Der Verlauf der Jahre 1987-1990 war gar nicht so langweilig, wie es der Anschein vermuten lassen mag. Zur wahren und reinen Solidität war ich ohnehin nicht fähig. Und auch mein Leben als Angestellter hatte seine Besonderheiten.
Als erstes überwog der Stolz, überhaupt und noch dazu sofort eine Anstellung zu bekommen. Allerdings gestehe ich gerne ein, dass gerade in diesen Jahren der Begriff der „Softwarekrise“ die Runde machte. Der Begriff entstand dadurch, dass die Leistungsfähigkeit der Computer, also der Hardware, gegenüber der Fähigkeit, diese Kapazitäten auch zu nutzen, also der Software, exponentiell anstieg. Es musste Software her. Alle Großfirmen haben in den Jahren Personal eingestellt, welches sich auf Programmierung verstand.
Dennoch hatte mir mein Abschluss mit der Note „Sehr Gut“ ein paar viel versprechende Offerten eingebracht. Ich entschied mich, ohne besonders langes Zögern und ohne in irgendeiner Form mein sowieso nicht vorhandenes „Verhandlungsungeschick“ einzusetzen, für die, die sich gleich so freundlich und entgegenkommend um mich bewarben und unterzeichnete den Vertrag mit der Alcatel Tochter SEL, der Standard Elektrik Lorenz. Wieso mir der Name sofort vertraut war, hatte eine einfache Erklärung: Im Firmenschach, wo ich seit 1974 spielte, zunächst bei der Post und später bei IBM, trafen wir häufig genug auf die SEL so dass ich sogar das Firmengelände schon bestens kannte.
Gerade in diesem Jahr hatte ich aus den bekannten Gründen aber noch nicht wieder zugesagt für IBM´ss Firmenschachmannschaft. Diesen Umstand nutzten die SEL Schach Verantwortlichen und nach wenigen Tagen am Arbeitsplatz kam ein Kollege der Schachabteilung an meinen Schreibtisch und fragte mich, ob ich als Angestellter nun nicht auch die Farben der SEL an der Schachfront vertreten wolle. Ich wollte. Und heute, am 30.12.2008, habe ich gerade die ersten Partien meiner 22. Saison für diese Firma bestritten. Sie werden mir sicher nicht widersprechen, wenn ich das mal kurzerhand „Vereinstreue“ nenne?
Und weil ich grad mal so schön am „selbst beweihräuchern“ bin, kann ich ja hier auch mal einflechten, dass wir zwei Mal Berliner Firmenmannschaftsmeister und zwei Mal auch Berliner Firmenmannschaftspokalsieger wurden.
Nun gut, äh, wie hieß gleich noch mal die Kapitelüberschrift? Ach ja, das war nicht unbedingt Thema hier. Aber auch das jetzt erzählte Detail gehört absolut nicht hierher. Aber mein Arbeitseifer war wirklich groß und die Arbeit hat mir viel Freude bereitet. Wir haben Software entwickelt für die Firmeneigenen Softwareentwickler. Das hört sich komisch an? War aber so. Es waren die so genannten „Tools“, Werkzeuge, welche die Entwickler, die beim Kunden waren, brauchen konnten. Wir waren also nur innerhäusig tätig. Das hat auf der anderen Seite gewisse Freiheiten garantiert: „Ach, du bist bei den Tools? Du hasts gut.“ So war es auch. Vier meiner Kollegen waren ausschließlich Englischsprachig. Und ich war in Englisch richtig gut (alle Engländer bitte „weglesen“ oder zumindest das Lachen für den Moment verkneifen) „and I mean it.“ Das hatte auch einen einfachen Grund. Die Schule selber war ja nur eine notwendige und meist lästige Pflicht. Ich habe das gelernt, was mir Spaß machte. Und das war in den letzten fünf Schuljahren … ja, stimmt, das Schach.
Das Schach selbst hatte den Vorteil, dass man es auch wirklich alleine spielen konnte. Früher hat diese Aussage immer Verwunderung ausgelöst, ich nehme an, dass es bei Ihnen nicht auf solche stößt? Falls doch zur Erklärung: Man nimmt sich ein Schachbuch vor und spielt die darin enthaltenen Partien nach. Es gibt aber auch reine Lehrbücher. Es gibt Eröffnungsbücher („pfui, bäh“) und Strategiebücher, Endspielbücher und auch Biographien. Kurzum es gibt regelrechte Schachliteratur. Was ich bekommen konnte, habe ich gelesen, studiert, auch selber analysiert. Alles alleine. Aber bei der Wahl der Bücher war ich nicht sonderlich kleinlich. Das hatte die endlich zum Thema überleitende Folge: Ich habe auch Englische Bücher gelesen.
Und da hatte mich eine merkwürdige Form von Ehrgeiz gepackt: Jedes Wort, dass ich nicht einzeln verstand, habe ich in meinem stets bereit liegenden Dictionary nachgeschlagen. Mag sein, dass es mich anfangs beim Studium des Buches etwas aufgehalten hat. Aber in der Folgezeit hat es mir dennoch, sogar noch später im Englisch Leistungskurs, den etwas schmeichelhaften und weitaus übertriebenen Beinamen „das wandelnde Wörterbuch“ eingebracht. Selbst meine mir zu der Zeit längst sympathischen (die ihrerseits bekundete Sympathie war sicher Heuchelei) Lehrer haben mich auch teilweise als solches verwendet.
Noch eine kleine Anekdote gefällig? Ich war, wie absolut üblich, mal wieder zur Sonnabendlichen um 8 Uhr beginnenden ersten Stunde, auch noch der Englisch Stunde, um 8:07 erschienen. Mein Lehrer, da noch Herr Bäcker, schien nicht gar so überrascht oder unwirsch. Im Gegenteil. Er begrüßte mich absolut freundlich mit den Worten: „Oh, thats progress.“ Ich durfte zunächst der Klasse das noch nicht bekannte Wort als „Fortschritt“ übersetzen und Ihnen muss ich bestimmt nicht mehr erläutern, dass ich offensichtlich die Wochen vorher doch etwas mehr Verspätung hatte. Ich schien also auf einem guten Weg…
Mein Englisch war also leidlich. Die Bürosprache war im Wesentlichen Englisch. Und nicht genug mit meiner reinen „Befähigung“. Ich mochte die Engländer einfach. Das hat sich bis heute gehalten. Der Humor scheint jedem Engländer sowieso im Blut zu liegen. Der Englische Fußball machte mir viel Freude. Und der englische Sinn für Tradition hatte es mir auch angetan. Die Sühne für die „gestohlene“ Weltmeisterschaft 1966 hatten sie bereits reichlich erbracht, ich hatte in späteren Duellen längst die Seiten gewechselt. Die Deutschen haben Glück, die Engländer das Gegenteil. Das machte sie mir noch sympathischer.
Für den Humor kann ich Ihnen ja auch gleich noch ein Beispiel liefern: Mein nächststehender Arbeitskollege war Geoff Portch. Wir hatten viele Dinge, an denen wir gemeinsam arbeiteten. So auch waren wir als Tester für eines unserer Tools eingesetzt. Als Tester hat man folgende Aufgabe: Man muss absurde Fehlbedienungen der Benutzer vorhersehen und das Programm also derart nach Möglichkeit schlecht behandeln, um Fehler zu finden. Wenn man es selber entwickelt hat, widerstrebt einem ein solches Verhalten. Aber man gewöhnt sich daran. Man möchte Fehler finden. Diese werden dann akribisch aufgeschrieben (die so genannten „error reports“) um dann bei der nächsten Teamsitzung vor versammelter Mannschaft vorgetragen und eine Fehlerbehebung in die Wege zu leiten.
