Wenn man etwas über Fußball erzählen und dazu noch in den Genuss kommen möchte, dass einem jemand zuhört, dann steht man vor einer nicht ganz einfachen Aufgabe. Es sei denn, man heißt Franz Beckenbauer. Der Grund für das Missverhältnis : gerade beim Thema “Fußball” ist es so, dass jeder, den es interessieren könnte, was man sagt – und das sind traditionell alle Männer, und mögen aufgrund der Quotenregelung auch gerne ein paar Frauen darunter sein, vielleicht sogar deren Anteil zunehmend –, bereits alles weiß. Wozu sollte er also zuhören? Er würde es vielleicht sogar für einen Moment tun, vielleicht den ersten halben Satz, in dem Moment jedochdas Thema nach seiner Einschätzung erfasst haben und einem alles, was die Medien darüber kundtun – und was er selbstverständlich nicht nur gelesen sondern auch verstanden und sich seine eigene, höchst exklusive Meinung dazu gebildet hat – um die Ohren hauen. Wir hätten eine der berühmten Stammtischdiskussionen, bei welcher zwar das Bier in Strömen fließt, welches aber dennoch gewohnt ergebnislos verläuft. Soll Lehmann nun zurücktreten? Brauchen wir die Torkameras? Was ist mit einer Roten Karte für Schwalben? Videobeweis? Abseits abschaffen? Tore vergrößern? Chip im Ball?
Ich widme mich dennoch dieser Aufgabe. Ich beobachte den Fußball seit frühester Kindheit aufmerksam und begeistert. Ich bin jedoch in einer seltenen Sonderrolle, als Fan des Spiels Fußball, und nicht als Fan einer Mannschaft. Und das ist sehr, sehr ernst gemeint. Mir hat das Spiel selber Freude bereitet, das Spiel Fußball. Nicht deshalb, weil diese oder jene Mannschaft gewinnen sollte. Sondern weil es ein Spiel ist, und zwar ein schönes Spiel. Die damit einhergehende Objektivität, die ich dadurch einfach in Anspruch nehme, kann einem hier und da eine gute Hilfe sein.
Ich habe über die Jahre etliche Beobachtungen gemacht, die geeignet sind, mir den Spaß an dem Spiel Fußball zu verderben. Gleichzeitig aber habe ich auch Überlegungen angestellt, was man wirklich verändern müsste, damit ich diese Freude wieder finden kann. Das mag sich nach höchst egoistischen Motiven anhören, jedoch bin ich überzeugt, dass diese Freude nicht nur mich, sondern alle aktuellen Fußballfans erfassen könnte. Zusätzlich bin ich überzeugt, dass es noch ein riesiges weiteres Potenzial an Menschen gibt, die das Spiel bei erhöhter Attraktivität für sich entdecken würden und zu Fans werden könnten.
Dazu stelle ich zunächst mal eine Frage. Jeder möge diese für sich selbst, ehrlichen Herzens beantworten: Wann hat der geneigte Leser zuletzt ein Fußballspiel über volle 90 Minuten angeschaut, bei welchem er nicht Fan einer Mannschaft war? Einfach so, ein Spiel schauen, wegen der Schönheit des Sports? Nein, so wage ich zu behaupten, das tut man nicht mehr. Man geht in Kino, Zoo oder Zirkus, Theater oder Comedy-Show, man schaut einen Hollywood-Film oder eine Gameshow. Aber ein Fußballspiel? Schalke – Werder? Dortmund – Köln? Irland – Frankreich? Nein, das ist doch langweilig, oder? Wenn man gewettet hat, dann geht’s, Wenn man Fan einer dieser Mannschaften ist, dann schaut man meinetwegen. Aber als neutraler Zuschauer? Das hat sich erledigt.
