Meine drei Leidenschaften mit fünf Ausprägungen
Es gab also ein paar Leidenschaften, denen ich in meinem Leben frönte. Diese hießen spielen, spielen und was war das dritte? Ja, spielen. Also etwas konkreter habe ich immer ein Spiel gespielt und dieses bis zum Exzess. Dann war ich von einer Leidenschaft gepackt, die mich alles andere vergessen ließ. Das war schon in frühester Kindheit so.
Auch die Schule hat mich so gut wie gar nicht interessiert, zumindest nicht in den Phasen, da ich ein Spiel mit dieser Intensität spielte. Nur war es eben immer gerade eines. Und der Exzess war der, dass ich es nicht nur durchgehend spielen wollte. Ich wollte es auch gut, besser, perfekt spielen. Alles verstehen oder auch es verbessern. Neue, bessere Regeln einführen. Oder einfach nur studieren, das kam auch vor.
Dabei sollten die Spiele meist möglichst realistisch sein, möglichst anspruchsvoll, möglichst gerecht und möglichst logisch.
Und wie sah das in der Praxis aus? Jetzt erzähle ich einfach mal, welche Spiele und wie ich sie gespielt habe. Haben Sie die Geduld? Ich danke Ihnen. Also hier die Spiele:
- Memory
Als erstes weiß ich noch vom Memory. Nun sagt man ja ohnehin, dass die kleinen Kinder da immer besser sind. Also kann ich mir auf jegliche Erfolge dabei nichts einbilden. Dennoch: So lange, wie ich das intensiv spielte, war ich immer auf der Suche nach „Opfern“. Ich hab immer aufgebaut und jeden, der vorbei kam gebeten, eine Runde mit mir zu spielen. Und, wie mir erst viel später berichtet wurde, war es nicht ratsam, gegen mich anzutreten, wenn man Erfolgserlebnisse brauchte.
- Puzzlen
So, wie ich in jedem anderes Spiel oder was es so alles gab auf Rekordjagd war, so war es auch beim Puzzlen. Wie sah das aus? Ganz einfach: Bei jedem Puzzlespiel, was ich begann, wurde die Uhr eingeschaltet. Und wenn ich beendet hatte aus. Eine der Folgen war, dass ich ein einzelnes Puzzle bis zu 100 Mal gemacht habe. Der Rekord musste einfach verbessert werden. Und es gab immer die Möglichkeit, noch etwas herauszuholen. Der einzige Gegner, den ich dabei fand, war übrigens ich selber. Aber es genügte. Rekorde, Rekorde, Rekorde, das war meine Welt.
Mein Onkel Klaus hat diese Eigenschaft noch ein wenig gewürzt. Wenn er gesehen hat, dass ich ein Puzzle quasi auswendig in Sekunden oder Minuten zusammengesetzt hatte, dann sagte er: „Ja, so ist ja einfach. Jetzt dreh mal alle Teile um und bau es dann zusammen. Dann ist erst richtig.“
Und so habe ich mir eine weitere Eigenschaft angeeignet: Immer möglichst schwierige Aufgaben, das war ein zusätzlicher Reiz.
Das Spiel selber habe ich auch noch lange Zeit später „gespielt“. Ich habe dann mit 15, 16 Jahren die 2000 Teile Puzzles, 3000 Teile Puzzles gemacht. Das Größte war dann ein 4000er. Es macht weiter Spaß, man hat eine herrliche Beschäftigung, nur zwei Dinge fallen dann weg: Die Rekordjagd und Qualitätskontrolle. Bin ich besser als ich selber (Rekorde!) oder bin ich besser oder schneller als andere.
- Das perfekte Autorennen
Zum Beispiel hatten wir eine Autorennbahn als Kinder. Klar, wer hatte das nicht? Dann genügte es mir nicht, nur die Rennstrecke aufzubauen und loszubrausen oder so was. Es wurde ein Spiel daraus gemacht, klar. Und wie wurde dann gespielt? Ein Rennen, ein Fahrer gegen einen anderen Fahrer, das funktionierte einfach nicht. Einer flog immer raus oder man konnte sogar bei geschicktem Fahrstil den anderen in den Kurven rausschmeißen. Das war also als echter Wettbewerb ungeeignet, wie ich fand.
Eine mich dauerhaft begleitende Eigenschaft war ja, dass ich bei allem immer und überall Rekorde aufstellen wollte. Das hatte als Begleiterscheinung, dass ich praktisch durchgehend mit Maßband und Stoppuhr bewaffnet war. Ob also Luft anhalten oder laufen, Weitsprung oder Auto fahren, Ball jonglieren oder Hochsprung. Alles wurde gestoppt oder gemessen. Und verglichen. Dirk hat einen neuen Rekord im…
Demnach wurde das also bei der Autorennbahn auch angewendet. 10 Runden, jeder fuhr auf der gleichen Spur. Eine Chance auf einen Rekord hatte man dann natürlich nur, wenn man nicht rausflog. Besser: Ein solcher Versuch wurde sofort abgebrochen. So konnte man also perfekt einen Sieger ermitteln. Und alle Freunde, auch die meiner Brüder haben mitgemacht. Und wer hatte den Rekord?
- Formel 1
Also das ist auch so ein Kapitel. Wenn es überhaupt irgendeinen Sinn hier hat, dann nur, um Ihnen zu zeigen, dass man wirklich jedes Spiel exzessiv betreiben kann. Wir hatten also diese Autorennbahn. Freunde, Brüder waren nicht immer verfügbar. Also musste man auch für den Fall dass es keine gab eine alternative Spielform finden. Diese fand ich folgendermaßen:
Die Autorennbahn wurde oder war bereits aufgebaut. Wir hatten jede Menge Wikinger Auto Modelle. Die schnellsten, sportlichsten wurden ausgewählt. Ein Lineal, was ich dazu benötigte, war 30cm lang. Ein Würfel hat 6 Seiten. 30/6 = 5. Jedes Auge stand also für 5cm Fahrstrecke. Die Autos wurden am Start aufgebaut. Für jedes Auto bzw, jeden Fahrer wurde nacheinander der Würfel gerollt. Je nach Augenzahl durfte das Auto die entsprechende Zentimeterzahl vorrücken. Es war leichter, in Führung liegend, die Führung zu verteidigen. Weil man immer den kürzesten Fahrweg hatte. Ein hinten liegendes Auto musste zum Überholen ja dem vorne liegenden zumindest Ausweichen. Je nach Zieleinlauf gab es, wie in der Formel 1 eben, pro Fahrer bzw. Auto die entsprechende Punktzahl. Ich habe sogar Rennstrecken konstruiert, die dann jede Saison wiederholt wurden. Die Rennstrecken waren rekonstruierbar aufgezeichnet.
Jedenfalls war all das so wirklichkeitsgetreu wie möglich. Es gab alle realen Starter der Formel 1 Saison (wie hab ich bloß Jim Clark ersetzt, als er 1968 tödlich verunglückte?). Es gab die originalgetreuen Punktzahlen, je nach Platzierung im Lauf. Und es gab Startpositionen nach aktueller Gesamtplatzierung. Und wer vorne war, hatte einen Vorteil, wie in Wirklichkeit. Und man konnte alles ganz alleine spielen. Das war sowieso mein Bestreben. Denn diese lästige Spielpartnersuche, und dann wollten die immer ganz anders spielen als ich.
