Passend ist dieses Kapitel an sich zum Kapitel „Die Sky Konferenz“, denn insbesondere ist dieser Umstand dort auffällig. Es soll hier aber insgesamt das auch bei Live Spielen und Zusammenfassungen vergessene, übersehene, ignorierte Spielgeschehen Thema werden. Dies ist weder zu verwechseln mit Allgemeinplätzen noch mit Floskeln, selbst wenn diese innerhalb der Abschweifungen ebenso viel vertreten sind.
Das Spielgeschehen einzufangen und dem Hörer(!) rüberzubringen ist theoretisch einer alten, nur leider längst vergessenen, Tradition folgend, gerne den tatsächlichen Hörfunkreportagen entnommen, eine Aufgabe, die an sich selbst bei Ansicht der (Reporter und Zuschauer) identischen Bilder geeignet, um Spannung zu vermitteln. Der gerne sehr hohe Sachverstand, der kombiniert wird mit Fachwissen an dieser oder jener Stelle, gewürzt mit sprachlicher Gewandtheit und einer geeigneten Reporterstimme – manche Stimmen, so wird man sicher bestätigen können, vergisst man nie und sie werden sofort am Klang erkannt und versprechen Spannung – sollte dafür sorgen, dass dem Zuschauer das Geschehen nahe gebracht wird und er quasi weder wegschauen noch –hören kann. Fußballgenuss in Vollendung. Dass die Spiele mal spannender und dramatischer sind, darf dem Kollegen zwar recht sein – hinnehmen muss er es sowieso – jedoch sollte er dann sein Augenmerk darauf legen, den Zuschauer/hörer auch an den weniger gelungenen puren Spielgeschehen und –verlauf zu fesseln. Er hat also die Chance, die Übertragung auch dann spannend zu gestalten, wenn das Spiel dies bei purer Ansicht nicht hergäbe. Klassisches Beispiel: Ein 0:0. Nicht nur hat er die Chance sondern eigentlich die Pflicht. Jedenfalls müsste der auf Einschaltquoten bedachte Sender sie ihm auferlegen. Hat er nicht? Na, dann mal ran!
Sofern das Spielgeschehen es nicht hergibt, wäre also die Frage, was den Sehenden und Hörenden dann auf diesem Kanal hält. Gut möglich, dass man sich ein paar Randbemerkungen, die gerne humorvoll rübergebracht werden können, aufhebt, einteilt, die, so Journalistenpflicht, vor dem Ereignis angeeignet, nachgelesen werden (dürfen). Natürlich. Ob den Zuschalter (in Ermangelung von Wortalternativen; jedenfalls steht dies für das ungeschickte Zuschauer/hörer) im Falle der jüngst eingeführten „komprimierten Ereignislosigkeit“ — was, als reines Wortspiel gesehen tatsächlich witzig empfunden werden darf, wenn es nicht so tragisch ernsthaft gemeint und der Wahrheit entsprechend wäre – das permanente Aufzeigen von Fehlerhaftigkeiten nun ihn in seiner Eigenschaft erhält oder ihn zum Abschalter macht, mögen einerseits Umfragen aufzuklären geeignet sein, andererseits der gegenteilige Versuch des Aufzeigens der positiven Aspekte und der getesteten Folgewirkung. Die Behauptung ist klar. Man könnte ein Anwachsen der Einschaltquoten erzielen, recht einfach.
Klar sollte also sein, dass es bei eher wenig unterhaltsamen Spielen – nun, auch der empfundenen Anzahl dieser könnte man durch vermittelte Spannung und Dramatik entgegenwirken, als Alternative zu dem in weit mehr als der Hälfte der Spiele mindestens einmal vernehmlichen „ein ganz schwaches Spiel“ – gestattet ist, ab und an eine Randgeschichte einzufügen. Man erzählt, welcher Spieler wann für welchen Betrag zu dem Verein gewechselt ist, welcher Stürmer wie viele Minute ohne Tor ist (bitte, ab und zu auch mal was Positives!) oder wer sein wievieltes Spiel für den Verein macht, wer für wen aufgelaufen ist gegenüber der Vorwoche oder welche Taktik der Trainer einsetzt oder welche Wechselmöglichkeiten er hätte. Alles gut und schön. Es ist nicht nur geeignet, den eingeforderten Sachverstand aufzuzeigen, sondern auch zur Überbrückung von weniger spannenden Spielphasen oder Spielunterbrechungen einsetzbar. Alles gut und schön.
