Die Schiedsrichter und ihre Entscheidungen bei der WM 2010
1) Einleitung
Eine grundsätzliche Aussage, die vom Verfasser vertreten wird, über den Fußball und die Spielleiter ist jene, dass nicht die geringe Qualität – welche noch nachzuweisen wäre – der Entscheidungen der Schiedsrichter auf den Prüfstand gestellt werden sollte, sondern die Tendenz der Selbigen. Diese Tendenz ist – wie an anderer Stelle ausführlicher erörtert – vielfach zu Ungunsten der Angreifer ausgerichtet. Falls dieses a) angezweifelt und b) deren Auswirkung, sobald akzeptiert, genauso fragwürdig als nachteilig für den gesamten Fußball empfunden werden sollte, so seien hier nur rasch die folgenden Punkte erwähnt:
zu a) Gibt es Zweifel an der Auslegung zu Ungunsten der Angreifer?
Beispiele:
Ein harmloser Rempler eines Angreifers, der diesen in Ballbesitz bringt, wird grundsätzlich als „Stürmerfoul“ ausgelegt, während ein umgekehrtes, aber analoges Vergehen des Verteidigers insbesondere im Strafraum – oder auch in der gleichen Situation, da er „mit gleicher Münze zurückzahlt“ — niemals als Foulspiel des Verteidigers, geschweige denn als Elfmeter angesehen wird.
Wenn 100 Flanken in den Strafraum geschlagen werden und von denen in etwa 50 unterbunden werden aufgrund eines Gerangels, so sind alle diese 50 Pfiffe zugunsten der Verteidigung. Dabei sieht man mit bloßem Auge, dass immer beide Parteien – die Abwehrspieler und die Angreifer – ihre Gegenspieler permanent bearbeiten. Es müsste demnach etwa 25 Mal Elfmeter und 25 Mal Stürmerfoul geben. Es wird allseits akzeptiert, dass man „für so etwas doch keinen Elfmeter geben kann.“
Warum dieses Empfinden akzeptiert wird ist intuitiv einleuchtend: Die Szene ergäbe ohne Pfiff kein Tor, da nach wie vor auch ohne Foulspiel der Angreifer noch längst nicht einen Schuss/Kopfball Richtung Tor bekäme, und selbst wenn, dieser nicht annähernd mit einer messbaren Wahrscheinlichkeit einschlagen würde. Wenn gepfiffen würde zugunsten des Angreifers, würde es aber aufgrund der einzigen in den Regeln vorgesehenen Entscheidung, dem Elfmeter, ein fast sicheres Tor geben? Die Strafe würde als zu hart empfunden werden, deshalb gibt es einfach keine Elfmeter. Selbst wenn das Verhalten, Denken, Empfinden des Schiris, „ich ahnde nicht, weil die Strafe zu hart wäre“ einleuchtend ist, so wäre es ein Auftrag an die Regelmacher, nicht etwa die gleichermaßen foulenden Spieler ungleich zu bestrafen, sondern die Strafe, auch jene gegen die Verteidiger, so hoch anzusetzen, dass sie eine dem Vergehen angemessene Torsituation erneut schafft. Auf gut Deutsch: Es müsste nicht unbedingt nur Elfmeter als Strafe für Verteidigervergehen geben.
Abseitsfehlentscheidungen sind zu ca. 90% gegen die Angreifer gerichtet. Man möge das Wort Abseitsfehlentscheidungen dabei exakt lesen und überdenken. Korrekte Entscheidungen, die sowohl das Weiterlaufen als auch das Unterbinden beinhalten können (hier pfeift er zurecht Abseits, hier lässt er zurecht laufen) sind dabei nicht eingerechnet. Auch hier eine kurze psychologische Erörterung, warum die Prozentverteilung so erdrückend falsch herum, gegen den Geist des Spiels, gegen die Spannung ausfällt: Ein zu Unrecht anerkanntes Tor schlägt hohe Wellen– klar, der Spielstand hat sich verändert und hätte nicht dürfen –, während ein unterbundenes Tor, welches oftmals nur in der Anbahnung zu erkennen ist, keinesfalls mit der gleichen Inbrunst als „Schiedsrichterversagen“ angesprochen wird. Möglicher Adressat, dies zu tun, sind die Medien. Der Verlierer darf nämlich nicht, da er angeblich von eigenen Fehlleistungen ablenken möchte, der Sieger tut es nicht. Gewonnen, abgehakt. Nach dem „Wie?“ fragt bald keiner mehr und so weiter.
