An dieser Stelle wird ja beständig betont, dass Tore im Fußball beinahe noch mehr ausmachen als das sprichwörtliche Salz in der Suppe. Hierbei wird stets der Aspekt in den Vordergrund gestellt, dass für den Fan einer Mannschaft dies von untergeordneter Bedeutung sein mag, beispielsweise allein deshalb, da er zwar gerne in Hülle und Fülle sähe, aber nur dann, wenn sie stets von denjenigen mit dem eigenen Trikot an erzielt werden, dass aber der wahre Adressat von allen Verantwortlichen der neutrale Zuschauer sein müsste, da man ihn dabei halten muss, ihn zum Fußball zurückholen muss, ihn wahrhaftig ins Boot der zahlenden Zuschauer verfrachten muss, dass aber genau dieser dem Fußball mehr und mehr verloren geht. Ein Fußballspiel anschauen OHNE EIGENE BETEILIGUNG, aus reiner Freude an dem Spiel, aus Freude am Fußball, aufgrund der Brillanz der dargebotenen Leistungen, aufgrund der Fairness und Sportlichkeit, aufgrund des permanent (eben nicht!) zu erwartenden Einschlages des Balles ins Netz? Nein, genau dies tut man nicht. Das Ergebnis möchte man vielleicht noch erfahren, die Zusammenfassung in der Sportschau hält man durch, die Tabelle kennt und studiert man. Aber ein Spiel schauen, wenn nicht die eigenen Lieblinge spielen, und das über 90 Minuten? Das macht kein Mensch, nicht in Deutschland zumindest.
Wenn man die von Seiten der Verantwortlichen erkennen würde, würde die Umsetzung der hier wiederholt ausgesprochenen Forderungen ein Leichtes sein: Umdenken für die Torchance, für die Ermöglichung einer Torgelegenheit, für einen Elfmeter, den es für Foulspiel im Strafraum nun mal geben soll, für den Angreifer im Zweifelsfall, wenn es in einer Abseitssituation sehr eng wird, wie pro Spiel geschätzt 10 Mal – und alle 10 Male wird es entgegen der Angreifer ausgelegt, ob knapp oder nicht, ob richtig oder falsch. Es war eng? Die Fahne hoch – wird sich schon keiner beschweren. Der neutrale Fan, der dies könnte, hat nämlich längst den Sender gewechselt.
Und, bitte zur Erinnerung: hier wird lediglich die Anwendung bestehender Regeln eingefordert. Denn all dies steht so in den Regeln. Wenn es also so wäre, dass man pro Stürmer, pro Torchance, pro Spektakel denken würde, jeder dies akzeptieren würde, es hinnehmen, dass ein leichter Schubser eines Verteidigers, so gering er auch aussehen mag, genau so sehr ahndungswürdig wäre, wie der Schubser des Gegenspielers, des Angreifers also, der sich im Übrigen lediglich zur Wehr setzt und seinerseits nicht die Regelwidrigkeit beginnt, dann würde man vermutlich nicht einmal mehr Elfmeter sehen, die aber, selbst wenn ausgesprochen, nicht der Spannung und Unterhaltung abträglich wären, sondern man würde viel häufiger ein gewonnenes Kopfballduell eines Angreifers mit Torabschluss sehen, sicher auch mehr Tore, und man würde mit Sicherheit mehr solche Spektakel sehen, wie das Freitagabendspiel zwischen Dortmund und Stuttgart, welches, bei wechselnder Führung, mit einem 4:4 endete, bei welchem es nach Abpfiff direkt hieß, dass „dieses Spiel in die Geschichte der Bundesliga eingehen wird“.
Möge bitte ja keiner behaupten, dass es dann langweilig würde, wenn es allwöchentlich drei solcher Spiele gäbe. Man hätte garantiert wieder Freude am Fußball, man könnte ganz locker mit Einschaltquoten rechnen, vor allem jenem Zuschalten des neutralen Fußball Anhängers, welches seit langer Zeit schon komplett ausbleibt.
Die eigene Geschichte zu dem Spiel: Pflicht bewusst hatte ich mir zur Aufgabe gesetzt, nach Beendigung des Schachturniers und nach Heimkehr dieses Spiel anzuschauen, ungeachtet der längst übermächtigen Müdigkeit. Als ich mit dem großen Sohn nun vor dem TV saß und mich mühte, das Ergebnis NICHT in Erfahrung zu bringen, überwog beinahe schon der Gedanke, die Pflicht zu vernachlässigen – man würde sicher auch so noch genug von dem Spiel mitbekommen – und das Bett aufzusuchen. Nun schaltete er auch noch auf Sky, wo gerade „Mein Stadion“ lief, und oben in der Ecke war das Ergebnis eingeblendet. Trotz des weiterhin Bemühens, dieses zu überlesen, überwog irgendwann die Neugier. Der Blick fiel auf das 4:4.
Sicher ist man für einen Moment aus den Latschen, kann es nicht recht glauben, was man sieht, überlegt, ob man sich freuen oder ärgern soll (aus den verschiedendsten Gründen, vor allem, auf die Wetten bezogen), und überlegt, wie es zustande gekommen sein mag. Nun gab ich sogar die Ergebnisse in den Computer ein, bei welchem ich die exakte Torfolge sah.
Als nun, etwa ab 1 Uhr, das Spiel sozusagen live wiederholt wurde und man genau weiß, a) wie es ausgeht und b) wann die Tore fallen, stellt man sich die Frage, wie man es nun ertragen sollte. Natürlich ist Spektakel garantiert, in Form von Toren. Bedauerlicherweise muss man jedoch den zwar bemühten, aber doch ebenfalls unerträglichen Fritz von Thurn und Taxis, — also einen deutschen Kommentator – aushalten, aber auch dies beinahe untergeordnet.
Nur war es bei dem Spiel tatsächlich unmöglich, es auszuschalten. Man musste einfach schauen, von der ersten bis zur letzten Minute, weil es ein so phantastisches Spiel war, mit derart gebündelten Torszenen, hüben wie drüben – drüben aber erst in Hälfte 2 –, dass die Frage nach Müdigkeit, nach Langeweile in keinem Moment aufkam. Auch der Sohn blieb bis zum Schusspfiff wach, mit dem unfassbaren 4:4, und es war nach 3 Uhr als man, doch vom Geschehen beeindruckt, allmählich das Licht ausschaltete.
So ist Fußball, dass ist es, was jeden Fan, jeden Menschen zu dem Spiel hinziehen könnte, nur und genau so bekommt man neue Zuschauer hinzu und gewinnt die alten, längst verlorenen wieder zurück. Hier war alles geboten, was einem Unterhaltung, Spaß, Spannung, Faszination, Begeisterung, Emotion, Hingabe Leidenschaft vermitteln konnte, dies war besser als ein Hitchcock oder ein beliebiger Hollywood Film, in welchem es eigentlich so gekonnt gelingt, den Zuschauer zum Lachen und zum Weinen zu bringen, bis zum Happy End. Nur war es hier das wahre (Fußball-)Leben, was dieses auslöste.