Praxis Berichterstattung Saison 2010/2011
Da sehr viele Dinge und Aussagen immer nur sehr allgemein getätigt wurden, damit der Leser stets nur selbst aufgefordert wird, wo und wann er diese Redewendungen gehört hat, wie diese Floskel eingesetzt wird oder ob sich überhaupt irgendetwas deckungsgleiches mit eigenem Erleben ergibt, sollen hier einmal ein paar konkrete angetroffene, aufgeschnappte Kommentare, Einschätzungen oder Interviews, was auch immer, aufgezeichnet werden. Dabei wird natürlich absolut kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben, sowie nicht in allen Fällen völlige Authentizität im Sinne von Zitaten zu erzielen sein. Die Tendenz ist dennoch mehr als deutlich. In Fällen, wo der Tonfall eine Bedeutung hat, wird dies im geschriebenen Wort nicht immer einwandfrei erkennbar sein, so dass eventuell ein gesonderter Hinweis darauf kommt. Wie „akustisch“ es davon wird, möge man selbst beurteilen.
1) Ein typischer Kommentar
„Oh, in der Mitte, Ibisevic völlig frei… Das ist zu umständlich, das ist einfach schlecht.“ (aufgeschnappt bei Hoffenheim gegen Schalke, 3, Spieltag 1. BL 2010/2011, Ende 2:0). Ein ganz typischer Kommentar-Verlauf. Zunächst erkennt der Reporter, dass ein Spieler frei steht. Dies ist tatsächlich eine Seltenheit im heutigen Spitzenfußball, hingegen längst nicht weniger erstrebenswert geworden. Tatsache ist, dass es früher häufiger gelang, einen solchen Spieler vorzufinden, zusätzlich gab es gelegentlich die dazugehörige Erkenntnis, dass „der Spieler herrlich frei gespielt wurde.“ Dies ist eine regelrechte Kunst, da das defensive Denken überall Einzug gehalten hat und die taktischen Erfordernisse fast nie eine Überzahl in Angriffssituationen entstehen lassen. Falls es aber einmal geschieht, so ist doch der Fall eingetreten, den der (neutrale) Zuschauer gerne sehen möchte. Noch ist ja auch nichts einzuwenden, nur wehe, wehe, wenn…
Die Tatsache, dass er angeblich „völlig frei“ steht – natürlich sind es nur Hundertstelsekunden, aber dennoch war die Lücke da – hört sich bereits nach einem Abwehr Versäumnis an, damit wird die Fehleranalyse bereits eingeleitet, man hört sie schon kommen, falls der Angriff ein Tor einbringen sollte, indem er, sich selbst auf die Schulter klopfend danach bei der Widerholung sagt: „Schauen Sie mal, hier der steht völlig blank. Nee, was ist bloß mit der Abwehr los? Da haben alle gepennt.“ Jedoch ist dieser Ball eben nicht zu ihm gelangt. Was auch immer der Sprecher sich erträumt haben mag – im Falle dass es eintritt ist das Urteil ja eh schon gefällt und die schläfrige Abwehr schuld – ist nicht eingetreten. Der Angreifer hat nicht direkt den Ball in die für einen Sekundenbruchteil freie Lücke gespielt – fraglich überhaupt, ob es sie gab — sondern hat den Ball kurz gestoppt und nach einem besseren Weg gesucht, einem machbaren Weg, die Abwehr war zur Stelle. Natürlich das gesamte Szenario keine Ausnahme, denn welcher Angriff bringt überhaupt ein Tor? Hier wurde kein Tor daraus. Nun hat er eine ebenso gute Gelegenheit, einen Dummen, einen Schuldigen zu finden, auf dem gnadenlos herumgehackt wird: „Das ist zu umständlich, das ist einfach schlecht.“
Zunächst wird kurz klassifiziert, indem die Umständlichkeit (über den Unsinn der Vorsilbe „zu“ gibt es ein Extra-Kapitel) herausgepickt wird, aber eigentlich lohnt es sich da schon gar nicht mehr, zu differenzieren. Schlecht ist eben schlecht. Einfach nur schlecht. So war der Angriff.
Wie man sich als Sprecher danach fühlt, ist klar. „Ich bin der Größte.“ Man hätte in allen Fällen und bei allen Ausgängen aber das gleiche Ergebnis erzielt. Das Schlechtmachen dient dem einen Zwecke: selbst besser da zu stehen.