Diese drei Beispiele – die an vielen Stellen ergänzt werden könnten – mögen hier zunächst genügen.
zu b) welche Auswirkungen sollten denn Regelauslegungen zu Ungunsten der Angreifer haben?
Die für die Regeln und damit den gesamten Fußball Mit- wenn nicht Hauptverantwortlichen bedenken zu wenig die Bedürfnisse der Zuschauer. Dabei sollten die Zuschauer theoretisch gut aufgeteilt sein in die wahren Fans einer der beiden Mannschaften und die neutralen Zuschauer. Die neutralen Zuschauer sollten eigentlich bei Weitem in der Überzahl sein. Gerade bei einer Weltmeisterschaft müsste das bei praktisch jedem Spiel der Fall sein und gerade hier könnte man für viele Zuschauer den Grundstein für eine lange Anhängerschaft dieses Spiels legen. Der neutrale Zuschauer aber, der eine Begegnung Ghana – Australien oder Japan – Kamerun anschauen soll, kann nur eines erhoffen, dass ihm Freude bereitet: Spektakel, Spannung, Torszenen, Tore. Der wahre Fan mag leidensfähig sein und mit einem 0:0 ohne Torchancen zufrieden sein, auf Besserung im nächsten Spiel hoffend, den gegen einen Favoriten erzielten Punkt gar feiern. Der neutrale Zuschauer wird bei Ausbleiben der Torszenen abschalten, nicht hingucken, als potenzieller Fan verloren gehen, seine Leidenschaft einem anderen Sport zuwenden, wo es gerechter und dramatischer zugeht.
Grundsätzlich ist die Spannung das Kriterium, dass man zu berücksichtigen hätte. Die Spannung kann nur dann aufkommen, wenn in vernünftigen Zeitabständen Torszenen stattfinden, am besten ständig. Möge ja kein Neutraler das leugnen, es gäbe nur ein Argument dagegen: Durch zu viele Tore stumpft man irgendwann ab und empfindet ein einzelnes nicht mehr als „Spannung steigernd“, überhaupt spannend, toll, siehe Handball als Beispiel. Die Torszenen sollten dennoch hier und da zu Toren führen, dann macht es Spaß. Aktuell ist die Wartezeit ist zu hoch, bis eine solche entsteht. Ursache: Siehe oben, die Regelauslegung zu Ungunsten der Angreifer, die andauernd die so wünschenswerten Torsituationen unterbindet. Nur kurz erwähnt: Bei einem Torschnitt von 2.6 Toren pro Spiel, weltweit in den Topligen errechnet – fällt alle 35 Minuten ein Tor. Ein einzelner Angriff kann da kaum als spannend empfunden werden, da der Ausgang – so selten der Irrtum – bereits bekannt ist: „Das wird nix.“
Die so klamme Regelauslegung hat eine weitere Folge: Jedem Spieler und Trainer ist bewusst, dass nur eine einzige Unachtsamkeit in der Abwehr durch ein davon ausgelöstes Gegentor die Spielentscheidung bringen kann. Der Gedanke, dass man nach einem 0:1 doch einfach ein paar Törchen schießt, da man vielleicht sogar die bessere Mannschaft aufstellt, ist illusorisch. Man liegt zurück, man verliert. So geschehen in einer Vielzahl der Spiele dieser Weltmeisterschaft. Die Bilanz vor dem letzten Achtelfinalspieltag heute, am 29. Juni 2010: Von 48 Spielen, in denen überhaupt eine Mannschaft in Führung ging, wurden 38 gewonnen. Das sind beinahe 80%. Das ist weit mehr als nur eine klare Tendenz, die es einem sozusagen verbietet, in Rückstand zu geraten. Die Folge, ganz klar: Die Spiele werden weit defensiver angelegt, die Denkweise von Spielern und Trainern ist grundsätzlich defensiv. Man möge dies nur gedanklich entgegenhalten der Möglichkeit, dass es mehr (zugelassene) Torchancen und folglich mehr Tore gäbe: Die Zuschauer – gerne die neutralen, aber weit in der Überzahl befindlichen, falls es nicht sogar die der Verlierermannschaft