Glück(spilze) und Pech(vögel)
1) Philosophie eines Punktes
Eine viel zitierte Weisheit lautet so: Glück und Pech gleichen sich aus. Das ist ein Satz, über den es sich nachzudenken lohnt. Noch mehr als das haben meine Überlegungen ein Ergebnis zutage gefördert: Ich zweifle diese Weisheit an. Um es ganz genau auszudrücken, ist es sogar ausgeschlossen, dass es sich ausgleicht. Sollte man sich auf die Suche nach einem unmöglichen Ereignis begeben, dann hätte man hier garantiert ein Beispiel dafür. Ich sehe ein, dass das hervorgerufene Stirnrunzeln zwecks Entspannung eine Erklärung fordert. Ich bin bereit, wenn Sie es sind.
Zunächst mal muss man sich für eine bestimmte Aussage, die leider eine mathematische Grundlage hat, öffnen. Ich möchte sie auch gerne am praktischen Beispiel erläutern. Ich nehme mal das Beispiel, bei welchem es mir selber anschaulich wurde. Die Aussage lautet: Es ist unmöglich, ein Brot in der Mitte zu teilen, durchzuschneiden. Ich war auch zunächst überrascht, als ich das hörte. Aber es ist so. Das unmögliche Ereignis, die Wahrscheinlichkeit dafür ist = 0. Ich habe das übrigens im Grundkurs der Wahrscheinlichkeitsrechnung gelernt.
Die naiven Vorstellungen, die wir von einem Punkt haben, sind eben leider, mathematisch betrachtet, verfehlt. Ein Irrglaube. Am besten wird das vielleicht klar, wenn man sich erinnert, was ein Punkt eigentlich ist. Beziehungsweise wie groß er ist. „Ein Punkt hat keine Ausdehnung.“ Das ist leider die Wahrheit. Man kann ihn eventuell definieren, aber ihn zu finden ist, ganz anders als die Stecknadel im Heuhaufen zu suchen, wo in Wahrheit doch (meinetwegen geringe) Erfolgsaussichten bestehen, ausgeschlossen. Man kann den Punkt nicht finden, ihn nicht treffen.
Ich mache mir das immer wieder selbst klar dadurch, dass ich mir vorstelle, wann ich sicher sein könnte, ihn gefunden zu haben. Und wenn wir unendliche Messgenauigkeit voraussetzten bzw. annehmen, was an sich schon absurd ist, dann wäre es immer noch unmöglich.
Also im konkreten Fall schneide ich das Brot an einer bestimmten Stelle durch. Danach messe ich, ob es die Mitte war, also exakt der Punkt, den ich versucht habe, zu treffen. Wir können für unser Beispiel unendlich genau messen, was die Sache aber nicht unbedingt vereinfacht. Es wäre aber dennoch erforderlich. Wir messen also. Dazu haben wir zwei absolut neutrale Personen verpflichtet. Der eine beherrscht die Messtechnik, der andere beherrscht das Schreiben. Die Aufgabe ist auch klar formuliert: „Bitte prüfen Sie, ob das Brot in der Mitte geteilt wurde.“
Der Messende gibt also immer neue Stellen durch. Er sagt in unserem konkreten Fall, völlig überraschend, folgenden Satz: „Die Schnittstelle des Brotes liegt bei…“, der Notierende lauscht aufmerksam, schreibbereit, „… 0.500000000000000000000000000000000000000000000000000000000000…“, , der Notierende notiert, ebenso aufmerksam. Ich möchte auch nicht darauf bestehen, dass er allmählich unruhig wird. Er wird sich zwar sicher irgendwann fragen, wann das Messergebnis feststeht, aber er ist ja nach wie vor neutral und seiner Aufgabe verpflichtet. Der Messende, was bleibt ihm anderes übrig, misst weiter. Er findet weitere 1085 Nullen, der notierende notiert. Er bekommt sogar allmählich Routine im Nullen schreiben. Dann die Überraschung. Er ist endlich auf eine 6 gestoßen. Beide wirken zwar im ersten Augenblick irritiert, aber die zweite Messung bestätig das Ergebnis. Dann sind sie aber doch eher beruhigt. Wenn sie jetzt nicht auf die 6 gestoßen wären, dann würden sie vielleicht heute noch messen… Es handelt sich hierbei natürlich nur um ein Märchen, denn wie sollte man schon so genau messen können?