Dem Spieler wird er sicher nicht gerecht, dem Fußball nicht, der Spielsituation nicht, in der man ihn am liebsten selber 10.000 Mal hintereinander sehen möchte und er den Ball davon nicht ein einziges Mal so hinbekommen würde, wie er sich den anscheinend erträumt hat. Aber was er dem Fernsehzuschauer in dem Moment antut, dem er glaubhaft versichern möchte, dass hier „einfach nur schlecht“ gespielt wird, man diese Fehlerketten aber unbedingt anzuschauen hätte, das ist sicher das letzte, worüber er nachdenkt. „Schlecht ist schlecht. Und wenn es so ist, muss es auch gesagt werden.“ Nun gut, bei ihm könnte man vielleicht noch schlichtweg einen Mangel an Verstand dafür verantwortlich machen, was ihm ja an sich nicht vorzuwerfen ist. Wer aber lässt ihn da diesen gequirlten Unsinn erzählen? Und wer denkt eigentlich daran, ob man sich als Zuschauer gut informiert und gut unterhalten fühlt?
2) Was für eine hübsche Wortschöpfung
„Den ham sie gar nich auf der Uhr“. Ein Angreifer rückt nach in den Strafraum, kommt tatsächlich an den präzisen Flankenball und versenkt ihn. Ja, das einzige was an dieser Szene bemerkenswert ist, ist dies: „Den ham sie gar nich auf der Uhr.“ Soll das witzig sein? Wegen der Uhr? Ein Vergleich, der keinerlei Assoziationen weckt? Das flapsige an der Aussage, das macht wohl den Wortwitz aus? „nich aufer Uhr“ Ja, richtig witzig, der Junge, merkt man erst, wenn man sich das wieder und wieder auf der Zunge zergehen lässt. Genau so war es. Zum Jubeln gibt’s hier nix. Dass Sie, lieber Zuschauer, auch ja nicht aus dem Sessel gehen.
3) HSV – Schalke
„Matip sieht mal wieder nicht so gut aus, aber die ganze Abwehr schläft.“ (Der HSV erzielt im Spiel gegen Schalke das 2:1 in der 83. Minute etwa; ein tolles Tor, bei welchem Ze Roberto links außen durchbricht, den Ball wohl überlegt und cool auf den mit einem kurzen Antritt anzeigenden van Niestelrooy spielt und dieser einen Schritt vor dem Verteidiger erreicht, mit perfekter Technik im Tor unterbringt). Ja, wenn das alles ist, was an „Analyse“ nach so einem Tor übrig bleibt, dann wünsche ich dem Sprecher einen eigenen Kanal, bei dem er für Taubstumme seine Erörterungen machen kann. Das ist so unglaublich traurig, schlecht, dumm, falsch, unangemessen, dass einem dafür wirklich die Worte fehlen. Dummheit braucht eine Steigerung.
Anscheinend gab es das kurze Bemühen, per Einzelkritik das Tor „erklären“ zu wollen, jedoch wurde das für zu anstrengend erachtet, also einfach mal die Keule rausgeholt und „die ganze Abwehr pennt“ drausgemacht. Ja, so war es. Perfekte Analyse, perfekte Vermittlung von Spannung und Dramatik.
Wichtig übrigens, das möge man stets beachten, dass es anfängt mit „Matip sieht mal wieder nicht so gut aus. Immerhin hat Schalke ja verloren. So wird alles erklärlich. Und er hat alles erkannt.
4) Manchester United – West Ham
„Das machen sie phasenweise ganz gut, wie sie den Ball in der gegnerischen Hälfte eine Weile halten. ManU zieht sich dann zurück, lässt sie mal ein bisschen machen, aber sobald der Rückpass dann kommt, werden sie natürlich wieder attackiert.“ Aufgeschnappt im Spiel Manchester United – West Ham United, Englische Premier League, 3. Spieltag, 2010/2011 am 28.8.2010 zur 37. Minute beim Spielstand von 1:0 für ManU).
