Putoia – hier wird Fußball gespielt
So steht es am Ortseingangsschild oder eigentlich am … sonstwoeingangsschild, aber dazu muss man denn die Vorgeschichte hören, um verstehen zu können, wo(ran) das steht. Diese ist nämlich bereits so kurios, dass man sie einfach erzählen muss. Was war geschehen, wie kam es dazu?
Zunächst mal war ja offensichtlich, was es werden sollte. Nur gerieten auf der Anfahrt die Buchstaben total durcheinander. Die Bauarbeiter begannen, sie aus der Erinnerung zu montieren. Als der Vorarbeiter jedoch sah, was sie angerichtet hatten, sagte er : „Was habt ihr denn da gemacht? So heißt das nicht. Das gibt es doch gar nicht!“ „Wie, watt, jibt et nich? Siehste doch, dass et dit jibt? Wir hier, da die Buchstaben, fertig!“ Irgendwie klang das überzeugend.
Das war aber erst der Anfang. Denn: als der Vorarbeiter nun sagte: „Darunter kommt jetzt aber in kleineren Buchstaben, worum es hier geht. Da muss stehen ´Hier wird fairer Fußball gespielt´. Genau so. Kapiert?“ Nun war es jedoch an den Arbeitern, den Kopf zu schütteln: „Nee, so watt jibt et wirklich nich.“ Und was taten sie in unendlicher Dreistigkeit und Kompetenzüberschreitung? Sie ließen das Wort „fairer“ einfach weg.
Noch sind wir ganz am Anfang unserer kleinen Geschichte. Denn obwohl der Vorarbeiter entsetzt war und kurz davor stand, einzelne Standpauken abzuhalten oder Gehaltskürzungen vorzunehmen, inclusive der Abmahnungen, hielt er inne: erstens befände man sich ja an einem Ort, den es gar nicht gibt, zweitens geht man hier nicht nur auf dem Fußballplatz sondern auch sonst fair miteinader um und drittens hatte er eine goldene Idee.
Das fertig gestellt Schild sah so aus :
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Putoia
Hier wird Fußball gespielt
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Noch war alles recht klein und übersichtlich an dem Ort, den es vor kurzem noch gar nicht gegegeben hätte, nur dank der leicht wirren Monteure denn doch, und man hatte gar nicht so viele Hürden zu überwinden. Der Vorarbeiter ging zum Bürgermeister — und dies nur das irdische Wort um es verständlich zu machen — und trug seine Idee vor. „Ist doch schön, wenn man herkommt und weiß, dass hier Fußball gespielt wird? Eine Art Fußballstadt?“ Obwohl der Bürgermeister nicht so recht verstand – wird denn nicht überall Fußball gespielt, ist das nicht eh die Sportart Nummer 1, warum speziell hier? –, so hatte er dennoch keine Einwände gegen den Vorschlag, der jedoch noch ein wenig weiter ging, denn die Schilderidee war geboren
Der Vorarbeiter machte sich also mit seinen Leuten auf, die Idee umzusetzen. Es wurden nämlich weitere Schilder aufgestellt. Man fand diese Schilder als Plakate, an Littfasssäulen, an Bushaltestellen, an Brücken, an Häusern, an Videowänden, überall fand man diese Botschaften und bald waren alle and alles infiziert davon, zuerst nur, weil sie überall ins Auge sprangen, nach und nach aber, weil die Botschaften durchdrangen und weil jede einzelne so schlicht und doch so überzeugend war.
„Hier wird fair gespielt“. Da musste gar nichts mehr davor oder darüber. Denn dass man in der Fußballstadt war wusste man ja schon. „Hier wird der Zuschauer gefragt, was ihm gefällt“. Dies waren nur zwei davon. Man konnte sich dieser Botschaften nicht entziehen. „Hier wird nach den Regeln gespielt“, „keine Fanausschreitungen“, „hier gibt es Tore zu sehen“, „hier wird im Zweifel … für den Fußball gepfiffen“.
Es gibt noch viele mehr und die Ideen sprudelten nur so. Trotzdem muss die Geschichte erst einmal weiter erzählt werden. Der Bazillus war auf den Weg gebracht und alle waren infiziert. Wer sich hierher verirrte – und es waren anfangs gar nicht viele und diese wurden zudem belächelt – hat zwar kein Wort geglaubt, war aber nach dem ersten Stadionbesuch genau so infiziert und zog hierher. Die Karten waren zwar extrem schwer zu bekommen, aber es gab immer das Kontingent, bei jedem Spiel, das hatte man sich auf die Fahnen geschrieben (ja, Fahnen gab es auch!), für diese Skeptiker, weil das Konzept ganz und gar zu greifen schien.
