Ein beinahe schon philosophisches Kapitel. Denn wenn man nicht nur die Menschheitsgeschichte sondern gar die gesamte Evolution betrachtet, dann wird man feststellen, dass gerade dieses, das „judging by results“, das Urteilen anhand des Ergebnisses, die Evolution vorangebracht hat. Zwei Neandertaler gingen in eine Höhle, ein Bär erwischt einen der Beiden. Eine Aktion, ein Ergebnis, eine Schlussfolgerung. Ohne Worte dafür zu kennen, erkannte der Überlebende: „Höhle = Gefahr. Könnte Bär kommen.“ Er stellte mit Sicherheit zwar keine Wahrscheinlichkeitsüberlegungen an, nach dem Motto: „Draußen kommt ein Tiger, drinnen ein Bär. Was ist wahrscheinlicher?“ Oder, um die eigentlich erforderliche Komplexität erkennbar zu machen: „Bei welchem der Feinde, so ich einem begegne, sind meine Chancen besser, zu überleben?“
Die Schlussfolgerung ist einfach: Vermeide solche Gefahren, wenn es geht. Wenn das nicht geht, musst du intuitiv – und oftmals schnell – entscheiden, welche bedrohlicher, größer ist. Diese Strategien entwickeln sich individuell, aber noch viel mehr im Kollektiv. Viele dieser Schlussfolgerungen wurden rein intuitiv und unabhängig von Wahrscheinlichkeiten gezogen. Nur erweist es sich in der Natur einfach als sinnvoll. Es bezieht sich auch nicht nur auf Gefahren. Man erzielt ein beliebiges Erfolgserlebnis in einer Sportart, in einem Spiel, gegen einen beinahe beliebigen Gegner und zieht daraus den Schluss, dass man es gut kann, und dass man es wiederholen sollte, egal wie – und ob überhaupt – repräsentativ das Ergebnis ist. So entwickeln sich also auch Talente. Kurzum: Das Urteilen anhand der Ergebnisse ist für das Leben wichtig und sinnvoll. So oft man hören mag, dass man bestimmte Erfahrungen selber machen muss: Man stützt sich fast ständig auf Erfahrungen der Menschheit, falls nicht sogar denen beliebiger anderer Lebewesen.
Der Mensch hat es später noch einen Schritt weiter getrieben: Er suchte bei einem beliebigen, aber doch in gewissem Rahmen zufällig zustande gekommenen Ergebnis, im Nachhinein eine logische Erklärung und gar eine Zwangsläufigkeit für das Eintreten. Diese Fähigkeit der Analyse mag zwar auch noch sinnvoll sein, jedoch kann man hier schon mal mahnend den Zeigefinger heben. Denn man kann durchaus zu falschen Urteilen kommen.
Hier ist genau der Übergang zum Sport, speziell dem Fußball: Sobald man nämlich grundsätzlich eine Erklärung sucht, die sich außerhalb der – zu einem großen Teil sogar vorsätzlich zu Unterhaltungszwecken eingebauten – Zufallselemente befindet und vor allem das teilweise klar erkennbare Glück (natürlich auf der Gegenseite der entsprechenden Menge an Pech) als Argument nicht zulässt, begibt man sich endgültig auf gemeinhin als gefährlich erachtetes Glatteis, auf welchem man sowohl ausrutschen und hinfallen, als auch in diesem speziellen Fall — da es zugleich dünn ist — einbrechen kann.. Die formulierten Ergebnisse verzerren zum Teil erheblich die Realität. Genau dies ist aber der Punkt, an welchem (speziell die deutsche) Berichterstattung angekommen ist.
Sehr häufig trennt nämlich den „kollektiven Tiefschlaf“ von der viel zitierten „katastrophalen Abschlussschwäche“ nur im wahren Wortsinn eine Haaresbreite. Und spätestens hier wird der Widersinn offenbar. Der Angreifer hat nämlich gerade entweder die (fast) perfekte Hereingabe nur um selbige verfehlt oder – noch besser – das Tor selbst um diese geringe Distanz, der Ball ging nämlich an den Innenpfosten und sprang heraus.
In dem Spiel Fußball, in welchem sehr häufig das eine einzige Tor entscheidet, welches nicht nur wie oben beschrieben durch eine Winzigkeit zustande kommt oder verhindert wird, sondern ebenso häufig durch den einen einzigen Schiedsrichterpfiff – hier den Elfmeter gegeben, dort nicht, hier auf Abseits erkannt, dort laufen lassen, alle Entscheidungen fraglich, strittig –, muss man doch einfach das Quäntchen Glück in die Argumentationskette mit aufnehmen.
Spieler, Trainer, Manager tun es immerhin gelegentlich. Sie wissen einfach, dass es so ist. Auf der anderen Seite haben sie ebenfalls anhand des Ergebnisses der Medienreaktion geurteilt, dass eine solche Argumentation nicht einfach durchgewinkt wird, insofern verwenden sie das Wörtchen Glück – vor allem aber Pech — nur sehr spärlich und erst, nachdem sie bereits drei andere Erklärungsversuche vorweg geschickt haben, welche den aktuell befragenden Medienvertreter ruhig gestellt haben.