Ich habe dann einmal eine wirklich absurde Sequenz von Tastenkombinationen eingegeben. Auf diese Art gelang es mir tatsächlich, einen Absturz zu provozieren. Ich zeigte Geoff das, der gerade neben mir saß. Seine Antwort: „What would you like that programme to report: Please, take that monkey off the keyboard?“ (Wie sollte die Fehlermeldung lauten: ´Nehmen Sie bitte den Affen von der Tastatur´?). Allerdings warte ich bis heute darauf, dass ich diese Fehlermeldung einmal bekomme. Jeder Autor ist aufgefordert: Den Lacherfolg hätte er bei mir sicher. Wie stehts mit Ihnen?
Die Engländer haben das im Blut. Da müssen sie nicht mal nachdenken. Wenn ich mal noch ein Beispiel anbringen darf, jetzt, wo ich Sie doch so ausgesprochen gelungen in Stimmung gebracht habe: Viel später waren wir mal bei einem Subbuteo Turnier am Abend alle gemeinsam Essen gegangen. Ich saß natürlich neben Simon Goodman, Sie ahnen, einem Engländer. Dann kamen zwei Nachzügler, wir hatten alle aber schon bestellt. Vorspeise, Hauptgericht. Die Bedienung kam ganz freundlich, um auch noch die Bestellung der Beiden Neuankömmlinge entgegen zu nehmen. Sören (der offensichtlich schon gegessen hatte) bestellte allerdings einen Eisbecher, während wir gerade auf den Salat warteten. Simon flüsterte mir gleich zu: „Wonder, what he´s gonna have for main course.“ Er fragte sich die Frage, die sich einem Engländer eben gerade aufdrängte: Was würde wohl sein Hauptgericht werden, wenn seine Vorspeise ein Eisbecher ist? Sie müssen zugeben: in dem Moment fragt man es sich dann auch. Britischer Humor eben. Brillant. Unkompliziert.
Geoff war natürlich auch bekennender Liverpool Fan. Und für die, sie sich nicht an das Jahr erinnern, sei das Buch und der Film „Fever Pitch“ von Nick Hornby empfohlen, der Film sogar für den Fall, dass man einmal ein gut aufgebautes und gespieltes Subbuteo Spiel sehen möchte. Allerdings war Nick Hornby im Roman auf der anderen Seite. Er war der Arsenal Fan. Am letzten Spieltag der Englischen Meisterschaft 1988/89 kam es zu der Begegnung Liverpool – Arsenal. Und es war die Zeit, als Liverpool wirklich die englische Liga dominierte. Liverpool war quasi Meister. Ein Heimspiel gegen den Konkurrenten, ein Endspiel wenn man so will, aber Liverpool durfte das Spiel sogar mit 0:1 verlieren und wäre immer noch Meister gewesen. Der dramatische showdown des leidenden Arsenal Fans vorm heimischen TV: Arsenal führte tatsächlich mit 1:0, aber es liefen die letzten Minuten, Sekunden. Nick Hornby war bereits in Jacke und voller Verzweiflung aufgestanden, um sich höchstwahrscheinlich mit Kumpel im nächsten pub besinnungslos zu besaufen, als sie auf der Schwelle noch einen Blick zurück auf ihren Fernseher warfen. Arsenal im Angriff, sicher der letzte Angriff. Dann sieht man im Film nur noch, wie die beiden übereinander stürzen… der Ball war drin! 2:0 für Arsenal gefolgt vom Abpfiff. Die erste Meisterschaft seit 1971! 18 Jahre Warten hatten ein Ende. Der nachfolgende pub Besuch und das Besäufnis hatten jetzt jedenfalls erfreulichere Gründe…
Geoff hatte am nächsten Tag also nicht seinen besten. Er hatte aber mein Mitgefühl…
Zurück zum plot. Im September 1987 hatte ich meinen Arbeitseinstieg. Die ersten drei Monate waren die Probemonate. Die habe ich gut überstanden und wurde übernommen. Im Jahre 1988 war erstmals an Urlaub zu denken. Der musste sorgfältig geplant werden. Aber es gab ein regelrechtes Staccato von Turnieren. Hintereinander waren ab Anfang Juni die Backgammon Turniere in Berlin, ging ja noch, da es ein Wochenende war. Anschließend Hamburg, kostete auch maximal zwei Urlaubstage, danach St.Tropez, dafür 5 Tage, das Turnier dauerte inklusive Anreise einfach länger und im Juli natürlich nacheinander San Remo und Monte Carlo, „kostete“ 10 Tage Urlaub.
- Berlin 1988
Berlin war mein „Heimspiel“. In diesen Jahren gab es das Turnier regelmäßig im Palace Hotel am Europacenter.
Das parallel stattfindende Liebesleben mit den Bekanntschaften Andrea und Sabine, was mir normalerweise nur Sorgen bereiten würde, hat mich dieses Mal eher inspiriert. Wobei der Begriff „Liebesleben“ möglicherweise falsche Assoziationen weckt. Denn es waren nur amouröse Anbahnungen, Verabredungen, meinetwegen auch Dinner und Kerzenschein dazu, Romantik ok, aber kein Sex bitte! Da ließ ich mir immer Zeit. Na gut, werden Sie sagen, sicher zwangsläufig, denn welche Frau wollte schon mit mir…? Mich selber aber bewegte eher der Gedanke: Entscheiden, und wenn Sex, dann nur und ausschließlich mit einer.
Dennoch war für die Dauer des Turniers kein Platz für derartige „Sorgen“. Im Gegenteil. Sabine war auch da, wir unterhielten uns, sie spielte selber mit und schaute auch teilweise bei meinen Matches zu. Andrea spielte kein Backgammon und interessierte sich auch nicht dafür. So lange ich aber spielte, war ich sowieso in einer anderen Welt.
Es gab noch dazu „ a Schmankerl“ zum Ende des Turniers: Sämtliche Finalspiele wurden in der Spielbank Berlin ausgetragen! Die Spielbank hatte sich ihrerseits einen gewissen Werbeeffekt davon versprochen, abgesehen davon, dass sicher der eine oder andere ausgeschiedene Turnierteilnehmer vielleicht doch noch eine Mark locker hätte?! Und für die Teilnehmer, noch mehr mich selber, war es natürlich eine Belohnung, in einer so exklusiven Atmosphäre spielen zu dürfen. Und sicher hat auch mal ein Laie über die Schultern geblickt, womöglich mit einiger Bewunderung. Eine Werbung auch für unser Spiel?
Die Motivation hatte das für mich also noch erhöht. Das bedeutet aber nicht, dass einem davon das Glück zufliegt oder so. Man kann aber möglicherweise bei voller Konzentration hier und da doch noch ein Prozentpünktchen herauskitzeln. Und vielleicht gibt das am Ende dann doch den Ausschlag? Sozusagen „das Glück des Tüchtigen“?
Zusätzlich hatte sich gar noch ein Arbeitskollege von mir angesagt, der auch einmal bei dem Spiel zuschauen wollte. Und obwohl ich in der Arbeitswelt Fuß zu fassen schien, war mir doch eine Verbindung der beiden Tätigkeitsfelder durchaus eine Wohltat. Als ich am Montag Morgen Kollege Peter Schneider erblickte und nach seinem Nichterscheinen befragte, erhielt ich eine recht kuriose Antwort: Er hätte Zutrittsverbot erhalten. Die erste Verblüffung meinerseits wich dann recht bald folgender Erkenntnis: Ich kannte aus der Spielerszene einen Zocker namens Peter Schneider. Und ich erinnerte mich gar, dass er sich selbst ein zumindest Deutschland weites Spielverbot auferlegt hatte. Ohne, dass er es mir je erzählt hätte: Eine solche Aktion entbehrt durchaus der Einmaligkeit und ist meist eine Folge all zu hoher und anhaltender Verluste. Die Spieler tun das aus Selbstschutz. Peter wurde also Opfer einer gewissen Namenshäufigkeit. Übrigens hat er kurze Zeit später den Namen „von Oeynhausen“ angenommen. Das war insbesondere für unsere Englischsprachigen Kollegen mehr als nur ein „tongue-twister“…
Peter verpasste aber tatsächlich etwas: Ich hatte in zwei events das Finale erreicht. Das eine war die Consollation, das andere war der Superjackpot. Es gibt sicherlich Menschen, die mehr Bedauern zu diesem Zeitpunkt verdient haben als ich. Denn ich geriet lediglich in Terminstress. Die Finals sollten ja zum gleichen Zeitpunkt ausgetragen werden. Dass ein einzelner Spieler dabei also in zwei Finals auftauchen würde, war vom Veranstalter nicht vorhergesehen. Abgesehen davon war es zu der Zeit so, dass ohne Bedenkzeitbeschränkung gespielt wurde. Und noch dazu war es nicht nur so, dass sich einige Spieler sehr gerne mal recht viel Zeit über dem Brett bei der Ausführung ihrer Züge ließen, nein, auch das Essen gehen kann in diesen erlauchten Kreisen sich durchaus mal über mehr als zwei Stunden hinziehen.
