Mein „Outing“ als Profispieler
Alles, was ich Ihnen jetzt erzählen möchte, erzähle ich tatsächlich aus verletzter Eitelkeit. Denn: Die erforderliche Qualifikation für den Beruf Profispieler steht der Qualifikation gegenüber anderen Berufszweigen in nichts nach. Und ich frage mich (wie Sie mich aber inzwischen kennen, nicht ohne eine Antwort zu wissen), wieso andere Menschen Anerkennung und Hochachtung verdienen, wenn sie nur sagen, sie wären Angestellte, Beamte oder auch konkreter Krankenpfleger, Arzthelfer, Bibliothekare oder Busfahrer ganz zu schweigen von den bewunderten Berufen wie Hochschullehrer, Arzt, Anwalt oder gar Professor und ich als bestmögliche Reaktion Unverständnis ernten kann?
Abgesehen von den alternativen Reaktionen wie zumindest Skepsis oder Unglaubwürdigkeit und den ganzen weiteren unausgesprochenen, die einen automatisch in die Kategorie der Kleinverbrecher wie Taschendieben oder Betrügern abrutschen lassen. Und der einzige Trost den man über die ganze Zeit hat, soll der sein: „Lass die nur reden, dafür hab ich Geld.“ Zu Geld zu kommen haben schon andere Menschen auf ganz andere Arten geschafft. Um auch Ihrer Skepsis etwas Vorschub zu leisten gebe ich Ihnen hier auch mal ein beliebtes, von mir gern verwendetes Antwortbeispiel, wenn ich mal wieder eines der anstrengenden Gespräche über meinen Berufsstand habe. Ich sagen dann immer: „Ja, du hast Recht, man kann davon nicht leben. Ich verzocke gerade meine 4. Erbschaft.“
Das ist aber nur der (wenig) humorvolle Versuch, mit dem ganzen Thema umzugehen. Ich habe nichts geerbt. Und auch nicht im Lotto gewonnen…
Bis zum Alter von 27 Jahren habe ich nacheinander zunächst das Schachspiel, nennen wir es halbprofessionell, und anschließend das Backgammon Spiel professionell betrieben. Die Einkünfte waren schwankend, das bringt dieser Beruf mit sich, außerdem durfte ich bis zu einem gewissen Alter noch mit der Unterstützung meiner Eltern rechnen, sei es auch teilweise nur, dass sie mir einen Wohnplatz zur Verfügung stellten. Aber offiziell war ich ja in der Zeit auch immatrikuliert, also man konnte das Ganze ja noch durchaus als „Jugendsünde“ abtun und auf „Besserung“ hoffen, so sicher meine Eltern.
Dann habe ich doch parallel eine Umschulung gemacht zum EDV-Fachmann (1986-1987), weil das Programmieren mir nicht nur besonderes Vergnügen bereitet hat, sondern auch eine gewisse Begabung dafür zu erkennen war. Diese habe ich mir selbstverständlich nur eingebildet. Dann habe ich mich ordentlich beworben und auch einen Job bekommen, als Softwareentwickler. Das hat Riesenspaß bereitet und ich schien auf einem „guten Weg“. Ich war Systemplanungsingenieur bei der SEL, Tochter der Alcatel. Na, wenn das nichts ist. Und jeden Monat kamen 3000 DM auf mein Konto, wer sagts denn.
Nebenbei habe ich trotzdem noch ab und zu ein Backgammonturnier gespielt und auch zu Hause meine Software weiter entwickelt, mein Fußballprogramm. Selbst zum Schachspielen, was mir auch bis heute noch gelegentlich große Freude bereitet, fand ich Zeit und habe hier und da ein Turnier gespielt. Sogar das Black Jack konnte ich gelegentlich abends im Casino spielen, mit Vorteil, aber ohne auf das Geld angewiesen zu sein. Sogar noch besser: Ich konnte mit etwas mehr Kapital rangehen. Und das hat sich positiv ausgewirkt.
Was war das Problem an diesem Leben? Alle klopfen einem auf die Schulter, man bekommt für diese positive Entwicklung überall Zuspruch: „Wusst ich doch, dass du eines Tages die Kurve kriegst und solide wirst.“ So der Tenor.
Was war also das Problem?
