Wanja spricht mit seinen Kindern, heute über…
Vorteil
Fußball war immer Thema in Putoia. Es war in der Schule ein festes Unterrichtsfach, für Jungen und Mädchen. Insofern gab es so oder so permanent etwas darüber zu erzählen. Eines weiteren schönen Tages – es gab auch in Putoia Tag und Nacht, denn ohne eigene Sonne kein Leben – aber sowohl die Jahreszeiten als auch die Tage verliefen ziemlich anders als auf der Erde, man passte sich aber gut an; für Zureisende war es vielleicht wie eine Art von der Erde bekanntes „jet-lag“, auf was man sich gefasst machen musste – nahm beim Abendbrot Wanja unvermittelt das Thema auf: „Wer kann mir sagen, was ein Vorteil ist?“ „Kein Problem“, so einer seiner Jungen, „man wird gefoult – was selten genug vorkommt –, der Schiedsrichter erkennt aber, dass der gefoulte Spieler im Ballbesitz bleibt oder die Spielsituation günstig bleibt für die angreifende Partei, insofern zeigt er zwar das Foulspiel an, unterbricht das Spiel aber nicht sondern lässt den Angriff laufen. Falls dieser zum Torerfolg führt, zählt der Treffer natürlich, wobei eine persönliche Strafe für den foulenden Spieler weiterhin aussteht und nicht nur möglich sondern sicher ist, indem das Foulspiel ihm persönlich angerechnet wird als auch der Mannschaft ein Teamfoul – mindestens; es gibt auch härtere persönliche Strafen, denn man möchte hier kein Foulspiel sehen. Sollte es in der Folge der Foulaktion eine andere günstige Standardsituation ergeben – zum Beispiel ein weiteres Foul weiter vorne oder ein Eckball oder gar ein Elfmeter – so wird das Spiel natürlich mit der entsprechenden Situation fortgesetzt und nicht etwa das ursprüngliche Foul gewertet.“
„Super. Selbst wenn nicht wortwörtlich so ist es doch auf den Punkt gebracht, was die Regeln dazu hergeben. Zugleich ist es logisch. Dass es auf der Erde dem Eishockey Spiel entnommen ist, mag ein irrelevantes Nebendetail sein und euch sicherlich bekannt. Klar ist aber, dass es damals auf der Erde in sämtlichen in den USA ernsthaft betriebenen Sportarten derart klare und logische Regeln gab, welche im Geiste des Spiels waren und welche dem Zuschauer Gerechtigkeit und Unterhaltungswert garantierten. Genau aus dem Grunde gab es in den USA nämlich kaum Fußball. Man hatte keinen Einfluss auf die Regeln und die wenigen Regeländerungen zur Fußball Weltmeisterschaft in den USA 1994 waren zwar allesamt sinnvoll, nur wurde selbst von diesen nicht der Geist richtig erfasst und die Anwendung blieb mehr als zögerlich bis gar nicht gegeben. Auf welche Regel beziehe ich mich hier?“ „Hmm, du sagst, glaube ich, dass es damals zumindest die Anweisung an die Linienrichter gab ´im Zweifel für den Stürmer bei Abseitsentscheidungen´, aber die Auslegung blieb immer, Zweifel hin oder her, für die Abwehrspieler, oder?“
„Ihr hört mir gut zu. Genau das war es. Nur hätte man, bei gründlichem Nachdenken, dieses ´im Zweifel für den Stürmer´ auch auf alle anderen Situationen anwenden können, wie es die USA mit Sicherheit getan hätten. Aber eine Gleichbehandlung von Stürmern und Verteidigern reicht ja schon aus, wie man hier auf Putoia sieht, oder?“ „Fußball ist das schönste Spiel und es macht Spaß, Spielern und Zuschauern, was könnten wir nun anderes sagen?“
„Zurück zur Vorteilsregel: ihr wisst also, wie es heute und hier ist. Logisch, schlüssig, durchführbar, gerecht. Wer foul spielt, sollte keinen Nutzen daraus ziehen, so oder so nicht. Wisst ihr nun auch, wie es früher war und wie es dazu kam und wie die Regel mehr und mehr missbraucht wurde?“
„Nein, Papa, erzähl mal.“