Was will er uns damit nun sagen? Das „phasenweise“ ist schon so dermaßen fad und unsinnig, weil es eine Verallgemeinerung darstellen soll, eine Spielanlage oder was es auch immer wäre, dies aber dazu noch bereits in der 37. Minute geschieht, zu einem Zeitpunkt, da für so etwas absolut kein Platz ist. West Ham liegt zurück und versucht natürlich irgendwie, auch etwas nach vorne hinzubekommen. Dürfen sie nie den Ball haben, weil der Gegner ManU heißt? Na, wenn man den Ball aber hat, ist es zunächst eine Kunst, ihn zu behaupten. Die andere ist es, dabei Raum zu gewinnen. Im modernen Fußball ziehen sich praktisch alle Mannschaften zurück, sobald der Gegner in Ballbesitz ist. Wenn man in Führung liegt, wird diese Mittel sicher nicht weniger vertreten sein. Wenn man denn allmählich Raum gewinnt, kommt die dritte, entscheidende Kunst zum Einsatz: Wie erzielt man ein Tor? In einem solchen Spiel wäre es zwar keine Sensation, wenn es West Ham gelänge, aber die Wahrscheinlichkeit liegt irgendwo bei 50%, dass sie überhaupt ein einziges Tor erzielen, im gesamten Spiel. Dass dies nun ausgerechnet bei dem gerade „kommentierten“ Angriff geschähe, wäre also eine ziemliche Überraschung. Zusammengefasst passt nur ein Ausdruck: langweiliges Blabla. Falsch obendrein.
Die Szene verlief so: West Ham machte gewisse Fortschritt in Sachen Vorwärtsbewegung und behauptete dabei tatsächliche über einen gewissen Zeitraum – na, man teste, wie lange man zum Vortrage dieses Satzes etwa bräuchte – den Ball, kam aber nicht mehr weiter vor, so dass ein Spieler sich zu einem Rückpass in die eigene Hälfte entschied – übrigens ist auch so etwas heutzutage alles andere als unüblich; Ballbesitz geht gegenüber hektischem Aktionismus mit vagen Erfolgsaussichten vor –, was übrigens sogar effektiv sein kann, wenn die Räume enger werden. Denn man berücksichtige bitte, dass man beim langsamen Ball nach vorne bringen zuvor mehr und mehr gegnerische Spieler tatsächlich nach hinten drängte, so dass der selbst wenn zurückhängende, angespielte Spieler eine Menge Platz vorfinden könnte. So geschah es übrigens, dass ausgerechnet dieser Angriff durch den sehr geduldigen Vortrag und die Geschicklichkeit der Ausführenden eine recht gute Torchance ergab.
Der Kommentatorvortrag, der in Allgemeinplätzen versuchte, einen laufenden Angriff zu erklären, ist so gehaltvoll wie ein Luftballon. Pffffffffft. Er ist nicht auf Spannung ausgelegt, das sowieso nicht. Eine sinnlose Analyse, ohne Ziel und ohne Basis. Im Grunde ist es „blablablabla“ gefolgt von „gähn“. Dieses „gähn“ macht aber der Zuschauer. Man fühlt so deutlich, dass hier ein Mann vom Fußball keinerlei Ahnung hat und er auch keine Freude daran hat. Er hat einen Job angenommen, den er mehr schlecht als recht zu erledigen hat. „25 Minuten durch“. Ein beliebter Kommentar. Wie Schüler, die die Minuten runterzählen bei der verhassten Lateinstunde. Dass er aber seine Gelangweiltheit über ein so ödes Geschehen ausgerechnet verbreiten muss? Wer lässt ihn gewähren? Nun, da keiner zuhört, ist es an sich auch schon wieder gleichgültig. Vielleicht würde aber doch mal jemand, wenn man…?
5) Fortuna Düsseldorf nach der sechsten Niederlage in Folge zum Saisonauftakt 2010/2011
Ja, die in der Vorsaison so glänzend in Liga 2 angekommene Fortuna aus Düsseldorf, die in den 80er Jahren Deutschland sogar mehrfach in Europa vertreten durfte und in einem legendären Cupsiegercup Endspiel dem FC Barcelona mit 3:4 nach Verlängerung unterlag, die aber später eine ganze Weile lang unterklassig spielen musste, hatte sich eindrucksvoll zurückgemeldet, sogar phasenweise schien noch mehr als der (undankbare) 4. Platz möglich zu sein, was für einen Aufsteiger ein überragendes Ergebnis ist. Trainer Norbert Meier hatte ganze (gute) Arbeit geleistet und auch Wolf Werner als Sportchef hat sich schon frühzeitig für Kontinuität ausgesprochen.