betreffen würde, wie jüngst bei Deutschland – England – wären sowieso begeistert von mehr Action. Folge: Die Spieler und Trainer könnten guten Gewissens offensives Denken predigen: Das zu erwartende Spektakel wäre in seiner Auswirkung gigantisch. Die einzigen, winzigen Gegenargumente: 1. Es war schon immer so, 2. der Fußball wird nie kaputt gehen, 3. wer weiß, ob es bei mehr Toren interessanter wäre? Nachher vergrault man die Fans? Na, unvorstellbar, oder? Denn Fakt ist auch, dass die FIFA schon lange die Idee hat, dass mehr Tore fallen sollten. Sie wissen nur nicht, wie das realisieren. Siehe den Versuch der Drei-Punkte-Regel, die – statistisch belegbar – nichts gebracht hat, falls man Stagnation nicht gegenüber Absinken als „Fortschritt“ ansieht.
Ausgelöst von nur einem minimalen Umdenkprozess – welcher übrigens gerade zu der in den USA 1994 ausgetragenen Weltmeisterschaft einmal in Bezug auf die Abseitsentscheidungen fest in den Regeln verankerten Formulierung führte –: Im Zweifel für den Angreifer.
2) Eine äußerst vage Theorie:
Da nun das Spielgeschehen bei Weitem nicht genügend Anlass bietet, Freude an dem Spiel Fußball zu verbreiten, werden andere Diskussionspunkte gesucht, die in der Folge zu ausschweifenden Ereiferungen führen können und an denen sich alle Gemüter erhitzen können. Man könnte als Motivation – vielleicht in gewisser Analogie zum Eishockey oder gar der Formel 1, bei deren Ersterem die Aussicht auf ein paar heftige Keilereien mit ausgeschlagenen Zähnen und bei Letzterem vielleicht die Möglichkeit eines spektakulären Crashs für mehr als nur eine Minderheit Teil der Motivation, diesen Sport zu verfolgen ausmachen könnten – anführen, dass man sich das heutige Spiel aufmerksam anschaut, da man weitere Anhaltspunkte für schiedsrichterliche Fehlleistungen sucht und den erhofften, aber bisher in der Vielzahl der Begegnungen vermissten, Anstieg des Adrenalinpegels dadurch zu erzielen gedenkt.
Die vage Theorie: Hat die FIFA eventuell in der Erkenntnis des ausbleibenden Spektakels, der leeren Arenen, der sinkenden Einschaltquoten, den Spielleitern gar den Auftrag gegeben, durch ein paar „unbedachte“ Pfiffe den Zuschauer zunächst an die Couch zu fesseln um ihn dann spontan aufspringen zu lassen um ebenjenen Pfeifenmann wüst beschimpfen zu können? Nun ja, eben: Vage…
3) Nicht alles, was schlecht ist, glänzt auch nicht nicht
Nun, hierzulande hat man ausreichend Anlass, den (Rest-)Weltfußball zu verhöhnen. Es braucht nur ein großes Turnier stattzufinden und schon kann man den für die Dauer der nationalen Meisterschaften und vor allem die europäischen Topwettbewerbe sauber verdeckt gehaltenen Zeigefinger wieder herausholen und auf die Fehlleistungen der „Grande nation“, des „Mutterlandes des Fußballs“ oder auch der „Squaddra azzura“ , die eigentlich außer schöne Badestrände und gut auszusehen so gut wie nichts haben und können, verweisen. Es war schon 2006 so, es ist 2010 wieder so: Die deutschen Auftritte sorgen für das Fußballspektakel auf diesem Planeten. Die ganze Welt hat es gesehen, und sogar — das möge man beachten und an anderer Stelle ruhig selbst mal verwenden — Beifall gespendet. Sogar die Verlierermannschaft mitsamt ihrer Anhänger hat den Hut gezogen, fair gratuliert und die Hände in ernsthafter Gratulationsabsicht gereicht. Die Welt verneigt sich und die Welt dankt, dass die so lange verhaltene Freude an einem solchen Turnier doch noch rein fußballerisch ausbrechen konnte.