- Tipp Kick und Fußball
Ja, Tipp Kick. Welcher Junge hat das nicht gespielt? Aber wie wir es gespielt haben und wie ich es immer mehr perfektioniert habe, ist vielleicht doch einen kurzen Abschnitt wert.
Bereits sehr früh habe ich von meiner Großmutter eine Schreibmaschine „geerbt“ (die Anführungszeichen nur, weil sie noch lebte). Mein Vater hatte ja selber mit einer gewissen oder ähnlich großen Akribie Spiele gespielt. Und er hatte auch noch alte Fußballzeitungen und alte Ausdrucke von sich als Kind. Da konnte ich mir abgucken, wie er es gemacht hatte. Nun gut, das war eine der Voraussetzungen für das „Spiel“.
Eine weitere Eigenschaft hat mich im Prinzip auch (seit dem?) mein Leben lang begleitet: Die Faszination für Tabellen. Im Jahre 1966 erwachte meine Leidenschaft für den Fußball. Das anfängliche Unverständnis für Tabellen kann ich folgendermaßen dokumentieren: Die Saison 1965/66 ging zu Ende. Am vorletzten Spieltag kam es zu der Begegnung Borussia Dortmund – München 1860. Ich schaute (die ersten Male) mit meinem Vater die Sportschau. Er sprach von der Entscheidung um die Deutsche Meisterschaft. Der Sieger wäre Deutscher Meister. Ich, der ich kurz zuvor das Europapokalfinale Borussia Dortmund – FC Liverpool mit dem sensationellen Sieg der Dortmunder in der Verlängerung durch ein 40 Meter Tor von „Stan“ Libuda gesehen hatte, mutmaßte nach dieser Erklärung: „Also ist es das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft.“ Mein Vater widersprach. „Nein, nicht das Endspiel. Aber der Sieger ist dennoch Deutscher Meister.“
Nun gut, ich war es gewohnt, dass mein Vater Recht hatte. Also musste ich mich mit dieser Antwort zufrieden geben. Und was passierte? München 60 gewann 2:0. Und sie feierten den Deutscher Meister Titel. Ätsch, Papi. Doch ein Endspiel.
Nun gut, die Weltmeisterschaft 1966 habe ich auch mit Leidenschaft verfolgt. Uwe Seeler war nicht der einzige, der nach Abpfiff des Finales geweint hat. Und die Bild Zeitung bekommt man auch in Schweden, wo wir in jenem Sommer im Urlaub waren. Und das Titelfoto: „Der Ball war nicht drin.“ Dazu der legendäre Linienrichter, mein Todfeind, Tofiq Bahramov. So ein Betrug! Und das 4:2 durfte ja gleich mal schon überhaupt gar nicht zählen, da waren ja schon Zuschauer auf dem Platz. Allerdings beschäftigte mich zu diesem Zeitpunkt noch nicht eine Überlegung wie: „Wie wäre das Spiel denn ausgegangen, wenn das Tor nicht gezählt hätte?“ Die Chancen wären ja nur im Normalfall bei 50% gewesen. Also kann man nicht sagen, dass Deutschland um den Titel betrogen wurde, wenn, dann nur um den halben Titel. Aber das gehört nun wirklich nicht hierher.
Jedenfalls begann die neue Bundesligasaison 1966/67. Und da erinnere ich mich noch bestens, wie ich, 7-jährig auch schon, einen kleinen (Erinnerungs-)beweis antreten kann, dass die These, die meine Eltern mir später mitteilten, durchaus Berechtigung hat: „Dirk braucht abends jemanden, der spät schlafen geht und morgens jemanden, der früh aufsteht.“ Ich bin also sonntags, so auch nach dem ersten Spieltag, mit dem Zeitungsjungen aufgestanden und habe die Berliner Morgenpost nach oben geholt. Ich war so gespannt auf die Tabelle.
Nun, meine Erwartungshaltung war wohl etwas übertrieben. Die Tabelle nach dem ersten Spieltag gab wirklich nicht all zu viel her. Aber ungerecht war sie auch noch. Das war mir alsbald klar. Offen gestanden: ich hatte einen exzellenten Lehrmeister, meinen Vater. Also damals wurde die Tabelle noch bei Punktgleichheit nach dem Tor“verhältnis“, also nach dem Quotienten gebildet. Und 1:0, also 1/0 ist unendlich, also viel größer als 3:1 bzw. 3/1 = 3. Offensichtlich war doch aber ein 3:1 besser als ein 1:0?
Also musste ich auf die Zeit vertrauen, bis alles etwas spannender und „gerechter“ wurde. Aber eben damals schon wollte es mir auch an späteren Spieltagen nicht einleuchten, dass eine Mannschaft mit beispielsweise 5:1 Toren vor einer Mannschaft mit 14:5 Toren stand, bei Punktgleichheit, versteht sich. Die Regeln wurden aber einige Jahre später geändert.
München 60 jedenfalls, und ich suchte wohl nach Identifikationspunkten, hatte 0:2 verloren, war damit Letzter.
Ich habe aber dann alsbald Bayern München „adoptiert“. Das war zu der Zeit keineswegs so schmählich wie heute, sorry an alle Bayern Fans. Bayern war gerade (1965/66) aufgestiegen und landete sensationell auf Platz 3.
Was hat das nun mit einer Schreibmaschine zu tun? Nun ja, jede Woche eine Tabelle, das ist doch total langweilig. Kann man nicht täglich…? Man kann, ganz einfach. Mein Vater suchte mir den Spielplan raus, komplett. Er legte frisches Papier ein. Dann begann er, die Spiele einzutippen: „1.Spieltag —-
1.FC Kaiserslautern – Karlsruher SC
- FC Köln – 1860 München
Hamburger SV – Hannover 96“
Und so weiter. Dann nahm er die „11er raus“ Karten zur Hand. Gut gemischt, und los. Jede Mannschaft bekommt pro Halbzeit 3 Karten, jede rote Karte ist ein Tor, ein Viertel aller Karten war rot. Und – man hatte ein Ergebnis. Also weiter, alle Spiele durch. Dann die Tabelle. „Ab jetzt kannst du alleine weiter machen.“
Und ich machte. Aber wie. Not gedrungen habe ich ein paar Stunden nächtens dem Schlaf „geopfert“. Hab ich die Schule vergessen? Na gut, wenn’s sein muss „Also lautet ein Beschluss, dass der Mensch was lernen muss. Dass dies mit Bedacht geschah, war der Lehrer Lämpel da.“ (Wilhelm Busch). Und ich hab doch was gelernt. Noch heute kann ich mit verbundenen Augen sämtliche Bundesligamannschaften auf einer Schreibmaschine tippen!
Aber es gab ja auch Wochenenden und Ferien. Naja, ich will ja nicht übertreiben. Jetzt hat michs grad mitgerissen. Jedenfalls habe ich x Saisons durchgespielt. Und nach und nach auch dieses Spiel verbessert. Aber was heißt hier schon verbessert? Dennoch: es bahnte sich etwas Zukunft weisendes an. Ich habe einen Heimvorteil eingeführt. Ich habe angefangen, die Tabellenposition zu berücksichtigen. Wer oben stand, durfte mehr Karten ziehen, wer unten war, weniger (als 3 pro Halbzeit).
Und dann hat mein Vater eines Tages einen Tipp-Kick Tisch gebaut. Also eine Tischplatte bemalt. Hinten war eine Vorrichtung angebracht, so dass man zwei Tore aus Sperrholz einschieben konnte. An den Toren waren wunderschöne, ganz echte, Tornetze befestigt: Apfelsinennetze. Der Ball rauschte also richtig ins Netz, wenn man mal traf. Was lag also näher, als die Bundesliga per Tipp-Kick zu spielen?