Das führte mich zu der Behauptung, dass der Fußball ein reiner Fansport geworden ist. Nun gut, wird man sicher sagen können, wo liegt das Problem? Es gibt jede Menge Fans. Die Stadien sind voll, außerdem war es schon immer so. Man schließt sich einer Mannschaft an – nach dem Modus: zuerst die lokale Mannschaft, direkt im Ort oder der Umgebung, dann eine Mannschaft aus der ersten Bundesliga, vielleicht auch noch nach lokalen Erwägungen, dann eine der Topmannschaften in ganz Deutschland, wenn deutsche Mannschaften in Europa spielen, wird ihnen generell die Dauem gedrückt, dann, last but not least, die Nationalmannschaft. Genau so sieht es vermutlich in anderen Ländern aus. Möglich jedoch, dass in kleineren Ländern zugleich ein großer Club aus einem ferneren Land ausgewählt wird – Manchester United, Real Madrid, Bayern München, FC Barcelona, Chelsea, Inter Mailand oder Juventus, Borussia Dortmund, Arsenal, Liverpool, Prais Saint Germain und jede nicht erwähnte große Mannschaft möge die Unerwähntheit bitte nachsehen.
Tja, ich sehe dort bereits einen gewissen Anlass, das bedenklich zu finden und mir Sorgen um den Fußball zu machen. Ich sehe keinen Grund, dass das Spiel nicht ausreichend viel Schönheit und Spannung, Attraktivität, Unterhaltung, Show und Emotion zu bieten hätte, dass man nicht auch die neutralen Zuschauer dabei haben sollte. Aber auch sonst wüsste ich nicht, was die (nachteilige) Folge davon sein sollte, wenn es so wäre. Jetzt sind die Stadien voll. Aber könnten sie nicht noch voller sein? Wenn voll, dann größer? Wenn TV-Rechte teuer verkauft, vielleicht noch teurer? Mehr, viel mehr Fernsehzuschauer? Freude auf ein Spiel? Heute ist Fußball. Ich gehe (schaue) hin. Weil es tolle Szenen zu sehen gibt, schöne Tore, gelungene Paraden, faire Gesten und viel, viel Spannung und Unterhaltung.
Sofern man mit mir insoweit einverstanden ist, dass es so ist, kann ich jetzt dazu übergehen, aufzuzeigen, warum es so ist. Und da sehe ich insgesamt vier Probleme. Von denen sind zwei allgemeingültig und zwei schon ziemlich speziell auf Deutschland bezogen. Zunächst stelle ich diese vier Behauptungen auf, dann begründe ich sie, um im Anschluss dazu über die Behebung nachzudenken. Hier meine Aufzählung:
- Mangelnde Attraktivität des Spiels selber
- Empfundene Ungerechtigkeit, die im Spiel enthalten ist in den Regeln und deren Auslegung/Anwendung in
- Foulsituationen
- Abseitssituationen
- Nachspielzeit, Zeitspiel
- Mangelhafte Präsentation des Spiels durch die Medien
- Stagnation des deutschen Fußballs im internationalen Vergleich
Nachdem sich die erste Empörung gelegt hat, möchte ich nun die Punkte im Einzelnen begründen.
zu 1) Mangelnde Attraktivität des Spiels
Das Salz in der Suppe sind beim Fußball eindeutig die Tore. Und davon gibt es einfach zu wenige. Einen Angriff anzuschauen erübrigt sich sozusagen, weil man das Ergebnis des Spielzuges schon zu kennen glaubt: Es wird kein Tor. Damit liegt man zu etwa 99% richtig. Dieser Prozentsatz ist einfach zu hoch, um es lhnend erscheinen zu lassen, um sich ein Tor von diesem Angriff zu erwarten.
Wenn es so wäre, dass man bei jedem Angriffszug den Atem anhalten würde, weil man glaubt, dass es jetzt klappen könnte, diesmal ganz bestimmt, man fühlt das Tor kommen, dann würde es sich wieder „lohnen“, hinzuschauen. So plätschert es dahin, selbst wenn man die Intensität spüren sollte. Es fällt kein Tor, nein, es fällt eh kein Tor. Ach, diesmal war er zufällig drin. Na, ich hab grad nicht hingeschaut. Aber wozu gibt’s denn ne Zeitlupe? Mit der geringen Toranzahl ist es einfach nicht möglich, den neutralen Zuschauer zu fesseln. Die echten Fans sind leidensfähig und haben auch ein erklärtes Ziel: Ihre Mannschaft soll gewinnen. So lange es 0:0 steht, kann es doch noch passieren?
