- Eine Aktion wird beurteilt auf Foul oder Nicht-Foul. Kommentar: „Klares Foulspiel hier“, spontan. Dann die Widerholung. Die Bestätigung folgt: „Hier sehen wir es ganz deutlich: Da hält er ihn.“ Und was ist mit der Zuschauermeinung?
- Wichtiger als Spannung zu erzeugen ist es, schlau zu sein.
Grundsätzlich darf man ja mal fragen oder sich Gedanken machen, was eigentlich die Funktion des Kommentators eines Fußballspieles sein soll. Sowie man darauf eine Antwort gefunden hat, schließen sich die Fragen an, ob das den Ist-Zustand oder den Soll-Zustand widerspiegelt. Gibt es also, man dürfte es ruhig erweitert stellen, Vorgaben vom Sender, vom Auftraggeber? So etwa: „Hey, du bist doch ein Sportjournalist, Spezialgebiet Fußball und Live Kommentierung. Machst du für uns heute das Spiel?“ „Ja, klar. Gibt es irgendwelche Vorgaben?“ „Nö, wieso Vorgaben? Du quatschst halt drauf los, was dir grad einfällt?“
Oder gibt es doch welche? Hier mal ein paar theoretisch mögliche Vorgaben. Bei jeder davon dürfte man getrost weiter fragen, ob man damit das hauptsächliche Zuschauerinteresse bereits trifft oder ob man es darauf lenken möchte? Hat man sich jemals mit dieser Fragestellung befasst: Was möchte der Zuschauer eigentlich hören? Also, mögliche Vorgaben: „Es sollte möglichst unterhaltsam sein.“ Oder: „Es muss besonders spannend gemacht werden.“ Nicht 1:1 mit dem davor. „Unterhaltsam“ kann auch humorvoll, witzig oder sarkastisch, ironisch, bissig sein. Oder diese hier: „Hauptsache, es ist objektiv.“ Noch eine: „Hauptsache, es stimmt, was Sie sagen.“ Oder: „Halten Sie es nüchtern und analytisch.“ Alternativ dazu: „Es sollte schon eher emotional werden. Dabei ist weniger wichtig, dass alles stimmt, sondern dass es den Zuschauer fesselt.“
Nun ja, wie also die Vorgaben lauten ist weitest gehend unbekannt. Die Vermutung ist mal wieder die: Es existieren wirklich keine. Es gibt einen „state of the art“ und damit einen bestimmten Jargon, der wird eingehalten und gepflegt.
Da wir uns aber im Kapitel „Schlau sein ist alles“ befinden fehlt noch eine letzte Möglichkeit: „Sorgen Sie dafür, dass sie im möglichst hellen Lichte erstrahlen. Das ist Ihre Bühne, hier haben Sie die Chance, zu brillieren.“
Wenn man es genau betrachtet, dann wären alle vorherigen Vorgaben gleichgültig, austauschbar oder auch banal. Man könnte es so sagen: „Falls das Spiel spannend ist, bringen Sie es bitte spannend rüber. Wenn es dramatisch wird, bringen Sie es emotional rüber. Wenn es gut ist, zeigen Sie es auf. Das ist ein Selbstläufer. Wenn es langweilig oder schwach ist: Machen Sie etwas draus. Sie haben die Chance, auch dann noch den Zuschauer zu unterhalten.“ Eine Vorgabe dürfte es aber unter keinen Umständen geben beziehungsweise das Gegenteil davon, das ist die letzte: „Das ist NICHT Ihre Bühne. Sie sind Nebensache. Es geht NICHT um Selbstdarstellung. Der Zuschauer ist es, den wir zufrieden stellen wollen. Sorgen Sie dafür.“
Bedauerliches Konstatieren des Ist-Zustandes: Es wird mehr und mehr so verwendet. Der sprechende Halbgott hat seine Chance erkannt und ist zum Dreiviertelgott aufgestiegen. Das ist das (nein, quatsch, nur eines der..) Problem(e). Es gibt keine Vorgabe, an der er sich zu orientieren hätte. Vor allem nicht daran, was der Zuschauer gerne hätte, was er gerne hören würde. Natürlich kann das nur auf zwei Arten herausgefunden werden: Zuschauer befragen, oder es einfach gut machen — und im Anschluss die steigenden Einschaltquoten mit übereinander geschlagenen Beinen genüsslich beobachten. Da benötigt man dann kein (anderes) Feedback mehr.
1) Das Bestätigen eines Urteils
Konkret sieht das so aus: Es gibt eine beliebige Szene, in der über Foul oder Nicht-Foul zu befinden ist, Abseits oder nicht, Elfmeter oder keiner, Handspiel oder keines, Rot oder Gelb, übles Foul oder Schwalbe. Die Situationen sind so vielfältig und differenziert und teilweise macht es sogar Spaß, sich tiefer oder eingehender mit den Motiven der Protagonisten zu beschäftigen. Eines ist aber klar: Es gibt sehr selten Schwarz oder Weiß. Es sind alles Grautöne und Schattierungen, was es aber keineswegs langweilig macht. Es sind Facetten, die man getrost herausarbeiten darf.
