Wanja spricht mit seinen Kindern, heute über…
Das Glück der Deutschen zugleich ihr Pech?
Es lebte sich herrlich in Putoia und ein wenig erinnerte es schon an „Die Truman Story“, wobei man sich schon fragen durfte, ob das alles wahr sein könnte? Wenn ein Fußballspiel stattfand – und es gab viele, große, kleine, Jugendspiele, Mädchen- und Damenspiele, Amateurspiele und Profispiele – denn schließlich befand man sich ja auf dem Planeten, welcher sich die Botschaft „hier spielt man Fußball“ als Eingangsschild weithin sichtbar ins Universum geschrieben hatte. Ein jeder schaute auch gerne diese Spiele, vor Ort oder als Übertragung im noch immer existierenden Fernsehen oder auf den Riesenbildleinwänden vor den Stadien, wo stets eine regelrechte Party stattfand, von den so zahlreichen Anhängern des Spiels, welche sich dennoch in den unterschiedlichen Vereinsfarben schmückten, aber niemals untereinander Krieg führten, wie es früher – wie Wanja gerne und immer wieder mal seinen Kindern und auch anderen der zweiten Generation auf dem hiesigen Planeten erzählte – auf der Erde war, als die Polizei die Fans auf eigenen Routen Richtung Stadion begleiten musste, um nicht schon vorm Anpfiff eine Eskalation aufgrund einer möglichen Begegnung der verschiedenen Fanlager befürchten zu müssen, was sich dennoch nicht in allen Fällen vermeiden ließ, da sich die Fans unkenntlich machten, eigene Routen erfanden und sich teils sogar zu feindlichen Handlungen in Form von körperlichen Auseinandersetzungen verabredeten und der Polizei so ein Schnippchen schlugen. All dies wäre hier unvorstellbar gewesen, dennoch lauschten alle immer wieder gerne diesen von Wanja so plastisch beschriebenen Szenen und Geschichten mit offenem Mund, so etwa, wie man sich ab und an einen Gruselfilm anschaut, sehr wohl in Kauf nehmend, dass einem die Gänsehaut über den Rücken laufen würde und sich diesem dennoch aussetzt. Schaurig-schön eben oder nachher geht es einem besser, wenn man wieder in die heile Welt zurückkehrt?!
Jedenfalls saß man oft in abendlicher Runde zusammen und Wanja hatte immer etwas zu erzählen und die Kinder hörten ihm gerne zu, weil sie einfach fasziniert waren. Fast immer fingen seine Geschichten, wie wir längst wissen, bei Adam und Eva an und er leitete in etwa so ein: „Zuerst einmal wurde der Ball erfunden und dieser, wie man es logischerweise als Mensch tut, mit den Händen fortbewegt. Eines Tages kam man auf die Idee, den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen – immerhin hat man mit den Händen doch das größte Geschick – und suchte nach dem begrifflichen Gegensatz zur Hand. Diesen fand man in dem Wort ´Fuß´ und schon war der irreführende, aber doch recht handliche Begriff ´Fußball´ erfunden, welcher eigentlich…“ die Finder schnitten ihm das Wort ab und ergänzten „… alles-außer-Arm-und Hand-Ball heißten müsste. Die Geschichte kennen wir schon.“
Manchmal begann er seine Geschichte auch so: „Also ganz am Anfang gab es den Zweiten Weltkrieg, welchen Deutschland angezettelt hatte und sang- und klanglos verloren hatte. Und nur neun Jahre später, als das Land noch ziemlich zerstört war und erst wieder ein Neuaufbau angefangen hatte gewannen sie dennoch unter äußerst glücklichen Umständen die Fußball Weltmeisterschaft. Man hielt es damals, in dem so arg gebeutelten Land – welches sich diesen Zustand selbst zuzuschreiben hatte — dies für ein Signal, für einen Neuanfang, für eine tolle Botschaft, welche an die Welt gerichtet wurde ´wir sind wieder wer und es gibt mehr, was zählt, außer Kriege zu verlieren´, und dennoch erwies sich dieser Titelgewinn in gewisser Weise als fatal für die Zukunft.“
Diese Einleitung hörten die Kinder gerade das erste Mal in dieser Form beziehungsweise hatte Wanja das noch nicht in epischer Breite vorgetragen, insofern fragten sie nach: „Wieso war das fatal? Was konnte denn daran schlecht sein, eine Weltmeisterschaft zu gewinnen?“
Auf diese Frage hatte Wanja natürlich gelauert, sie quasi den Zuhörern – häufig genug saßen auch Freunde, Bekannte, seiner und der jüngeren Generation dabei – entlockt, und somit war ihm die Erlaubnis erteilt, endlich mal diesen Zusammenhang herzustellen: „Nun ja, es war ja nicht allein die Erringung des Titels sondern es waren die glücklichen Umstände, die dazu geführt hatten sowie in der Folge eine Fehlinterpretation dieses Glücks, indem man sich dieses Glück als eigenen Verdienst anrechnete.“ Obwohl hier noch eine klare Definition von „Glück“ aussteht – welche gerne nachgeliefert werden kann, so wenig eindeutig jede beliebige Definition eines reinen Begriffs auch bliebe –, so konnten dennoch die Kinder mühelos ergänzen … „aber Glück bleibt Glück, egal, wie viel man selbst für den letztendlichen Sieg in Form einer guten Leistung beigetragen hat. Ja, das haben wir verstanden, das kennen wir schon.“
„Nun, demnach hatte man also eine Menge Glück in Anspruch genommen mit dem Finalsieg und eigentlich musste man die Ungarn bedauern, die einfach die klar bessere Mannschaft war. Fortan entstand ein Mythos in Deutschland und nicht nur dies: man schien ein gewisses Abonnement auf dieses Glück zu haben. Bei großen Turnieren sind sie immer wieder sehr weit gekommen und haben etliche Turniere gewonnen, das Halbfinale, das Finale erreicht, ohne auch nur das kleinste Bisschen besser gewesen zu sein als andere. Die Folge war, dass man sich auf dieses Glück zu berufen schien beziehungsweise der Blick gänzlich verklärt wurde, dass es sich tatsächlich um Glück handelte.“
„Und, was waren die weiteren Folgen davon?“, wollten die Wissbegierigen Umsitzenden nun doch heraus bekommen. Auch hier wusste Wanja eine Antwort: „Das Problem war ja nicht vorrangig dann anzutreffen, wenn es erneut einen Titelgewinn gab, sondern dann, wenn die Mannschaft früh ausschied – was eigentlich eine Selbstverständlichkeit war, angesichts der Gleichwertigkeit vieler Topnationen und viele andere hat es ja auch x Mal betroffen.“ „Und, was passierte, wenn Deutschland früh ausschied?“