Praxis Berichterstattung Saison 2010/2011
Da sehr viele Dinge und Aussagen immer nur sehr allgemein getätigt wurden, damit der Leser stets nur selbst aufgefordert wird, wo und wann er diese Redewendungen gehört hat, wie diese Floskel eingesetzt wird oder ob sich überhaupt irgendetwas deckungsgleiches mit eigenem Erleben ergibt, sollen hier einmal ein paar konkrete angetroffene, aufgeschnappte Kommentare, Einschätzungen oder Interviews, was auch immer, aufgezeichnet werden. Dabei wird natürlich absolut kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben, sowie nicht in allen Fällen völlige Authentizität im Sinne von Zitaten zu erzielen sein. Die Tendenz ist dennoch mehr als deutlich. In Fällen, wo der Tonfall eine Bedeutung hat, wird dies im geschriebenen Wort nicht immer einwandfrei erkennbar sein, so dass eventuell ein gesonderter Hinweis darauf kommt. Wie „akustisch“ es davon wird, möge man selbst beurteilen.
1) Bild Interview mit Magath, nach drei Schalker Niederlagen in der Liga + CL Pleite in Lyon.
2) Bild Interview mit Magath, nach drei Schalker Niederlagen in der Liga + CL Pleite in Lyon.
„Oh, in der Mitte, Ibisevic völlig frei… Das ist zu umständlich, das ist einfach schlecht.“ (aufgeschnappt bei Hoffenheim gegen Schalke, 3, Spieltag 1. BL 2010/2011, Ende 2:0). Ein ganz typischer Kommentar-Verlauf. Zunächst erkennt der Reporter, dass ein Spieler frei steht. Dies ist tatsächlich eine Seltenheit im heutigen Spitzenfußball, hingegen längst nicht weniger erstrebenswert geworden. Tatsache ist, dass es früher häufiger gelang, einen solchen Spieler vorzufinden, zusätzlich gab es gelegentlich die dazugehörige Erkenntnis, dass „der Spieler herrlich frei gespielt wurde.“ Dies ist eine regelrechte Kunst, da das defensive Denken überall Einzug gehalten hat und die taktischen Erfordernisse fast nie eine Überzahl in Angriffssituationen entstehen lassen. Falls es aber einmal geschieht, so ist doch der Fall eingetreten, den der (neutrale) Zuschauer gerne sehen möchte. Noch ist ja auch nichts einzuwenden, nur wehe, wehe, wenn…
Die Tatsache, dass er angeblich „völlig frei“ steht – natürlich sind es nur Hundertstelsekunden, aber dennoch war die Lücke da – hört sich bereits nach einem Abwehr Versäumnis an, damit wird die Fehleranalyse bereits eingeleitet, man hört sie schon kommen, falls der Angriff ein Tor einbringen sollte, indem er, sich selbst auf die Schulter klopfend danach bei der Widerholung sagt: „Schauen Sie mal, hier der steht völlig blank. Nee, was ist bloß mit der Abwehr los? Da haben alle gepennt.“ Jedoch ist dieser Ball eben nicht zu ihm gelangt. Was auch immer er sich erträumt haben mag – im Falle dass das eintritt ist das Urteil ja eh schon gefällt und die schläfrige Abwehr schuld – ist nicht eingetreten. Der Angreifer hat nicht direkt den Ball in die für eine Tausendstel Sekunde freie Lücke gespielt – fraglich überhaupt, ob es sie gab, sondern hat den Ball kurz gestoppt und nach einem besseren Weg gesucht, einem machbaren Weg, die Abwehr war zur Stelle – natürlich das gesamte Szenario keine Ausnahme, denn welcher Angriff bringt überhaupt ein Tor? –, es wurde kein Tor daraus. Nun hat er eine ebenso gute Gelegenheit, einen Dummen, einen Schuldigen zu finden, auf dem gnadenlos herumgehackt wird: „Das ist zu umständlich, das ist einfach schlecht.“
Zunächst wird noch kurz klassifiziert, indem die Umständlichkeit (über den Unsinn der Vorsilbe „zu“ gibt es ein Extra-Kapitel) herausgepickt wird, aber eigentlich lohnt es sich da schon gar nicht mehr, zu differenzieren. Schlecht ist eben schlecht. Einfach nur schlecht. So war der Angriff.
Wie man sich als Sprecher danach fühlt, ist klar. „Ich bin der Größte, denn ich weiß, wie es steht.“ Dem Spieler wird er sicher nicht gerecht, dem Fußball nicht und der Spielsituation nicht, in der man ihn am liebsten selber 10.000 Mal hintereinander sehen möchte und er den Ball davon nicht ein einziges Mal so hinbekommen würde, wie er sich den anscheinend erträumt hat. Aber was er dem Fernsehzuschauer in dem Moment antut, dem er einerseits glaubhaft versichern möchte, dass hier „einfach nur schlecht“ gespielt wird, man diese Fehlerketten aber unbedingt anzuschauen hätte, das ist sicher das letzte, worüber er nachdenkt. „Schlecht ist schlecht. Und wenn es so ist, muss es auch gesagt werden.“ Nun gut, bei ihm könnte man vielleicht noch schlichtweg einen Mangel an Verstand dafür verantwortlich machen, was ihm ja an sich nicht vorzuwerfen ist. Wer aber lässt ihn da diesen gequirlten Unsinn erzählen?