Die Szene spielt sich also ab. Man könnte es gerne nennen eine „kritische Entscheidung“ oder anderweitig „kritische Situation“. Das Urteil des Sprechers fällt meist spontan. Allein das schon unerfreulich, zumal ein „Urteil“ zumeist – man schaue sich die nachmittäglichen Fernsehsendungen zu diesem Thema an, Richter Alexander Holt oder Barbara Salesch – eine viel tiefere Untersuchung erfordert. Das Urteil lautet also: „Das war ein klares Foulspiel“ oder „Hand!“ oder „der Ball war im Aus“, was auch immer es ist.
Dann kommt die Widerholung der Szene und nun wird auch noch die Bestätigung gesucht – und gefunden: „Hier sehen Sie es: Klares Foulspiel.“ Dabei müsste der Sprecher eigentlich wissen, dass es sehr selten diese völlig eindeutigen Szenen gibt, aber darüber hinaus sieht man oft genug, dass es hier mindestens überkritisch ist, ob er damit richtig lag. Sprich: Für den Zuschauer stellt es sich oftmals so dar, dass man es im Nachhinein als anders aufzufassen geneigt ist. Wenn man dann die Bestätigung hört, wird das schon sehr ärgerlich. Die Methode, den Fernseher anzuschreien, nach dem Motto: „Hey, du Sprechblase, das war doch kein Foul Guck mal richtig hin.“ hat sich als ineffektiv erwiesen.
Auch wenn dieser Punkt nicht ganz so überzeugend klingen mag: Es geht hier um eine Tendenz. Sicher ist es in zahlreichen Situationen so, dass sich der Sprecher gar nicht bestätigen kann. Das gilt oftmals bei Abseitssituationen. Da denkt er, dass es Abseits war und muss sich bei Ansicht der Zeitlupe korrigieren. auch sonst geschieht es gelegentlich. Die Tendenz bleibt aber, die da lautet: „Wenn es irgend geht, werde ich mich bestätigen.“
Hier wird auch im Wesentlichen der Zustand des Alleinkommentierens aufs Korn genommen. Das Problem dadurch ist, dass die Objektivität fast zwangsläufig auf der Strecke bleibt. Hingegen mit einem weiteren Kommentator, dem Co-Kommentator, würde allein schon die Anwesenheit eines zweiten Experten praktisch unmöglich machen, besonders großen Unsinn zu sagen. Man müsste ja den sofortigen Widerspruch fürchten und das würde einen automatisch ein solches Urteil überdenken lassen. „Klares Foul. Hast du es auch so gesehen?“ „Nein, ich dachte, das war gar keines, Lass uns mal schauen.“ Vier Augen sehen nicht nur mehr als zwei, sondern sie zwingen zur Disziplin.
2) Schlau sein geht über Spannung machen
Wenn man sich als Berichterstatter selbst damit beschäftigen sollte, welche Aufgabe man als ebensolcher hat, dann könnte man unter anderem zu dem Ergebnis kommen, dass man eine modernere Form eines Marktschreiers ist. Man müsste versuchen, was auch immer man anbieten könnte, im hellsten Lichte erstrahlen zu lassen. Negativ oder schlecht ist gar nichts, das gibt es nicht.
Sofern man ein bisschen weiter denkt, könnte man auf die Idee kommen, dass man das zu erzählen hätte, was die Leute hören wollen. Man hat nämlich im Gegensatz zum Marktschreier, kein handfestes Produkt anzubieten, was einem durch die „Vermarktung“ aus der Hand gerissen werden soll – dabei den entsprechenden, meist überhöhten Gegenwert blechend –, sondern ein länger währendes Produkt, welches bereits bezahlt ist. Sofern man also Zuhörer hat, müsste man versuchen, die bei sich zu behalten und gegebenenfalls durch das laute und lose Mundwerk weiteres hinzugewinnen wollen. Das müsste schon der Marktveranstalter – also der Fernsehsender – vorgeben. Quote schlägt alles. Die Zuhörer sind da. Kümmere dich um sie.
Nun existiert diese Vorgabe nicht. Es existiert auch, wie es scheint, keine einzige andere Vorgabe. Man kann so vor sich hinbrabbeln wie man will, man kann sich austoben oder das Spiel zerreißen. Man kann mitgehen oder laufen lassen, Gleichgültigkeit spielen oder Leidenschaft vorgaukeln. Man kann Wahrheiten oder Plattheiten sagen. Man kann sich auf dieses Randdetail konzentrieren, oder jenen zentralen Spannungsmoment verpassen. Alles egal. Prüfen tut das nie einer. Vor allem man selbst sieht keinerlei Notwendigkeit. über Sinnhaftigkeit, Wahrheitsgehalt oder Hörerinteresse nachzudenken. Es wird geplappert, was einem gerade in den Sinn kommt. Und gerade hier würde das Wortspiel „in den (Un-)Sinn kommt“ gut passen. Es ergibt nämlich fast nichts einen Sinn.
