Wanja spricht mit seinen Kindern, heute über…
Zeitspiel
Nun kennen wir Wanja schon eine ganze Weile und auch schon recht gut. Seine Kinder wuchsen weiter heran und sie stellten Fragen. Aber auch ohne, dass sie dies getan hätten, hätte er gerne erzählt – und tat dies auch. Meist fing er an bei Adam und Eva, in etwa so: „Wisst ihr, Kinder, zuerst einmal wurde der Ball erfunden, …“. Oder auch „Ihr müsst euch vorstellen, früher, auf der Erde, da war das so…“. Und obwohl sie nun wussten, dass es eine lange Geschichte werden konnte, jede einzelne, so verstand er es doch, mit seiner gewissen Erzählkunst, sie bei Laune zu halten. Viel fragen mussten sie zwischendurch nicht, denn, wie sie bereits wussten, wurde rundherum alles so oder so früher oder später mal erläutert. Aber sie fanden Gefallen daran und hörten ihm gerne zu. Auch deshalb, weil so viele seiner Geschichten so unfassbar klangen. Man kann es sich in etwa so vorstellen, wenn Eltern aus der Nachkriegsgeneration ihren Kindern etwas vom Krieg erzählten. Auch diese Geschichten waren irgendwie schaurig-schön und man versetzte sich zurück in diese Zeit – abhängig von den Erzählkünsten – und war zugleich dankbar, in einer doch so weit „heilen“ Welt leben zu dürfen.
Nun kam eines Tages am Essenstisch die Frage auf: „Papa, was meinten denn die Erdlinge bloß mit dem Begriff ´Zeitspiel´? Ich kann mir darunter nichts vorstellen.“
„Wisst ihr, Kinder, damals, auf der Erde, da war das so…“ Und er begann die Geschichte mit einer jener den Kindern längst bekannten Einleitung, dass es früher nur um das Ergebnis ging und dass der Begriff „Fairplay“ eine leere Worthülse war und dass die Zuschauer immer nur Fans einer Mannschaft waren, die sowieso über permanente Ungerechtigkeiten wetterten, die aber zuvor, mit der Bekenntnis zur Anhängerschaft zu einer Mannschaft, auch zugleich entmündigt waren und sich über Ungerechtigkeiten nicht mehr beschweren durften, da sie eben, als Fans einer Mannschaft, so oder so in ihrer angeblichen „Urteilsfindung“ befangen waren und ohnehin dabei vergaßen, dass die gleichen Ungerechtigkeiten, über welche sie sich gerade beschwerten, zuvor auch von ihrer Mannschaften zu ihren Gunsten genutzt wurden und überhaupt und dass der Fußball eben „schon immer so war“.
Nun gut, meinten die Kinder, aber was hat das denn alles mit ´Zeitspiel´zu tun? Woher kommt der Begriff und was war seine Bedeutung? „Nun“, führte Wanja weiter aus, „der Begriff birgt bereits einen Widerspruch in sich.“ „Wie, was, das musst du uns erklären.“ „Bin ich doch dabei. Nicht so ungeduldig. Wenn man damals von ´Zeitspiel´ sprach, dann handelte es sich darum, dass man ein günstiges Zwischenergebnis erreicht hatte, und sich ab dem Erreichen dieses günstigen Ergebnisses nicht mehr um Torerzielung bemühte sondern lediglich darum, die Zeiger der Uhr voran zu bringen.“ „Wie, wie sollen wir uns das vorstellen? Worum ging es dabei, wie machte man das, was war das Ziel und wie war das überhaupt möglich?“