Damit ist zwar die exakte Schnittstelle, der „Schnittpunkt“, immer noch nicht bestimmt, aber wenigstens können die beiden jetzt aufhören zu messen und zu notieren. Denn, es wurde endlich bestätigt, was ohnehin feststand: Das Brot ist nicht exakt in der Mitte geteilt worden. Es war unmöglich, jetzt wurde das bei diesem Versuch auch bestätigt.
Sicher, es gibt immer eine Messgenauigkeit. Sowie man diese zugrunde legt, ist es natürlich möglich, sogar berechenbar. Aber ich versuche, diesen Aspekt noch mal an einem anderen Beispiel zu erläutern: Sie nehmen einen Bleistift in die Hand, einen ganz feinen, noch dazu perfekt angespitzt. Ich zeichne Ihnen eine Gerade, aber eine richtig perfekte Gerade, der Länge 1 cm. Dann bitte ich Sie, den Bleistift genau in die Mitte einzustechen. Sie berühren noch nicht einmal richtig, Sie haben auch die Mitte getroffen, alles perfekt. Nur leider die Enttäuschung: Sie haben unendlich viele Punkte getroffen. Der eine einzige Punkt, den ich suchte, der hatte nämlich tatsächlich überhaupt keine Ausdehnung. Also: Sie haben den Punkt getroffen, aber die Bedingung nicht erfüllt. Sie haben einfach unendlich viele Punkte getroffen, da hatten Sie natürlich eine messbare Wahrscheinlichkeit, das ist klar. Der Mittelpunkt war einer von diesen, das ist zumindest kein Wunder.
Mit der Messgenauigkeit hat man natürlich ohnehin eine Chance. Wenn man auf 1000stel Millimeter genau misst und die Bleistiftspitze eine Ausdehnung von einem 1000stel Millimeter hat, ist die Rechnung einfach: Ein Zentimeter besteht aus 10 Millimetern, also ist die Gesamtstrecke 10000 Einheiten. Die Chance, dann zu treffen, wenn man zufällig einsticht, beträgt 1/10000. Wenn Sie ein sehr gutes Augenmaß haben und es zum Geschicklichkeitsspiel wird, bei dem die Absicht ist, den Mittelpunkt zu treffen, kann die Wahrscheinlichkeit natürlich wesentlich größer sein.
2) Abseits
Mir hat das Verstehen und Verinnerlichen dieses Gedankens auch in anderen Bereichen weiter geholfen. Man betrachtet zum Beispiel eine Diskussion beim Fußball über „gleiche Höhe – ist das Abseits?“ oder „war das gleiche Höhe?“ mit gänzlich anderen Augen. Ich will spaßeshalber mal versuchen, einen Beitrag zu der Diskussion zu leisten:
Wir haben einen Fuß, einen Ball, zwei Körper und eine mitlaufende Uhr. Wir wollen messen, ob zu dem Zeitpunkt, als der Ball den Fuß verlässt (für die Nichtregelkundigen: Für Abseits zählt der Moment des Abspiels), die zwei Körper sich im exakt gleichen Abstand zur Tor(aus)linie befinden.
Ich erbitte zunächst eine exakte Definition, um welchen Körperteil es sich handelt. Ok, sagen wir mal, wir fixieren das in den Regeln. Es zählt der Körperschwerpunkt. Wäre Ihnen der vorderste Punkt lieber? Aber, selbst wenn man es noch so exakt definiert, die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese beiden Punkte auf gleicher Höhe befinden, ist gleich 0, garantiert und unumstößlich. Und wenn beim Messen die Differenz bis heute noch 0 ist, dann wird sich irgendwann eine Differenz finden, es sei denn, das Leben endet vorher.