„Zuerst war es so, dass man ab und an als Angreifer feststellte, dass man zwar leicht behindert wurde – also gefoult –, dass man aber den Angriff dennoch gerne fortsetzen würde, weil man gerade in einer günstigen Angriffssituation war. Also lief man, trotz Behinderung, weiter mit dem Ball. Der Schiedsrichter zeigte dann sehr wohl an, dass ihm die Regelwidrigkeit nicht entgangen war, jedoch zeigte er zugleich mit den Armen nach vorne, dass das Spiel nun weiter laufen sollte. So weit ganz ordentlich. Man möchte ja nicht gezwungen sein, jedes Foul zu ahnden, selbst wenn es der Gefoulte selbst nicht einmal haben möchte.“ „So weit klar. Ist ja fast wie hier.“ „Unsinnigerweise war es aber anscheinend so, dass der Schiedsrichter sich entscheiden musste, und zwar einmalig. Vorteil geben oder abpfeifen? Hatte er sich für Vorteil entschieden, so konnte er seine Meinung, wie es aussah, im Anschluss nicht mehr revidieren. Vorteil war gegeben, der Ball im nächsten Moment verloren, Pech für die Angreifer.“ „Aber warum hätte es denn so gewesen sein sollen? Hat denn nie ein Schiedsrichter versucht, seinen Menschenverstand einzusetzen und selbst nach dem angezeigten Vorteil, der sich nicht als solcher entpuppte, nun doch noch den Freistoß zu geben, welchen er offensichtlich irrtümlich zuvor nicht verhängt hatte?“
„Doch, es mag sein, dass so etwas mal vorkam, ich kann mich kaum erinnern, aber wenn, dann war es nur im allernächsten Moment, in welchem er noch zurück konnte. Sollte der Angriff weiter gelaufen sein, nur wenige Sekunden, gab es kein Zurück.“ „Das ist ungerecht!“ „Richtig, gut erkannt. Nur war es eben so und es schien, dass die Regeln, einmal niedergeschrieben, unantastbar waren und entweder keiner den Mut hatte oder es tatsächlich niemandem auffiel, dass hier sämtliche Regeln der Logik auf den Kopf gestellt waren, aber dennoch war es so.“
Nach einer kurzen allgemeinen Denkpause setzte Wanja, einmal in seinen Redefluss geraten, fort: „Dazu erzählte ich euch am anschaulichsten mal zwei Beispiele und, wie ihr wisst, hängen alle angesprochenen und euch nun schon bekannten Probleme im Erdfußball miteinander zusammen, also verständlich wird es meist nur im Gesamtzusammenhang.“ „Ja, davon wissen wir schon, aber bisher leuchtet uns das ein, nicht wahr?“ Zustimmung der kleineren Geschwister.
„Das erste Beispiel war dieses: der 1.FC Nürnberg brauchte dringend einen Sieg oder zumindest ein Tor, denn es war kurz vor Ultimo, die letzte Chance auf den Klassenerhalt. Marek Mintal hatte den Ball am Fuß im gegnerischen Strafraum. Er legte ihn sich gerade in Schussposition zurecht, als er gefoult wurde. Keinerlei Zweifel an diesem Foul. Alle erkannten es als solches an. Nun entschied Mintal, trotz des erspürten Fouls und trotz der Behinderung, dass er den Ball wohl dennoch im Kasten unterbringen zu können und schoss. Der Schuss war gut, er war platziert, nur ging er dennoch nur an den Pfosten. Das Spiel endete 0:1, Nürnberg verlor und stieg später sogar ab.“
„Und, wie haben die Medien reagiert, wie hat Mintal reagiert, was haben die Spieler, Trainer gesagt? Die müssten sich doch zumindest beschweren oder aufregen oder irgendwas?“
„Wie es schien, waren sich alle einig, dass der Vorteil gegeben war und dass das irgendwie Pech war, dass er den Ball nicht versenkt hat. Immerhin war er ja ziemlich nahe dran. Allerdings wurde der legendäre Trainer Hans Meyer – es gab nicht viele, auf deren Aussagen man damals Gewicht legen konnte, aber er war einer davon – danach interviewt, wie er die Szene beurteilen würde? Hans Meyer sagte, mit einem doch schelmischen Grinsen: ´Nächste Mal, sage ich ihm, soll er sich fallen lassen´. Denn auch hier herrschte Einigkeit: wenn er gefallen wäre, hätte er den Elfer bekommen – und vermutlich damit die bessere Torchance.“