Die Dinge, die einem als Berichterstatter wichtig sind, definiert man dadurch selber. Und da ist eines als sehr wesentlich ausgemacht, was sich zum Jargon entwickelt und sich als solches etabliert: Wichtig ist, dass man schlau ist. Wenn ein Tor fällt, dann sagt man automatisch: „Das hatte sich angedeutet.“ Denn: Abgesehen davon, dass dem Zuhörer – außer den häufig gewählten probaten Mitteln, Sender wechseln oder, für den wahren Fußball Enthusiasten, Ton ausschalten – die Chance nicht gegeben ist, nachzufragen, warum er das erst jetzt und nicht vorher, während es sich angeblich „angedeutet hat“, sagen würde, hätte er auf sie eine alles vernichtende Antwort: „Na, ich wollte Ihnen doch die Spannung nicht rauben?“ Dennoch irrte er in diesem Gedankenexperiment. Denn: Es wäre gerade zu Spannungszwecken interessant, dass zu hören. Wer ist am Drücker, wer hätte was verdient. Das wäre interessant und noch dazu, er höre und staune, wahr.
Nur würde er sich darauf natürlich nicht einlassen. Er müsste einer Mannschaft den 1:1 Ausgleich nahe legen: „Sie drücken mächtig auf den Ausgleich, der wäre angesichts der Chancen und der Spielanteile auch längst verdient.“, um dann, nach dem erfolgreichen Konterangriff zum 2:0 sein Fazit offen halten zu müssen. Das Fazit eines wahren Experten – zu dem er sich ohne erkennbaren Fähigkeitsnachweis gemacht hat – lautet nämlich so: „Unter dem Strich ist der Sieg verdient.“ Ein wahrer Experte erkennt nämlich, wo die wahren Stärken und Schwächen einer Mannschaft liegen und für ihn ist jedes Ergebnis das korrekte. Sonst wäre es ja nicht so gekommen.
Sprich also: Wenn er einen 1:1 Ausgleich auf diese Art ankündigen würde – ein durchaus veritables Expertenstatement gepaart mit der Sorglosigkeit über das Ausbleiben des Eintretens, was gleichzeitig Emotionalität an den Tag legt und damit Sympathien (!) einbringt – und dieser dann nicht eintreten würde, scheint er zu befürchten, den Expertenstatus einzubüßen – gegenüber dem Kollegen nämlich, der sagen würde: „Du träumst da von einem Ausgleich, erzählst, dass der in der Luft liegst und ich wusste doch längst, dass sie diese Abschlussschwäche haben und dass die anderen eine richtig gute Kontermannschaft sind, die noch dazu ihre paar Chancen immer eiskalt verwertet. Räum mal den Platz da, lass einen wahren Fachmann ran. Dein Geseibel kann ja niemand ertragen.“
Ähnlich ist es übrigens bei klaren Spielständen – heut genügt längst ein 2:0 –, dass man beginnt, den Sieger „vorherzusagen“. Das dient auch nur dem einen Zweck, selber als guter Experte dazustehen. Denn: Auf gesteigertes Zuschauerinteresse kann man wohl kaum nach einem erzielten 2:0 in der 66. Minute und einem anschließenden Kommentar von „das Ding ist durch“ hoffen, oder? Wird das jemals geprüft? Wie viele danach abschalten? Geschweige denn davon, wie viele es weniger wären, wenn man auf diesen „schlauen Spruch“ verzichten würde. Teil 1 davon bezieht sich auf die grundsätzliche (angezweifelte)Spannung des Spieles Fußball, Teil 2 auf den Einfluss des Reporters. Prüft keiner? Klar. Sollte aber mal einer….
In Gedanken ist es geschehen. Und liefert traurige Ergebnisse…. Da sitzt eine ziemlich hilflose Person, die verzweifelt versucht, endlich den Ast durchzubekommen, den sie als Sitzplatz zum Sägen verwendet. Wenn man den Blick aber ein wenig senkt, dann sieht man unten einen Haufen von Menschen, die zugleich bemüht sind, den ganzen Baum abzuholzen, ohne jegliche Ahnung, wohin er fallen wird. Und draußen vor dem Wald steht das Schild: „Hier Komplettrohdung eines Naturschutzgebietes von einem Haufen von Laien. Bitte, bitte Eintreten … und zuschauen oder mitmachen. Keine Überlebensgarantie.“ Wenigstens insoweit ehrlich…