Das während des Turniers allerdings im Rahmen dessen ausgetragene 7-Gänge Menü war übrigens durchaus eine ernsthafte Konkurrenz für Monte Carlo. Das Essen fand aber zur Einführung und zum kennen lernen der Teilnehmer bereits am Freitag Abend statt.
Mein Glück meinte es aber an jenem Tage mit mir in jeder Hinsicht gut: Mein Gegner im Superjackpotfinale war Frank Kirschner. Auch wenn meine Überheblichkeit mir immer wieder einredete, dass es nur wenige mit mir aufnehmen konnten: Es gab kaum mehr als eine Handvoll Spieler, wo ich dieses aufgeblähte Gebaren ablegte. Frank war einer von denen. Er war mir ebenbürtig.
Und an dieser Stelle muss ich Ihnen einfach mal wieder eine kleine Anekdote zur Ebenbürtigkeit erzählen, damit Sie auch das richtig einstufen können: Das legendäre Schachmatch zwischen Köhnlein und Burletzki im Jahre 1908. Burletzki war ein gefürchteter Kaffehausspieler, Köhnlein ein anerkannter Meister. Das Match sollte auf 6 Gewinnpartien ausgetragen werden. Die erste Partie gewann Köhnlein. Darauf Burletzki: „Ich habe einen dummen Fällär gemacht.“ (Sie ahnen, welcher Nation Burletzki entstammte?). Die zweite Partie ging an Köhnlein. Burletzki: „Man kann nicht alle Partien gewinnen.“ Die dritte Partie gewann — Köhnlein. Burletzki: „Ich bin heute nicht in Form.“ Die vierte Partie mit demselben, vertrauten Ausgang. Burletzki wusste aber: „Är spielt nicht schlächt.“ Die fünfte gewann merkwürdigerweise Köhnlein. Burletzki hatte aber eine Erklärung: „Ich habbe ihm untärschätzt.“ Das Match war nach der 6.Partie entschieden mit einem Sieg Köhnleins. Und jetzt war es auch für Burletzki klar, was längst jeder wusste: „Ich glaube, er ist mir äbbänbürtig.“
Sie sehen also, welche Form von Ebenbürtigkeit mich sicherlich mit Frank vereinigte. Aber er schien ähnlichen Fehleinschätzungen zu unterliegen und war zur Teilung bereit.
Ich zog also das Consollation Finale zeitlich gesehen vor. Möglicherweise hatte ich auch hier bereits Teilung vereinbart. Wir spielten jedenfalls beide recht zügig, es war sowieso längst nach 1 Uhr Morgens. Dann das Match gegen Frank. Teilung war längst vereinbart. Es wurden insgesamt 33000 DM aufgeteilt. Wir einigten uns aber so, dass der Verlierer des Matches 500 DM für eine gemeinsame Kasse bei einem „Rouletteangriff“ aufbringen musste. Nun, die Spielbank schloss um 3 Uhr, wir spielten im Eiltempo das Match, ich war der (irrelevante) Verlierer. Wir bekamen jeder 16500 DM. Mit den 500 DM hatte ich gerade noch Zeit, ein plein zu spielen: Alles auf die 29, versteht sich. Die 17 gewann…
das diente aber nur der Dramaturgie. Im Nachhinein fragte ich mich, was eigentlich so Besonderes passiert wäre, wenn die 29 gekommen wäre? Und angesichts des „lächerlichen“ Gewinns von dann „nur“ 17500 DM, die ich dann ja auch noch hätte teilen müssen, wars mir dann grad egal. Man spricht dann wohl von „gefühltem Reichtum“ oder passt „Größenwahn“ besser?
- Hamburg
Hamburg hatte natürlich auch seinen festen Platz im Terminkalender. Wie gesagt, wir befanden uns in einer Zeit, da ein kleiner „Backgammon Boom“ ausgelöst war. Es gab mehr und mehr Turniere. Das Problem, dass keine Geldpreise ausgezahlt werden durften, hatte ein pfiffiger Jurist mit einem kleinen Trick aus der Welt geschafft. Nur einmal noch, in Bad Wiessee, wurden wir an der Austragung eines bereits startfähigen Turniers gehindert, sogar von der Polizei. Hatte das auch dort ansässige Casino Sorgen um den „Verlierernachwuchs“? Bayern halt… rückschrittig haben Sie aber, dafür nur, gedacht.
Hamburg war ja sowieso direkt nach Freiburg meine Lieblingsstadt. Da musste ich hin, ohne Frage. Das Turnier selber habe ich nicht in so konkreter Erinnerung. Erfolgsmangel? Aber den stets parallel ausgetragenen Superjackpot natürlich doch. Der Begriff „Superjackpot“ entsprang dabei der Höhe des Startgeldes. Und da haben die Veranstalter gerne mal experimentiert. Kurze Umfragen bei den Teilnehmern und dann wurde ein Startgeld festgelegt. Es gab oftmals auch viele kleine Jackpots. Das war für neu hinzugekommene Teilnehmer ideal. Man konnte sich dann für einen 20 DM, einen 50 DM oder einen 100 DM Jackpot eintragen, Die wurden ständig ausgespielt. Aber einen großen Jackpot gab es. Da wurden dann einfach 1000 DM als Startgeld aufgerufen. Mal sehen (nach Erkundigungen), wer sich alles einträgt und wie viele es werden.
In Berlin war es bereits ein 64er Feld. Am besten und wirklich gerecht war es natürlich immer dann, wenn man eine Zweierpotenz als Teilnehmer hatte. Keine Freilose, jeder musste die gleiche Anzahl von Runden überstehen. In Hamburg kam nur ein 32er Feld zusammen, aber immerhin. Bei 1000 DM Startgeld konnte man halb so viel wie in Berlin gewinnen.
Allerdings hatte ich als Ersatz für meinen Aberglauben ein eigenes und sogar menschliches Maskottchen dabei. Nils, ein ebenso bekannter aber mehr Pokerspieler zu der Zeit, war immer mit. Und es wurde zu einer Gewohnheit, dass er einen Teil meines Startgeldes „mithalten“ durfte. Er gab mir also 300 DM und war mit 30% am Gewinn beteiligt. Dafür durfte ich ihn auch mal Kaffee, Wasser oder Snack zu holen schicken.
Nils durfte im Prinzip alles. Und ein Profi wie ich, der ist doch nicht abergläubisch, nee, nee. Nur begab sich im Halbfinale gegen den berühmten Jürgen eine absolut kuriose Partie. Gespielt wurde bis 11 Punkte. Ich lag 0:2 zurück. Jürgen hatte wie immer eines seiner berühmt-berüchtigten Backgames aufgebaut: Alle seine 15 Steine waren in meinem Heimfeld. Als Roland Ekström einmal mit dieser Spielstrategie in der Ausführung „Jürgen“ konfrontiert wurde, sagte er: „Wie soll ich da in meine Haus reinkommen?“ Tja, andererseits mag das Destruktive ja den Gegner davon abhalten, seine Steine ins Heimfeld zu spielen und anschließend auszuspielen. Ziel des Spiels bleibt es aber, als Erster alle Steine selber ausgespielt zu haben. Und von diesem Ziel ist man im Backgame denkbar weit entfernt.