Nun, in vielerlei Hinsicht nicht ungewöhnlich, dass die Mannschaft einen verkorksten Saisonauftakt hinlegte: Nach fünf Spielen noch immer kein einziges Pünktchen auf dem Konto, obwohl weder Trainer noch Spieler wechselten, geschweige denn das Publikum. Nicht verwunderlich ist es, da solche Serien im Prinzip jeder Mannschaft passieren können und es sogar geschieht. Auffällig, richtig auffällig, ist es natürlich zu Saisonbeginn. Wenn man beispielsweise immer eine Tabelle – einfach so, aus Spaß – mitführen würde der letzten fünf Spieltage, so würde man häufig genug Überraschungen erleben in diesem Sinne (ab und an geschieht es ja, um einen gewünschten Effekt aufzuzeigen, jedoch nicht regelmäßig, dauerhaft und auch nicht auf genau fünf Spieltage beschränkt).
Tja, sicher, niemand ist bei der Fortuna recht zufrieden, niemand kann zufrieden sein und dies wird auch nicht geheuchelt. Jedoch ist hier schon die Frage zu stellen, ob man das leicht gequälte Lächeln bei den Verantwortlichen so gut beobachten kann, weil sie schon wissen, welch dümmliche Fragen sie gleich gestellt bekommen (hier gerne angefügt, dass die an Sieger gestellten Fragen kein bisschen weniger dümmlich sind, jedoch erträgt man sie dann besser).
Dennoch war das Montagabendspiel Fortuna Düsseldorf glänzend besucht. Die Fans haben lange noch nicht vergessen, dass die Fortuna 19 (?) Heimspiel in Folge nicht verloren hatte und auch nicht, dass die Mannschaft sie so lange getragen hat auf der Erfolgswelle. Sie sind dabei, sie lassen sich nicht so schnell davon abbringen. Der Gegner, VfL Bochum, als Absteiger aus der Bundesliga und beinahe Nachbar war natürlich ein ebenso attraktiver Gegner, der etliche eigene Fans mitbrachte.
Das Spiel war leidenschaftlich geführt, von beiden Seiten. Ein tolles Zweitligaspiel, was übrigens erstaunlicherweise auch der Sprecher nicht nur erkannte, sondern sogar für erwähnenswert hielt! Die bessere Mannschaft war die Fortuna. Keiner hatte Zweifel daran, wie auch sämtliche anschließenden Interviews bestätigten. Das Ergebnis wollte sich dennoch nicht zu ihren Gunsten entwickeln: Endstand ein dröges und dem Spielverlauf so wenig entsprechendes – nicht nur wegen der Tendenz sondern auch wegen der mageren Ausbeute von einem Tor – 0:1. Bochum gewann durch ein Tor von Chong Teese, welches dem Sprecher allerdings auch nicht recht war, da er von einem Katastrophenfehler von diesem und einem weiteren von jenem sprach. Nun gut, sein Euphorieausbruch „ein tolles Spiel“ lässt einen sogar diese ungeliebte Gewohnheit übersehen, zumal er bei weiteren eingespielten Wiederholungen – auch nach dem Spiel – die Kritik (angemessenerweise) mehr und mehr verharmloste. Bemerkenswert noch dies: Die Zuschauer verabschiedeten ihre Mannschaft nach dem Schlusspfiff mit stehenden Ovationen. Viel mehr muss man eigentlich nicht sehen, um die Leistung zu beurteilen.
„Spannend“ dann die folgenden Interviews, die natürlich nicht vom Kommentator geführt wurden (die Rede ist hier vom Bezahlsender Sky, nicht von Sport 1, der das Spiel ebenfalls übertrug). Zuerst wurde Wolf Werner „in die Mangel“ genommen. Und zwar in dem Sinne, dass er doch endlich, endlich, bitte, bitte, ein einziges Mal sagen müsse, dass Trainer Norbert Meier bei weiteren Niederlagen zu wackeln beginnt, natürlich am liebsten schon heute. Denn: über das Spiel gab es nach seiner Ansicht wohl nichts zu erzählen?