Das (anfängliche) Spielsystem ging so: Von den 18 Mannschaften durfte abwechselnd ausgewählt werden. Mein Vater ließ mir natürlich gerne den Vortritt, sofern er Hertha BSC als seine Nummer 1 nehmen durfte. Er durfte. Obwohl ich auch Hertha Fan war, klar, in dem Alter? Dann ergab sich bei jedem Spiel, wer welche Mannschaft hatte. Sicher, wenn seine Nummer 3 gegen seine Nummer 6 spielte, hatte ich seine 6. Ob ich dann mit dem gleichen Engagement gespielt habe, wie für meine Nummer 1 oder 2 kann ich nicht sagen. Aber ein Großteil des Spielspaßes bestand auch vornehmlich daraus, Tabellen zu bauen. Möglichst echte.
So wurden also etliche komplette Spielzeiten durchgespielt. Und ich habe mir nach und nach etliche kleine Verbesserungen ausgedacht, um der Realität immer näher zu kommen. Auch beim Tipp-Kick musste es einen Heimvorteil geben, das war klar. Nun hat der Tipp-Kick „Ball“ ja Ecken und Kanten. Er hat eine dreieckige Fläche und eine viereckige Fläche, auf der er liegen bleiben kann. Rot oder gelb. Man durfte ohnehin erst aufs Tor schießen, wenn der Ball über der Mittellinie war. Also wenn man nun die Mittellinie überquert hatte und seine eigene Farbe angezeigt war, so durfte die Auswärtsmannschaft zum Beispiel nicht aufs Tor schießen, wenn der Ball auf einer dreieckigen Fläche lag. Das gab der Heimmannschaft einen dauerhaften, aber realistischen Vorteil.
Dazu gab es dann ja noch Tabellenpositionen. Die Tabelle war in Drittel eingeteilt. Und pro Drittel, in dem man sich befand, gab es Vergünstigungen oder Benachteiligungen. Wenn also eine Mannschaft aus dem oberen Drittel gegen eine Mannschaft aus dem unteren Drittel ein Heimspiel hatte, also die größtmögliche „Überlegenheit“ bestand, dann durfte die Heimmannschaft sogar den Ball spielen, wenn der Ball auf der dreieckigen Seite der gegnerischen Farbe lag. Das heißt, die schwache Mannschaft durfte nur noch spielen, wenn der Ball viereckig auf der eigenen Farbe lag. Dennoch konnte es passieren, dass die Mannschaft ein Unentschieden oder gar einen Sieg holte. Eben sehr unwahrscheinlich aber möglich, wie in Wirklichkeit.
Dazu noch stellte man fest, dass bei einer bestimmten Spielzeitlänge zu viele Tore, bei einer anderen zu wenig Tore fielen. Zumal eben beim Tipp-Kick, wenn man eine längere Zeit vereinbart, gibt es viel zu häufig die Ergebnisse 5:2 oder 4:3. Und wenn man sie zu kurz macht, gibt es diese Ergebnisse nie. Abhilfe? Habe ich, geschaffen. Ein Würfel vor jedem Spiel, je nach Augenzahl die Halbzeitlänge, zwischen 1 und 3 Minuten. Nun gab es mal ein 0:0 und mal ein 6:2, wie in Wirklichkeit.
Piet Klocke schrieb und sang ja mal das Lied: „Das ist Schicksal. Alles vorbestimmt.“ Wissen Sie, was ich meine? Spielen, spielen, spielen…
- Roulette
Tatsächlich habe ich als sehr kleiner Junge schon das Verdopplungssystem an unserem Heimroulette ausprobiert (später mehr von diesem „System“). Dabei waren die Ergebnisse durchaus beeindruckend, in meiner Erinnerung. Es funktionierte. Und es gelang mir gelegentlich, je nach Ausdauer, ein kleines Vermögen anzuhäufen. In meiner Erinnerung war es mir aber sehr wohl bekannt, dass es auf lange Sicht doch nicht funktionieren würde. Hatten da wieder die weisen Erwachsenen ihre Finger im Spiel: „Wer wetten will, will auch betrügen.“ Oder: „Das ist ein gefährliches Laster.“ Oder so ähnlich. Oder war es echte, selbst angeeignete Weisheit? Meine (älteren) Brüder mögen da auch beigetragen haben.
- Fußball
Meine Fußballkarriere ist wirklich wenig spektakulär verlaufen. Mit 7 Jahren wollte ich unbedingt Torwart werden (klar, Deutscher Meister 1860 und „bin i Radi bin i König“ geschenkt bekommen, vom legendären Torwart der 60er, Petar Radenkovic). Und dafür brauchte man nicht mal lesen zu können, die Bilder seiner Paraden genügten. Nun gut, die Torwartkarriere habe ich sehr bald beendet: Solche Paraden gibt’s ja nur im Fernsehen und der Ball, an ungünstiger Stelle am Körper, gar am Kopf, aufgeprallt, kann erheblich schmerzen. Diese „Weichei“ Mentalität stand mir beim Fußball auch später noch (entscheidend?) im Wege.
Ich bin trotzdem eingetreten, bei Hertha Zehlendorf. Das war der Verein mit der besten Jugendarbeit. Aber einer weiten Anfahrt. Und die musste ich bald alleine antreten. Mit einem Schildchen im Brustbeutel, 68er bis Dahlem-Dorf, dann U-Bahn bis Onkel-Toms-Hütte, den Rest musste ich laufen. Wenig erfreulich, zumal im Winter, alles bei Dunkelheit. Die 60 Pfennig Fahrgeld bekam ich mit, nicht mehr und nicht weniger.
Jedenfalls war mein Trainingseifer davon etwas eingeschränkt. Und als dann auch noch zwei Spiele kamen, wo wir mit zu wenig und viel kleineren Spielern angetreten sind und es ein 0:18 und ein 0:13 gab, war auch da die Begeisterung dahin. Also nix mehr Zehlendorf. Mit 9 haben mich dann Klassenkameraden mitgenommen zu Brandenburg 92. Das war viel besser. Ich schon größer und besser, kannte ein paar und kam schon bald in die 1.E.
Im älteren Jahrgang der D-Jugend gelang es uns dann sogar einmal, Staffelsieger zu werden. Damit waren wir unter den besten 8 Mannschaften von Berlin. Da gab es dann Gruppenspiele mit 4 Mannschaften. Wir wurden in unserer Gruppe Letzter, mit 3:9 Punkten. Aber immerhin.
In der C fusionierte der Verein mit Lichterfelde 12 und wir hießen fortan Brandenburg Lichterfelde, kurz BraLi. Aber in die 1. C kamen nur die Besten. Ich war jüngerer Jahrgang und körperlich etwas kleiner, weniger kräftig. Aussortiert. Die 2.C war der ältere Jahrgang der schwächeren, die 3.C der jüngere Jahrgang. Ich spielte 3. Mannschaft. Das war mit meinem Selbstwertgefühl schwer zu vereinbaren. Weil ich wirklich immer und nur und durchgehend Fußball gespielt habe. Täglich. Und wenn erschöpft, wissen Sie ja, was.