Jürgen lauerte auf seinen Schuss, ich begann, den Regeln gemäß, meine Steine allmählich auszuspielen. Der Würfel war natürlich längst gedoppelt. Und in einem solch kunstvoll aufgebauten Backgame hatte Jürgen natürlich Freude strahlend in den Würfel „hineingebissen“, ihn demnach angenommen. Der Nachteil bei seiner Strategie in dieser speziellen Partie, wo alle seine Steine bei mir standen, war diesmal: Wenn er einen Schuss bekommt und noch dazu diesen trifft, dann ist er immer noch eine Weltreise vom Gewinn der Partie entfernt. Denn selbstverständlich hat er mit seinen 15 Steinen ja keine mir bedrohlich werdende Stellung aufgebaut. Mein abgetroffener Stein tritt sofort und ungehindert wieder die Heimreise an. Er muss ihn dann wieder und wieder abtreffen, und die Partie zieht sich eventuell in die Länge. Nun gut.
Noch dazu hatte er in dieser Stellung so viele Steine auf meinem 1er und 2er Punkt, dass ich beinahe gar keinen Schuss lassen konnte, zumindest keinen doppelten, wo er zwei Trefferchancen gehabt hätte. Aber ich habe seinem Vorhaben in dem Sinne Vorschub geleistet, als ich in einer Stellung kurz vor Schluss mit noch 4 verbliebenen eigenen Steinen einen Pasch 1 würfelte. Den konnte ich gar nicht ziehen, er konnte ausreichend viele Steine hinten heraus spielen und ich ließ den von ihm herbeigesehnten Doppelschuss (wenn man einen Stein mit zwei verschiedenen Zahlen treffen kann, erhöht sich, gemäß Adam Riese, die Chance, ihn zu treffen von 11/36 auf 20/36. Wir prüfen das: Wenn nur die 1 trifft, sind es die Würfe 1-1, 1-2, 1-3, 1-4, 1-5 und 1-6. 1-1 ist nur eine Kombination, da beide Würfel die 1 zeigen müssen. Die anderen tauchen alle doppelt auf. Welcher Würfel die 1 zeigt und welcher die 2 ist gleichgültig. Es kommen also 5*2 = 10 Kombinationen dazu. 10 + 1 = 11. Die Gesamtmenge der Würfe ist und bleibt 36. Es sind 11/36. Wenn dazu noch die 2 trifft, dann kommen nur die Kombinationen 2-2, 2-3, 2-4, 2-5, 2-6 dazu. 2-2 ist eine, die anderen sind je zwei, 4*2 = 8, 8 + 1 = 9. Es kommen also 9 Würfe hinzu. Eine 1 oder eine 2 zu würfeln ist also eine Anzahl von 20 der insgesamt 36 Wurfkombinationen. Das macht 20/36. Das sind bereits über 50%.) Jürgen hatte also die 1 und die 2 als Treffer, und er traf.
Die Partie begann, lang zu werden. Von Spannung fehlte (noch) jegliche Spur. Der getroffenen Stein wird eingesetzt, tritt die Heimreise an und wird, so Gott will, auf dem Rückweg wieder abgetroffen, die Patrouillen sind ja unterwegs. Irgendwann gelang es mir sogar, meine beiden anderen verbliebenen Steine auf die 1 vorzuziehen, s dass diese unter gar keinen Umständen mehr geschlagen werden konnte. Aber Jürgens Strategie ging in so weit auf, als er seine schwerfällige prime tatsächlich langsam aufbauen und nach vorne bewegen konnte. Nun, selbst wenn es ihm gelänge, den Stein tatsächlich komplett einzufangen, sein Heimfeld zu schließen und mit dem Auswürfeln zu beginnen, selbst dann wären meine Siegchancen immer noch bei 85 % (ich warte gespannt auf Leserzuschriften zu dieser Zahl).
Es gelang ihm tatsächlich. Mag sein, dass es nur dichterische Übertreibung ist, aber nach meiner Erinnerung wurde es allmählich wieder hell draußen… Das Auswürfeln begann. Er nahm vollkommen verfehlt immer wieder Steine aus der Mitte heraus, die mir Schüsse ließen. Das selber ist nicht direkt das Problem. Das Problem kommt im Folgewurf. Man kann die Lücke nicht wieder schließen. Für Jürgen spielten solche Überlegungen keine Rolle. Entweder, es geht gut, oder es geht nicht gut, Diesmal ging es gut. Er nahm Stein um Stein heraus. Durch die schlechte Strategie war meine Gewinnchance niemals unter 50%, trotz katastrophal schlechter Würfe. Schließlich, als er schon sehr viele Steine ausgespielt hatte, kam ich doch noch herein. Ohne Treffer natürlich. Mein Stein „kroch“ ums Brett, der Standardwurf war wohl 2-1, der kleinstmögliche. Vor seinem letzten Wurf hatte Jürgen tatsächlich ein Redoppel!
Die Stellung sehe ich noch vor mir. Eine kurze Berechnung ergab aber die einzig korrekte Entscheidung: Es war ein take, ich musste den Würfel eindeutig annehmen. Man schmunzelt ein klein wenig, das aber eher innerlich. Die Tischplatte hat das Ganze nur durch meine nachfolgenden Intervention überlebt: Jürgen würfelte einen Pasch 5. Mit diesem Wurf konnte er alle seine verbleibenden 4 Steine auf einmal auswürfeln. Die Frage nach den Chancen war eindeutig beantwortet: Jürgen hatte die 4 Punkte gewonnen, führte jetzt mit 6:0. Die Tischplatte, in die Nils hinein beißen wollte, habe ich gerettet, indem ich Nils vom Tisch verwies. Ich brauche Niemanden, der negative Stimmung verbreitet.
Das Match endete anschließend undramatisch mit einem 11:6 Sieg für mich. Ich war irgendwie ein Monster. Und wenn es nur ein Glücksmonster war. Ich habe also die größte Pechpartie meines Lebens in einem Match untergebracht, was ich anschließend gewann, und zwar locker. Alles nur, weil Nils nicht da war, der Miesling… Oder suchen Sie nach einer Moral? Glück ist nicht messbar und wenn mans hat, weiß man es nicht zu schätzen oder so was?
Das Finale war erreicht. Mein Gegner? Frank Kirschner. Es war ja mittlerweile schon wirklich spät. Und Freunde waren wir auch noch. „Do you guys wanna split?“ „Sure, we split.“ Ca. 8000 DM für jeden.
An so einem Tag hätte einem schon mal ein orthographischer Fehler unterlaufen können. Dann nämlich, wenn man gefragt würde: „Weißt du eigentlich, wie man ´Pech´ schreibt?“ Haben Sie einen Fehler gefunden?
- St.Tropez
Das war nun wirklich eines der schönsten Turniere, die ich jemals gespielt habe. Das lag aber etwas weniger an dem Turnier selber als vielmehr dem Lebensgefühl in St.Tropez. Diesmal sind wir zu viert angereist. Nils und Micha waren ja sowieso in den Jahren praktisch immer dabei, zu diesem Turnier war auch noch Roland mitgekommen. Wie gesagt, das Spiel boomte und bekam ständig neuen Zuspruch auch durch die Neueinsteiger. Roland war sonst Croupier, hatte aber dann fast zwangsläufig das Spiel auch erlernt.
Irgendwie hatte einer von uns davon gehört, dass man für die Dauer der Turnierwoche ein Haus mieten konnte und dass es vom finanziellen Aufwand her sogar noch weitaus günstiger als ein Hotel war. Derjenige hatte auch die richtigen Beziehungen und wir entschieden uns also für diese Form der Unterbringung. Und das war mal eine Entscheidung! Der Hausbesitzer war wohl seinerseits verreist und man muss sich allen Ernstes fragen, welchen Ort auf dieser Welt er diesem traumhaften Anwesen eigentlich jemals vorziehen könnte?