„Na, wie ich ja schon sagte ist der Begriff, die Einführung des Begriffes bereits in gewisser Weise paradox und für hiesige Verhältnisse nicht vorstellbar aber deshalb sage ich ja immer: ihr müsst versuchen, euch da hinein zu versetzen. Eine Niederlage bedeutete oftmals für den Trainer das Aus oder für die Spieler, dass sie nicht mehr zum Einsatz kamen, für den Verein, dass er abstieg und für die Region, dass sie keinen Fußballverein mehr hatte und dass die ganze Wirtschaft darunter litt und auch noch die ganzen anderen Angestellten im Verein und sogar, dass oftmals ganze Vereine daran bankrott gingen, sich auflösten, Insolvenz anmelden mussten, weil sie sich übernommen hatten und weil sie so sicher waren, die hoch gesteckten Ziele zu erreichen.“ „Das heißt also, dass damals die Mittel zum Erzielen eines günstigen Ergebnisses egal waren?“ „Ja, sehr gut ausgedrückt. Jedes auch noch so schäbige, schändliche Mittel fand seine Anerkennung. So war es wohl.“
„Erzähl uns mehr davon: wie funktionierte das Zeitspiel, wie haben es die Spieler, die Trainer gemacht, wie haben es die Reporter kommentiert, wie haben es die Zuschauer hingenommen oder vielleicht auch mal nicht hingenommen?“
Darauf wieder Wanja und wenn er mal in Fluss kam, war er nicht zu bremsen: „Bin ich ja dabei. Also eine Mannschaft hatte es irgendwie geschafft, ein Tor zu erzielen. Und das war schwer genug, das wisst ihr ja schon. Damals gab es gerade mal drei Tore pro Spiel, wenn es hoch kam, da musste man schon lange auf ein Tor warten. Manchmal fiel das erste Tor zum Beispiel in der 63. Minute. Nun wusste jeder, dass dies schon beinahe entscheidend sein kann. 63 Minuten für das 1:0, ja, wie lange sollte der Gegner dann wohl brauchen, um das 1:1 zu schaffen, ohne, dass wir noch eins nachlegen? Das 1:0 war sozusagen die halbe Miete. Wenn es die Heimmannschaft erzielt hatte, dann war es noch ein klein wenig einfacher, weil diese einfach durch feierten, ohne auf das Spielgeschehen zu achten, denn die meisten der sich so bezeichnenden ´echten Fans´ waren so oder so schon betrunken oder grölten eh nur mit der Masse mit. Das heißt: sie wurde an der Umsetzung ihres Unterfangens, den Spielstand ´über die Zeit zu bringen´, wie man es damals sagte, vom Schiedsrichter noch weniger gehindert.
Sie bekamen beispielsweise einen Einwurf zugesprochen, und es mühte sich keiner hin zum Ball, um diesen auszuführen. Der Ball lag da, aber es fand sich keiner ein, ihn aufzunehmen und ins Spiel zu bringen. Das brachte viele, viele Sekunden, abgesehen davon, dass es, als Provokation geeignet, die gegnerische Mannschaft unruhig machte, aufbrachte, was dann wieder ungünstig für die Erzielung des Ausgleiches wurde, eher, dass dann mal ein gegnerischer Spieler wütend wurde, dem Schiri das offensichtliche Zeitspiel anzeigte, sich dafür aber, wegen Autoritätsunterminierung, eine gelbe Karte einhandelte.“ Wie es schien, konnten die Kinder da nun wieder mühelos folgen. Sich in die Situation hineinversetzen, ja, das konnten sie mit jeder weiteren Geschichte immer besser.