Man möge nur mit ein wenig Demut an die vielen erreichten Finals denken, als dieses Spektakel weit im Hintergrund stand und sich die deutschen einfach nur auf ihr Glück stützend durchgemogelt haben. Erinnert sei nur an die WM 2002, als sowohl in der Vorrunde erst gegen Irland der Ausgleich in Nachspielzeit fiel als auch im Abschlussspiel, als eine Niederlage das Aus bedeutet hätte, gegen Kamerun eine Halbzeit lang unterlegen agiert wurde, die Kameruner aber die beinahe erzwungene numerische Überlegenheit nach Platzverweis gegen Ramelow nicht ausspielen konnten, im Gegenteil gar unsicherer wurden und das 0:1 zulassen mussten. Später wurde die Schwergewichte Paraguay, USA und Südkorea aus dem Weg geräumt, jeweils mit Kanter-1:0-Siegen. Man möge den Neid der anderen Nationen verstehen, die so viel Objektivität besitzen, bei verdienten Erfolgen – wie dem diesjährigen – klatschen, aber bei den unverdienten die gleiche Objektivität wahren und das beinahe dadurch sprichwörtlich (natürlich nicht hier!) gewordene Glück als Ursache ausgemacht haben.
4) Täter und Opfer
Nun, um ganz kurz zu den wirklichen Fehlleistungen zu kommen: Sicher ist es unerfreulich, wenn ein Tor nicht erkannt wird, wie das englische 2:2 gegen Deutschland. Gerade unter diesem Aspekt möge noch mehr die Objektivität der Engländer in den Vordergrund gestellt werden, da sie dieses nicht gegebene Tor nicht etwa als Ausrede nutzten – obwohl sie sicher eine guten Grund gehabt hätten –, sondern die Überlegenheit der Deutschen schlichtweg akzeptierten. Dennoch sehe man hier: Es war eine Entscheidung gegen ein Tor. Diese Entscheidungen sind grundsätzlich sehr viel leichter getroffen, wie oben ausführlich erörtert.
Es gab in England übrigens mal ein ähnliche (Nicht-)Tor in einer Partie ManU – Tottenham, als ManU das ganze Spiel über drückte, das Siegtor aber einfach nicht gelang – es stand demnach 0:0, dem typischsten aller Fußballergebnisse — , dann Tottenham kurz vor Schluss einmal auf das Tor schoss – noch dazu ein verunglückter Schuss, dem der Torhüter hinterher eilen musste – und der Ball die Linie etwa um einen ganzen Meter überquerte- Auch dieses Tor wurde nicht anerkannt, obwohl es für jeden mit dem Rücken zum Spielfeld stehendem Zuschauer in den obersten Sitzreihen nicht verborgen bleiben konnte. Das kann nie und nimmer ein optisches Problem sein. Der Wille, das Tor nicht gesehen zu haben, aufgrund der deutlich empfundenen Ungerechtigkeit aus Sicht der Heimmannschaft(!) ManU mag hier für das Zudrücken sämtlicher Augen gesorgt haben.