Zunächst mal war das Haus selber mit seiner mediterranen Ausstattung ein Traum. Mag sein, dass die Häuser dort alle so eingerichtet sind, jedenfalls hatte ich so etwas in dieser Form noch nie vorher gesehen, geschweige denn von Nahem. Dazu war das Haus so zimmerreich ausgestattet, dass wir jeder ein eigenes hatten. Nun gut, aber in St.Tropez im Frühsommer hält man sich ja doch nur zu den Schlafzeiten oder wenn die Sonne mal zu sehr brennt innerhäusig auf.
Der Ausblick von dem Haus und seinem riesigen Garten auf die Bucht von St.Tropez hat einem aber den Aufenthalt innerhalb noch weniger schmackhaft erscheinen lassen. Es war einfach gigantisch. Den vielleicht 200 m weiten Wegzum Strand hätte man sicher auch gerne und spielend leicht zurückgelegt, wenn da nicht auch noch dieser Swimmingpool direkt vor dem Haus gelegen gewesen wäre. Für Abkühlung war also zu jeder Tageszeit auch derart gesorgt. Und die habe zumindest ich reichlich in Anspruch genommen. Schöner geht es einfach nicht.
Aber wenn man nun denkt: Hört sich ja alles toll an, aber im Vergleich zum Hotel muss man doch, wenn man ein Haus bewohnt, auch täglich aufräumen, einkaufen gehen, womöglich gar selber kochen oder so etwas? Weit gefehlt. Es gab ein paar Haus Angestellte, die offensichtlich im Preis inbegriffen waren, die einem wirklich alle diese Tätigkeiten abnahmen. Es waren aber nicht nur einfache Angestellte sondern bildhübsche junge Damen, die einem sogar zu dem sowieso schon bombastischen Frühstück fast unaufgefordert auch noch eine Flasche Champagner bereitstellten. Wir haben in dieser Stimmung und Verfassung auch dieses Angebot dankend angenommen. Das gehörte wohl einfach dazu zum „savoir vivre“.
So waren also die Vormittage auf diese Art ein wirklich reiner Urlaubsgenuss. Die späten Nachmittage waren natürlich für das Turnier vorgesehen. Aber Backgammon Spieler haben meist im Gegensatz zu Schachspielern die Ruhe weg. Man versteht zu leben, Geld hat man, darüber wird nicht gesprochen. Und das Spielen, auch das Turnier selber, ist nur eine manchmal willkommene Zerstreuung. Das heißt, dass es da nicht so ganz feste Anfangszeiten gibt. Man findet sich irgendwann im Turniersaal ein, man sucht seinen Gegner und wenn man ihn nicht findet, dann bittet man vielleicht nach einer halben Stunde die Turnierleitung, den Namen doch bitte einmal ausrufen zu lassen. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Der Mensch meldet sich auf den Ausruf. Das Match kann beginnen. Oder er meldet sich nicht auf den Ausruf. Dann kann das Match nicht beginnen. Kein Drama, auch die Turnierleitung wirkt beruhigend auf den Wartenden ein: „Er wird sicher gleich kommen.“
Wenn dann jemand partout nicht erscheint, dann beginnt die Turnierleitung, aber nur auf Wunsch des Wartenden, irgendwann mal 5-minütige „penalty-points“ zu vergeben. Das heißt, der Nicht-Anwesende liegt dann, wenn er nach einer weiteren halben Stunde erscheint, im ungünstigsten Falle mit 0:5 zurück. Auch das wird nicht als Drama empfunden. Man kann ja auch, siehe oben, auf andere Art und nach viel längerer Zeit mit 0:6 zurück liegen (und das Match auch dann noch gewinnen).
Wie bereits erwähnt, war ja das Turnier selber auch nur ein Teil der Action, die einen Spieler zu solchen Veranstaltungen anlockte. Wer eine „gute Partie“ hatte, der hat sich vielleicht ausschließlich dieser Partie gewidmet und auf das Turnier gänzlich verzichtet. Man traf sich halt unter Spielern. Und es wurde gezockt. Wir haben gerade bei diesem Turnier übrigens parallel jede Menge Rommeé gespielt. Und wenn es Sie interessiert, wer da meist die Nase vorne hatte? Richtig, einer der Mitspieler trug nicht umsonst den Beinamen „Rommeé-Micha“. Nur verstand es Micha immer, die Partie so unterhaltsam zu gestalten, dass man einfach mitspielen musste. Ich musste mir mangels Befähigung in diesem Spiel andere Formen der Finanzierung dieses Zeitvertreibs organisieren.
Und für mich waren das die Jackpots. Zumindest hat es sich so ausgewirkt. Auch in St.Tropez konnte ich den größten Jackpot gewinnen. Dieser war mit einem Startgeld von 3000 FF vergleichbar mit dem in Hamburg mit 32 Teilnehmern ausgetragen worden. Aber es gelang dem Veranstalter gar noch, einen weiteren Jackpot mit 2000 FF auf die Beine zu stellen. Der Sieger war irgendwie dann doch schon vorbestimmt?!
Nun, die Vormittage sind oben beschrieben. Die Nachmittage bis Abende wurde gespielt. Reiner Zufall wird es aber auch nicht sein, dass mal das Sprichwort erfunden wurde: „Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen.“ Irgendwann am Abend war also Essen gehen angesagt. Das war absolut keine feste Zeit. Es war einfach nur so, dass der Turniersaal irgendwann merklich seinen Zustand dem der Mägen angepasst hat: Er wurde leer(er). Dann befand man, es wäre Zeit, selber etwas Essen zu gehen. „Wo geht ihr heute?“ „Ach, wir haben da ein kleines Restaurant am Hafen entdeckt. Geht ihr mit?“ „Ja, gut, warte, ich sag den anderen Bescheid.“ So fanden sich allabendlich der Stamm unserer vier mit einer kleinen Gruppe anderer Spieler in irgendeinem Restaurant ein. Erst am vorletzten Abend hatten Micha und ich dann doch mal eine Art von „Stammlokal“ ausgemacht. Da war Bewirtung, Essensqualität und Ausblick einfach am Schönsten. Die anderen folgten dann unserem Beispiel. Auch die Bezahlung war nichts, über das man sich Sorgen machen musste: Man bestellte einfach, egal wer alles dabei war, was man gerne essen oder trinken wollte. Bei Champagner oder Wein wurde eventuell noch eine kurze Abstimmung durchgeführt, diesen oder jenen. Ansonsten jeder „al gusto.“ Auch das Personal kannte mittlerweile unsere Form des „Kommunismus.“ Am Ende wurde eine Rechnung serviert. Die wurde ungeprüft durch die Anzahl der Pickel im Gesicht, nee, Blödsinn, also durch die Anzahl der Mitesser dividiert und heraus kam das Sümmchen, dass man selber zu begleichen hatte. Soll ich es Machogehabe oder das Verhalten echter Gentlemen nennen, dass die Anzahl der Damen nicht im Quotienten mit auftauchte?
Für das unvermeidliche dem Personal zugedachten „Sahnehäubchen“ sorgten dann der eine oder andere 20er oder 50er, den man noch dazusteuerte, natürlich in Francs.
Wodurch wäre das Lebensgefühl noch zu übertreffen gewesen? Und: Kann man sich vorstellen, dass man ein oder zwei Tage später für einen Monatslohn von ca. 3000 DM netto wieder an einem Schreibtisch in Industriegegend im Smog von Berlin sitzt? Man kann vielleicht nicht, aber man tat…
- Monte Carlo
Unsere kleine Reisegruppe machte sich wieder auf den Weg Ende Juni/Anfang Juli. Wir fuhren mit Michaels Mercedes 560 SEC. Nils war dabei, Roland diesmal nicht. Micha hatte ja schon bevor wir uns kennen gelernt hatten eine recht erfolgreiche Spielerkarriere hinter sich und er hat stets gut gewirtschaftet. Und Nils hatte ja mich in den letzten Wochen. Ich erinnere mich noch, dass ich diesmal mit ca. 12000 DM in der Tasche losfuhr.