„Da euch aber immer kleine Anekdoten, zur weiteren Aufhellung der Geschehnisse, gut zu gefallen scheinen, erzähle ich euch diese kleine Geschichte: die PSV aus Eindhoven hatte mal in einem Europapokalspiel ein Ergebnis im Rückspiel erreicht, bei welchem ihnen noch ein Tor fehlte zum Aufstieg in die nächste Runde. Nun versuchte der Gegner jedoch, wie üblich, mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln, die PSV davon abzuhalten, dieses eine weitere Tor zu erzielen. Das beliebteste dieser Mittel war natürlich das Zeitspiel, welches zugleich die Provokation beinhaltete. Nun hatte mal wieder der Keeper des Gegners den Ball aufgenommen und zum x-ten Mal ließ sich dieser zu viel Zeit damit, den Ball wieder ins Spiel zu bringen. Es gab durchaus eine Regel, diese lautete damals: sechs Sekunden, spätestens dann musste der Ball abgeworfen oder abgeschlagen sein. Nur wurde dies kurioserweise so gut wie nie als Vergehen abgepfiffen. Der Torhüter schien damals so oder so eine Menge von Sonderrechten zu haben, aber das gehört nun wirklich nicht hierher. Der Keeper hielt den Ball also in den Händen und machte nicht mehr weiter. Oftmals war es ja auch so, dass er den Ball am Boden liegend aufnahm – beispielsweise also ein Flanke abfing, und dann, während des Abfangens des Balles bereits zu Boden ging, unnötigerweise, und dann noch ein paar weitere Sekunden liegen blieb, ohne, dass diese zusätzlich geschundenen Sekunden ´angerechnet´ wurden. Da ein Angreifer von PSV nun bereits mehrfach darauf aufmerksam wurde und darauf aufmerksam gemacht hatte, ohne, dass sein Gebaren auf den Schiedsrichter einen Eindruck machte, begann er nun, mit den Fingern die Sekunden zu zählen, indem er, in einem sehr gesunden Takt, pro Sekunde einen Finger mehr in die Höhe streckte, bis er bald beide Hände benötigte und längst die sechs Sekunden überschritten waren. Nun hatte der Schiedsrichter einen wahren Straftäter identifiziert: es war dieser Stürmer, welchen er auf dem Kieker hatte. Was war also die Folge dieser Anmaßung des Stürmers? Er bekam sehr energisch die gelbe Karte unter die Nase gehalten, er möge sich ja vorsehen, und er sei der Schiedsrichter, der hier das Sagen habe und welcher sehr wohl auf jeden Missstand aufmerksam würde – oder eben auch nicht. Aber aufzwängen ließe er sich schon gar nichts. Das Resultat war: eine weitere Minute zugunsten der im Gesamtergebnis führenden Mannschaft, eine gelbe Karte, eine Menge aufgebrachter Zuschauer – und ein weiterer grandioser Erfolg des Zeitspiels und man hörte, dass der Torhüter von den Gästen als Held gefeiert wurde, welcher mit all seinen verfügbaren Kräften und Mitteln den Gegner vom Toreschießen abgehalten hatte.“
„Ja, aber hat denn niemand etwas dazu gesagt? Das war doch einfach nur ungerecht? Wie wurden denn solche Szenen kommentiert? Haben die Sprecher denn nichts gemerkt? Hatten die kein Interesse daran, an Gerechtigkeit, an Toren, an schönen Spielen, an dramatischen Entwicklungen, bei welchen ein paar Tore vielleicht bald so herum, bald andersherum den Spielstand verändert hätten?“
„Sehr gute Frage, Kinder, das ist ja genau, warum wir hierher gekommen sind und warum wir etwas anders machen wollten, hier in Putoia. Irgendwie haben alle zusammen gehalten und wollten anscheinend diesen riesengroßen Schwindel, den Betrug am Zuschauer, die ausgelöste Wut rundherum, bei fast allen Beteiligten, Betroffenen und so weiter nicht wahrhaben und haben sich etwas eingeredet. Zum Beispiel hat der Kommentator immer bei solchen Szenen gesagt: ´das ist alles ganz normal, das hätten die Anderen auch nicht anders gemacht. Warum regen die sich denn so auf? Das muss doch nicht sein.´“