Die Saison war aber, laut meinem Vater, dennoch die beste und erfolgreichste meiner Karriere. Ich hatte einen Stammplatz sicher. Ich war in der Mannschaft geachtet und respektiert, einer der Besten darf ich wohl sagen. Mein Trainer sagte immer zu mir, ein alter DDRler, aber gut und engagiert, der Mann, Herr Petrich: „Du bist der Hecht im Karpfenteich.“ Das tat gut. Und Tore habe ich auch gemacht. Regelmäßig, als Mittelfeldspieler.
Die größten Erfolgserlebnisse hatte ich a) im Balljonglieren und b) im Hallenfußball. Balljonglieren war für mich wie geschaffen. Der Vorteil bei diesem Spiel: Man konnte es alleine betreiben. Ich nahm also meinen Ball, ging zum Hundepark, wo wir immer spielten, keiner da, also jonglieren. Auch zu Hause im Garten. Das Beste daran: Man konnte Rekorde aufstellen. Und da packte mich immer der Ehrgeiz. In meiner Erinnerung habe ich aber dennoch nie die 1000 geknackt. Als ich dann noch in der Fußball-Woche las, das ein Junge über 22000 Mal geschafft hatte und das, indem er reihum mal die Füße, mal die Knie und mal den Kopf verwendet hat, wurde mir klar, dass Tucholsky wirklich Recht hatte mit seiner Kurzgeschichte „Es gibt keinen Neuschnee.“ Man kann immer weiter probieren, forschen, Streben, studieren. Aber überall war schon jemand. Tucholsky hatte allerdings die Absicht, einen zu motivieren, es weiter zu probieren. Das hat bei mir nicht gewirkt.
Meinen absoluten Rekord habe ich aber viel später, im Hochsommer 1996, bei meinem Comeback Versuch bei den Senioren vom SC Ruhleben, an der kleinen Badewiese in Kladow aufgestellt. Und das waren wirklich erschwerte Bedingungen. Nicht nur, dass man ständig zwischen irgendwelchen Handtüchern und spielenden Kindern hindurch dribbeln musste, noch dazu war der Untergrund alles andere als eben und darüber hinaus ging es aufwärts und abwärts. Die Bedingungen waren wie für mich geschaffen: Schön schwer. Ich bin vier Mal komplett um die gesamte Badewiese gegangen, gedribbelt oder wie man das dann nennt. Ja, einfacher erschien es mir, nicht am Fleck zu stehen sondern im vorwärts gehen, immer kleine Schritte, abwechselnd links und rechts. Nach 1463 Mal war Schluss. Fürs Guiness Buch reichts nicht, aber immerhin.
Das zweite waren also die Hallenturniere. Da konnte ich am Besten meinen größten(?) Mangel kaschieren: Die viel zu geringe Grundschnelligkeit. Und wir hatten in der 7.Klasse tatsächlich ein paar gute Spieler in der Klasse. Dann gab es mehrmals das Schulturnier, für alle Klassen bis zur 10. Und haushoher Favorit und stets klarer Sieger wurde immer die 10c. Das waren alles richtige Fußballer. Und als wir mit der 7. gegen die 10. spielten haben wir es geschafft, die ganze Halle hinter uns zu bringen. Und als mir, kurz vor Schluss der Ausgleich zum 3:3 gelang, als ich mich gegen drei Gegenspieler im Dribbling durchsetzen konnte, explodierte sie förmlich. Überlegungen, dass diese körperlich viel robusteren Spieler einen so kleinen Spieler wie mich nicht so hart attackierten, habe ich damals in dem Rausch beiseite geschoben.
Aber es brachte mir tatsächlich einen Platz in der Schulmannschaft ein. Mit den ganzen Großen, als allerallerkleinster. Und ich durfte im Finale um die Steglitzer Meisterschaft 1973 sogar als Einwechselspieler mitwirken. Wir verloren 0:1, Torschütze für die Beethoven Schule: Ein gewisser Wolfgang Sidka. Der hatte gerade seinen ersten Profivertrag bei Hertha BSC unterzeichnet. So nahe war ich mal an echtem Ruhm… Sidka war übrigens Jahrgang 1954, ich 1959.
Dann, zur B-Jugend, haben mich andere Freunde zum SSC Südwest geholt. Dort könnte ich 1. spielen. Also, der Verein war auch näher dran, in Steglitz, meinem Heimatbezirk. Also noch ein Wechsel. Warum ich da 1. spielen konnte habe ich bald erfahren: Wir waren Letzter in unserer Staffel, fast alle Spiele verloren. Dann kam auch noch ein Lulatsch, der überhaupt nicht Fußball spielen konnte aber eben groß und schnell war und nahm mir meinen Stammplatz auf Rechtsaußen weg.
B-Jugend, ich 14, 1973, Schach hatte ich bereits 1972 entdeckt, als Bobby Fischer das legendäre Match gegen Boris Spasski austrug und gewann, im Fußball nur Frust, also habe ich meine Stiefel anstatt zu schnüren an den berühmten Nagel…
- Subbuteo
Eines der schönsten, realistischsten und ausgefeiltesten Spiele, welches aber praktisch keiner kennt, ist das Subbuteo. Es ist eine Kombination aus Billard und Fußball. Es ist eine gute Technik erforderlich und auch ein gewisses Verständnis von Taktik. Dazu werden alle Elemente des Fußballs perfekt abgebildet. Aber der Reihe nach:
Ich erinnere mich noch aller Bestens, wie ich es das erste Mal gesehen habe. Ich lag (mal wieder) im Krankenhaus. Diesmal hatte ich das Gesetz der Schwerkraft dem (Jungen-)Gesetz „Mädchen imponieren“ untergeordnet. Also in grenzenloser Selbstüberschätzung mit Schulmappe auf dem Rücken auf dem Geländer balanciert, welches eine Grenzlinie zwischen Schule und Straße ziehen sollte. Die Beine beschlossen ihrerseits, intuitiv einleuchtend, Richtung Schulseite zu gehen, der gesamte Körper jedoch wurde nicht ganz rechtzeitig von diesen Plänen in Mitwisserschaft versetzt: er orientierte sich Richtung Straßenseite. So ein bisschen vergleichbar war mein Gefühl wohl mit jenem, als sich Phillip Marlow einmal in ähnlicher Selbstüberschätzung mit dem doch erkennbar kräftigeren Henry Eichelberger anlegte („Gefahr ist mein Geschäft“). Als also jener Henry Eichelberger doch plötzlich Ruhe und Geduld verlor und offensichtlich Herrn Marlow einen Schlag verpasste, erinnerte sich jener: „Ich bückte mich, packte das Zimmer mit beiden Händen, wirbelte es im Kreis herum und als es so richtig Schwung hatte gab ich ihm noch einen Drall und schlug es mir mit dem Fußboden gegen den Hinterkopf.“
Ein paar Monate vorher musste ich bereits die (schmerzvolle) Erfahrung machen, dass die baren Füße nicht geeignet sind, das gesamte Körpergewicht abzufedern, falls es sich, wie dabei, um einen Sprung aus 4,20 Meter (Rekord-)Höhe handelt, selbst wenn der Untergrund eine Sandkiste ist. Immerhin hatte ich ca. 4 Wochen eine vollständige Autogrammsammlung sämtlicher Klassenkameraden; nämlich auf dem Gips.