Zeit ist ein Problem dabei, Selbstverwirklichung ein weiteres. Und eine Befähigung war ja da. Ich gewann sogar Backgammonturniere nebenbei. Und da konnte man sogar viel Geld gewinnen. Das hatte sich nicht geändert. Und dann habe ich eine Woche, zwei Wochen Urlaub „geopfert“, um ein, zwei Turniere zu spielen. Ich war wieder umgeben von dem Flair und von den Menschen. Und ich gewann sogar Geld. Und dann wieder, am nächsten Tag, anstatt sich entspannt auszuruhen, früh morgens raus und ins Büro? Also die ultimative Lösung war es noch nicht. Ganz umsonst war es also auch nicht, meine eigene Software nebenbei zu entwickeln. Aber ich habe es getan. Und was dafür wieder geopfert? Richtig, Schlaf. Zur WM 1990, ich war inzwischen 31 Jahre alt und hatte 3 Jahre fest angestellt gearbeitet, war mein Programm so weit fertig und einsatzfähig. Es erstellte eben Prognosen für Spielausgänge. Prognosen sind aber nur im Sinne von berechneten Eintrittswahrscheinlichkeiten für, sagen wir zunächst, Sieg Unentschieden Niederlage zu verstehen.
Der erste Einsatz kam zur WM. Und es gab nur einen schlechten Ausgang, eines durfte überhaupt nicht eintreten: Dass Deutschland Weltmeister wird. Und ich erinner mich noch zu gut daran, als im Halbfinale in der Verlängerung Chris Waddle für England an den Pfosten schoss. Ich war im Café Belmont und stand nicht nur in dieser Szene und nicht nur symbolisch auf dem Tisch. Dann das Elfmeterschiessen, Bodo Illgner im Tor, der hält keinen, behaupteten die Leute (nicht vergessen: alles Deutschland Fans, logisch). Aber dann wurde er angeschossen, er war schon in der Ecke aber dieser verfl… Stuart Pearce schoss ihm an den Fuß, Illgner hatte keine Chance, auszuweichen, dann noch Chris Waddle in die Wolken und dann musste ich auch noch den Jubel um mich herum ertragen … was für ein Einstieg … das war ein Unterschied von 6000 DM … und nicht nur damals und unter den Umständen war das eine Menge Geld.
Und wer war der Gegner im Finale? Ja, ein ganz schwaches Argentinien. Und diese Argentinier hatten einfach das Skript nicht gelesen. Denn wir befanden uns in Italien und Italien musste einfach ins Finale. Halbfinale also Italien – Argentinien. Aber auch dort, Italien führte lange durch Toto Schillaci und dann ein langhaariger Blonder, Sie erinnern sich? Richtig, sehr gut, Canniggia. 1:1, Verlängerung, Elfmeterschiessen, Argentinien gewann. Und gegen Italien hätte es Deutschland sicher nicht ganz so leicht gehabt… Aber wen kümmert schon das Skript?
Ich hatte auch vorher schon angekündigt: Wenn Deutschland wirklich Weltmeister wird, jubelt die ganze Nation und ich hänge im Fensterkreuz. Wer erinnert sich nicht, die 81. Minute, Elfmeter, muss man den geben? Ganz egal, Brehme legt ihn sich zurecht, verwandelt und macht eine ganze Nation glücklich. Und wer denkt an mich? Verdient hin oder her. Ich bahnte mir also auf dem Heimweg mit dem Auto einen Weg durch die jubelnden Massen, weitest gehend überzeugt von meinem Vorhaben, hatte aber grad kein Seil zur Verfügung. Stattdessen machte ich sicherheitshalber noch einen Kassensturz. Und was stellte ich fest? Ich hatte auf die gesamte Weltmeisterschaft trotz des SuperGAUs einen Gewinn von 2000 DM!
Dann habe ich meine ursprünglichen Plan erstmal verschoben und einen neuen Plan gefasst. Jetzt fiel doch die Berufswahl nicht mehr schwer, oder?
Ich ging den nächsten Tag, wenn auch ausgesprochen unfröhlich zur Arbeit und … kündigte meinen Job! Damit war ich also jetzt endgültig Profispieler. Wie klingt das? Das musste ich leider bald erfahren.
Meine Mutter war entsetzt. Und trotz aller Überzeugungsarbeit, die ich bei ihr geleistet habe, war sie die nächsten 10 Jahre davon überzeugt, dass ich hoch verschuldet sein muss. Erst, als sie selber einmal in Not war und Geld brauchte, hat sie sich plötzlich an mich gewendet. Ein Gespräch mit ihr lief in etwa so: „Ich hab am Wochenende 15000 DM gewonnen.“ Antwort: „Ja, aber wie viel hast du verloren?“ Also war sie der Überzeugung, dass ich ihr von einem Gewinn erzähle, aber die 30000 DM, die ich verloren habe ihr verschweige. Aber immerhin war ich doch ihr Sohn und als Kind auch für alle möglichen Kunststücke, auch mathematischer Art, zur Vorführung zu verwenden. Aber eine Rechenoperation 15000 – 30000 traute sie mir nicht zu.