Da Wolf Werner sämtliche dieser Fragen gleichermaßen abschlägig bediente und sogar das Lächeln dabei nicht aufgab – was unter den gegebenen Umständen schon eine Kunst war, denn nicht nur ihm war sicher eher nach Heulen zumute – und immer wieder betonte, dass keine Trainerdiskussion geführt würde. Der Frager hat sich nun einen exzellenten Fragenkatalog überlegt. Der sieht so aus: „Was wenn er noch EIN mal verliert?“ (Das „Er“ ist übrigens, wie es scheint, sehr wichtig, da der dahinter sich Verbergende von dem wahren Kenner der Materie als „schwächstes Glied“ ausgemacht und verantwortlich ist. Merke: Die Mannschaft gewinnt Spiele, der Trainer verliert sie.) Damit kam er nicht durch. Er erhöhte: „Und wenn ER noch drei Spiele verliert? Irgendwann müssen sie doch…?“ Nix, Wolf Werner lächelte weiter und erklärte, dass sie sich längst in der Führungsetage einig wären, dass sie auf Kontinuität setzen und das Norbert Meier der richtige Mann sei. Zum Glück blieb einem durch die souveräne Antwort die nächste, schon vorher „ausgeklügelte“ Frage erspart: „Aber nach 8 weiteren Niederlagen, da würden Sie doch reagieren, oder?“
Ein wahrer Fachmann eben…
Als er endlich Norbert Meier vor dem Mikrofon hatte – der sich glücklicherweise „stellte“, ein Umstand, der aber nur wegen der Impertinenz der Fragen unterbleiben könnte, falls es jemanden beträfe – ging das Prozedere von Neuem los. Und hier hatte er noch bessere Karten, da Norbert Meier ja nicht einfach sagen konnte, dass der Vorstand ihm längst das Vertrauen ausgesprochen hätte (dies würde übrigens unweigerlich als Ankündigung des Rausschmisses interpretiert werden) und er die „Lizenz zum Verlieren“ in der Tasche hätte. Nein, er antwortete ruhig und sachlich – ebenfalls bewundernswert, da auch ihm mehr als nur ein Kloß im Hals steckte – und betonte, dass die Mannschaft heute ein tolles Spiel gemacht hätte und das die Ergebnisse irgendwann kommen werden, wenn sie weiter so spielen. Unterbrochen wird er dann von einem Neunmal(so)klugen, der zwischen fragt: „Und wenn die Ergebnisse dennoch ausbleiben?“
Ja, ja, das sind die Sargnägel, die angefertigt werden, einfach so, völlig grundlos. Bei diesem Spiel hätte man so viel Schönes zu berichten, zu hinterfragen, aufzuklären, spannend zu machen, ja, gar emotional, tragisch. So war es nämlich, selbst wenn man den Sieger gar nicht madig machen möchte. Was spricht eigentlich dagegen, ab und zu mal die Wahrheit zu sagen? Ein tolles Spiel der Fortuna mit einem mehr als unglücklichen Ausgang. Dass die Fans die Mannschaft mit Beifall verabschieden sagt nicht nur alles aus, sondern ist auch geeignet, einen selbst weinen oder zumindest mitfühlen zu lassen. „Schade, schade, aber für nächste Woche drücken wir Ihnen wirklich die Daumen und wünschen Ihnen Glück, welches heute fehlte. Das hätten Sie und Ihre Mannschaft verdient. Ob es hilft, wissen wir nicht. Aber alles Gute und toi toi toi!“
Würden sich da die Fernsehgeräte haufenweise abschalten oder was ist die Ansicht der Sendeanstalten?
6) Bayern Münchens Auftritte gegen AS Rom, 1.FC Köln und TSG Hoffenheim, Saisonauftakt 2010/2011
Bayern München hat einen „Stotterstart“ in die Saison 2010/2011 hingelegt. Sicherlich. Die Mannschaft hat ihr Gesicht kaum verändert, Louis van Gaal hat seine Ideen vom Fußball erfolgreich umgesetzt und das richtige Spielermaterial zusammen. Die Mannschaft ist noch immer entwicklungsfähig, die Mischung aus jung und alt ist sicher passend. Dennoch, wie es üblich ist, hat die beste Mannschaft auch die meisten Nationalspieler. Und diese haben ein anderes sommerliches Highlight gehabt, die WM in Südafrika, bei welchem gerade die so starke noch immer junge Gilde sehr erfolgreich war, mit der Folge, dass sie sieben Partien – bis zum kleinen Finale – auszutragen hatte. Eine verkürzte Vorbereitungszeit ist somit für die gesamte Mannschaft die logische Folge. Insofern sind die Verantwortlichen zwar nicht hoch erfreut, aber doch auf einen solchen Start vorbereitet.