Nun, seit diesem Moment vor der Schule weiß ich, dass auch die Nase nicht unbedingt das geeignete Körperteil ist, das Eigengewicht aufzufangen oder abzufedern, zumal wenn sich die Aufprallstelle als Rinnstein, genauer gesagt die Kante dessen, entpuppt. Die nachfolgenden Minuten sind mir irgendwie in relativ dunkler Erinnerung. Überall war Blut, Hektik, Blaulicht und Martinshorn.
Der erste Besucher, der kam, hatte wohl gewisse Zuordnungsprobleme was den Namen an meinem Bett und meinen Anblick betraf. Aber als ich denjenigen (wer war es wohl? Auch dumpf) begrüßte, wurde ihm klar, dass es sich doch um mich handeln musste. Wolgang Fierek sagte ja auch mal, als er etwas wütend wurde auf seinen Gesprächspartner in einem der wunderschönen alten Klaus Lemke Filme, er ihm also Prügel androhte in der Form: „… dass dich deine eigene Mutter nur noch an der Stimme erkennt.“
Die leichte Irritation hat mein Besucher wohl spielerisch zu verbergen versucht. Irgendwie wollte er (allmählich bin ich mir sicher, es war tatsächlich meine Mutter), also wollte sie, einem Beschützerinstinkt folgend, meinen Drang, mich im Spiegel zu sehen bekämpfen, erfolglos. Ich reckte meinen Kopf hoch und… da muss jemand im Weg stehen. Hey, geh mal zur Seite da, ja, du, du da, mit der entstellten Fratze. Aber er rührte sich nicht. Na ja, Sie verstehen schon, mir dämmerte etwas, und hierbei handelt es sich nicht um ein Wortspiel.
Jedenfalls haben sich alle nach und nach an meinen Zustand gewöhnt. Meinen Dachschaden hatte ich ohnehin schon vorher, also ist von andern bleibenden Schäden nichts bekannt. Glück hatte ich auch insofern, als ich mir eine Weile später die Nase noch mal brach, in die andere Richtung und seitdem ist sie wieder so wie vorher, also exakter gesagt genauso schief wie vorher.
Tja, was haben also dieses alberne Imponiergehabe und Subbuteo miteinander zu tun? Ich lag im Krankenhaus, das Jahr war schon fortgeschritten. Ich bekam auch dort meine geliebte Fußball-Woche ans Bett und las, wie immer, alles. Irgendetwas muss ja dafür verantwortlich sein, dass man irgendwann das Prädikat„wandelndes Fußballlexikon“ erhält. Also ich stieß ja durch diese Form der Akribie zwangsläufig auf die Anzeige, die sich in dieser aktuellen Ausgabe der Fußball-Woche befand. Die (englischen) Legenden Gordon Banks und Bobby Moore, die uns auf so schändliche Art und Weise vier Jahre zuvor den WM-Titel entrissen hatten (keine Sorge, mein Nationalismus ist nicht zu sehr ausgeprägt; wir befinden uns gerade im Jahre 1970; die Rache für Wembley 66 hatte ein angeblich leicht überheblicher englischer Trainer Sir Alf Ramsey, das später sprichwörtliche deutsche Glück und Uwe Seelers Hinterkopf in der Verlängerung bei der WM in Mexiko besorgt; ich war für den Moment befriedigt; und später, als Heranwachsender und auch bis heute habe ich keinerlei Bevorzugung mehr für den deutschen Fußball und seine Nationalmannschaft, auch Berufs bedingt), spielten dieses Spiel gegeneinander. Es sah so schön aus. Alles war perfekt aufgebaut, man sah das Spielfeld und die Tore, jeder hatte 11 Spielfiguren: Subbuteo!
Und ich war von einem brennenden Wunsch gepackt: Dieses Spiel muss ich einfach haben. Weihnachten stand vor der Tür, Anzeige in der Zeitung, nichts einfacher als das. In der ewigen Bestenliste der Weihnachtswünsche auf Rang 1, bitte, bitte ein Subbuteo Spiel.
Länger waren die Wochen nie, bis es endlich so weit war. Die Spannung war schier unerträglich. Und wenn es in der Kindheit je ein Weihnachten gab, was ich in schlechter Erinnerung habe, dann war es dieses: Nix Subbuteo, das Spiel war nicht da Das muss ein Trick sein. Wo ist es versteckt? Aber es war nicht da, tatsächlich nicht. Ich war fassungslos. Das konnte gar nicht wahr sein. Meine Eltern hatten größte Mühe, mir zu vermitteln, dass nicht jeder Wunsch…
Der Weihnachtsmann hatte ein Einsehen. Er wusste wohl auch, dass er drauf und dran war, einen ernsthaften Verehrer und treuen Gläubigen zu verlieren. Er hat es mir im Sinne der Widergutmachung im folgenden Jahr unter den Baum gelegt. Es war ohnehin schwierig, mich am Heiligen Abend an das Essen zu erinnern. Aber an Weihnachten 1971 war es nicht nur das Essen, was ich vernachlässigt habe. Auch die Nachtruhe und der angeblich für Kinder so dringend erforderliche Schlaf mussten zurückstehen. Ich hatte ja jetzt endlich, endlich doch noch… dieses Spiel.
Wesentlich später wurde mir klar, warum dieses Spiel keinen Siegeszug um die Welt angetreten hat: Man muss es sehr, sehr gut aufbauen. Wenn man es nur auf einen Teppich legt, kommt kaum Spielfreude auf. Die Figuren fallen andauernd hin. Das Tor verrutscht. Einen sauberen Schuss bekommt man auch quasi nicht hin. Und in der Grundausrüstung, Spielfeld, Ball, zwei Tore, zwei Mannschaften, wird kein Tisch mitgeliefert. Und auf einer Tischplatte kann man es auch noch nicht mal richtig aufbauen. Das Spielfeld, ein Filztuch, eben wie beim Billard, verrutscht. Es hilft nur eine Sperrholzplatte. Es muss dort befestigt werden. Ebenso sind Plastiktore eigentlich ungeeignet. Man kann sie schwerlich fixieren. Ich selber brauchte auch Monate, bis ich es halbwegs vernünftig aufgebaut hatte, mit väterlicher Hilfe, versteht sich.
Aber dann war auch eine Sperrholzplatte, falls zu dünn, abschüssig, der Ball rollte bei einem „kontrollierten“ Pass trotzdem ins Aus. Und dann kam noch das größte Problem: Spielpartner finden. Falls ich mal an einem Nachmittag einen hatte, hatte ich am nächsten Nachmittag, wenn überhaupt, einen anderen. Wenn nicht, musste ich alleine spielen. Und was war die Folge? Ich wurde schnell unschlagbar. Nun hat das diese Fähigkeit ein wenig gefördert, dass ich meine Spielpartner bei der Stange halten wollte und nicht unbedingt deklassieren wollte. Also ab und zu ein verschenkter Punkt, gar eine Niederlage, dann blieb der Freund vielleicht.
Im Jahre 1973, also bereits nach Entdeckung des Schachs, habe ich endlich nach vernünftigen Spielpartnern gesucht. Und es gab welche! Es gab einen Verein in Berlin, Hertha 72. Peter Kielmann, der Vorsitzende und Organisator, wohnte aber in Kreuzberg. Und die anderen Mitglieder auch zumeist in der Gegend. Eine ziemlich weite Anreise und ein etwas verändertes Umfeld, das habe ich gerne in Kauf genommen. Endlich gab es mal richtige Subbuteo Platten. Gerade, durch dickeres Holz, Metalltore, die fest standen, eine Bande, die verhinderte, dass der Ball ständig vom Tisch herunterfiel. Also, kurzum, es machte richtig Spaß.