Im Gegensatz zum ersten Beispiel kommt beim Fußball aber noch mindestens ein Faktor hinzu: Der Zeitpunkt der Messung. Wir müssten also zunächst den Zeitpunkt definieren, wann wir messen. Schlauerweise haben die Regelexperten ins Regelwerk geschrieben, dass der Zeitpunkt der Ballabgabe entscheidend ist. Leider existiert dieser Zeitpunkt gar nicht. Der Ball verlässt den Fuß im Prinzip über einen längeren Zeitraum. Es gibt eine Phase, in der er garantiert den Fuß noch berührt. Gut und schön. Es gibt später auch eine Phase, wo er den Fuß garantiert nicht mehr berührt. Auch gut. Aber zwischendurch, abgesehen davon, dass wir den Zeitpunkt, wie oben, immer nur im Rahmen der Messgenauigkeit feststellen können, ist zumindest eine Phase, wo es undefiniert ist.
Wenn die Messgenauigkeit allerdings ohnehin nur auf eine Hundertstelsekunde funktioniert, erübrigt sich die Diskussion. Denn der Verlauf einer Hundertstelsekunde ist ja bereits eine Phase, eine Zeitspanne. Aber hier überhaupt den Versuch machen zu wollen, zu definieren, wann der Ball den Fuß „endgültig“ verlassen hat, ist schon untauglich. Jetzt kombinieren wir zwei unmögliche Ereignisse miteinander. Aber da haben wir Glück, das ist so wie Unendlich + Unendlich oder Unendlich * Unendlich, es wird einfach nicht mehr. So auch hier. Unmöglich * unmöglich ist nichts weiter als immer noch nur unmöglich.
Lustig dabei dennoch: Vor ein paar Jahren wurde die Regel geändert. Das war ein Vorstoß, und zwar ein sehr gewagter, der Regelkommission. Seitdem heißt es: „Gleiche Höhe ist kein Abseits.“ Immerhin haben die Herren Experten es fertig gebracht, mehrere Monate heiße Diskussionen über absolut unmögliche Ereignisse zu führen.
Das ist vergleichbar mit einem Gesetzesentwurf, der vorsieht, einem Jeden, der an Weihnachten und Ostern gleichzeitig Geburtstag hat eine Torte zu backen. Um dann das Gesetz zu verabschieden und anschließend eine neue Diskussion zu führen über eine Gesetzesänderung, dass er zukünftig eine Torte mit Kerzen bekommen soll.
Warum aber habe ich diese ganze Diskussion hier überhaupt geführt? „Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren komme ick nunmehr zu unsa heutijet Themata.“
3) Jeder ist ein Glückspilz — oder ein Pechvogel
Glückspilze und Pechvögel gibt es wirklich. Zum Beweis dieser Aussage muss ich allerdings noch ein paar Voraussetzungen schaffen: Jede Wette, jede Teilnahme an einem Spiel, einer Lotterie, ein Aktienkauf, alles, was also mit Geldeinsätzen verbunden ist und was später einen Gewinn oder Verlust produzieren kann, ist, rein theoretisch betrachtet, in eine equity umrechenbar. Jeder, der also sein Geld zum Spielen einsetzt, hat einen bestimmten Gegenwert aufgrund der Eintrittswahrscheinlichkeiten, vielleicht noch ein paar anderen Parametern (Zahlungsmoral?). Man könnte also jeden Geldeinsatz in die equity umrechnen. Das würde dazu führen, dass ein jeder Spieler einen Gesamtauszahlungsbetrag zu erwarten gehabt hätte als Summe aller dieser equities.