Zusammenfassend kann man sagen, was viele heutzutage einfach aussprechen: Fußball ist ein reiner Ergebnissport (geworden). Es zählt nichts außer dem nackten Ergebnis. Das ist schon mal eine sehr bittere Erkenntnis, sofern sich alle Verantwortlichen wirklich daran halten. Es geht ihnen also längst nicht mehr darum, den Zuschauer zu unterhalten? Es geht auch nicht mehr um Gerechtigkeit? In letzter Zeit hat ein betrüblicher Ausdruck Einzug in den (Fußball-)Sprachgebrauch gefunden: „Wir brauchen auch mal ein paar dreckige Siege.“ Das hat aber nur diesen Spruch in den Hintergrund gedrängt: „Ein Sieg muss her, egal wie.“ Genau, richtig, so siehts aus! Die Wahl der Mittel spielt einfach keine Rolle mehr! Und wenn fünf Mann vom Gegner vom Platz getragen werden müssen! Wir haben den Sieg! Fragt doch später eh keiner mehr nach! Entsprechend verhalten sich die Spieler auch.
Es ist leider viel Wahres daran. Es fragt keiner mehr danach. Die Spieler und Fans der unterlegenen Mannschaft setzen nur das Stadion in Brand, das ist doch kein Problem und hat auch nichts mit Fragen zu tun! Ein paar Schlägereien? Wer fragt schon noch danach. Empörung vielleicht darüber, ok, Sanktionen gegen den Verin, dessen Fans alles in Schutt und Asche gelegt haben. Ein paar Ordner im Krankenhaus? Na und? Aber das fällt wohl mehr unter den Punkt „empfundene Ungerechtigkeiten“. Diese können nämlich auch die echten Fans betreffen.
Ok, so lange der Fan das mitmacht, muss wohl der Gedanke sein? Ich sehe aber ausreichend viele Anhaltspunkte, dass es nicht für immer so bleiben muss. Und außerdem eben: Was ist mit dem neutralen Fan? Der ist längst weggelaufen oder hat das Fernsehprogramm gewechselt. Und fragen tut der wirklich nicht mehr danach, wie der Sieg, die Niederlage oder sonst was zustande gekommen ist. Stimmt.
Es müssen mehr Tore her, so meine einfache Forderung. Und ich denke mal, dass sich da fast jeder anschließen würde. Eine gelungene Aktion, ein schöner Spielzug, eine tolle Parade, ein Lattenschuss, ein erfolgreiches Tackling, ein Doppelpass, ein Foul, ein Fehlschuss, ein Eckball. Alles gut und schön. Aber all das hat nur einen Sinn, kann nur dadurch schön, spannend sein, wenn irgendwann das Runde in das Eckige kommt. Wie ich das Ziel erreichen möchte? Einfache Antwort: Durch Anwendung der bestehenden Regeln. Kurios? Wissenszuwachs nur durch Weiterlesen.
zu 2) Empfundene Ungerechtigkeit, die im Spiel enthalten ist
Dieser Punkt wird nun nicht ganz einfach zu vermitteln sein, da er teilweise auch auf psychologischen Überlegungen basiert, die nicht einfach so geschluckt werden. Nicht weniger bin ich dadurch aber von der Richtigkeit überzeugt. Und nicht genug damit habe ich mir sogar eine Beweistechnik überlegt, die ich gerne anführe. Zur Umsetzung müsste ich aber erst mal ein paar freiwillige (Schiedsrichter) finden, die sich darauf einlassen, sich zu blamieren. Denn anders könnte das vorbereitete Experiment kaum ausgehen. Aber der Reihe nach.
a. Foulsituationen
Die größte Ungerechtigkeit besteht darin, dass eine Aktion in seiner Korrektheit nach der Position auf dem Feld beurteilt wird. Das hört sich vielleicht kompliziert an, ist es aber nicht wirklich. Der Schiedsrichter befindet auf Foul oder nicht Foul nach dem Ort, wo die Aktion stattfindet. Immer noch nicht klarer? Gut. Also am Beispiel erklärt: Im Strafraum wird ein Foul nicht als Foul bewertet. Denn sonst gäbe es den Ausdruck „elfmeterwürdiges Foul“ ja nicht. Logisch? Ein „nicht elfmeterwürdiges Foul“ ist demnach doch ein Foul, welches nicht ausreichend viel Foul ist, um dafür einen Elfmeter verhängen zu können. Ich höre die Kommentatoren auch wieder und wieder den Satz aussprechen: „Nee, das reicht nicht für einen Elfer.“ Irgendwie scheint doch erkannt worden zu sein, dass es ein Foul war. Nur eben keines, wo man Elfmeter für gibt. Die Engländer haben das auch längst erkannt. Sie formulieren es so: „Anywhere else on the pitch, it is definitely a freekick. In the area, the referee says play on.“ „Überall auf dem Feld wäre das ein Freistoss. Im Strafraum gibt es dafür nichts.“
Es ist offensichtlich. Die Strafe „Elfmeter“ erscheint dem Schiedsrichter (im Übrigen zurecht) bei gewissen Vergehen als „zu hart“. Man gibt der Mannschaft fast ein ganzes Tor (der Elfer ist ja nicht immer drin, aber doch häufig; etwa 75% der Elfmeter werden verwandelt, ein paar per Nachschuss) für eine Aktion, in welcher es kaum Torgefahr gab. Zu hart, zu hohe Aufwertung der Torchance, also gibt man ihn lieber nicht. Dazu später noch mehr. Auch zur Behebung des Problems natürlich. Anerkenntnis genügt hier erstmal.
