen, obwohl die Bilder zeigen, dass er sich irregulär, also im Abseits, befand. Wenn er nun die Chance nicht verwertet, hat der Schiri vielleicht laut Kommentar „Glück gehabt, dass das kein Tor wurde“, aber mit einer längeren Verfolgung der Angelegenheit muss er nicht rechnen.
In der Summe zu diesem Punkt also: die erhöhte Aufmerksamkeit wird ausschließlich jenen Szenen gewidmet, in denen ein Tor fällt, welches nicht hätte zählen dürfen.
Ein allerletzter Punkt dieser: die erhöhte Aufmerksamkeit, welche fälschlich anerkannten Toren zukommt gegenüber den viel häufiger vorkommenden Situationen, in welchen eine Torchance unrechtmäßig verweigert wird hat einerseits die genannten Gründe, die auch für die Schiedsrichterentscheidung selbst gilt (ein Tor wiegt schwer, sobald es diesen Eintrag als Tor findet, der Fehler ist 1 und nicht kleiner als das), aber zugleich auch eine nennen wir es ruhig „tiefenpsychologische“: intuitiv spürt eigentlich jeder, dass die Fehlentscheidungen, welche gegen die Torchancen ausfallen, im Verhältnis zu häufig vorkommen gegenüber den umgekehrten Fehlern fälschlich anerkannter Tore. Durch die gewidmete höhere Aufmerksamkeit stellt man ein gewisses Gleichgewicht her, zwecks Gewissensbereinigung.
Der eine Fehler, der das Tor ermöglichte, tritt zwar selten ein, prägt sich aber durch die gewidmete Aufmerksamkeit ähnlich heftig ein wie die fünf Situationen, als es kein Abseits war oder einen Elfmeter hätte geben müssen, wie sich oft im Nachhinein alle einig sind.
Interessamt in diesem Zusammenhang übrigens noch die Berichterstattung, welche auf ihre Art dazu beiträgt, dass sich auch ja nichts daran ändert, zugleich natürlich für die gleiche Gewissensbereinigung sorgt.
Als Beispiel sei hier genannt: einem Assistenten an der Linie wird beispielsweise bei einer kritischen Abseitssituation, die er richtigerweise (wie die Zeitlupe beweist) mit Abseits bewertet, ein „Adlerauge“ angedichtet, jedoch in der nächsten Situation, die er umgekehrt falsch hat, lediglich ein „hier irrte er, war aber auch ganz schwer“ zur Entlastung beigebracht. Dass er in beiden Fällen den Weg des geringsten Widerstandes (wie oben ausgeführt) eingeschlagen hat und gleichsam beide Male gegen das Tor votiert hat, scheint dabei nicht aufzufallen, das geht unter Er hat ein „gutes Auge“ oder ihm ist „ein unbedeutender Irrtum“ unterlaufen?! Hier das analoge Ungleichverhältnis, welches dem Sprecher die Beruhigung verschafft und dem Mann mit der Fahne fürs nächste Mal (erneut: intuitiv) das Winken anraten lässt. Alles gut also?!
These 4:
Das Umdenken pro Torsituationen, pro Toren, von den Regeln gedeckt, also ohne ein Erfordernis von größeren Veränderungen gegeben, hätte etliche positive Begleiterscheinungen. Nicht nur eine garantiert erhöhte Spannung und einen erhöhten Spaßfaktor durch höheres Aufkommen von Torsituationen und Stürmern, die sich im Zweikampf behaupten können (weil mit den gleichen Rechten ausgestattet und Foul an ihnen auch gepfiffen wird), mehr Schönheit, die der Fußball garantiert hergibt, mehr neutrale Zuschauer, die aus Freude am Spiel, am Fußball, an schönen Toren und nicht nur als Fan einer Mannschaft, die mit allen Mitteln den Sieg erzwingen will, und sei es auch einem neusprachlich „dreckigen“, nein, es gibt eine weitere mehr als wünschenswerte Begleiterscheinung, welche weitere Regelmodifikationen komplett überflüssig macht, zum Beispiel auch die einfach nur ungerechte Dreipunkteregel, die hinfällig wäre.
Falls es nämlich mehr Tore gäbe, einhergehend das einzig erforderliche Umdenken pro Torsituationen – immer daran denken: ein Einklang mit den gängigen Regeln –, wäre die Verantwortung, die bisher erhöht auf den Schultern des Schiedsrichtergespanns liegt, erheblich reduziert. Vor allem nämlich jene, nur ja kein Tor zuzulassen, welchem ein Makel anhängen könnte, weil mit dem einen das Spiel, die Meisterschaft, der Abstieg besiegelt sein würde. 1:0 – und ab diesem Moment eine Verteidigungsschlacht, wie man befürchten müsste? Gehörte der Vergangenheit an. 1:0 vorne, 2:0 vorne, auch mal der Außenseiter. Nicht etwa nach dem 2:0 „das Ding ist durch“ sondern stattdessen ein „jetzt wird es aber spannend“.
Vorteile ohne Ende. Schattenseiten? Nicht in Sicht. Die Übersättigung an Toren wäre auf keinen Fall in näherer oder fernerer Zukunft ein Problem. Eishockeyergebnisse? Ja, und? Mal ein 4:3, mal in 1:6, mal ein 2:2. Wie war die Torfolge? Jedenfalls doch interessanter als bei 0:0 oder 1:0? Vor allem: mehr Tore, von den Regeln gedeckt. Würde man nun etwa anfangen zu modifizieren, damit alles wieder so schön wird wie früher, damals, weißt du noch, als es immer 0:0 stand und wenn mal ein Treffer fiel man direkt den Sieger kannte?