Wenn also jemand, der regelmäßig einmal im Monat ins Casino geht oder an der Süddeutschen Klassenlotterie teilnimmt oder schon in seinem Leben 427 Euro in einen Geldspielautomaten geworfen hat, früher mal zwei Jahre lang regelmäßig Lotto gespielt hat, dazu insgesamt 1613.44 Euro im Toto eingesetzt hat, bei seinen Besuchen auf der Rennbahn (vorsichtig, aber erfolgreich) insgesamt 145 Euro eingesetzt hat, noch dazu seit einigen Jahren ein paar stabile Aktienwerte hält und so weiter, dann könnte man seine equity, den Geldwert, der ihm zustehen würde, theoretisch exakt ausrechnen. Und wenn dann, so leid es mir für diesen Menschen tut, als equity herauskommt, er hätte von den insgesamt eingesetzten 86906 Euro nur 65723.143725009871 Euro zurückbekommen müssen, da er die meisten seiner Wetten mit (großem) Nachteil gemacht hat, dann wird zumindest eines garantiert sein: Diesen Betrag hat er nicht zurück bekommen.
Vielleicht hat er sogar mehr bekommen als ihm zustand, sagen wir mal 69721 Euro. Das ist absolut nicht unrealistisch. Dann wäre dieser Mensch, zumindest bis zu diesem Zeitpunkt, ein Glückspilz.
Sicher, Sie können jetzt einwenden, dass das Blödsinn ist, denn vor kurzem ist ihm seine Frau weggelaufen und er ist äußerst unglücklich. Das Glück oder Pech, von dem ich hier spreche, bezieht sich lediglich auf die finanziellen Aspekte. Es ist ohnehin ein interessantes Synonym, dass „Glück“ im spielerischen Sinne mit dem „Glück“ im Leben gleichsetzt. Man hat einfach Glück. Oder eben Pech. Es ist und bleibt Philosophie. „Man muss sein Glück nur erkennen.“ Da ist auch was Wahres dran.
Aber bleiben wir mal bei den spielerischen und damit finanziellen Aspekten. Jeder, der in seinem Leben Geld in der oben beschriebenen Art einsetzt, hat entweder Glück oder Pech gehabt. Das gilt bis heute. Es kann sich natürlich heute wenden, das Blatt. Vielleicht spielen Sie ja an diesem Wochenende Lotto?
Um das noch mal an einem konkreten Beispiel zu erläutern habe ich mal wieder eine kleine Simulation durchgeführt. Und ich habe richtig Freude daran entwickelt. Wie geht’s Ihnen dabei? Also ich habe mal eine typische kleine Spielerkarriere simuliert. Auch um die Mär von „Alles gleicht sich aus“ ad absurdum zu führen.
Für mein Beispiel habe ich einen richtig guten Spieler ausgewählt, der absolut vernünftige Entscheidungen trifft. Er platziert sein Geld bei vielen und sehr unterschiedlichen Spielen. Dabei ist die Eintrittswahrscheinlichkeit höchst unterschiedlich. Auch seine Einsatzhöhe variiert. Er bekommt 250 Einheiten als Budget. Davon wettet er pro Wette mehr oder weniger zufällig eine Menge von 1 – 10 Einheiten. Er hat mal einen Vorteil und mal einen Nachteil. Das ist alles zufällig gesteuert, er selber weiß das allerdings nicht (klar, wenn er es wüsste, würde er natürlich nur noch die „guten“ Wetten spielen). Er spielt dennoch mit einem ganz geringen langfristigen Vorteil. Dieser besteht darin, dass er die Qualität der Wetten ein ganz klein wenig einschätzen kann. Also wenn eine Wette sehr gut ist, dann wettet er eher einen höheren Betrag.
Hier zunächst mal ein kleines Diagramm, was eine Karriere über 1000 solcher Wetten darstellt:
Da sehen Sie mal, was einem so alles passieren kann. Die lila Linie stellt dabei die equity dar. Durch den minimalen Vorteil, den der Mann besitzt nur aufgrund seines Gespürs für die wirklich guten Wetten, bewegt sich diese equity Linie ganz langsam aber kontinuierlich nach oben. Und was passiert mit seinem Budget? Schauen Sie sich das an! Er kam zwar nicht wirklich in die Gefahr, ganz pleite zu gehen, aber dennoch war er nach fast 1000 Wetten noch im minus. Dann allerdings gab es plötzlich noch einen Schub, eine Glückssträhne, und er hat ganz am Schluss sogar seinen Erwartungswert übertroffen.