Dass diese Beobachtung aber auch in anderen Spielsituationen außer im Strafraum Gültigkeit besitzt, behaupte ich zwar auch, werde aber da aber wohl auf noch mehr Widerstand stoßen. An dieser Stelle nur so viel: Wenn ein Stürmer vom Verteidiger den Ball erobert und der Verteidiger in letzter Verzweiflung ob des Ballverlustes zu Boden geht, bekommt er immer einen Freistoß. Umgekehrt, wenn der Stürmer nach Ballverlust auf die gleiche Art zu Boden geht, bekommt er Gelb.
Hier nur kurz erwähnt die mögliche Beweisführung: Man schneidet ein paar Szenen zusammen, in der die Schiedsrichter auf Foul oder Nicht-Foul entscheiden sollen. Nun die kleine Erschwernis: Man sieht nur noch den Zweikampf und nicht die Position auf dem Feld. Die Linien und alle anderen Anhaltspunkte werden wegretouchiert. Dann wäre eine objektive Beurteilung rein auf die Aktion bezogen möglich. Jedoch würde diese garantiert ein verheerendes Ergebnis für die Pfeifenmänner ergeben zwischen „wie wurde im Spiel entschieden“ und „wie beurteile ich es jetzt“.
b. Abseitsentscheidungen
Man muss dazu zunächst einmal sehen, dass im modernen Fußball praktisch jede Situation, in der der Steilpass erfolgt, „sehr knapp“ ist. Die Stürmer bewegen sich immer am Rande, Sie wollen den halben Meter Vorsprung gerne haben, benötigen ihn auch. Dazu kommt aber, dass die Abwehrspieler sich fast immer herausbewegen. Das heißt, wenn der Pass kommt, machen sie gerade den einen Schritt, falls es nicht zwei sind, nach vorne. Diese Gegenbewegung macht es nicht nur fürs Auge komplizierter. Es ist auch eine Frage der Geschwindigkeit. Denn das Spiel ist in den letzten 50 Jahren erheblich schneller geworden.
Wenn es also immer knapp und kritisch ist, so kommt garantiert eine Komponente hinzu: Was möchte der Mann gerne sehen, oder, anders ausgedrückt, wovor hat er Angst? Wo hat er negative Folgen zu fürchten und wo nicht? Und da fällt die Antwort schon mal ziemlich eindeutig aus: Wenn er eine Abseitsentscheidung in dem Sinne falsch beurteilen sollte, dass er laufen lässt und es war Abseits, wird ihm der Kopf abgerissen. Die eine Mannschaft beklagt sich, dass sie verpfiffen wurde, auch die Medien nehmen einen solchen Fehler auf und zerreißen das Gespann in der Luft. Umgekehrt aber, wenn er irrtümlich auf Abseits entscheidet, geschieht ihm nichts. „Oh, in der Zeitlupe sehen wir, dass es doch kein Abseits war. Aber es war auch schwer zu sehen.“ Fertig. Keine Kritik, keine negativen Schlagzeilen. Was tut der gute Mann an der Seitenlinie also? Er reißt die Fahne hoch, wann immer es knapp ist. Und knapp ist es immer, siehe oben. Man nennt ein solches Verhalten auch „Weg des geringsten Widerstandes.“ Falls es noch eines Beweises bedarf: Als Markus Merk einen Treffer für Dortmund gegen Werder anerkannte, der nachweislich inkorrekt war, sprach er „vom schlimmsten Fehler der letzten 10 Jahre.“ Auch einleuchtend, dass er nie wieder ein Tor anerkennen möchte, welches inkorrekt war? Und kein anderer Vertreter seiner Zunft? Es gibt eine Grundregel, die da lautet: Im Zweifel: Abpfeifen. Und Gründe für Zweifel gibt es praktisch immer.