Sicher dürfte man diesen Ausführungen nun entgegenhalten, dass ja gerade erst Argentinien gegen Mexiko ein Tor erzielt hat, welches eindeutig abseits war, insofern der aufgestellten Aussage zuwider verlief. Sehr richtig. Nur kann man hier einwenden: Die Abseitssituationen, bei denen die Spielerbewegungen gegenläufig sind – Verteidiger raus, Stürmer rein – werden sehr häufig falsch beurteilt, da der Angreifer urplötzlich völlig allein auf weiter Flur ist. Das Auge ist in dem Moment nicht wirklich für den (fälschlichen, den Stürmer aufhaltenden) Pfiff verantwortlich, sondern der Reflex: „Huch, der steht aber frei. Sicher war er abseits.“ Andererseits war das Tevez Tor für Argentinien eines, wo der Angreifer sich rückwärts Richtung Ball bewegte und bei seinem Kopfballtreffer nicht im Abseits stand, da sich zwei zurückgeeilte Verteidiger in seinem Weg Richtung Tor befanden. Dies könnte den umgekehrten Reflex ausgelöst haben, besser ausgedrückt, den Reflex verhindert haben: „Der steht ja gar nicht ´seits.“
Die zahlreichen gelben, teils roten Karten aufgrund kleinerer, gesichteter Tätlichkeiten seien hier wie folgt erläutert: Es gibt ein physikalisches Fehlverhalten und ein verbales Fehlverhalten. Wie das WM-Finale von 2006 tragisch belegte – aufgrund seiner Bedeutung und der Größe vor allem eines der beiden Beteiligten, Zinedine Zidane –, wurde es dieses eine Mal offenbar und weltweit vernehmlich: Es gibt verbale Attacken, auch Provokationen genannt. Keiner weiß, was wirklich auf dem Platz gesprochen wird. Der Schiedsrichter hätte nicht einmal die Chance, aufgrund der Vielzahl der Sprachen, eine solche Verletzung wahrzunehmen. Das ist tatsächlich Anarchie. Man kann sogar Worte in der Heimatsprache aussprechen, von denen man durch Zufall weiß, dass sie der Gegenspieler kennt. Man kann ein angeeignetes Wort der fremden Sprache, nur unter sich, im Zweikampf bei einem Eckstoß beispielsweise, dem Gegner an den Kopf werfen oder ins Ohr flüstern, man könnte sich sogar bei Ertappen herausreden mit der Unkenntnis der Sprache. Es geht immer noch gemeiner. All dies bleibt für den Zuschauer und den Schiedsrichter wohl für immer verborgen.
Sichtbar wird, dass es ab und zu mal einem langt. Es mögen auch andere kleinere Unsportlichkeiten dazu führen, dass man einmal die Nerven verliert: Warum darf mir der Gegner permanent auf den Füßen rumlatschen, mich am Trikot ziehen, wenn niemand hinschaut, mir Verbalinjurien zufügen, aber ich darf niemals irgend etwas? Es gibt kein Rechtsmittel, welches mir für das eingehandelte einen Ausgleich verspricht. Dass sehr häufig die spielerisch besseren Angreifer die Opfer sind – in gewisser Analogie zu oben erwähntem – die keine Chance mehr bekommen, ihre Klasse auszuspielen, da sie permanent, wenn auch nur minimal behindert werden, sind die Kleinigkeiten, die das Fass zum Überlaufen bringen könnten. Man fährt einmal den Ellenbogen aus, weil man das nicht aushält. Der ausgefahrene Ellenbogen ist aber die Unsportlichkeit, die man sich nun, von allen Seiten gesehen, ausgesprochen und für richtig befunden, unter keinen Umständen erlauben darf. Man tut aber…
Was nun aber passiert lässt noch etwas mehr über die Täter- und Opferverteilung nachdenken: Ein Spieler, der auf der Grasnarbe fliegend in Kopfbälle geht, die gegnerischen Füße ignorierend und wenn abbekommend einmal sich schüttelt, aufsteht und weiter spielt, ein Spieler, der eine klaffende Wunde am Kopf nur widerwillig und von den Regeln eingefordert am Spielfeldrand ohne örtliche Betäubung tackern lässt, der einen Ball aus nächster Nähe mit über 100 km/h abgefeuert, in die Magengegend abbekommt und ohne Zögern oder Zucken weiterspielt, nicht einmal zu Boden geht, dieser Spieler geht auf einmal nach einer Berührung, die nicht einmal einem Hypochonder Schmerzen bereiten würde, wie von der Tarantel gestochen, zu Boden. Die Schauspielerei ist sofort und ohne weiteres ersichtlich. Jeder, auch alle Mitspieler, wissen, selbst wenn sie sich sorgenvoll über ihn knien, dass dieser Herr sich nun garantiert nichts getan hat. Er macht das meiste daraus. Es ist immer wieder – das hat nicht erst Norbert Meier bei dem simulierten, aber nicht umgesetzten Kopfstoß demonstriert –, dass die angeblichen Opfer auf die soeben an ihnen verübte Missetat aufmerksam machen müssen. Nur: Müssen sie damit auch Erfolg haben? Wo, bitte schön, befindet sich hier der Täter?