Allerdings übernahm Peter Kielmann sofort bei der von mir selbstverständlich begonnenen Bundesligasaison Hertha BSC. Und er war natürlich weit besser als ich. Ich hatte zu der Zeit noch Bayern als Nummer 1. Also er rollte das Feld von hinten auf, gewann mit Hertha jedes Spiel. Ok, diesmal musste der Spielspaß also auf das Subbuteo und das Tabellen bauen reduziert werden. Und lernen. Ich habe ja auch gegen die anderen Mitglieder gespielt. Und die habe ich nach und nach überholt, war besser.
Dann gab es sogar noch ein Turnier, die norddeutsche Meisterschaft. Und die Medien wurden sogar auf das Spiel aufmerksam. Es gab einen Vorbericht im Fernsehen, im ZDF, in der Umschau. Ich fuhr mit Peter Kielmann zusammen eine Platte hin ins Studio. Wir bauten sie auf. Die Sendung begann. Peter machte das Interview, während ich im Hintergrund gegen die Nummer 2 von Berlin, Reiner Knoll, spielte. Gerade als die Kamera umschwenkte gelang mir der Führungstreffer zum 1:0 . Schade!
Ich spielte noch das Turnier am folgenden Tag. Und der vierte Platz war ein Erfolg für einen so jungen Spieler wie mich, keine Frage.
Auch wurde genaue in dem Jahr die Subbuteo Bundesliga gegründet. Ich bekam sogar einen Platz in der Mannschaft. Ich wurde eingeladen und habe (leider beinahe schon widerwillig) zugesagt. Mein Spiel ging mit 1:3 verloren, der Frust überwog ohnehin. Damit war meine Subbuteo- Karriere (vorerst) beendet. Außerdem hatte ich längst ein anderes Spiel ausgewählt, was mir nach meinen Vorstellungen noch mehr lag, nämlich das…
- Schach
Die Fußball Saison ging also alles andere als erfolgreich zu Ende. Es war das Frühjahr 1974. Ich hatte längst das Schach erlernt und Bücher gelesen sowie war ich, bereits im Vorjahr, dem Schachclub beigetreten. Fischer spielte ja im Spätsommer 1972 gegen Spasski, wo ich das erste Mal vom Schach fasziniert wurde. Dennoch ging Fußball (noch) vor.
Allerdings war mein Einstieg ins Schach auch alles andere als erfolgreich.
Es gab gleich, als ich anfing ein kleines, unterklassiges Turnier. Ich hatte, auch für mich selber, eine erkennbare Begabung. Diese bestand aber nicht ausschließlich darin, gelegentlich einfallsreich und auch gute, wirklich ausgefallene Züge zu finden. Sie bestand vor Allem in der Fähigkeit, auch klarste Gewinnstellungen noch zu verderben. Meine Gedanken zu diesem Thema und dem stets empfundenen Pech von Spielern finden Sie im Kapitel „Die Bedeutung von Glück und Pech“. Diese Gedanken haben durchaus ihre Berechtigung. Also bin ich verpflichtet, diesen Teil meiner Sonderbegabung nicht Glück oder Pech zuzuschreiben, sondern logische Erklärungen zu suchen. Und ich habe sie gefunden. Es gibt insgesamt vier! Und für allesamt gehör(t)e ich auf die Couch. Zum Glück hab ich ja hier das virtuelle Papier und zumindest das erscheint mir unendlich geduldig. Wie steht´s mit Ihnen?
Die erste Begründung: „Der will ja bloß spielen“ Ich bin also wie ein Hündchen. Ich will nur spielen. Wenn der Gegner aufgibt, Gott bewahre, dann ist das Spiel ja vorbei. Was soll ich dann machen? Dann hab ich ja keinen Spielpartner mehr. Das ist tatsächlich ein (möglicherweise etwas schwer) nachvollziehbarer Grund. Man sucht manchmal Züge, die den Gegner nicht sofort zur Aufgabe zwingen. Solche Dinge übernimmt üblicherweise das Unterbewusstsein (ich lass mich bewusst nicht ein auf diese Begriffsunterscheidung „das Unbewusste“).
Ein weiterer Grund ist der, dass ich durch mein Verhalten am Brett den Gegner oft zum Weiterspielen einlade oder sogar zwinge. Das hat beides, auch auf Gegners Seite, eine psychologische Ursache. Die eine ist die: Wenn ein Gegner hoffnungslos auf Verlust steht und ich angestrengt nachdenke, das ist das Verhalten am Brett, was ich meinte, dann fängt der Gegner fast zwangsläufig an, auch nachzudenken. Die (oft auch unbewussten) Gedanken sind dann in etwa so: „Hm, wenn er hier so lange nachdenkt, dann sieht er vielleicht noch Schwierigkeiten. Was für Schwierigkeiten könnten das denn sein?“ Und anstatt sich mit dem Standardverhalten und dem unvermeidlichen Verlust abzufinden, sucht er vielleicht nach den unverhofften Rettungsmöglichkeiten, nach denen ich irgendwie auch suche. Er beginnt sogar, ein wenig Freude an der Stellung zu entwickeln. Also anstatt sich zu sagen: „Diese grausame Stellung kann und will ich nicht mehr sehen, Ich gebe auf“, freundet er sich mit ihr an. Und das leitet direkt über zu der zweiten psychologischen Auswirkung.
Er wird nämlich irgendwie auch auf eine andere Art gezwungen zum Weiterspielen. Er beginnt sogar auch, die zahlreichen Gewinnmöglichkeiten für mich zu sehen und ist erwartungsvoll, welchen Weg ich nun wählen werde. Außerdem erachtet es so mancher gar als unhöflich, wenn er plötzlich aufgibt, wo der Gegner gerade einen so wunderschön, brillanten Gewinnweg ausgeheckt hat. Den muss man sich doch zeigen lassen? Vielleicht kommt man ja noch mit in die Schachzeitung.
Das erinnert mich an eine kleine Anekdote von Exweltmeister Alexander Aljechin. Er hatte auch eine Traumkombination ersonnen. Der Gegner aber hat während der Ausführung der eben brillanten Kombination plötzlich einen kapitalen Bock eingebaut, einfach die Dame stehen lassen. Laut Legende ist ihm Aljechin dann beinahe an die Gurgel gegangen mit den Worten: „Sie machen mir meine Partie kaputt!“
Ein gehöriger Teil ist aber auch schlichtweg meine Überheblichkeit. Ich kann dieses Phänomen einfach nicht bekämpfen. Ich bin so haushoch überlegen, in meiner Phantasie, dass ich die lächerlichen Bemühungen des Gegners nur mit einem dem gebührenden Lächeln quittieren kann. Und oft genug rächt sich das ganz einfach. Ich übersehe Züge, Rettungsmöglichkeiten, auch kleine Fallen, die der Gegner in letzter Verzweiflung noch stellt. Weil ich gar nicht mehr hinschaue.