Abgesehen davon, dass der neutrale Zuschauer diese Form der Ungerechtigkeit spürt ohne sie vielleicht konkret artikulieren zu können, gibt es den weiteren Effekt, dass es eine Art Hitchcock mit konsekutiven Anti-Klimaxen ist. Jedes Mal, wenn man aus dem Sessel springen möchte, weil jetzt endlich was passiert, muss man sich schon wieder setzen. Begleitet übrigens von einem Herzpatientenschutzkommentar: „Keine Aufregung, die Fahne ist längst oben.“ Wunderbar. Nur nach dem sechsten erkannten Fehler nach dem Motto „oh, war doch kein Abseits“, dem sechsten Anti-Klimax, da schaltet man einfach ab. Und auch in der Folge nie mehr ein. Man will auch nicht mehr wissen, ob der Assistent die Fahne dieses eine Mal – das kommt nämlich vor — zufällig zu recht gehoben hat. „Fußball? Isn Sch… Spiel. Die janze Zeit passiert nischt, und wenn eena freisteht, issa Abseits. Nee, danke. Kiek ick nich.“ Logisch? Logisch!
Es gibt also ein paar Ungerechtigkeiten, die nichts mit der Empörung über das Verpfeifen der eigenen Mannschaft zu tun hat. Das ist auch das Problem, warum es nicht erkannt wird: Jeder, der sich dazu äußert, ein Trainer, ein Spieler, ein anderer Verantwortlicher, ein Fan, wird sofort als „befangen“ abgekanzelt. Er hat sich dazu nur geäußert, weil er betroffen war und die „vereinseigene Brille“ aufgesetzt hatte. Für objektiv oder neutral wird man gemeinhin beim Aufzeigen von Missständen nicht gehalten. Und über Fußball weiß eh schon jeder alles…
c. Zeitspiel, Nachspielzeit
Diese Mogelpackung möchte man als neutraler Zuschauer auch einfach nicht mehr annehmen, selbst wenn man sich nur in Unkenntnis der Ursache dagegen stellt. Ich frage nur einmal ganz vorsichtig eine Frage: Wenn eine Mannschaft ihr Traumergebnis, meist also eine (knappe) Führung, erreicht hat und den Schlusspfiff herbeisehnt, also nichts anderes möchte, als die Sekunden verstreichen zu lassen: Gibt es kein Mittel, ein solches Verhalten, dasso gennante “ Zeitspiel”, zu unterbinden? Ich begnüge mich hier auch nicht mit der Antwort: „Die andern würden doch das Gleiche tun.“ oder so etwas. Denn ich spreche immer auch gleichzeitig von Attraktivität. Man will einen solchen Unsinn einfach nicht sehen. Die „Fußballverhinderer“ sind wieder unterwegs. „Mensch, jetzt steh endlich auf, du Knallkopp. Ich sehe doch, dass du dir nichts getan hast.“ Und „bitte, nicht schon wieder Diskussionen.“
Für mich mit am Schlimmsten und völlig unerklärlich, dass erfolgreich eingesetzt: Die Trainer der (mit einem Tor) führenden Mannschaften warten, bis die Nachspielzeit angezeigt wird. Just in diesem Augenblick nehmen sie eine Auswechslung vor. Und das dauert, da zunächst die falsche Rückennummer hochgehoben wird, „nein, wir meinten den Linksaußen“ (der steht nämlich noch weiter entfernt von der Auslinie), dann kann dieser es kaum glauben, dass er gemeint ist, denn er hat doch nun wirklich ein gutes Spiel gemacht, sofort danach stellt der Spieler aber fest, dass er völlig zurecht ausgewechselt werden soll, denn der Weg zur Bank erweist sich als wirklich zu weit für ihn, er bräuchte dringend Sanitäter, die ihn dorthin transportieren. Grauenhaft! Unerträglich! Und wenn ich nicht schon abgeschaltet hätte, würde ich es spätestens jetzt tun. Eines ist nämlich sicher: Der Erfolg ist der Mannschaft nicht mehr zu nehmen. Gut, toll, sie haben alle Recht, alles stimmt, korrekte Regelauslegung, da kann man halt nichts machen. Nur: Gucken muss ich nicht. Und alle Anderen auch nicht. Vielleicht ist es bald so weit?