„Das heißt also: eigentlich hätte er eine Schwalbe machen müssen, damit er den verdienten Lohn bekommen hätte?“ „So schaut es wohl aus. Wobei ja zunächst einmal die Frage bliebe, wie man denn geschickt genug fällt, dass allen klar ist: das ist ein Elfer? Wenn er es also nicht geschickt getan hätte, dann hätte es sicher wieder geheißen: ´den wollte er zu sehr´ oder ´das war zu offensichtlich´ oder ´Mintal hier mit einer Schauspieleinlage, einer laienhaften´ oder was auch immer. Also sicher war der Elfer nicht. Aber vermutlich schon.“
„Dennoch bedeutet die Reaktion der Medien ja wohl: du musst Elfer schinden, sonst bekommst du keine. Die Aufforderung zur Anwendung des Mittels der Täuschung zur Erlangung deiner Ziele. Das ist unterste Schublade. So etwas käme hier nie vor.“
„Gerecht ist es so oder so nicht. Der Spieler, welcher sich an das Fairplay hält und trotz einer Behinderung weiter spielt und damit Nachteile in Kauf nimmt wird nicht etwa belohnt für sein vorbildliches Handeln sondern er wird bestraft und später noch für dumm erklärt, dass er sich – wie offensichtlich möglich war – auf den Beinen gehalten hat anstatt hinzufallen und sich und seiner Mannschaft einen Erfolg zu sichern. Am Ende heißt es noch: ´da fehlte ihm die Cleverness´. Der Fußball auf der Erde war rundherum verdorben, durchtränkt von derartigen Ungerechtigkeiten. Die denkenden Menschen hatten sich eh längst abgewandt, von daher waren sinnvolle Änderungen auch nicht zu erwarten.“
„Du hast aber gesagt, du hättest zwei Beispiele. Erzähle von dem anderen.“
„Also gut, ihr habt danach gefragt. Es war so, wie ihr ja schon wisst, dass es irgendwie eine Angst vor Toren gab. Wie war diese zu erklären, was meine ich, wenn ich davon spreche?“ „Ja, das weiß ich“, meldete sich der Jüngste, „es gab so wenige davon, insofern hatte man bei einem einzelnen oftmals nicht nur das Gefühl sondern wurde gar im Endergebnis – 1:0 war schon fast das häufigste – dies bestätigt. Ein einzelnes Tor war also gefühlt die Entscheidung, insofern wollte der Schiedsrichter diese nicht so ohne weiteres treffen und alle schlossen sich an. In großen Spielen war es so, dass es bei kritischen Entscheidungen sogar oft als Argument verwendet wurde: ´in so einem so wichtigen Spiel kann man doch nicht einfach so einen Elfer geben. Da hätte er ein bisschen Fingerspitzengefühl haben können.´ oder so was in der Art. Und komischerweise war es auch so, dass ein anerkanntes Tor, welchem ein Makel anhaftete, viel diskutiert wurde und der Schiedsrichter in den Fokus rückte, ohne das zu wollen, während er bei Entscheidungen, welche fälschlich einer Torerzielung im Weg standen, gar nicht weiter diskutiert wurden. War kein Abseits oder hätte Elfer geben müssen waren schwache Argumente. Ein Tor aus einer Abseitsposition oder ein Elfer, welcher grenzwertig war, wurden wochenlang diskutiert, waren das einzige Thema. Und es gab noch einen Punkt: ein Tor, welches fälschlich anerkannt wurde, änderte den Spielstand tatsächlich, hatte also insofern einen echten Einfluss während ein nicht gegebener Elfer oder ein fälschlich angezeigtes Abseits den Spielstand, also den Status Quo, beibehielt, also, obwohl objektiv natürlich genau so relevant, aber doch gefühlsmäßig einen unbedeutenden Einfluss hatte. Insofern: lieber kein Tor anerkennen. Da war der Schiedsrichter in Sicherheit. Und egal, welchen Makel er entdeckte; dieser wurde nicht zum Problem. Umgekehrt aber sehr wohl. Hütet euch vor einfach so gegebenen Treffern!“