„Anscheinend wussten die noch nichts von deinem Credo, Papa, das da lautet – und ich zitiere wörtlich: ´man kann nicht eine Ungerechtigkeit gegen eine andere aufwiegen.´“
„Gut zugehört, mein Kind. Und hinzufügen tue ich dann immer noch…?“ … „dass im Anschluss nicht etwa Gerechtigkeit eingekehrt ist sondern BEIDE unzufrieden sind.“
„Genau so ist es. Wenn dem Einen ein Unrecht widerfährt, und das gleiche Unrecht dem Anderen widerfährt, wie sollten dann im Anschluss BEIDE zufrieden sein? Außerdem beinhaltet das Statement, dass die Anderen das auch nicht anders machen würden, logischerweise die Erkenntnis, dass es sich um unlautere Mittel handelt.“ „… und unlautere Mittel müssen mit Regeln so behandelt werden, dass man durch deren Anwendung KEINEN Vorteil erfährt. Richtig?“ „Richtig!“
„Ich kann euch noch erzählen, wie das mit der Nachspielzeit und den Auswechslungen war. Wollt ihr?“ „Es ist genau so, wie du sagst: schaurig-schön. Erzähl weiter.“
„Also gut. Ganz früher war es so, dass man gar nicht auswechseln durfte“ „Ja, das wissen wir doch. Und wenn sich ein Spieler verletzte, durch Einwirkung eines Gegenspielers, also durch Foulspiel, dann musste die Mannschaft mit zehn Mann weiter spielen, obwohl es eher der Gegner gemusst hätte. Das war ungerecht. Weiter.“
„Schön, wie gut ihr zuhört. Das Auswechseln wurde also gestattet, zunächst zwei Spieler, später drei. Aber nur, falls sich ein Spieler verletzt hatte, so hieß es anfangs. Da man sehr bald feststellte – und dieses Wissen und diese Erkenntnis auch an anderen Stellen sehr gut eingesetzt werden könnte, nur gehört dies erneut nicht hierher –, dass sich dies nicht überprüfen ließe, verzichtete man darauf und gestattete die Auswechslung, welche dem Trainer mehr Flexibilität gab und welche zudem als taktisches Mittel genutzt werden konnte.“ „Ja doch, und anfangs nur in dem Sinne, dass man die Formation ändern konnte oder einen frischen Spieler bringen konnte oder einen Spieler auswechseln konnte, der nicht die erwünschte Leistung brachte, einen schlechten Tag hatte oder mit seinem Gegenspieler partout nicht zurechtkam, Wissen wir auch schon.“
„Super. Später wurde das taktische Mittel aber auch so eingesetzt, dass man sich einfach ein oder zwei Auswechslungen aufhob bis in die Nachspielzeit.“ „Aha, mit welcher Idee denn das?“ „Ja, hört gut zu, es fing damit an, dass die Nachspielzeit angezeigt wurde – was ja, wie ich euch gerne an anderer Stelle mal erkläre, überhaupt keine Vorteile sondern nur Nachteile brachte, dabei waren sie so stolz auf ihre Idee – und, als eine der Folgen davon, ein cleverer Trainer auf diese Anzeige wartete und, sobald das Täfelchen hochging mit den obligatorischen drei Minuten, dieser Trainer sofort seine Auswechseloption anzeigte, woraufhin das Spiel, bei nächster Gelegenheit, unterbrochen wurde und die Auswechslung durchführte. Vermutlich ließ er sich noch davon überraschen, inwieweit nun die angezeigte Nachspielzeit in die Länge gezogen würde, da die Auswechslung ja einige Zeit in Anspruch nahm. Und, Kinder, nun frage ich euch: was stellte er fest?“
„Er stellte fest, dass sie GAR NICHT verlängert wurde?“ „Ganz genau, offensichtlich kennt ihr euch auf dem Planeten der Ungerechtigkeiten bereits sehr gut aus. Nicht nur wurde diese Nachspielzeit nicht in die Länge gezogen sondern sogar, als es doch einmal geschah, direkt ein Protest gegen die Spielwertung eingelegt, als ein weiteres, entscheidendes, Tor in der zusätzlich angehängten Zeit fiel. Und, falls ihr fragen solltet oder vermuten solltet: dem Protest wurde NICHT stattgegeben, das Ergebnis hatte bestand.“