zu 3) Mangelhafte Präsentation des Fußballs in den Medien
der Fußball hat eindeutig eine Sonderstellung. Die Tatsache, dass Deutschland im Weltfußball nach wie vor sehr erfolgreich ist, führt dazu, dass man hierzulande die Nase immer ein Stückchen höher trägt als angemessen. Es bedeutet eben nicht nur, dass man schon alles weiß über Fußball, sondern auch, dass man keinen Respekt mehr vor der Leistung Anderer hat. Man wird zum Nörgler, da einem alles unter Weltmeister irgendwann banal erscheint, nicht mehr erstrebenswert. Wenn Deutschland nicht ins Finale kommt, ist es ein empfundener Misserfolg. Und so sehr andere Nationen meinetwegen auch mit ihrer Mannschaft mitfiebern und enttäuscht sind, wenn sie rausfliegt: Sie haben dieses schon zu oft erlebt, um nicht ein wenig Demut zu empfinden und auch zu äußern. Man wird dadurch dankbar für Erfolge. Das ist in Deutschland nicht der Fall.
Eine weitere Folge ist aber die Berichterstattung selber. Jeder, der dort sprechen darf, also jeder Reporter, muss für sich in Anspruch nehmen können, zumindest den Fußball erfunden zu haben. Denn sonst wäre er ja kein bisschen höher qualifiziert als jeder andere. Also dringen die Stimmen von den Menschen an unser Ohr, die uns alles, aber auch wirklich alles, über dieses Spiel erklären können. Nur sind diese „Halbgötter“ selbstverständlich durch ihre absolute Ausnahme- und Sonderstellung nicht mehr in der Lage, an irgendeiner Stelle Spannung zu empfinden. Denn: wer schon alles gesehen hat, wer jeden Bauernstrick schon in der Sandkiste selber ausgeführt hat, wer wirklich ausnahmslos alles über dieses Spiel weiß, der kann einfach nicht mehr emotional mitgehen. Er würde dann auch sofort von einem noch Besseren abgelöst werden. Wenn also einer versehentlich mal von einer „gelungenen, tollen Aktion“ sprechen sollte, für den Augenblick verzückt von der Qualität des Spielzuges, dann würde ihn sofort einer aus dem Sessel schubsen mit den Worten: „Was soll denn daran toll gewesen sein? Den Trick hat mir mein Oma schon vor 50 Jahren gezeigt. Und reingemacht hätte ich die Pille auch noch. Dafür aber mit verbundenen Augen. Weg hier, du Anfänger.“
Man kann also keine Verblüffung, Bewunderung, Begeisterung, Spannung mehr vermitteln. Und es geschieht auch nicht. Zu viele Titel gewonnen. Dass wir im Land der Meckerer und Nörgler leben, trägt natürlich auch noch einen Teil dazu bei.
Auch hierfür gibt es Belege und Beweistechniken, welche die Berichterstatter spielend als ahnungslose Dummschwätzer entlarven würden. Jedoch ähnlich wie die Schiedsrichter müssten sie sich auf ein von mir ausgearbeitetes Experiment dazu einlassen. Und das würden sie sicher nicht tun, oder?
Hier auch nur kurz zwei Beweistechniken: Die erste ist die, dass der Kommentator ein Spiel kommentieren muss ohne Kenntnis des Spielstandes. Er sieht das ganze Spiel, aber immer nur bis zur Toraktion, sieht dann aber nicht, ob sie zu einem Tor führte oder nicht. So eine Art „Torstopp“. Dann wird das Spiel eine Minute später wieder aufgesetzt, um gegebenenfalls den Anhaltspunkt Abstoß, Ecke oder Anstoß nicht als Hilfestellung zu geben. Wenn er nun kommentieren müsste, dann könnte er alle seine Weisheiten nicht mehr anbringen. Denn quasi jeder Reporterspruch ist Spielstand bedingt. Sind Sie dabei, meine Herren? Es geht nur um Objektivität hierbei.