Ein Text lautete noch „Es gibt bei jedem Spiel nur einen Gewinner, der gesucht wird: der Fußball“. Nun wuchs das Örtchen von Dorf über Kleinstadt zu Stadt zu Großastadt und über Land zu Kontinent und aus dem Kontinent wurde ein ganzer Planet, denn Platz war genug. Insofern fand man also inzwischen auf dem Planeteneingangsschild „Hier wird Fußball gespielt“. Der Name des Planeten spielte gar keine Rolle mehr…
Nun fragte man sich dennoch, wie es dazu kommen konnte. Es sollte doch nur ein kleines, beschauliches Örtchen werden, welches es sogar bis dahin im Grunde gar nicht gab.
Man hatte Umfragen gestartet. Es gab natürlich keine Teilnahmeverpflichtung, aber es fanden sich immer mehr, die bereit waren und allmählich repräsentative Ergebnisse lieferten. Die erste Frage verwunderte jeden. Sie lautete nämlich: „Was wünschen Sie sich, wenn Sie ein Spiel anschauen?“ Auf diese Frage gab es nur eine Antwort, und diese wurde nicht mal per multiple choice so angegeben, da war freie eigene Wortwahl, eine freie Textzeile, die dennoch jeder so ausfüllte: „Ich wünsche mir, dass meine Mannschaft gewinnt.“ Da hätte man sich das wohl sparen können? Wozu einen Fragebogen? Man hätte sich selbst fragen können und festgestellt: mehr gibt es doch gar nicht? Ich gehe ins Stadion, ich schalte Sky ein – und wünsche mir, dass meine Mannschaft gewinnt. Was denn sonst?
Nun wurden die folgenden Fragen aber ein wenig differenzierter. „Wünschen Sie sich, dass Ihre Mannschaft gewinnt egal wie?“ An dieser Stelle gab es eine eingeschränkte Auswahl von Antworten, untereilt in „ja“, „nein“ und „kommt drauf an“. Das Meinungsbild war nicht gänzlich eindeutig, aber noch immer lag das „ja“ vorne. Wobei die nächste Frage dem etwas auf den Zahl fühlen wollte, allerdings nur für diejenigen, die „ja“ und „kommt drauf an“ angekreuzt hatten.
Falls „ja“ angekreuzt war, musste man sich kurz Gedanken machen, warum es einem egal war. Hier schien recht deutlich durch, dass es den Betreffenden vor allem deshalb egal war, weil es die Anderen ja auch nicht anders machten und die eigene Mannschaft auch schon oft genug unglücklich oder ungerecht verloren hätte. Muss sich doch irgendwo ausgleichen? Das leuchtete ein.
Wer „kommt drauf an“ gesagt hatte, musste natürlich mit der Folgefrage „worauf?“ vorlieb nehmen. Falls der Gegner klar besser wäre und fair spielen würde und seine Überlegenheit mit rein spielerischen Mitteln vorführen würde, dann könnte man auch eine Niederlage verkraften. Auch herauszulesen war, dass ein dreckiges 1:0, bei welchem man kaum Chancen gehabt hätte aber das eine Tor irgendwie geschafft hätte, danach mit Zähnen und Klauen über die Zeit gebracht hätte keineswegs einem guten, spannenden 3:3 vorzuziehen wäre. Tenor also: dann lieber ein paar Tore und ein gutes Spiel als so ein dreckiger Sieg, selbst wenn nur einen Punkt.
Die „Nein“ Ankreuzer hatten natürlich trotzdem die Chance, Stellung zu nehmen und viel anders tönte es bei denen auch nicht.
Dieser Teil bereits recht aufschlussreich, aber es ging unvermittelt weiter. Da waren noch eine Menge Fragen offen. Beispielsweise die: „Schauen Sie auch ab und zu ein Fußballspiel, so richtig, mit Anteilnahme, Ton, mit Spaß und Spannung, über 90 Minuten, bei welchem Ihre Mannschaft nicht beteiligt ist?“
Hier kam doch recht eindeutig heraus, dass man es nur bei großen Turnieren, so etwa ab Halbfinale – EM, WM, Championsleague, DFB Pokal einbezogen – täte. Wobei die Einschränkung klar war: wenn eine Deutsche Mannschaft dabei ist – selbst eine, für die man normalerweise nicht wäre –, dann kann es in Europa auch sonst schon mal vorkommen. Man drückt dann aber den Deutschen die Daumen, wie es sich gehört. Insofern wäre man hier eben doch kein wirklich neutraler Zuschauer.
Da die Antworten hier eher zögerlich-knapp ausfielen und die folgenden Komplexe eh einheitlich auf das gleiche abzielten, denn „warum man nicht schaut“ oder „wann man es doch täte“, kann man die Ergebnisse– hier die positive Ausdrucksform wählend — auf diese Art so kurz zusammen fassen: wenn es fair zuginge, wenn es spannend wäre, wenn es ein paar Tore gäbe, wenn es ein paar schöne Aktionen zu sehen gäbe, ein paar Tricks und Zaubereien, ein paar tolle Paraden und überhaupt eine Menge Spektakel. So schwierig war dieser Teil doch gar nicht?