Die Fahrt nach Monte Carlo ist zwar wunderschön, Österreich, Schweiz und später die Cote d´Azur mit wirklich wunderschönen Ausblick entlang der Küstenstraße. Aber dennoch ist die Anfahrt nicht ohne Stress an einem Tage zu bewältigen. Zeitdruck hatten wir uns auch nicht auferlegt. Und wir hatten ja noch einen Möchtegern-cardcounter und Black Jack Spieler dabei. Unsere Fahrt führte uns also „zufällig“ über Konstanz. Die Anführungszeichen verdient diese Form des Zufalls nur, weil es in Konstanz ein Spielcasino gab und insofern eine Art Magnetwirkung. Zwischenstation. Die anderen Beiden wussten natürlich längst von meinen Berechnungen und auch von der Möglichkeit, das Casino mit dem Spiel zu besiegen. Warum sollte man also nicht mal…?
An unseren Auftritt kann ich mich aller bestens erinnern. Das betrifft aber nur die Erinnerung selber. Auf den Inhalt selber wäre der Begriff „schlechtestens“ zutreffender. Wir wechselten jeder 3000 DM am Tisch. Dann fegte ein Wirbelsturm über uns hinweg und innerhalb von einer halben Stunde war der Bestand mehr als halbiert. Michael und Nils haben mich in dem an diesem frühen Abend aber nicht übertrieben gefüllten Casino für eine kurze Weile „für einen Toilettengang“ alleine gelassen. Das card counting hatte ich ja sowieso gemacht und auch die wichtigen Entscheidungen auf ihren beiden Boxen musste ich (per Blickkontakt oder auch Ansage) treffen. Die Beiden waren aber sicherlich auch höchst unzufrieden mit dem Verlauf und beeilten sich nicht mit ihrer Rückkehr.
Was ich kurze Zeit später von ihnen erfuhr: Sie hatten kurzerhand 400 DM gewechselt und beim Roulette gesetzt. Ich bin auf ihre Berichterstattung angewiesen, da ich zeitgleich ja unser kärgliches verbliebenes Häuflein „zusammenhalten“ musste, habe aber keinerlei Anlass, an den Schilderungen zu zweifeln. Und die waren so:
Die 400 DM wurden auf Schwarz gesetzt. Das war nur insofern logisch, als Nils nicht völlig grundlos den Beinamen „der schwarze Mann“ erhalten hatte. Seine Kleidung war ausschließlich aus dieser „Unfarbe“ zusammengesetzt. Haare, Augen und Teint waren ein diesem Sinne einheitlich. Bei der Unterwäsche fehlen mir allerdings Detailkenntnisse. Die Kugel kam in einem schwarzen Feld zu liegen. Der Einsatz wurde ausbezahlt, aber nicht einkassiert. Es blieben also 800 DM auf Schwarz für den nächsten coup (so heißt ein Spiel). Wiederum Schwarz. Auch dieser Betrag wurde ordnungsgemäß angezahlt. 1600 DM lagen nun auf dem Tisch. Ein kurzer Geistesblitz von Micha, Nils gab sein ok, drehte sich aber für den nächsten Wurf vom Tisch weg, denn Micha platzierte den gesamten Satz auf Rot um. Micha hat ja auch schon an anderer Stelle einen Beweis seiner prophetischen Fähigkeiten geliefert (siehe Kapitel „Ein wahrer Prophet“). Kein Zweifel, es kam Rot. Nun, ein kurzer Toilettenbesuch und dafür einen Reingewinn von 2800 DM hört sich doch gut an?
Aber die zwei waren noch nicht satt. Die gesamten 3200 DM wurden wieder zurück auf die Glücksfarbe Schwarz platziert. Und ich frage Sie ganz kurz mal: Was würde im schlechten Film und was im guten Film kommen? In gewissem Sinne war es ein schlechter Film. Es kam Schwarz!
Micha hatte ja seinen „Reichtum“ nicht nur seinem spielerischen Geschick zu verdanken. Es war auch sonst nicht ganz einfach, seine vorübergehenden Befindlichkeiten auf seinem Gesicht abzulesen, was durchaus ein „Erfolgsgarant“ beim Spielen sein mag. Pokerface ist mehr als nur ein Begriff. Ganz anders hingegen Nils. Selbst bei größtem Bemühen (hat er es getan?) gelang es ihm nicht, seine hoch kochenden Emotionen zu unterdrücken. Das galt für positive wie für negative (Sie erinnern sich an die von mir gerettete Tischplatte?). Der eine oder andere Würfelbecher wurde allerdings an anderer Stelle schon mal Opfer seiner erkennbar recht großen Kräfte. Er wurde von ihm schlichtweg zermalmt, wenn er partout nicht die richtigen Zahlen für ihn herausbringen wollte.
Im Gewinnfall wurde Nils zwar zahm und lammfromm, artig. Aber das breite Grinsen auf seinem Gesicht konnte er auch dann nicht mit größter Mühe zurückhalten. Ich hätte also sowieso herausbekommen, dass etwas Besonderes passiert war, also bemühten sich die Beiden gar nicht erst, es für geheim zu halten. Sie hatten gerade 6000 DM gewonnen, jeder 3000 DM.
Obwohl mir selber natürlich sämtliche Gefühle wie Neid und Missgunst abgehen (haben Sie eben ein Räuspern vernommen?), war es in dieser Situation nicht gar so einfach. Ich habe mich dem gebündelten Pech am Spieltisch ausgesetzt, in der hehren Absicht, für uns mit einem Vorteilsspiel ein paar Kröten reinzuholen, und die Beiden stehlen sich davon, lassen mich in meinem Elend allein, knallen Unsummen auf so ein Sch…spiel wie Roulette und werden für so ein widerliches Gebaren auch noch belohnt! Ich und missgünstig?
Hat die Wortwahl möglicherweise verräterischen Charakter, was meine wahren Empfindungen zu diesem Abend angeht? Das Black Jack Spiel war natürlich sofort beendet. Mein Verlust betrug beinahe 2000 DM, die Beiden kamen mit einem Gewinn von je über 1000 DM „davon“. Der Wirbelsturm hatte nur einseitige Verwüstung angerichtet…
Wir übernachteten also dort und der Weiterfahrt am nächsten Tage standen meinerseits lediglich Schlafstörungen und Depressionen im Wege. Zum Glück musste ich das Auto ja nicht steuern und Micha dirigierte uns zielsicher nach San Remo.
San Remo hört sich nicht nur italienisch an. Das Hotel lag ebenso traumhaft dem Strand gegenüber. Auch da war das Bedürfnis nach Meerwasser vom Hotel eigenen Pool insoweit abgedeckt, dass auch er für Kühlung sorgte und der Badegang nicht so viel Zeit in Anspruch nahm. Das Turnier fand im selben Hotel statt. Die Erinnerungen daran sind eher vage. Aber ein paar Ereignisse außerhalb des Turniers hatten Erinnerungswert. Zurück zu Italien: Michas Wagen war in der Hotel eigenen Garage geparkt. Nun gut, ein 560 SEC war nicht unbedingt ein Standardfahrzeug. Also war es nur für eine Nacht dort geparkt.
Welcher oder wie viele Hotel Angestellte ihre Finger im Spiel hatten, ist mir nicht bekannt. Wie viele Kündigungen am folgenden ausgesprochen wurden ebenfalls nicht. Aber die Parkzeit war wohl irgendwann nächtens abgelaufen. Viele Wochen später hat Interpol den Wagen auf einem Schiff in Amsterdam kurz vor dem Abtransport in ein fernes Land wieder entdeckt. Die Versicherung hat uns natürlich sofort ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung gestellt. Wir blieben also „autorisiert“.