Die zweite Methode wäre die, ein Spiel in all seinen Aktionen zu zeigen, aber die Trikotfarben zu ändern und die Spieler unkenntlich zu machen. Wenn der Sprecher dann nicht wüsste, wer spielt, würde er sich auch kaum noch einen Kommentar trauen. Die Orientierung für den Reporter ist außer dem Spielstand nämlich auch noch die Erwartungshaltung und die Tabellensituation. Um ein Spiel auf diese Art zu kommentieren, wäre aber, wie oben auch Objektivität gefragt.
Dazu kommt aber noch ein Punkt: Die Kommentare werden anhand der Mannschaftsnamen, der Tabellensituation und des Spielstandes abgegeben. Gut. Aber außer, dass sie dadurch, wie durch die beiden Beispiele hoffentlich einleuchtend aufgezeigt, nicht objektiv und sehr selten richtig sind, sind sie auch noch abwertend und langweilig. Beispiele? 16 Flanken kommen in den Strafraum. 16 Flanken werden abgewehrt. Kommentare „Schlechte Flanken“, „stereotyp“, „sie müssten doch wissen, dass … mit den großen Innenverteidigern so nicht zu überwinden ist“ oder „da fehlt die Präzision“. Die 17. Flanke führt zum Tor. Kommentar: „Da haben sie alle gepennt“, „den hatte keiner auf der Rechnung“, „der steht sträflich frei“, „da muss der Torwart rauskommen“, „den muss der Torwart haben“ oder auch zur Entstehung „da lässt er ihm viel zu viel Platz zum flanken“. Anderes Beispiel: Ein Stürmer bleibt hängen. Einmal, zwei Mal. Kommentar: „Der rennt sich immer wieder fest“ oder „im Eins zu Eins können sie sich nicht durchsetzen.“ Beim dritten Mal kommt er vorbei. Kommentar: „Das geht viel zu einfach.“ Wenn ein Tor fällt, wird heute nur noch von „der Fehlerkette“ gesprochen, die man zu untersuchen hätte. Grausam! Mensch, der Ball ist drin, Hipp, hipp, Hurra! Jetzt mal raus aus dem Sessel! Es ist das, was wir sehen wollen. Es ist der ganz große Augenblick! Das Jubeln, die Freude bleibt einem ja im Halse stecken, wenn man im selben Moment nur über die Fehler, die dazu geführt haben, nachdenken soll.
zu 4) Stagnation des deutschen Fußballs im internationalen Vergleich
Das Problem der vielen (glücklichen) Titelgewinne der Deutschen macht sich hier nun bemerkbar. Die Ursache für die vielen Siege wird nicht erkannt, nämlich das Glück. In der Folge hält man sich einfach immer für besser, obwohl es dafür spielerisch keinerlei Anhaltspunkte gibt. Man ignoriert das Glück so gerne und schreibt es einfach „den typisch Deutschen Tugenden zu“. Zwei weitere Folgen: Die Berichterstattung zeichnet sich nicht nur durch mangelnde Objektivität aus, sondern auch durch permanente Miesmacherei. Der Jargon wird aber bis zum Jugendfußball übernommen. Den Jugendlichen wird der Spaß am Fußball verdorben durch diese Art, sich auszudrücken. Ich habe wirklich viele Jugendspiele beobachtet und war selber Trainer. An der Seitenlinie stehen haufenweise Menschen, die die Kinder permanent unter Druck setzen mit falschen Einschätzungen und schlechten Kommentaren. Auch die Trainer selber.
Ein weiterer Punkt ist der, dass man überall wie selbstverständlich mal „über den Tellerrand schaut“. Was machen andere? Wie machen es andere? Das hat man in Deutschland als Erfinder der glücklichen Siege, äh, nein, als Erfinder des Fußball nicht nötig. Keiner tut es. Diese Erkenntnis war für mich wirklich schockierend. Es gibt so viele Beispiele dafür, was man sich alles abgucken könnte. Eine Aufzählung und weitere Begründung an anderer Stelle. Die Folge ist aber offensichtlich: Stagnation. Und diese zeigt sich, wenn auch eher schwerfällig, in den langjährigen Europapokalergebnissen. Die Deutschen sind in den letzten 20 Jahren weit zurückgefallen. Die gesuchten Begründungen haben diesen von mir beobachteten Punkt bisher ignoriert.