Dennoch darf man ruhig mal schauen, wie die einzelnen Spiele in Wahrheit verlaufen sind: Der Sieg in der ersten Partie gegen Wolfsburg wurde vehement erzwungen, wenn auch erst in der Nachspielzeit sichergestellt. Gerade über dieses Spiel aber wurde bereits in gewisser Weise ein Fehlurteil gefällt. Dies hat auch eine Ursache, aber der Reihe nach: die Bayern haben die erste Halbzeit haushoch dominiert. Das 1:0 war eine nicht gänzlich befriedigende und auch nicht ganz den Spielverhältnissen entsprechende Ausbeute, wobei man natürlich dennoch mit einer Führung zufrieden sein muss, da es auch vorkommen kann, dass sich die Überlegenheit gar nicht niederschlägt.
In der zweiten Halbzeit kam Wolfsburg, sicher überraschend, ganz plötzlich phantastisch ins Spiel. Es gab ein ganzes Staccato von Torchancen, fünf insgesamt, von welchen die letzte zum 1:1 verwertet wurde. Sicher, in München ist man so etwas kaum gewohnt, insofern schüttelte man sich etwas oder rieb sich für diese 20 Minuten verwundert die Augen. Dass aber im Nachhinein die Rede ist von „Torchancen für drei Spiele“ ist ein im Wesentlichen psychologischer Effekt: man hat die Erwartungshaltung, dass Bayern die Chancen hat, viele Chancen hat (was auch eintrat). Man erwartet höchstens hier oder da eine Torchance für Wolfsburg, eher als Zufallsprodukt, aber nicht so herausgespielt. Dass Bayern, und sei es auch nur für einen kurzen Zeitraum, an die Wand gespielt wird, der Gegner sie dominiert und zu einer (empfundenen) Kette glänzender Chancen kommt, lässt den falschen Eindruck entstehen, vergleichbar mit einer optischen Täuschung, dass es noch viel mehr waren. Wenn Bayern eine solche Phase hätte (was sie im Grunde hatten in der ersten Halbzeit mit der gleichen Anzahl an Torchancen, sogar noch ohne eine davon zu verwerten), dann würde man es als „normal“ empfinden. Wenn das Spiel dann 0:0, 0:1, 1:1 oder 1:2 ausginge, würde man nicht einmal von einem unverdienten Ergebnis sprechen. Die Erwartungshaltung ist dafür verantwortlich.
Bayern hat aber danach sofort wieder das Kommando übernommen. Sie waren bereit, an die Grenzen zu gehen. Sie hatten den unbedingten Siegeswillen. Und die wurden, wenn auch spät, dafür belohnt. Und von „Schläfrigkeit“ oder anderen Abwehrfehlern zu reden, geschweige denn von dem routinemäßig verwendeten „das darf nun gar nicht passieren“, als Schweinsteiger am langen Pfosten auftauchte und den Ball technisch perfekt im Tor unterbrachte, hat ausgesprochen wenig mit der Realität zu tun. Zumal man gerade hier berücksichtigen sollte, dass diese abschließende Druckphase von Bayern für alles andere als physische Defizite spricht, die man aufgrund der verkürzten Vorbereitung zu erwarten hätte. Sie haben den Sieg erzwungen. Wenn man überhaupt von glücklich dabei reden kann, dann kann man nur den Zeitpunkt meinen, was an sich selten unterschieden wird. Von den Spielanteilen und Torchancen her war der Sieg verdient.
Die Niederlage in Kaiserslautern kam so zustande, dass der Gegner als Aufsteiger – und Bayern hat an sich immer das schwerste Programm von allen Mannschaften, da alle gegen sie die Spiele des Jahres haben – völlig unerschrocken und ohne jede Verlustangst in das Spiel ging. Die fanatischen Zuschauer sorgen in Kaiserslautern immer für eine besondere Atmosphäre, in der die Bayern schon in viel früheren Jahren etliche Punkte ließen. Kaiserslautern spielte mutig nach vorne, wann immer sie den Ball hatten, und trauten sich etwas zu. Der Doppelschlag sehr früh kam durch einen Sonntagsschuss und eine Traumkombination zustande. Sicher, ein 0:2 aufzuholen ist auch für Bayern kein Selbstgänger. Trotz reichlich Dominanz blieb der Anschluss lange Zeit aus, so dass man irgendwann den Glauben verliert.