Nur: eine Übertragung darf doch nicht verkommen zu einer reinen Aufzählung solcher angelesener Details, die mit dem Spielgeschehen nichts zu tun haben? Es entsteht oft genug der Eindruck, dass sich der Berichterstatter gründlich vorbereitet hat in dem Sinne, dass sein Zettel voller solcher „Überbrückungstexte“ steht und er sich in der Pflicht sieht – in Ermangelung des Erkennens anderer Unterhaltungswerte und auch tatsächlich in Ermangelung des so sehr eingeforderten Fußballverstandes –, diesen Zettel komplett abzulesen im Verlaufe des Spiels, ungeachtet der möglicherweise dramatischen Geschehnisse auf dem Rasen? Denn: wenn es wirklich heiß hergeht und er die Chance hätte — ach was, Chance, das Ding würde zum Selbstläufer, wenn er nur auf den fahrenden Zug aufspringen würde, seine (hoffentlich vorhandene) Sprachgewandtheit einsetzen würde und schlichtweg das erzählen würde, was er gerade sieht –, den Zuschauer zu fesseln, dann schweift er herum in Monotonie und Verbreitung seines Wissens. Der Zuschalter kann allerbestenfalls noch am Heben der Stimme während des Verlesens einer Randnotiz erkennen, dass sich auf dem Rasen gerade etwas ereignet. Er liest nämlich gerade die Ablösesumme und die Vertragslaufzeit eines Spielers vor, während der Angriff auf Hochtouren läuft, erkennt dann, dass er beinahe das Tor verpasst mit der für den Moment völlig uninteressanten Notiz, zieht sie aber stimmmäßig nach oben, damit die Spannung des Geschehens suggerierend.
Hier ist dies textlich recht schwierig, das darzustellen. Das erkannte Faktum bleibt: Spielgeschehen wird nicht eingefangen, viel zu selten eingefangen, nein, es wird viel zu häufig geschweift und vor allem ist die Sensibilität verloren gegangen, wann es wirklich spannend ist auf dem Rasen und wann man sich nur darum zu kümmern hätte. Der Effekt ist natürlich davon ausgelöst, dass man eh schon recht frühzeitig auf das Erkennen und Schildern von Fehlern übergeht, was es einem dann natürlich ziemlich unmöglich macht, plötzlich auf positiv umzuschalten. Das frühe Umschalten geschieht übrigens ziemlich unabhängig davon, ob schon ein Tor gefallen ist. Wenn nämlich das Tor fällt, gibt es die Fehleranalyse mitgeliefert, was dem Spielzug jedenfalls die Schönheit raubt (na, wie, bitte, soll man einen tollen Angriff spielen, wenn der Gegner nur zuschaut? Da würde auch die eigene Freizeittruppe noch ein Tor schaffen…) und zugleich natürlich die Spannung herausredet. Wenn keine Tore fallen, ist das Spiel schwach, weil keiner durchkommt, wenn ein Tor fällt, ist es nur aufgrund der katastrophalen Fehlleistungen einseitig entstanden, also auch nichts dolles. Bei mehreren Toren schwenkt es dann gelegentlich auf „immerhin ein unterhaltsames Spiel. Allerdings (so muss hinzugefügt werden) werden beide Trainer wohl ein paar weitere graue Haare bekommen angesichts der Haar (!) sträubenden Fehler.“
Also: bei diesen schon sehr früh zu schwachen Spielen erklärten wird es sozusagen unmöglich, die Tonart zu wechseln. Um hier nur ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit zu bringen, was dem Leser auch in Erinnerung geblieben sein mag: Bei dem phantastischen 6:3 Erfolg der Gladbacher in Leverkusen am zweiten Spieltag der Saison 2010/2011 konnte man einfach kein schwaches Spiel sehen. Wenn es dann dem Sprecher nicht gelingt, den Zuschauer einzufangen, dann, bitte schön, bleibt nur eines für ihn: „Beruf verfehlt. Nimm deinen Hut.“ Aber es ist ihm nicht gelungen. Nach einer Viertelstunde kam die Bemerkung: „Ein durchschnittliches Bundesligaspiel. Nicht mehr und nicht weniger.“ Es hat bereits etwas so Abwertendes, abgesehen davon Fazitartiges, was sicher nicht an diese Stelle gehört, so dass es einfach schwer wird, den Tonfall wieder abzulegen. So geschah es auch, dass er bis zum Schluss (der Sky Live Reporter) immer nur von den katastrophalen Fehlern sprach, die die Leverkusener gemacht hätten, und wie verkorkst ihr Saisonstart nun wäre und was Jupp Heynckes sich nun einfallen lassen müsste, um wieder in die Spur zu kommen und so weiter. Dabei hier mal wider erwähnt: Inwiefern ist das (wenn auch negative) Schicksal der Leverkusener interessanter als das (positive) der Gladbacher? Gibt es nicht die umgekehrte Perspektive – und auch die dazugehörigen Zuschauer – die mit ihrer siegreichen Mannschaft mitjubeln wollen, abgesehen von den neutralen, die einfach nur ein tolles Spiel und Tore satt sehen konnten? Nein, wer sich diese Reportage mit den Originalkommentaren des Sky „Experten“ anhört, der würde direkt im Anschluss schon beinahe zwangsläufig die Beerdigungsrede für den Sender verfassen.
Von tollem Spielgeschehen, und das bei 9 Toren, war jedenfalls weit und breit nichts zu spüren oder zu vernehmen. Der Tonfall jedenfalls würde keinem, der beim Stande von 2:4 reinschaltet, erkennen lassen, dass hier gerade etwas Besonderes passiert. . Welches Spiel würde ihm denn gefallen? Das war es jedenfalls nicht… Er hofft wieder auf ein wirklich langweiliges 0:0 damit seine vorgefertigten Predigten wenigstens halbwegs angebracht sind? Immerhin eine Theorie ..