Dazu habe ich das selbstverständlich auch vorhandene und sogar berühmte Casino von San Remo in Erinnerung (Sean Connery alias James Bond war mal dort). San Remo ist wirklich ein uraltes und ehrwürdiges Casino. Das „alt“ konnte ich zumindest in der Form bestätigen, als die Dielen hörbar knarrten. Ansonsten war die Kleiderordnung eher sehr milde. Sagen wir, es gab praktisch keine. Jeder, der Lust hatte, ging dort ein und aus. Das macht es für mich nur insofern weniger interessant, als es bedeutet, dass es meist gut bis sehr gut gefüllt ist. Also zu gut. Es ist überfüllt und laut. Die Atmosphäre selber ist aber auch nicht ganz so anheimelnd wie wir von anderen Casinos her gewohnt waren.
Das auch dort angebotenen Black Jack war von den Regeln her durchaus interessant. Nur hatte ich ein Problem bei der Umrechnung. Man hatte immer mehrere Millionen Lire vor sich liegen. Noch dazu konnten wir mehrere Boxen spielen. Höchsteinsatz weiß ich wirklich nicht mehr, aber es war eventuell in der Größenordnung von 50000 Lire. Eines weiß ich aber noch ziemlich sicher: Wir kamen einigermaßen unbeschadet davon diesmal. Und die Unsicherheit beim Setzen sowie die nicht so große Aufenthaltsfreude habe ich ganz einfach bekämpft: wir sind nur zwei Mal und das auch noch eher kurz dort gewesen.
San Remo war auch nur ein Vorgeplänkel für das eigentliche Großereignis, denn das war die Weltmeisterschaft und die fand in
- Monte Carlo
statt.
In Monte Carlo ist alles einfach noch mal mindestens eine Nummer größer. Immerhin hat es der Veranstalter ja sogar geschafft, seinem Turnier den Zusatz „Weltmeisterschaft“ zu verleihen. Und das ist auch so anerkannt.
Das läuft also so in Monte Carlo: Offiziell ist es die Weltmeisterschaft im Backgammon. Es gibt aber keine Qualifikation dafür, jeder darf mitspielen, der bereit ist, das Startgeld zu bezahlen. Im Championship Flight wird er Sieger zum Weltmeister gekürt. Und irgendwie klingt es doch ganz gut: Backgammonweltmeister. So werden also ziemlich viele Spieler aus Nah und Fern angelockt, die diesem Titel nachjagen. Das Startgeld ist allerdings nicht ganz unerheblich: Früher 6000 FF, umgerechnet ca. 2000 DM, heutzutage 1000 Euro. Aber immerhin: Für viele Spieler ist es gar noch als kleiner Betrag zu werten. Denn ein Sprichwort trifft in der Welt der Reichen und Schönen zu: Über Geld spricht man nicht. Geld hat man.
Das Startgeld ist aber mit der Entrichtung nicht automatisch verloren. Im Gegenteil. Es wird zu 100 % ausgeschüttet. Dazu bezahlt man noch eine Kleinigkeit an den Ausrichter. Der will ja schließlich auch leben. Jeder Teilnehmer träumt also nicht nur von Ruhm und Ehren, sondern auch von großen Gewinnen. Als Turniersieger kann man sich nicht nur als Backgammonweltmeister bezeichnen (wenn auch bisher stets nur für ein Jahr; der Weltmeister hat seinen Titel noch nie verteidigt), sondern auch noch, zumindest vorübergehend als „vermögend“. Je nach Teilnehmerzahl schwankt das natürlich. Aber 100000 DM waren früher keine Seltenheit als 1.Preis. Dieses Jahr, 2008, waren 199 Teilnehmer. Es waren etwas weniger als in früheren Jahren. Heutzutage gibt es den Poker-Boom und die Weltmeisterschaft im Pokern findet alljährlich zeitgleich in Las Vegas statt. Da sind die Gambler dort.
Nun gut, es gibt aber jede Menge „sideaction“. Haufenweise „gambler“ an einem Ort, viele davon vermögend bis sehr vermögend. Die wollen spielen. Man kann ins Casino gehen. Aber man ist ja auch zum Backgammon spielen dort. Also gibt es Jackpots. Täglich, ständig laufend. Man kann Tag und Nacht Backgammon spielen. Natürlich auch so, um Geld, wie sonst auch, oder eben in Jackpots. Für die Spieler, die im Hauptturnier rausgeflogen sind zum Beispiel. „Raus“ ist man eigentlich nie.
Die Mini-Jackpots laufen praktisch rund um die Uhr. Startgelder schwanken, es ist für jeden etwas dabei. Aber es gibt eben den einen Superjackpot. Da ist das Startgeld am höchsten, sogar noch höher als im Turnier. Als ich zuletzt ernsthaft mitspielte, in diesem Jahre 1988, gab es nur den einen Superjackpot (heute werden noch weitere große Jackpots angeboten; man kann sich wieder reinkaufen, wenn man einmal raus und so weiter). Teilnehmerbegrenzung war damals 64. Startgeld 8000 FF. Ich habe aber nicht alles alleine bezahlt. Ich habe 50% davon gehalten, die anderen 50% habe ich auf drei andere verteilt, der eine, wie immer, Nils. Und sogar Abi, der auch in diesem Jahr da war, bekam einen Teil ab. Er wollte gerne und er durfte. Ein dritter war wirklich ein treuer Fan und ich habe auch ihm 10% abgegeben.
Das Turnier begann. 1. Runde hatte ich einen der Behrend Brüder. Die erschienen stets mit Cowboyhut und Zigarre. Sicher hatten sie ihr Vermögen nicht mit Backgammon erwirtschaftet. Ihre Zugauswahl war eher emotional (fast hätte ich gesagt: zufällig) gesteuert. Dennoch sind solche Gegner oft gefährlich(er). Sie sind sorglos und unerschrocken. Und meine Erfahrung, eher eine Art von Gefühl sagt mir, dass sie auch in der Lage sind, mehr Glück zu entwickeln.
Dennoch rang ich den Gegner nieder, ein umkämpftes Match war es allemal. Zweite Runde traf ich auf Gerd Schiesser. Er war schon mein Finalgegner in Hamburg, bei dem ersten Turnier, welches ich gewann, 1984. Die goldenen Würfel. Und Gerd war nicht unbedingt jedermanns Freund. Er war es dann auch, der im Verlaufe des Matches in den Becher geschaut hat, um sein Glück damit ein wenig zu seinen Gunsten zu gestalten. Der herbeigerufenen Schiedsrichter hat alle Versuche unterbunden. Gerd benahm sich anständig. Hochanständig sogar. Er verlor das Match nämlich.
3. Runde musste ich gegen Michael Svobodny ran. Der erste Amerikaner. Und auch Ex-Weltmeister. Mike genießt einen legendären Ruf als gambler. Aber dennoch, Mike, sei mir nicht böse, dein Backgammon habe ich nie auf dem allerhöchsten level gesehen. Auch Mike konnte ich bezwingen. Der Vorteil, den man hat, wenn man nicht das ganze Startgeld alleine bezahlt, ist übrigens, dass man meist Zuschauer, sogar regelrechte Fans am Brett hat. Und außer, dass es einen psychologische Hilfe ist: Man erwirbt das Recht, auch mal zu sagen: Bitte eine Tasse Kaffee, bitte ein Wasser oder ein Sandwich. Und es wird gebracht, wonach man verlangt.
Allerdings wurde die Zeit knapp. Das Turnier musste weiter gehen. Ich hatte das Spiel unter den letzten 16 gerade gewonnen, das gegen Michael. Mein nächster Gegner, Nack Ballard, hatte mir seine Zimmernummer gegeben. Ich sollte ihn (falls ich gewänne) nach dem Match anrufen. Er käme dann runter zum Spielen. Nun war es bereits nach 3 Uhr morgens. Ich rief Nack dennoch an. Er war bereit, zu spielen. Er kam in den Turniersaal. Nachteil: Diesmal war ich wirklich alleine. Meine Fans schliefen.