„Trotzdem ist das doch total ungerecht? Eine Auswechslung dauert doch immer mindestens 20 Sekunden, oder?“ „Sie dauert vielleicht nur 10 Sekunden, wenn es die zurückliegende Mannschaft tut, vielleicht weil sie es muss oder weil sie die letzte offensive Option einwechselt. Aber die führende Mannschaft? Ich habe es etliche Male nachgestoppt: sie schafften es, diese Zeit teils auf über 45 Sekunden auszudehnen, indem sich der Spieler zunächst überrascht zeigte, welcher ausgewechselt werden sollte, zudem ´wirklich rein zufällig´ gerade an der gegenüberliegenden Eckfahne stand, allmählich aber, nachdem er registriert hatte, dass es tatsächlich ihn selbst, ja, ausgerechnet ihn, der doch eine so starke Leistung geboten hatte, betreffen sollte, nun aber allmählich doch hinter den Grund für diese Auswechslung kam und genau in dem Moment feststellte, dass die Knochen, Muskeln, Sehnen, ja, sein kompletter Körper rein gar nichts mehr an Saft in sich hätte, dass er sich den ganzen Weg bis zur Auswechslung schleppen musste, aber die Kraft trotzdem genau so weit reichte, in jede Ecke des Stadions einmal zu Winken und Abzuklatschen, mit jedem einzelnen Mitspieler und natürlich – ein Narr, wer Schlechtes dabei denkt – die Kapitänsbinde auch noch dem weitest entfernten Mitspieler überstreifen musste, um dann auch noch, auf dem Platz, die Umarmung mit dem Einwechselspieler und jene mit dem Trainer hinzubekommen.“ „Und, der Sprecher, die Fans?“ „Wie gesagt: es schienen sich alle einig zu sein: da kann man nichts machen, so ist der Fußball halt.“
„Aber so etwas würde es hier doch nie geben?“ „Du sagst es, mein Kind. Es war ein wenig wie bei euch im Kindergarten damals. Falls es keine Strafen gab für ein Fehlverhalten, dann haben es die Kleinen eben wiederholt. Da muss man sich wirklich nicht wundern.“
„Papa, erzähl uns doch bitte noch ein weiteres Beispiel. Das muss ja wirklich abenteuerlich gewesen sein. Ein bisschen wie im Krieg, scheint mir? Wobei wir von dem auch nur noch wissen von deinen Erzählungen, wie es dein Vater und deine Onkel erlebt haben. Aber bitte trotzdem: noch eine Geschichte.“
„Also gut. Die kleine Geschichte ist ganz einfach zu erzählen: ich habe aus Spaß damals Wetten angeboten, wirklich nur im Spaß, aber dennoch mit den mathematisch erforderlichen Voraussetzungen, wie ihr euch ja sicher vorstellen könnt. Also: das dauerhafte Wettangebot, welches in jeder wettfreudige hätte annehmen können, lautete so: es sind noch zehn oder weniger Minuten zu spielen. Nun liegt ein Spieler verletzt am Boden, der offensichtlich (?!?!) eine Behandlung braucht, nicht mehr eigenmächtig aufstehen, den Platz verlassen oder weiter spielen könnte. So weit klar?“ „Ja, verstehen wir. Es liegt ein verletzter Spieler am Boden, weniger als zehn Minuten Restspielzeit, wo ist das Problem an der Szene?“ „Nun, ein Problem nicht direkt, nur kannst du in diesem Moment bei mir auf die Trikotfarbe wetten. Und nicht nur das: ich zahle dir zehnfaches Geld, falls ich dir die Farbe des Trikots ansagen darf.“ „Häh? Wie meinst du das denn? Rot oder grün oder gelb oder was? Bist du Hellseher?“ „Nein, also das Wettangebot lautet so: es liegt ein Spieler und ich errate, von welcher Mannschaft er ist. Du bekommst zehnfaches Geld, falls ich es falsch errate. Abgemacht?“ „Keine weiteren Voraussetzungen?“ „Nun ja, also ich muss nur noch den Spielstand wissen.“