Das Spiel gegen Werder Bremen war nach allen gehörten und gelesenen Auffassungen einfach nur ein Klassespiel, welches viel eher nach 3:3 aussah als nach dem letztendlichen 0:0. Dies ist zwar gut und richtig erkannt – natürlich hatte Bayern auch hier die Mehrzahl der Chancen, aber nicht in einem Maße, dass man ein Unentschieden als unverdient bezeichnen könnte; dazu war Werders Leistung zu gut –, jedoch ist es in der Folgewoche bereits vergessen, vor allem dann, wenn man die Chance bekommt, von „Krise“ zu reden.
Dass diese Beurteilung milde blieb, lag daran, dass Mittwoch mal wieder ein Champions League Spiel anstand. Der AS Rom, immerhin Vizemeister in Italien, war Gast. Hier nun eine tolle Leistung der Bayern, die den Rhythmus von drei Spielen in acht Tagen natürlich über viele Jahrzehnte kennen. Eine Selbstverständlichkeit ist es aber nicht, dann zu einer solchen Leistung aufzulaufen. Denn der Gegner – und hier wird exemplarisch die Medienmeinung vertreten, die sich aber auf die Aussagen der Verantwortlichen stützte – wurde müde gespielt. Bayern dominierte, was auch gegen ein solches Kaliber nicht genug geschätzt werden kann, und kam regelmäßig zu kleinen bis mittleren Torchancen, während der Gegner fast nie richtig nach vorne kam. Ein Traum für ein modernes Fußballspiel. Mitte der zweiten Hälfte wurde der Druck so gewaltig, dass man einfach das Gefühl hatte, dass es gleich klingelt. Nach 79 Minuten war es so weit: ein perfekt mit dem Außenrist getroffener Ball von Thomas Müller, gefolgt von einer zwar unglaublichen aber doch beabsichtigten Flugkurve segelte unerreichbar ins entfernte Toreck. Ein Traumtor vom Senkrechtstarter, dem die Klassemerkmale nicht nur angedichtet wurden, wie man an einer solchen Szene erkennen kann. Danach die einzige echte Torchance für die Roma – auch nichts Ungewöhnliches, dass man kurz nach dem Brustlöser für einen Moment die Konzentration verliert, wenn auch auf höchstem Niveau viel seltener anzutreffen – die jedoch vereitelt wurde. Das 2:0 kurz danach brachte die Punkte unter Dach und Fach.
Am Wochenende danach war der 1.FC Köln zu Gast. Die Bayern legten los wie die Feuerwehr und man dachte, das wird eine reine Einbahnstraße. Über 80% Ballbesitz nach 20 Minuten! Als die Anfangsoffensive nicht den gewünschten Erfolg brachte, wurde das Spiel etwas ruhiger. Nun gut, immerhin war vor kurzem WM und Mittwoch ein Spiel. Dennoch wurde das Spiel klar dominiert und in regelmäßigen Abständen die Torchancen erzwungen. Diesmal blieb der Erfolg aus, jedoch wie die Bayern noch in der Nachspielzeit mit aller Macht auf den Siegtreffer drängten, alles nach vorne warfen und noch drei klare Chancen herausspielten in diesen drei Extra-Minuten, das war genau die Klasse und auch die Riesenstärke der Bayern, der schon so viele Gegner zum Opfer gefallen sind (siehe Wolfsburg). Es war kein physisches Problem – im Gegenteil – und auch kein mentales Problem. Der Sieg stand kurz bevor – Mondragon hielt den ersten Schuss und als der Abpraller wiederum Müller auf den Kopf fiel, dachte man, jetzt ist es passiert, jedoch war der Kölner Keeper katzengewandt wieder auf den Beinen und warf sich in die andere Ecke, um das sicher geglaubte Tor zu verhindern.
Dass der Miesmacher von Sprecher von alledem nichts mitbekam – Sky Konferenz – sondern mehrmals noch in der Nachspielzeit ein abfälliges „Nä“ über die Bayern und die verpassten Chancen fallen ließ, drückt mal wieder alles aus über die katastrophale Berichterstattung. Hinter ihm stürzt ein Haus ein und er beobachtet auf der anderen Seite Schmetterlinge, beschwert sich aber über deren unerwartetes Flugverhalten?! Peinlich, blöd, aber doch Gewohnheit, die man für solche Momente nur deshalb ertragen kann, weil man sie zu Papier bringen möchte und irgendjemanden wachrütteln – anscheinend wird es aber ein ziemlich großer Haufen Papier und der Schlaf der Verantwortlichen erinnert an jenen Dornröschens.