Übrigens: Es gibt sehr oft Spiele, bei denen nichts los ist im Sinne von „diese Mannschaft ist besser“, es handelt sich also um ein ausgeglichenes Spiel. Dennoch fällt einfach so ein Tor, das muss nicht einmal „aus heiterem Himmel“ sein, da vielleicht trotz der Ausgeglichenheit beide sich um einen Torerfolg bemühen und sogar Chancen erzielen, von denen schlichtweg eine – für diese oder jene Mannschaft – reingeht. Es kann natürlich auch ein reines Zufallstor sein, welches sich weder so noch so angebahnt oder abgezeichnet hat. Anschließend versucht die zurückliegende Mannschaft, irgendwie zum Ausgleich zu kommen, keine Frage. Die führende Mannschaft – nach aktueller Sachlage – bemüht sich, hinten dicht zu halten und auf Konterangriffe zu lauern. Nun ist es heutzutage aber so, dass sich das Öffnen der eigenen Hintermannschaft nicht wirklich bewährt. Sprich: Die eingehandelten Konterangriffe gegen die entblößte Abwehr lassen mehr Torgefahr erwarten als die eigens vorgetragenen. Dies entgeht natürlich auch dem plötzlich aufmerksamen Reporter nicht. Nach der dritten Kontergelegenheit erfolgt sein Urteil: „Spätestens jetzt haben sie sich die Führung verdient.“
Nun, gut nachgedacht: Die Konterangriffe hatten sie ja nur deshalb, weil sie das (zufällige, wie auch vom Sprecher erkannte) Tor erzielt haben. Würde es noch 0:0 stehen, kämen sie nicht zu diesen zugegeben viel versprechenden Angriffen. Dies veranlasste einmal, einen ziemlich bekannten Trainer – mit Namen Christoph Daum – aus dem Nähkästchen zu plaudern in dem Bemühen, einer nicht lernfähigen Bevölkerungsgruppe, einer kleinen Minderheit — nämlich den Berichterstattern – etwas klar zu machen, indem er die folgenden Worte sprach: „Tore sind für den Spielverlauf sehr wichtig.“ Nicht unerwartet flog ihm am nächsten Tag weit mehr als Gelächter um die Ohren – es war vielmehr Hohn und Spott – für eine solch alberne Weisheit, die natürlich nicht einmal ansatzweise verstanden wurde.
Denn: Recht hat er damit allemal. Er meinte konkret den Spielverlauf. Man sieht nach einem Tor ein völlig anderes Spiel, so ist es halt. Falls man das Spiel anhand der Szenen nach dem Tor zu beurteilen gedenkt, macht man ganz sicher einen Fehler. Da sich die Szenen niemals vergleichbar abgespielt hätten. Sicher hört man vereinzelt auch Erkenntnisse wie „bis zum Führungstor war es ein ausgeglichenes Spiel“ oder so etwas, was vom Erkenntnislevel her in etwa vergleichbar ist mit einem beobachteten Salto aus dem Stand von einem Normalsterblichen, der vorher Mühe hatte, an der Stange eine Rolle zu machen, aber immerhin. Überfordert wäre der Herr allerdings wohl, sofern es weitere Schlüsse zu ziehen gälte…
Sofern man an einer bestimmten Form von Wahrheit interessiert wäre in einem Interview nach einem Spiel, dann würde beinahe jedes so verlaufen: „Warum haben Sie heute verloren?“ Korrekte Antwort: „Weil wir Pech hatten.“ Denn, wie man etwas später sehen wird – im Abschnitt über Fußball und Wetten – stimmt es immer, die Frage ist nur, wie viel Pech es war. Hier kann erklärend korrekter- aber vermutlich verwirrenderweise nur so viel angegeben werden: Hatte man mehr Pech als man Glück benötigt? Wenn, gilt so etwas dann schon wieder als „verdiente Niederlage“, obwohl die Pechaussage – man hatte es – dennoch stimmt.
Eher gilt hier folgendes: Die Reporterfrage: „Warum haben Sie verloren?“ ist bereits missraten. Denn: sie lässt nur eine erkannte Zwangsläufigkeit als Erklärung zu, nämlich jene, die der Frager selbst gewonnen hat anhand ——- der Kenntnis des Ergebnisses. Und, eines muss hier einfach mal lobend erwähnt werden über die so arg gerupften Medienrepräsentanten: Sie können nicht nur einwandfrei zählen – im Zahlenraum 1 bis 12 (mehr gab es noch nie für eine Mannschaft in der Bundesliga; insofern ungeprüft, wie es darüber aussieht) – sie können sogar fehlerfrei die Gleichheit oder Ungleichheit zweier Zahlen in diesem Raum plus – man höre und staune – die korrekte Richtung der Ungleichung aufstellen. 1 ist größer als 0, 2 größer als 1, 2 ist gleich 2 und 0 ist gleich 0, aber 3 ist kleiner als 4. Das klappt immer, auch bei anderen Werten.
Sie wissen also eines, und das ist verantwortlich für die Allmacht: Wie ist das Spiel ausgegangen? Wenn mal wieder ein Trainer versuchen sollte, darauf hinzuweisen, dass seine Mannschaft mehr Ballbesitz, mehr Eckbälle, mehr Torchancen hatte, und in diesem Sinne ihnen das Glück fehlte, dann verbleibt das letzte Wort dennoch bei Mister Allwissend: „Machen Sie es sich da nicht etwas zu einfach?“ Um dann zu ergänzen: „Die nackten Zahlen sprechen eine andere Sprache: Gegner 2, Ihre 0. Was sagen Sie jetzt noch?“ Endlich knickt er ein: „Ja, Sie haben Recht, ich merke es jetzt auch. Wir haben verdient verloren. Einen schönen Tag noch.“ Der Alleingelassene dann: „Dünnhäutig, der Mann. Vermutlich, weil sein Stuhl bereits angesägt ist.“