„Den ham sie gar nich auf der Uhr“. Ein Angreifer rückt nach in den Strafraum, kommt tatsächlich an den präzisen Flankenball und versenkt ihn. Ja, das einzige was an dieser Szene bemerkenswert ist, ist dies: „Den ham sie gar nich auf der Uhr.“ Soll das witzig sein? Wegen der Uhr? Ein Vergleich, der keinerlei Assoziationen weckt? Das flapsige an der Aussage, das macht wohl den Wortwitz aus? „nich aufer Uhr“ Ja, richtig witzig, der Junge, merkt man erst, wenn man sich das wieder und wieder auf der Zunge zergehen lässt. Genau so war es. Zum Jubeln gibt’s hier nix. Dass Sie, lieber Zuschauer, auch ja nicht aus dem Sessel gehen.
„Matip sieht mal wieder nicht so gut aus, aber die ganze Abwehr schläft.“ (Der HSV erzielt im Spiel gegen Schalke das 2:1 in der 83. Minute etwa; ein tolles Tor, bei welchem Ze Roberto links außen durchbricht, den Ball wohl überlegt und cool auf den mit einem kurzen Antritt anzeigenden van Niestelrooy spielt und dieser einen Schritt vor dem Verteidiger erreicht, mit perfekter Technik im Tor unterbringt). Ja, wenn das alles ist, was an „Analyse“ nach so einem Tor übrig bleibt, dann wünsche ich dem Sprecher einen eigenen Kanal, bei dem er für Taubstumme seine Erörterungen machen kann. Das ist so unglaublich traurig, schlecht, dumm, falsch, unangemessen, dass einem dafür wirklich die Worte fehlen. „Dummheit braucht eine Steigerung.“ Anscheinend gab es das kurze Bemühen, per Einzelkritik das Tor „erklären“ zu wollen, jedoch wurde das für zu anstrengend erachtet, also einfach mal die Keule rausgeholt und einfach „die ganze Abwehr pennt“ drausgemacht. Ja, so war es. Perfekte Analyse, perfekte Vermittlung von Spannung und Dramatik.
Wichtig übrigens, das möge man stets beachten, dass es anfängt mit „Matip sieht mal wieder nicht so gut aus. Immerhin hat Schalke ja verloren.
„Das machen sie phasenweise ganz gut, wie sie den Ball in der gegnerischen Hälfte eine Weile halten. ManU zieht sich dann zurück, lässt sie mal ein bisschen machen, aber sobald der Rückpass dann kommt, werden sie natürlich wieder attackiert.“ Aufgeschnappt im Spiel Manchester United – West Ham United, Englische Premier League, 3. Spieltag, 2010/2011 am 28.8.2010 zur 37. Minute beim Spielstand von 1:0 für ManU).
Was will er uns damit nun sagen? Das „phasenweise“ ist schon so dermaßen fad und unsinnig, weil es eine Verallgemeinerung darstellen soll, eine Spielanlage oder was es auch immer wäre, dies aber dazu noch bereits in der 37. Minute geschieht, zu einem Zeitpunkt, da für so etwas absolut kein Platz ist. West Ham liegt zurück und versucht natürlich irgendwie, auch etwas nach vorne hinzubekommen. Dürfen sie nie den Ball haben, weil der Gegner ManU heißt? Na, wenn man den Ball aber hat, ist es zunächst eine Kunst, ihn zu behaupten. Die andere ist es, dabei Raum zu gewinnen. Im modernen Fußball ziehen sich praktisch alle Mannschaften zurück, sobald der Gegner in Ballbesitz ist. Wenn man in Führung liegt, wird diese Mittel sicher nicht weniger vertreten sein. Wenn man denn allmählich Raum gewinnt, kommt die dritte, entscheidende Kunst zum Einsatz: Wie erzielt man ein Tor? In einem solchen Spiel wäre es zwar keine Sensation, wenn es West Ham gelänge, aber sie die Wahrscheinlichkeit liegt irgendwo bei 50%, dass sie überhaupt ein einziges Tor erzielen. Dass dies nun ausgerechnet bei dem gerade „kommentierten“ Angriff geschähe, wäre also eine ziemliche Überraschung.
Die Szene verlief so: West Ham machte gewisse Fortschritt in puncto Vorwärtsbewegung und behauptete dabei tatsächliche über einen gewissen Zeitraum – na, man teste, wie lange man zum Vortrage dieses Satzes etwa bräuchte – den Ball, kam aber nicht mehr weiter vor, so dass ein Spieler sich zu einem Rückpass in die eigene Hälfte entschied – übrigens ist auch so etwas heutzutage alles andere als unüblich; Ballbesitz geht gegenüber hektischem Aktionismus mit vagen Erfolgsaussichten vor –, was übrigens sogar effektiv sein kann, wenn die Räume enger werden. Denn man berücksichtige bitte, dass man beim langsamen Ball nach vorne bringen zuvor mehr und mehr gegnerische Spieler tatsächlich nach hinten drängte, so dass der wenn auch weit zurückhängende Spieler dann eine Menge Platz vorfinden könnte. So geschah es übrigens, dass ausgerechnet dieser Angriff durch den sehr geduldigen Vortrag und die Geschicklichkeit der Ausführenden eine recht gute Torchance wurde. Der Kommentatorvortrag, der in Allgemeinplätzen versuchte, einen laufenden Angriff zu erklären, ist so gehaltlos wie ein Luftballon. Er ist nicht auf Spannung ausgelegt, das sowieso nicht. Im Grunde ist es „blablablabla“ gefolgt von „gähn“. Dieses „gähn“ macht aber der Zuschauer. Man fühlt so deutlich, dass hier ein Mann vom Fußball keinerlei Ahnung hat. Das er aber seine Gelangweiltheit über ein so ödes Geschehen ausgerechnet verbreiten muss?