„Nicht nur gut zugehört sondern auch gut zusammengefasst. Genau so war das. Kurios nur, dass nie jemand darauf kam und spürte, dass der Schiri diesen Makel suchte. Dafür gibt es natürlich etliche und noch viel mehr Beispiele. Aber ein sehr plastisches für die Vorteilsauslegung beziehungsweise umgekehrt, oder auch allgemein der ´Torverhinderungsauslegung´, gab es einmal im Championsleague Finale, als der FC Barcelona auf den FC Arsenal traf.“
Wanja machte eine Sprechpause und wartete auf Nachfragen, ob die Zuhörer auch gespannt blieben. „Also, was war da nun?“
„Es war sehr früh im Spiel, als Barca einen gefährlichen Angriff vortrug. Jens Lehmann stand damals im Tor bei Arsenal, er sah die Gefahr auf sich zukommen und stürzte sich aus seinem Kasten, dem Angreifer entgegen. Nur kam er zu spät. Er hatte nicht nur seinen Kasten verlassen sondern sogar den Strafraum. Er grätschte also hinein, mit den Beinen voran, da er außerhalb ohnehin nicht mehr Hand hätte spielen dürfen. Samuel Etoo, der Stürmer, versuchte zwar, der Grätsche auszuweichen und über die Beine hinwegzuspringen, da das Tor schließlich gänzlich leer war. Zusätzlich war noch ein weiterer Angreifer von Barca mit ihm enteilt, welcher parallel – aber auf keinen Fall im Abseits – mitlief. Also auch ein Querpass hätte das Tor sicher gestellt. Etoo legte den Ball am Torwart vorbei, egal, ob als Selbstvorlage oder als Vorlage für den mitgelaufenen Mitspieler gedacht. Es gelang ihm nur nicht, sich auf den Beinen zu halten, da Lehmann auch noch, als der Gegenspieler sprang, die Beine in ultimativer Panik und Torverhinderungsabsicht hochriss. Etoo stürzte also, trotz des erkennbaren Versuches, sich auf den Beinen zu halten. Der Mitspieler hatte das leere Tor vor sich und versenkte ihn locker.“
„Also Tor für Barca und Rote Karte, oder? Das wäre die einzig richtige Entscheidung. Eine andere wäre nur in Utopia denkbar, und da befinden wir uns nicht. Sag nicht, dass was anderes dabei herauskam? Vorteil für die angreifende Mannschaft, indem die strafbaren Aktionen so geahndet werden, dass sich die Ausübung derselben nicht lohnt. Nur so kann es gewesen sein. Also, sprich weiter?“
„So recht ihr auch habt und so logisch und einzig die richtige Entscheidung auch ausfallen müsste: so geschah es NICHT.“ „Wir können das nicht errraten, erzähl, was man auf der Erde dem Fußball, den Fans, der Gerechtigkeit, dem gesunden Menschenverstand angetan hat? Erzähl schon?“
„Also der Schiedsrichter geriet in wichtigen Spielen in die gleiche Panik wie der Torwart und wie theoretisch auch jeder andere neutrale Zuschauer: wenn ein Tor fiele, könnte das so lang erwartete und doch irgendwie heiß ersehnte Spektakel sehr bald vorüber sein, indem frühzeitig eine Entscheidung fällt. Ein Tor trüge erheblich dazu bei. Dies nur vorausgeschickt zum Verständnis für seine Reaktion: er unterbrach das Spiel in dem Moment, als das Foulspiel geschah. Es war, so wie für Lehmann die ultimative Möglichkeit, den Torerfolg zu verhindern, indem er die Beine hochriss, um den Stürmer doch noch zu Fall zu bringen, obwohl er ihn eigentlich schon verfehlt hatte, für den Schiedsrichter ebenfalls die ultimative Möglichkeit, den Torerfolg im Rahmen der gängigen Regelauslegungen zu verhindern.“