Wenn Sie jetzt, ganz spitzfindig, sagen möchten, dass er doch zumindest 12 mal genau gleich seiner Erwartung war, nämlich an allen Schnittpunkten der beiden Linien, dann muss ich leider auch da widersprechen: Die Schnittpunkte liegen selbstverständlich immer zwischen zwei Wetten. Also vor der Wette war er noch im Minus, nach der Wette im Plus, oder umgekehrt. Abgesehen davon haben wir möglicherweise wieder eine Messgenauigkeit. Und wenn diese auf einen Cent genau wäre, dann wäre es natürlich wieder möglich, seine exakte (auf den Cent genaue) equity zu erreichen. Sicher, selbst dann wäre es extrem unwahrscheinlich.
Bevor ich Ihnen noch ein paar weitere Beispiele solcher Karrieren zeige, zeige ich Ihnen jetzt mal das Diagramm seiner Treffererwartung. Das ist etwas weniger spannend, dennoch lohnt es sich, es anzuschauen:
Wir sehen also, dass die Kurven ziemlich parallel verlaufen (stimmt irgendwas nicht mit meinem Zufallszahlengenerator?). Dennoch ist der Mensch mit seiner Treffererwartung eher im Minus (ganz konkret: selbst am Schluss, nach seiner abschließenden Glückssträhne, bleibt er noch im Defizit: 502.69 Treffer erwartet, 497 erreicht). Daran sehen Sie mal, auf wie viele verschiedene Arten man Glück haben kann: Er hat seine Treffererwartung (die in diesem Falle objektiv ist, da die Wahrscheinlichkeiten feststanden; immer erinnern, in der Realität sieht selbst das anders aus) nicht erreicht, und dennoch seine equity, seinen Gelderwartungswert übertroffen.
Woran das liegt, ist einfach erklärt: Er hat Glück gehabt bei der Wahl der Einsatzhöhen. Und dieses war tatsächlich Glück und nicht der Spürsinn. Seine equtiy ist ja ebenfalls objektiv berechnet, anhand der Einsatzhöhen. Diese (equity) zu übertreffen ist Glück und wird immer Glück bleiben.
Für mich ist es ein leichtes, eine weitere Simulation durchzuführen und die Diagramme hier reinzukopieren. Die Simulation selber dauert keine Sekunde. Also hier eine weitere Spielerkarriere, der Spieler spielt exakt genauso (gut) wie der vorherige:
Hier zunächst die Kurven für equity und Budget.
Hier die Kurve für die Treffererwartung und die Treffer selber.
Die Deutung der Kurven: In diesem Durchlauf hat der Spieler eher etwas Pech gehabt. Pech ist es jedenfalls ebenso immer, wenn man nicht bekommt, was einem zusteht (wobei das in der Praxis nicht bekannt ist, was einem wirklich zusteht). Der Mensch hat aber „Glück“ gehabt, was seine Trefferausbeute angeht. Er hat seine Treffererwartung also übererfüllt, wenn auch nur um 7 Treffer. Der Effekt ist hier also umgekehrt: Schlechte Auswahl der Einsatzhöhen. Das hat sich letztendlich gegen ihn ausgewirkt.
Man kann aber hier auch noch etwas genauer hinschauen. In der Anfangsphase hat er Glück gehabt, sowohl was die Trefferausbeute angeht, als auch den Gewinn. Diese Werte werden logischerweise immer ein wenig Hand in Hand gehen. Wenn man seine Treffererwartung deutlich übertrifft, dann wird man fast immer auch finanziell im Plus sein. Damit es nicht gelingt müsste man ja dann praktisch regelmäßig die verlorenen Wetten teuer gespielt haben und die gewonnenen kleiner.
Wir haben also jetzt gesehen, dass man auf viele Arten Glück oder Pech haben kann. Dazu haben wir gesehen, dass es nicht stimmt, dass sich alles ausgleicht. Und als Drittes, dass jeder, der an dem Spiel teilnimmt, also Geldeinsätze tätigt, bei irgendeinem der vorgestellten Spiele oder auch bei noch einem anderen, nicht vorgestellten, ist entweder ein Glückspilz oder ein Pechvogel. Jeder hat entweder mehr als ihm zusteht oder er hat weniger.