Und mein Vater erst: Meine sämtlichen Fähigkeiten und Begabungen habe ich meinen Eltern zu verdanken. Aber sie anwenden durfte ich nicht? Er hat mir den Fußballverstand vererbt und auch beigebracht, mich von klein auf mit ins Stadion genommen, die mathematische Begabung, alles. Also mein Vater schrieb mir einen Brief, einen endlos langen, nach meiner Entscheidung. In diesem hat er seiner allergrößten Besorgnis Ausdruck verliehen und mit allen Mitteln versucht, mich von dem Vorhaben abzubringen. Und noch etliche Jahre später, egal, was ich ihm zu erklären versuchte, er wollte es nicht wissen. Der Tenor war in etwa so: „Du bleibst mein Sohn, da kann ich nichts gegen tun. Aber wie du dein Geld verdienst will ich nicht wissen.“ Die Klammerbemerkung war die folgende: „Ob du Taschendieb, Bankräuber oder Zuhälter bist, ist mir egal. Ich zeige dich nicht an, weil du mein Sohn bist.“
Man kann sich dann die ganze Zeit nur damit trösten, es besser zu wissen und Geld zu haben. Aber beweisen kann ich sowieso nichts.
Wenn man also Profispieler ist, hat man hier ein paar Möglichkeiten, damit umzugehen: Eine Möglichkeit ist es, das komplett zu verleugnen. Man lebt ein halbwegs normales Leben (was ich durchaus beabsichtigt hatte; mit Familie und Kindern), und wenn man nach dem Beruf gefragt wird, sagt man: „Ich bin selbständig.“ Und ich hatte ja auch wirklich eine Softwarefirma gegründet, mit einem Freund zusammen. Und ich hab ja auch Software entwickelt. Die Leute fragen dann noch: „Was für Software machst du denn?“ „Datenbank.“ Na gut, es ist also mit einer kleinen Lüge verbunden. Oder man meidet einfach den Umgang mit den „normalen „ Menschen, das geht auch. Man hat nur eine kleine Auswahl von Freunden und Gesprächspartner, diejenigen, die verstehen und wissen, was man macht. Das hat zwar auch Vorteile, aber eben zur Familiengründung ist es nicht unbedingt geeignet. Man muss ja irgendwann einer (seiner) Auserwählten schon mal was erzählen. Und auch da erlebt man die unterschiedlichsten Reaktionen. Aber selbst wenn man jemanden überzeugt hat, dass man als Mann und als Ernährer geeignet, fällt auch mit dem Partner der tägliche Umgang schwer. In guten Zeiten gibt es keine Probleme. Aber wenn man mal verliert? Über einen längeren Zeitraum? Also auf gut Deutsch: Der Umgang mit diesem Berufsbild ist nicht ganz einfach. Weder für den Ausübenden noch für die ihn Umgebenden. Also habe ich mich irgendwann entschlossen, mich damit nicht mehr zu verstecken. Mich als Profispieler zu „outen“.
Und dann kommen immer die gleichen Fragen, alle kennt man schon in- und auswendig. Und eine jede Antwort zieht zwangsläufig die nächste Frage nach sich. Aber eines jeden Fragers Einstellung bleibt spürbar: Die Skepsis. Ich kämpfe sozusagen für die Anerkennung des Berufes Profispieler. Mit allen Konsequenzen. Die da auch sein könnten, dass der Staat irgendwann sagt, wer damit sein Geld verdient, hat auch auf dieses Einkommen Steuern zu entrichten. Sicher, man ist auf Schätzungen angewiesen. So etwas gibt es übrigens in Amerika: Da kann man das angeben und alljährlich sein Steuern auf die zu erwartenden Gewinne entrichten. Mir wäre alles recht. Aber wenn Sie fleißig bleiben beim Bucherwerb und Sie jetzt schon rufen „Wann kommt das nächste?“ bin ich auch gerne bereit, mir den „Schriftsteller“ auf die Fahnen zu heften.
Die Konsequenzen waren dennoch positiv und ich arbeite weiter am Image: Erste Radiointerviews, Fernsehauftritte bei Nord 3 am Sonntag Abend Sport und bei Dellings Woche, Beitrag im rbb „Ein Tag im Leben von…“ mit mir als Hauptdarsteller, Zeitungsberichte über mich in BILD und Tagesspiegel. Und jetzt ein Buch, haben Sie reingeschaut?