„Aber wieso wäre das seine Absicht gewesen?“ wollte eines der Kinder doch noch einmal erfragen. „Weil es nicht zu seinem Schaden gereichte und weil er irgendwie der Welt das mögliche Spektakel nicht vorenthalten wollte. Aber eine Panikreaktion ist in den meisten Fällen eine, welche man durchaus bereuen könnte. Ebenso wie Lehmann seine vielleicht im nächsten Moment bereute könnte es dem Schiedsrichter auch so gegangen sein. Es sei denn, dass er ausreichend viele Erklärungen an die Hand bekommt, die sich irgendwie mit Regelparagraphen oder -auslegungen in Einklang bringen lassen. Rein intuitiv, so muss man zunächst zu verstehen versuchen, gab es die Absicht, die Spannung zu erhalten und rein intuitiv hätte ein Tor diesen Spannungszustand in Gefahr gebracht. Besser kann ich es nicht ausdrücken. Aber die Vielzahl der Beispiele, die ich euch immer wieder erzählen kann lassen nur diesen einen Schluss zu. In einem wichtigen Spiel – dies so ziemlich das wichtigste vorstellbare – waren die Entscheidungen noch wesentlich klammer und hatte man noch mehr Sorge, ein Tor, schon in der Entstehung, zuzulassen.“
„Na gut, erzähl weiter. Es war eine Panikreaktion. Wie wurde das Spiel fortgesetzt?“
„Ja, der Schiri hatte also in Panik in die Pfeife gepustet. Der Pfiff ertönte, ein Weiterspielen war damit unmöglich, obwohl der Ball im nächsten Moment im Kasten landete. Das Tor nun anzuerkennen wäre nicht möglich gewesen. Dies hätte tatsächlich die Regeln verletzt, denn immerhin könnte jeder Arsenal Spieler oder Anhänger oder auch sonst jeder Beteiligte oder Unbeteiligte sagen: nicht nur ist ein Pfiff eine Spielunterbrechung, sondern zugleich wäre jede Folgereaktion davon beeinflusst.“ „Was meinst du damit? Der Ball war doch drin? Kein Spieler im Weg, welcher das Unausweichliche hätte verhindern können?“
„Auch dies erkläre ich an einem anderen Beispiel, wodurch mir dies endgültig klar wurde: in einem Tennismatch zwischen Fabrisce Santoro und Tommy Haas stand es mal 5:2 im zweiten Satz, Aufschlag Tommy Haas, 40:0. Das heißt: das Match war gelaufen. Santoro hatte keine Chance mehr. Noch ein Punkt für Haas und er ist Sieger. Er hatte auch noch kein einziges Aufschlagspiel abgegeben. Matchball, zuerst drei, und selbst wenn diese abgewehrt würden, aber wie käme man darauf? Auf einmal aber warf Santoro alle Fesseln über Bord. Er spielt zwei Stoppbälle, welche er das ganze Match hindurch nicht gespielt hatte. Diese Stoppbälle waren unerreichbar für Haas. Das Publikum wachte auf und auch Santoro glaubte anscheinend wieder an eine Chance? Im dritten Versuch scheiterte er und das Match ging ganz undramatisch an Haas, selbst wenn diese beiden unfassbaren einem jeden Zuschauer im Gedächtnis bleiben würden und, Anhänger dieses oder jenes Spielers oder auch die neutralen sagen würden: wir wurden gut unterhalten, auch dank dieser beiden Bälle.“ „Was hat das nun mit dem Spiel zu tun und mit dem erzielten Treffer und dessen Versagens der Anerkennung?“
„Ganz einfach: Santoro konnte diese beiden Bälle spielen, weil er das Match abgehakt hatte. Es ging um nichts mehr. Er spielt sie also, wie er es im Training täte. Da gelingt das vielleicht oder es missling, nur macht das keinen Unterschied. Sowie der Druck wieder da ist, im ernsten Match, gelänge es viel weniger.“ „Ah, du meinst also, der Spieler, der den Ball nach dem Pfiff lässig einschob hätte ihn vielleicht gar nicht so lässig eingeschoben, wenn der Pfiff nicht ertönt wäre?“ „Schlaues Kerlchen. Genau das meinte ich. Zumindest könnte sich ein jeder darauf berufen, der gegen das Tor votierte. Es kann einfach nicht zählen, da gebe ich den Leuten damals recht. Diskutieren würde ich nur darüber, warum der Pfiff ertönte? Ich meine, dass ich den wahren Grund kenne. Nur würde vermutlich jeder, der diese Begründung hört, widersprechen. Vor allem der Schiedsrichter würde sich mit Händen und Füßen dagegen stemmen.“