Nur ging es hier noch nicht einmal darum. Das Sportmagazin „kicker“ titelt am Montag „Dominanz braucht Konsequenz“. Ein toller Merksatz. Auch die haben den Schuss nicht gehört, aber auch nicht gesehen, wie es scheint. Diese braucht jene. Gegen Wolfsburg wurde doch der Sieg spät erzwungen. Gegen die Roma wurde der Sieg ebenso spät erzwungen und das Verhalten explizit als „clever“ ausgelegt, da der Gegner erfolgreich „müde gespielt“ wurde. Gegen Köln stand das gleiche kurz bevor. Nur dürfte man doch sagen: „Na, es kann ja nicht immer klappen.“
Siehe nämlich die Folgepartie in Hoffenheim, von welcher der Kicker bei Drucksetzung noch nichts wissen konnte. Oder sollte man dazu sagen, der Kicker hat den Bayern erfolgreich Hilfestellung geleistet? Denn die Partie in Hoffenheim verlief so: Hoffenheim, mit drei tollen Siegen gestartet, zeitgleich mit Bayerns 0:0 gegen Köln kamen sie in Kaiserslautern (ja, dort, wo die Bayern 0:2 verloren) zu einem hart erkämpften 2:2, so dass sie von der Tabellenspitze grüßten. Mit Sicherheit also keine leichte Aufgabe und man konnte kaum von einer Favoritenstellung der Bayern sprechen, was natürlich auch der Wettmarkt mit seinen Quotenangeboten zum Ausdruck brachte. Hoffenheim spielte genau so frech und unbekümmert, natürlich mit der entsprechenden Klasse ausgestattet, wie die Spiele zuvor und drückte Bayern hinten rein in der ersten Hälfte, natürlich von einem ganz frühen Tor beflügelt.
Die Bayern kamen nach und nach in die Partie. In der zweiten Hälfte übernahmen sie das Kommando und kamen irgendwann zum Ausgleich. Nun, jede andere Mannschaft hätte sich damit zufrieden gegeben, da man beim Spitzenreiter spielte und zuvor zurücklag. Bayern aber sind Bayern, und mia nicht mia, und drückten auf den Siegtreffer. Sie schnürten den Gegner mehr und mehr ein und man würde der Sache nicht gerecht werden, wenn man das wiederum heraus gespielte Siegtor in der Nachspielzeit (!) als glücklich bezeichnen würde – beziehungsweise den daraus resultierenden Sieg.
Dass ein völliger tumber Sprecher mal wieder nichts davon mitbekam, ist die gleiche schlechte alte Gewohnheit. Er unterstellte Hoffenheim nämlich in der gesamten Drangphase der Bayern, also in den letzten 10 Minuten etwa, wo sie einfach hinten nicht mehr rauskamen, dass sie angeblich „das Spiel zu ruhig angingen“, sich „mit dem 1:1 zufrieden geben würden“ und „nach vorne die Entlastung fehlte, da sie dorthin nichts mehr täten“. Nichts davon ist wahr. Sie haben sich verzweifelt – aber am Ende erfolglos – gegen die drohende Niederlage gestemmt. Das war es, was man mit ein bisschen Aufmerksamkeit, Spaß und Interesse am Fußball unschwer erkennen konnte. Nun gut, man sollte vielleicht noch eine Voraussetzung schaffen: Fußballverstand. Diesen anzueignen wohl die größte Hürde?!
Jedenfalls nimmt man all diese Spiele zusammen, dann sieht man doch, dass die Bayern immer dominant auftreten und reichlich Gegner auch spät noch in die Knie zwingen? So ist der Fußball halt. Alle wehren sich nach Kräften, am liebsten gegen die Bayern. Und selbst wenn alle Mann auf die eigene Torlinie beordert werden, dadurch am Ende ein 0:0 herausspringt wird gefeiert. Dies wäre gegen keinen anderen Gegner so, dort wäre es noch nicht einmal gestattet.
Was sollte also die Titelzeile „Dominanz braucht Konsequenz“? Gerade in einer Saisonstartphase, wo es weit mehr als einmal gelang?