Ob das allerdings relevant ist, ist fraglich. Ich hatte ja schon andere Beispiele gebracht, wo ich aufgezeigt habe, dass man es schwerlich als Pech bezeichnen kann, wenn man auf der falschen Seite spielt und zu viel verliert. Angelehnt an die obige Definition, als das Glück oder Pech nur anhand des finanziellen Aspekts gemessen wird, wäre es natürlich schon relevant. Aber da überwiegt dann für mich die andere Überlegung: Wer zu viel verliert und das Spielen dann abbricht hat Zeit gespart. Das Geld hätte er doch früher oder später verloren.
Die Überlegung, dass sich alles ausgleicht, ist schlicht und einfach Unsinn. Dennoch beinhaltet sie selbstverständlich einen gewissen Anteil an Wahrheit. Wie sollte ich als Mathematiker das anders sehen? Das sind die Gesetze der großen Zahlen. Da sehen die Kurven dann immer so aus, wie bei der Treffererwartung und der Trefferausbeute. Die schmiegen sich aneinander an. Nur stehen dabei folgende Fakten im Weg:
Was sind denn diese viel zitierten langen Zeiträume? Wie viele Versuche muss ich denn machen, bis ich meine Trefferausbeute erreiche? Die Mathematik sagt dazu einfach: „Die relative Abweichung geht unter jedes epsilon, wenn n (die Anzahl der Versuche) gegen unendlich geht.“ Selbst darüber kann man trefflich diskutieren, ich nenne es aber lieber philosophieren. Aber darauf will ich dann anschließend noch mal zurückkommen. Zunächst noch die Analyse dieser Aussage, mit ihren möglichen Folgewirkungen.
Man müsste dividieren die erwarteten Treffer durch die eingetroffenen. Und diese Zahl liegt, wie man ja an den Diagrammen sehen kann, immer irgendwo in der Nähe von 1. Ich habe das im Diagramm vom zweiten Beispiel noch einmal hier für sie herauskopiert. Hier ist nur der Quotient dieser beiden Werte dargestellt.
Die Linie mit der 1 ist nicht hervorgehoben, aber das ist die, an die sich unsere Kurve laut mathematischer Gesetze anschmiegen müsste. Dankenswerterweise tut sie es hier auch. Aber wie nah ist nah? Sie könnte auch bei weiteren 5000 Versuchen plötzlich wieder abweichen. Und zwar mehr als hier erkennbar. Möglich wäre es, wenn auch sehr unwahrscheinlich. Der Mathematiker würde dann zwar schnell sagen, dann waren 6000 Versuche eben nicht genug, mach mal mehr, wirst schon sehen. Und er hätte wohl nicht mal ganz Unrecht. Die Aussage „unter jedes epsilon“ bedeutet eben, wenn man ausreichend viele Versuche macht, dann ist die Abweichung beliebig klein. Sie sagen also, epsilon soll 1/10000 sein, dann machen wir so viele Versuche, bis die Differenz der Kurve zu 1 kleiner als 1/10000 ist. Der Mathematiker würde sich wieder zufrieden die Hände reiben. Und ich würde meinem Ruf als Nervensäge wieder gerecht werden: Warum hörst du auf, wenn es unterhalb dieses Wertes 1/10000 ist? Wer garantiert, dass er jetzt auch darunter bleibt? Mach mal noch 100000 Versuche, vielleicht weicht es dann wieder mehr als das 1/10000 ab? Und komischerweise hätte ich auch Recht.
Und nun gibt es die ganzen kuriosen Entwicklungen im Leben selber. Vielleicht war man, trotz besten Spiels, bereits längst Pleite, hat einen anderen Job gemacht? Oder ein Spieler spielt mit Nachteil und merkt es sein Leben lang nicht, weil er trotzdem gewinnt. Dann war der Zeitraum, laut Mathematiker, nicht lang genug. Ich nenne ihn einfach einen Glückspilz. Und ich kenne solche Molche.