Wenn es noch eines Beweises meiner Überheblichkeit bedarf, dann kann ich Ihnen den mit dem folgenden kleinen aber typischen „Gedankendump“ während einer meiner Schachpartie illustrieren: „Ich möchte nicht, dass der Gegner aufgibt, wenn er im materiellen Nachteil ist. Ich muss also in dieser klar gewonnenen Stellung anstelle von möglichen Raubzügen meine Aufmerksamkeit mehr seinem König widmen. Möglicherweise kann ich sogar ein Opfer bringen und ihn dadurch im weitern Verlauf zur Aufgabe bewegen.“
Solche Überlegungen sind absolut keine Seltenheit bei mir. Und vielleicht kann man erahnen, dass derartige in puncto Effektivität doch hinter andern Überlegungen zurückstehen. Bevor ich Sie nun noch weiter in die Irre führe und womöglich noch in Kombination auf Freud und einen später an Freuds Gedankengut anknüpfenden amerikanischen Großmeisters namens Reuben Fine verweise, der zumindest versuchte, den Zusammenhang zwischen Schachspieler und Ödipuskomplex herzustellen, kehre ich doch lieber wieder zum Erzählteil zurück.
Ich spielte also an einem Sonntag Vormittag eines der letzten Spiele der Fußball Saison. Wir spielten, bedeutungslos, 2:2, sogar gegen meinen alten Verein, BraLi. Alles lag dicht beieinander, Schachclub und die Fußballplätze. Also bin ich nach dem Spiel zum Schachclub. Dort war nämlich ein Mannschaftskampf. Irgendwie schien ich willkommen. Es war die 8., also die unterste Mannschaft, die dort spielte. Aber sie schienen der Überzeugung zu sein, dass ich ihnen helfen könnte. Und sie baten mich inständig, doch für sie die Mannschaftskämpfe zu spielen.
Zunächst fühlte ich mich geschmeichelt. Außerdem schien mir das Schachspielen selber besonders zu liegen. Also beschloss ich kurzerhand, dem Drängen und Bitten nachzugeben, und für die Mannschaft zuzusagen. Logische Begleiterscheinung war, dass ich zumindest nicht mehr regelmäßig zu den sonntäglichen Fußballspielen erscheinen konnte. Und da es bei mir ohnehin immer hieß: Ganz oder gar nicht war die Wahl leicht: Nur noch Schach, kein Fußball mehr. Der Traum vom (Fußball-)Profi war ausgeträumt. Es mussten neue Träume her.
Die Saison war auch im Schach so gut wie vorüber. Ich spielte noch eine Partie, Remis, war aber für die nächste Saison in der 8. (untersten) Mannschaft eingeplant und aufgestellt. Noch während der folgenden Saison bat mich unser Jugendwart, in seiner Mannschaft, der 5., auszuhelfen. Ich war hoch erfreut, begeistert, aufgeregt. Drei Mannschaften und zwei Klassen höher! Ich fand sogar eine tolle Kombination, hatte nur Schwierigkeiten bei der Ausführung der Züge. Meine Hand wollte nicht so wie ich wollte, vor allem: sie zittern. Mein Gegner musste kurz danach aufgeben.
Fortan durfte ich immer für die 5.Mannschaft spielen. Auch in der folgenden Saison. Ich erzielte dort das beste Ergebnis. In der nächsten Saison wurde ich bereits in der 3.Mannschaft gemeldet. Ich gewann gleich wieder die ersten vier paar Partien.
Dann hatte ich eine etwas wilde Zeit parallel. Mädchen imponieren versuchte ich nicht mehr mit Balanceakten oder Sprunghöhenrekorden, sondern mit Nächten in Serie, die ich gar nicht mehr schlief. Das lief im Rekord auf drei Nächte hinaus. Allerdings muss ich zugeben, dass ich in einer der Nächte in einer Kneipe auf dem Tisch für eine Stunde eingeschlafen bin und nach der dritten Nacht und einem Marsch vom Schachlokal in der Innenstadt nach Hause (nix U-Bahn nachts, nix Geld für Taxi) auch für eine Stunde in voller Montur auf meinem Bett geruht hatte.
Dass ich beim folgenden Schulweg nicht ganz zufällig und ohne jede ernsthaften Vorkenntnisse in Sachen Mädchen die von mir verehrte Sigrid ansprach, um mich zu erkundigen, ob das die richtige Methode wäre, ein Mädchen anzusprechen, gehört nicht hierher. Bei korrekter Addition der verstrichenen Jahre kommt man übrigens darauf, dass wir uns gerade im Jahre 1976 befinden. Es war der Jahresanfang, und zwar genau der 10.1. Ich war also gerade noch 16. Selbstverständlich konnte ich mit dieser absoluten Anfängermasche bei Sigrid nicht landen. Dennoch habe ich den Schultag sogar noch halbwegs durchgehalten. Das ich im Musikunterricht mal kurz einnickte war auch gerade noch vertretbar, in Darstellender Geometrie wollten mir keine geraden Linien gelingen und die letzte Stunde, Erdkunde, verbrachte ich auch ausgesprochen dämmrig. Die Augen blieben aber offen.
Zu Hause schlief ich dann erstmal auf einem Stuhl ein, für ca. anderthalb Stunden. Anschließend legte ich mich ins Bett und schlief bis 19 Uhr. Als ich erwachte ging ich kurz in die Küche. Meine Mutter hatte mir einen Zettel hingelegt. Ich müsste morgen spielen. Und zwar in der 2. Mannschaft! Möglicherweise gar gegen Ludwig Rellstab. Rellstab war für mich quasi eine Legende. Ein Internationaler Meister. Er hatte Deutschland mal bei einer Schacholympiade vertreten. Sensationell!
Sie kennen mich ja mittlerweile schon ganz gut, an Nacht“ruhe“ war nicht zu denken. Ich zog noch ein paar Stunden um die Häuser, versuchte, mich mit ein paar Bier (sagen Sie jetzt nichts!) zu beruhigen und wieder in Schlafstimmung zu versetzen. Anschließend besuchte ich meinen Bruder mit Freundin und bat um ein Nachtquartier. Schließlich, um 1 Uhr, konnte ich tatsächlich wieder einschlafen.
Aber auch nur bis 8 Uhr. Na immerhin. Aufbruch zum Mannschaftskampf. Ich in der Zweiten. Kein Rellstab da, was solls. Ein Dr. Hegeler.
Es mag mal wieder ziemlich unglaublich klingen. Wissen Sie, wie der Kampf endete? Es wird an 8 Brettern gespielt und pro Brett wird ein Punkt vergeben. Also der Kampf endete 1:7. Authentisch. Und wie setzte sich der eine Punkt zusammen für unsere Partei? Erraten! Ich gewann. Als Einziger.
Nun gut, damit hatte ich einen Stammplatz in der 2. sicher. Ich erzielte auch dort das beste Ergebnis. Die Mannschaft stieg aber dennoch ab. Aber in die Erste? Das war noch nicht vorstellbar. Oder doch?
Die nächste Saison begann ich weiterhin in der Zweiten. In der Ersten gab es aber ein Brett, welches nicht fest vergeben war. Es gab vier gleichwertige Kandidaten, ich war keiner von denen. Routinierte Spieler, die noch auf frühere Erfolge verweisen konnten und ein Nachwuchsspieler, der aber 2 Jahre älter war als ich. Und jeder durfte einmal ran in den ersten vier Kämpfen. Alle vier verloren. Was nun? Was ist mit Pauli? Na gut, dann probieren wir ihn mal.