„Ich glaube, ich verstehe langsam, was du meinst. Der Spieler IST gar nicht verletzt. Er simuliert. Seine Mannschaft liegt in Führung. Das weißt du mit mehr als 90%iger Sicherheit, deshalb zahlst du auch die Quote 10.“ „Cleveres Bürschchen. Wie sagt man so schön? Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Du hast es erraten.“
„Und das haben die Spieler immer wieder gemacht und die Zuschauer, die Schiedsrichter, die Medienvertreter, die Berichterstatter, die Trainer, alle haben dieses faule Spiel mitgemacht?“ „Ja, genau so war es. Sie hatten keine Mittel. Es war ja nicht nur so, dass dieser Spieler sich verletzt am Boden wälzte, nein, wenn es ihm passte, sprang er wieder auf und nutzte im nächsten Moment den Freiraum, um ein Tor zu erzielen, er war so frisch wie nie zuvor und ihm die Peinlichkeit in gewisser Weise egal. Was sollte ihm peinlich sein, wenn seine Mannschaft gewonnen hätte und er, auf diese und auf jene ´legalisierte´ Art dazu beigetragen hätte? Und es kam sogar noch etwas dazu: wenn ein Spieler im Angriff den Ball verlor, dann drohte natürlich dadurch oftmals ein gefährlicher Konter. Er tat also alles, um diesen Ballverlust zu vermeiden, beziehungsweise, nachdem er geschehen war, das Unheil in Grenzen zu halten. Also: er setzte energisch nach, tat alles, um den verlorenen Ball zu retten, auch gerne ein Foul, nur wenn es ihm dennoch nicht gelang, dann ging er, ein Foul an ihm selbst simulierend – sonst hätte er doch den Ball nicht verloren, oder? –, zu Boden und rührte sich nicht mehr. Wenn nun der Gegner den Konterangriff dennoch auszuspielen gedachte – dies konnte sowohl bei günstigen als auch bei neutralen Spielständen geschehen sein –, dann beschwerten sich irgendwann die Gegenspieler und auch die Fans begannen zu murren oder zu pfeifen und auch der Schiedsrichter wurde aufmerksam gemacht oder selbst aufmerksam und sozusagen, nach und nach, gezwungen, das Spiel zu unterbrechen. Nun simulierte der so schwer Verletzte noch eine Weile lang weiter, dass er wirklich etwas abbekommen hätte, auch das Ärzteteam wurde auf den Platz gerufen, dennoch hüpfte der Spieler kurz darauf wieder wie ein junges Reh auf dem Platz herum.“
„Und niemand, der etwas gesagt oder getan hätte, um dem unsäglichen Treiben Einhalt zu gebieten?“ „Nein, niemand tat das. Es ging jahre-, gar jahrzehntelang so und die angewandten Mittel wurden immer unverschämter. Ganz einfach, weil die Spieler merkten, was sie sich alles herausnehmen konnten, ohne je dafür belangt zu werden.“
„Aber“, so fuhr Wanja nach kurzer Denkpause, welche er denn Kindern gewährte, fort, „man konnte den Spielern keinen Vorwurf machen. Sie taten alles, was auf diese Art anerkannt und genehmigt war, um die Medienvorgabe zu erfüllen, welche da lautete…“
„Es zählt nur das Ergebnis. Alles andere ist egal. Vor allem, WIE man das günstige Ergebnis erzielt. Die Wahl der Mittel ist frei gestellt, Hauptsache man kommt damit durch. Neutrale Zuschauer, Fans, die Gerechtigkeit, die Schönheit des Spiels, der Unterhaltungswert, der Spaß, die Spannung : alles untergeordnet. Es geht darum, das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.“
„Genau so WAR es, möchte ich gerne mal betonen. Aber wir können ja mal bei Gelegenheit auf der Erde vorbeischauen, wie es da jetzt zugeht? Vielleicht noch immer so oder gar gesteigert? Vielleicht gibt es den Fußball schon längst nicht mehr? Der hat sich selbst zu Grunde gewirtschaftet?“