Nach eigener Einschätzung halten sich die Vergehen in etwa die Waage. Anders ausgedrückt: Die Spieler sind (bedauerlicher-. aber einleuchtenderweise) wie Kinder, eigentlich Kindergartenkinder. Sie sehen nur, welche Maßnahme, welches Verhalten Erfolg bringt und welches ihnen Schaden zufügt. Sie sehen nur, dass das ungünstig für sie war, dass dieses aber belohnt wurde. Wenn also einer mit der Maßnahme, sich theatralisch zu Boden sinken zu lassen den Erfolg erzielt, dass der Gegenspieler fortan am Geschehen nicht mehr teilnehmen darf – er eine ordentliche Erfolgsquoten erzielt ohne auch nur den geringsten Schaden fürchten zu müssen — so wird er es tun. Die Frage ist nur, ob das aufkochende Volksempfinden gegen die „richtige“ Person gelenkt wird.
5) Die wahren Ursachen für Pfiffe
Die Schiedsrichter haben eine Berufung. Sie haben Ehrgeiz und sind eitel, sicher nicht mehr und nicht weniger als andere Menschen. Sie mögen es, gute Kritiken einzuheimsen, und hassen es, negative Schlagzeilen zu erhalten. Sie versuchen generell, Entscheidungen zu treffen, bei denen sie nirgends anecken und mit denen sie (auch in der Kritik, damit Benotung) gut abschneiden. Das ist eine grundsätzliche Überlegung, die weitest gehend ignoriert wird.
Es gibt etliche kritische Situationen in einem Spiel, damit etliche kritische Entscheidungen. Es gibt sogar eine Tendenz, einer kritischen Entscheidung aus dem Weg zu gehen. Man sieht einen Eckball in den Strafraum fliegen. Man sieht Spieler miteinander rangeln. Man pfeift ab, noch bevor sich überhaupt die Frage stellen kann, ob dies eine gefährliche Torsituation ergibt. Und man zeigt in eine Richtung: Weg vom Tor. Freistoß. Für die Abwehr. Die Kritik im Anschluss sagt dann: Souverän geleitet. Man hat die kritische Situation antizipiert und durch einen vorsorglichen Pfiff abgewendet. Man hat nichts außer Beifall, höchstens mal ein Schulterzucken, „Was war da denn?“, zu erwarten. Was tut man also? Pfeifen! Und weg vom Tor zeigen.
So ist es übrigens auch häufig genug bei Foulspielen in Strafraumnähe zu beobachten, dass der Schiedsrichter heilfroh ist, dass er die Chance erhält, den Tatort nach außerhalb zu verlegen. Es enthebt ihn der ansonsten überkritischen Frage: „Muss ich für dieses Vergehen nun Strafstoß pfeifen oder komme ich ganz ohne Pfiff davon?“, falls es nämlich eindeutig innerhalb wäre. Er verlegt den Tatort nach draußen, unterbindet, sobald er kann, damit der Stürmer nicht noch näher ans Tor gelangt und damit einen Elfmeter erzwänge.
Gleiches gilt natürlich für die (mit den Schiedsrichtern austauschbaren)Assistenten, welche die Fahne sicherheitshalber immer hochreißen, wenn es kritisch nach Abseits oder nicht aussieht. Die Folge? „Hier und da irrte er bei Abseitsentscheidungen. Aber schlimmer Schaden ist nicht entstanden.“ Der hätte nämlich nur dann entstehen können, wenn er laufen gelassen hätte und es ein Tor ergeben hätte.