Aber Nack war nicht irgendein Spieler. Er war der beste Gegner, den ich je hatte. Ich hatte noch kurz vor dem Turnier sein Buch gelesen: „Reno 1986“. Absolut phantastisch. Wirklich empfehlenswert (zumindest in der Zeit). Ich habe alles aufgesogen. Und man musste dort immer Fragen beantworten, wie man bestimmte Züge zu spielen gedenkt. Bei der Auflösung bekam man dann je nach Qualität des ausgewählten Zuges oder der sonst wie gegebenen Antwort Punkte. Für grobe Fehler sogar Abzüge. Die Einteilung nach Abschluss sämtlicher Aufgaben sah in etwa so aus: 0-150 Punkte: Beginner, needs study (Anfänger, viel üben). 150-300 Punkte: Average player (Durchschnittsspieler). 300-450 Punkte „Advanced Player“ (Fortgeschrittener). 450-600 Punkte: „Ready to compete in big tournaments“ (kann große Turniere mitspielen, mit Erfolgsaussichten). Und dann die oberste Kategorie, über 600 Punkte: „Legend in his own time“ (zu Lebzeiten eine Legende).
Und jetzt durfte und musste ich gegen diese Legende, ein Idol, persönlich spielen! Nack hat mich ohne sein Wissen ebenfalls bereits zur Legende gemacht. Ich habe es ihm aber auch nach dem Match lieber nicht verraten. Nack war besser, ganz ehrlich. Aber besser sein garantiert noch lange keinen Gewinn.
Wir haben im Anschluss eine wichtige Stellung aus dem Match analysiert. Und da hat er mir seine Überlegungen präsentiert. Das war wirklich noch ein anderer Level. Gewonnen habe dennoch ich. Wie schön, dass es Würfel gibt beim Backgammon!
Dann endlich Schlaf, aber nicht all zu viel. Das Halbfinale gegen Crespi stand an. Immerhin gab es schon etwas Geld, das man als Halbfinalist erhielt. Jetzt ging es dennoch um richtig viel. Das Match wogte hin und her. Aber ich war knapp vorne. Dann kam die entscheidende Partie: Ich führte 15:13 im Match bis 17. Der Verdoppler darf von beiden Seiten noch bedient werden. Aber: Wenn er doppelt habe ich einen „toten Würfel“. Denn: Das zurückgeben muss er nicht fürchten. Er muss nur fürchten. dass ich dieses Spiel gewinne. Aber er hat Chancen bis zum Schluss. Ich kann ihn nie „rausdoppeln“, egal wie überlegen meine Stellung ist. Er hat gedoppelt. Frühzeitig. Ich nahm das Doppel an. Ich geriet aber in Gammon Gefahr (Gammon ist ein Spiel, bei der die eine Seite alle Steine ausgewürfelt hat und die andere noch keinen einzigen). Wenn ich Gammon verliere, ist das Match vorbei. Er bekäme 2*2, also 4 Punkte und hätte mit 17:15 gewonnen. Ich stand mit 2 oder 3 Steinen auf der Bar. Die müssen eingewürfelt werden. Aber sein Heimfeld war fast geschlossen. Nur der Zweierpunkt war noch offen. Aber es stand schon ein Stein von ihm dort, der Punkt war also „halb gemacht“. Ich brauchte ganz dringend eine 2, sonst ist das Match vorbei. Ich warf, keine 2 dabei. Cool bleiben, Würfel aufnehmen, ruhig, Axel, es läuft. Wenn er jetzt eine 3 macht, ist auch der letzte Punkt zu. Dann ist es aus und vorbei. Er warf. Ich schaute nicht hin, aber nicht, wie ein Fußballtrainer beim Elfmeter für die eigene Mannschaft, sondern weil es sowieso meine Masche war (siehe Kapitel „Backgammon“).
Er geriet nach seinem Wurf ins Grübeln. Aha, keine 3 dabei. Dann zieh irgendwas, ich brauch eh eine 2.
Nun gibt es Spieler, die den Würfelbecher bei wichtigen Würfen besonders heftig schütteln. Andere werfen eher betont ruhig. Ich versuchte, sämtliche Gedanken zu ignorieren. Würfeln und schauen, was der Wurf bringt. Ich warf also, die Würfel rollten, sie kamen zum Liegen. Auch Crespi war ein erfahrener Spieler und ließ sich nichts anmerken, als ich mit meinem Wurf alle auf der Bar befindlichen Steine einsetzte. Es war ein Pasch 2! Der wertvollste Wurf meines ganzen Lebens. Das aber vor allem, wegen der geringen Chance und dem gigantischen davon ausgelösten Swing..
Das Spiel drehte sich. Ich kam gleich in Vorteil und gewann die Partie noch und damit das Match. FINALE!!
Im Finale traf ich dann auf Eric Seidel. Ein weiterer amerikanischer Topspieler. Aber ich war auch in prächtiger Verfassung. Er hatte etliche der anderen amerikanischen Topspieler um sich vereinigt. Sie wollten mich gemeinsam besiegen. Ich hatte, und auch im Finale nur teilweise, grad mal ein par Fans um mich versammelt. Das Turnier war auch ansonsten zu Ende. Das Finale war eines der letzten matches der gesamten Veranstaltung. Jedenfalls kam ich auch in die Situation, in Führung zu liegen. Es kam die entscheidende Partie, der so genannte „double match point“. Eric hatte das „Crawford game“, das ist die Partie, in welcher einer der beiden Spieler gerade noch einen Punkt vom Matchgewinn entfernt ist (der Spielstand war also 16:14 für mich, gespielt wurde bis 17. In der Partie darf der zurückliegende Spieler eine Partie lang nicht verdoppeln. Das wurde irgendwann mal als „unfair“ betrachtet und dementsprechend die „Crawford rule“ eingeführt). Mein Gegner hatte die Crawford Partie aber gewonnen. Es stand also 16:15. Er durfte wieder doppeln.
Da hat er sogar vor der Partie eine Auszeit genommen, um sich mit seinen Freunden zu beraten, wie er die Partie angehen sollte. Ich wusste aber, was er vorhatte. Er wollte das Doppeln verzögern, um mir eine Falle zu stellen. Aber seine Strategie ging nicht auf. Er musste doppeln und ich kam dennoch in Vorteil.
Dann kam die entscheidende Situation. Ich hatte nur noch ein kleines Problem bei der Verwertung des Vorteils. Und ich hatte aufmerksam das Buch von Barclay Cooke gelesen. Dort stand: „Leave the shot early.“ Man soll also früh den Schuss lassen. Ich habe mich stets an diese Regel gehalten. Bei anderen schien es mir, dass sie die Regel zwar kannten und auch anwandten, aber nur im normalen Geldspiel, nicht im Turnier. Und vor allem nicht, wenn es sehr wichtig wurde. Dann wurden die Spieler immer sehr „tight“, fest, ängstlich.
Also es kam genau zu so einer Spielsituation. Ich entschied, dass es richtig war, jetzt den Schuss zu lassen. Denn: Wenn er den jetzt trifft, ist die Partie noch nicht endgültig entschieden. Wenn ich ihn später lassen muss, ist sie vielleicht sofort entschieden, wenn er trifft. Aber auch dafür hatte Barclay Cooke das passende Sprichwort, diesmal war es allerdings ein türkisches, frei übersetzt so viel wie: „There is always God on the next roll.“ Also im nächsten Wurf hilft dir vielleicht Gott. Aber wie gesagt, das war türkisch…
Ich ließ also mutig einen Stein offen stehen. Eric brauchte eine 4. Wenn er trifft, ist er Favorit. 3-1, also die Summe 4, ginge auch. Nicht aber Pasch 2, die 2 war blockiert. Aber… er verfehlte. Die Partie und damit das Match waren entschieden, sogar gleich das Turnier. Im Tennis nennt man so einen Punkt wohl „tournament point“.
Dann wurde ich als Sieger geehrt und musste mit ins Casino, um das Geld in Empfang zu nehmen. Glücklicherweise hatte ich ein paar Helfer beim Tragen. Denn: 216000 FF in 500er Scheinen? Meine Taschen hätten nicht ausgereicht, so viel ist gewiss…