Wir spielten gegen den Konkurrenzclub aus Berlin, den SC Kreuzberg. Mit einem Großmeister am 1. Brett! Ludek Pachmann, emigrierter Tscheche. Ich spielte natürlich am 8.Brett, aber immerhin. Ich erreichte in dieser Partie ein Remis. Ich hatte sogar Vorteil, aber Bundesliga ist Bundesliga. Mein Gegner verteidigte sich geschickt und hielt Remis. Dennoch: Ich hatte nicht verloren. Also durfte ich wieder ran. Wieder Remis, auch die zweite. Ich war wohl Stammspieler, ja? In der Bundesliga gab es zu der Zeit aber nur sieben Partien, also stand die letzte Runde an.
Nun ja, jetzt muss ich mal wieder eine kleine Geschichte einschieben. Bei absolut genauer und einwandfreier Rechnung muss man feststellen, dass wir uns gerade im Jahre 1977 befinden. Mein Leben war, auch außerhalb meiner vermeintlichen Schachkarriere alles andere als geordnet. Mit Katja, die ich als Freundin von Sigrid durch diese kennen gelernt hatte und mit der ich zusammen war, funktionierte es irgendwie nicht. Ich war bei meinen Eltern ausgezogen. Das klingt nun nicht weiter ungewöhnlich. Aber wenn man berücksichtigt, dass die Eltern in meinem Falle aus Vater und Mutter als Einzelpersonen bestand – sprich: sie waren schon seit 1973 geschieden; deshalb wohl die Anspielung auf Ödipus? – dann ist es insofern doch ungewöhnlich, als dass die Formulierung „bei meinen Eltern ausgezogen“ stimmt. Ich wohnte quasi bei beiden. Immer je nach Geschmack. Und wer was erlaubte oder auch nicht. Also zum Beispiel Nächte lang wegbleiben.
Weiter lässt sich anhand meines Geburtsjahres schlussfolgern, dass ich das zu dieser Zeit gerade zur Volljährigkeit erforderliche Alter von 18 Jahren erreicht hatte. Allerdings dauert der damit gemeinhin in Verbindung gebrachte, abgeschlossene, Prozess des „Erwachsen Werdens“ bei mir bis heute an. Geschweige denn war ich es also in geringster Annäherung mit 18. Dennoch wohnte ich alleine. Ein kleines Zimmer, eine Dusche nebenan, sogar eine Kochgelegenheit. Aber wie heizt man denn bitte? Immerhin kannte ich, auch für die Nacht, Orte, wo geheizt war. Z.e.B Kneipen. Das e. steht für „einzigen“. Das mit dem Heizen war insofern relevant, als mein 18.Geburtstag mitten im Winter, war. Und genau an diesem Tag zog ich aus.
Die Schule hatte ohnehin, insbesondere in dieser Zeit, Mühe, als Aufmerksamkeitskonkurrenz zu fungieren. Pflichtbewusstsein war auch nicht gerade eine Eigenschaft, die man mit mir in Zusammenhang bringen sollte. Die Clubmeisterschaft hatte ich auch gerade auf tragische Art und Weise in der letzten Runde verpasst, und da kann ich Ihnen sogar das genaue Datum sagen: Es war am 26.1.1977. Ich weiß es deshalb, weil ich am 27.1. Geburtstag hatte und den sehnlichen Wunsch, noch mit 17 Jahren Clubmeister zu werden.
Immerhin habe ich noch meine fußballerischen Fähigkeiten eingesetzt, um zumindest in Sport den Kurs „Fußball“ zu belegen. Ziel: wenigstens dort die 15 Punkte zu erreichen. Und dann kam der 10. März. Der angehäufte Schlafmangel mag auch seinen Teil dazu beigetragen haben, jedenfalls spielten wir Fußball im Rahmen dieses Kurses. Ich fegte wie viel später erst von Maradonna kopiert, unaufhaltsam durch die gegnerischen Reihen. Nur noch ein Verteidiger. Helmut Letz. Er war wirklich ein exzellenter Verteidiger. Er traf nichts als den Ball. Also er stoppte ihn sogar. Ich trat auf den dadurch liegenden Ball und … viel weiß ich dann nicht mehr.
Nur kann ich rekonstruieren, dass meine Arme nicht die ausreichende Geschwindigkeit aufnehmen konnten, um vor dem Unterkiefer auf dem Boden anzukommen. Die Nase hatte ich ja schon als Auffangorgan probiert, der Kiefer war aber ebenso ungeeignet. Es war schon wieder überall Blut und jede Menge Zähne hatte ich im Mund. Blut, auch aus den Ohren. Viel Bewusstsein war mir nicht geblieben, um über einen Schädelbruch zu spekulieren. Aber viel später gaben die Ärzte dennoch Entwarnung: Nur der Kieferknochen, der, einmal aus seiner Position gebracht, sich durch den Gehörgang gebohrt hatte, also nichts weiter Dramatisches.
Der Platz wurde nach dem Unfall gesperrt und mit einem vernünftigen Untergrund ausgelegt vor der Wiedereröffnung. Ich hatte also insofern als „Versuchsobjekt“ gedient, welches die Tauglichkeit von Asphaltböden als Fußballplatzunterlage prüfen musste. Sie sind durchgefallen.
Ich bin aber nicht erst seit dieser Zeit glühender Verehrer der Medizin und sämtlicher Ärzte. Sie haben mich immer wieder zusammen geflickt. Der Kieferknochen musste wieder aus dem Gehörgang herausgezogen werden. Ist doch kein Problem, so was, oder? Später wurden Drähte im Mund befestigt. Kennt man doch. „Sie brauchen die Drähte auch nur sechs Wochen lang zu tragen. Ich gebe Ihnen eine Schere mit. Falls Sie sich mal übergeben müssen, können Sie ja dann eigenhändig die Drähte aufschneiden.“ Sehn Sie, so einfach. Und essen? Immerhin war ja eine winzige Öffnung da. Durch diese konnte ich sogar so exquisite Speisen wie Bananenmilch oder –brei schlürfen. Und ich kann Ihnen sagen: Zwei Tage lang schmeckt das sogar. Danach befindet sich das Allgemeinbefinden beständig zwischen Brechreiz und Hunger.
Ich musste mich in den ganzen sechs Wochen auch nur ein einziges Mal übergeben. Die Schere hatte ich parat. Dann hieß es auch nur nächtens auf ins Krankenhaus und die kaputten Drähte rausziehen aus dem Zahnfleisch, neue Drähte rein durchs Zahnfleisch, „so was machen wir hier täglich.“ Kleinigkeiten halt.
Aber das nun alles für einen 18-jährigen, der gerade versuchte, alleine zu leben und zurecht zu kommen? Wie ich eben sagte, es war alles andere als geordnet.
Das war eine sehr lange Vorgeschichte für meine dritte Bundesligapartie. Und all das diente nur dem einen Zweck: Einen Beweis für die Berechtigung des auf den Großmeister Blackburn (1861-1916) im vorvorigen Jahrhundert zurückgeführten Spruch: „Ich spiele seit 50 Jahren Schach. Aber ich habe noch nie gegen einen gesunden gewonnen.“ So also auch mein Gegner an diesem Tag. Die Besonderheit ist nur immer: „Bei mir stimmts wirklich…“ Ich verlor. Der Gegner erklärte mir hinterher noch: „Es ist gar nicht so leicht, einen Ochsen zu melken.“
Trotzdem blieb ich Stammspieler, auch für die nächste Saison und viele weitere, aber davon später noch mehr…
So viel also zu meiner Vorgeschichte des Spielens in Kindheit bis Jugend. Wie Sie feststellen konnten, hatte auch mein Vater eine ziemlich lange Kindheit. Bei mir scheint sich das zu wiederholen…
10) Sudoku
11)