„Wie ging das Spiel nun weiter, wie war die Entscheidung?“ „Nun, offensichtlich hatte der Schiedsrichter nun den kleinen Fehler auch erkannt, welchen er begangen hatte. Er hätte nun liebend gerne DOCH das Tor stehen lassen – nur war es dafür zu spät.“
„Warum, sagst du nun, hätte er lieber das Tor gehabt? Zuerst hast du doch lang und breit erklärt, dass er das Tor NICHT wollte – so wie auch jeder Andere irgendwie gegen die Tore gewesen zu sein schien. Vor allem die Regeloffiziellen, oder?“ „Ja, das ist so weit richtig. Das Problem, welchem er sich jetzt ausgesetzt, sah, war dieses: er hatte das Tor weggepfiffen. Nun musste er stattdessen also die Foulaktion von Lehmann bewerten. Hier gab es nun das noch größere Dilemma: ein Tor war in vielen Fällen spielentscheidend. Eine rote Karte aber eigentlich in einer noch höheren Vielzahl von Fällen.“ „Ah, du willst damit sagen: eine rote Karte in einem derartigen Spiel – das wollte er noch weniger, nur war es das, was er nun tun musste?“ „Genau so war es. Er hatte sich selbst in diese Zwickmühle gebracht mit dem Panikpfiff ´bevor noch ein Tor fällt pfeife ich lieber ab; da können wir ja hinterher noch schauen, wie ich das Foul bewerte, und die Hoffnung besteht, dass ich mit Gelb für den Torwart davonkomme und, da er so vorbildlich zuerst den Strafraum verlassen hat und dann erst außerhalb des Strafraums zu seiner – nennen wir es lieber nicht allzu grob Notbremse, oder, habe ich das etwa gedacht? – Grätsche ansetzte gibt es eh nur Freistoß – da gibt es keinerlei Handlungsspielraum, das geben die Regeln nicht her – und aus einem Freistoß kommt es sehr, sehr selten vor, dass ein Tor fällt, also bleibt alles wie gehabt, die Spannung, der Spielstand, 0:0, wie auch sonst´. Nun blieb ihm nichts weiter übrig, als die noch weniger gewünschte Entscheidung zu treffen, einen Spieler vom Feld stellen zu müssen, so gerne er auch dies vermieden hätte. Hier blieb keine Wahl, denn nur so konnte er den Pfiff noch rechtfertigen. Falls also jemand ihn nun gefragt hätte, warum er das Spiel unterbrochen hätte und nicht wenigstens die Augen aufgesperrt oder die Zehntelsekunde abgewartet hätte, ob nicht doch etwas aus der Aktion werden kann, so hätte er einzig diese Antwort geben können: ´Ich habe das grobe Foulspiel gesehen, was zugleich einer Notbremse gleichkam. Da habe ich natürlich sofort unterbrochen. Besonders schlimme derartige Aktionen muss man sofort unterbrechen, da schaut man gar nicht mehr, ob oder wie oder was aus der Aktion sonst werden könnte. Man pfeift – und stellt vom Platz. Schade war das schon, aber auch menschlich und so nachvollziehbar.´ Das Spiel endete übrigens mit 2:1 für Barca.“
„Ok, dann fassen wir zusammen: es gab einfach keinen Vorteil. Es war eigentlich immer zum Nachteil für die Angreifer. Der Stürmer durfte nur sich foulen lassen, dann entscheiden, ob er sinnvoller trotz der Behinderung weiter spielt und die durch das Foul eindeutig verringerte Torchance dennoch wahrnimmt oder ob er einen Täuschungsversuch unternimmt, mit welchem er jedoch angeblich Erfolg hätte, aber vielleicht auch nicht, aber immerhin sich moralisch versündigt hätte. Falls die herausgespielte Aktion aber doch den erkennbaren Vorteil eingebracht hätte, dann unterbrach der Schiedsrichter einfach brachial das Spiel und flüchtete sich theoretisch in Ausreden, wurde zu jenen aber gar nicht erst genötigt, da man ihn nicht einmal in diese Bedrängnis brachte.“