Fragen an die Berichterstatter
An meinem Vorsatz, den Fußball, meinetwegen auch den Sport im Allgemeinen, attraktiver zu gestalten, finde ich, gibt es grundsätzlich nichts auszusetzen. Nur scheint mir, dass es eine Überzeugung gibt, dass a) bereits alle Maßnahmen dazu von „wahren Experten“ vorgeschlagen und diskutiert wurden – so dass es unmöglich ist. für einen Namenlosen, eine gute, neue und überzeugende Idee einzubringen und b) dass der Fußball doch attraktiv genug ist und die Stadien voll, so dass es einfach nicht wirklich ernst genommen wird und Verbesserungen nicht erforderlich scheinen. Gut, insofern sind das die „gängigen Einwände“, die allerdings an der Sache – attraktiver, ja, klar, warum nicht? – nichts ändern.
Eine Maßnahme, die nach meiner Einschätzung sehr weit hinten angesiedelt ist, ist die Verbesserung der Berichterstattung selber. Nun, es kann garantiert nichts dagegen sprechen, auch über die Berichterstattung einmal nachzudenken. Es gibt einen Jargon, in dem geredet wird, der — Anglizismen Pro und Contra und hin oder her – „state of the art“ ist, und dessen sich jeder dieser Herren, der in die Riege der „ganz Großen“ aufsteigen möchte, zu befleißigen hat. Nur ist es eben ein „Jargon“.Es gibt jede Menge Ansatzpunkte, über diesen Jargon einmal nachzudenken und ihn zu hinterfragen. Wohlgemerkt spreche ich hier von der Deutschen Berichterstattung.
Ich persönlich habe — bei Weitem nicht repräsentative, aber dennoch mit einem erstaunlichen und sehr eindeutigen Ergebnis – Umfragen durchgeführt. Die Fragen, die ich dabei meinen Gesprächspartnern stelle, lautet so: „Schaust du Fußball?“. Und falls es jemand tut – dabei ist die Auswahl der Personen eher zufällig, wenn auch im Allgemeinen „Freundeskreis“ –, dann kann ich im Anschluss gleich die nächste Frage stellen: „Was hältst du von den Kommentatoren“ oder „Wie gefällt dir die Berichterstattung?“ und das Verblüffende geschieht dann: Es ist, als ob sie nur auf diese Frage gelauert hätten, vergleichbar mit dem angepieksten Faß, welches auszulaufen droht. Ich werde direkt angesprungen: „Die Kommentare? Die kannst du alle vergessen. Du musst den Ton ausschalten. Das mache ich auch.“ Und selbst wenn höchst unterschiedliche Bildungsgrade haben, so ist der Tenor doch immer derselbe. Mein Vergleich lautet dazu so: Ich renne offene Türen ein.
Da sich die anschließende Diskussion also auf ein „Pro“ beschränkt, das erforderliche „Contra“ entfällt, ist es eigentlich keine Diskussion sondern eher nur eine Art „Aufschaukeln“, in welcher man sich immer noch größeren Ungeheuerlichkeiten in den Aussagen der Reporter ergeht. Also obwohl ineffektiv, regt dieses Faktum zum Nachdenken an: Liegt es nur daran, dass wir Deutsche sowieso ein Volk von Meckerern sind, also auch hemmungslos über die (meckernden) Reporter meckern oder ist tatsächlich etwas an der Berichterstattung faul?
Da ich so weit der englischen Sprache mächtig bin, schaue ich, so oft es geht, Spiele mit englischem Kommentar an. Selbst wenn ich nun voreingenommen sein mag: diese zu hören ist eine reine Wohltat. Dabei kann ich mich gut an den ersten englischen Kommentar erinnern, den ich hörte. Der lautete: „This game could go either way.“ Übersetzt etwa: „Dieses Spiel könnte so rum oder so rum ausgehen.“
Ich war ziemlich verblüfft, zugleich begeistert. Denn ein Deutscher Sprecher würde niemals diese Unwissenheit eingestehen. Im Prinzip weiß er nämlich, in welche Richtung es verlaufen wird. Nur erhält er scheinbar so lange die Spannung, bis das Tor fällt. Um dann zu sagen: „Das hatte sich angekündigt.“ Nicht nur an solch einer Stelle geht mir die Klugsch… auf die Nerven. Der Engländer ist nicht nur gespannt, gerne unwissend, sondern er fühlt sich der Journalistenehre verpflichtet, diese Spannung seinem Zuhörer zu vermitteln. Er weiß nicht was passieren wird. Aber er will es auch gar nicht wissen, vorausahnen, vorwegnehmen und würde dies nicht einmal tun, wenn er es wüsste.
Meine Schlussfolgerung, dadurch, dass ich einen Vergleich habe und diesen auch suche: Es geht anders. Es geht definitiv besser als hierzulande.
Ich habe es mit französischen, italienischen und spanischen, in letzter Zeit per Internet TV sogar mit russischen oder arabischen Kommentatoren zu tun bekommen. Und selbst wenn ich dabei – im Gegensatz zu italienischen (so leidlich), französischen (Schulfranzösisch), spanischen (aus dem Urlaub) – kein Wort verstehe, so spüre ich doch, dass eine grundsätzliche Absicht darin besteht, Spannung zu vermitteln. Die Sprecher sind aufgeregt und begeisterungsfähig. Sie lauern gebannt, was passieren wird um es dann dem Zuschauer positiv verpackt rüberzubringen.
Nun gut, insoweit war ich beruhigt, als dass ich garantiert sagen kann: Es geht auch anders. Selbst wenn bis hierher schon einige Kritikpunkte an der Deutschen Berichterstattung durchschimmern mögen, so präzisiere ich dennoch mithilfe einiger Fragen, die ich mir immer wieder stelle und welche ich gerne an die Auserwählten richten möchte:
Und diese lauten so:
1) Glauben Sie das, was Sie gerade erzählen?
Für mich eine absolut zentrale Frage. Ich kann es mir beides einfach nicht vorstellen. Also weder die Antwort „Ja“ noch die Antwort „Nein“. Wenn sie „Ja“ lauten würde, würden sich zwar möglicherweise einiger der Folgefragen erübrigen. Auf der anderen Seite sähe ich dann allen Anlass, denjenigen zur Verantwortung zu ziehen, der den Herren dort sprechen lässt. Denn eines ist sicher, sogar nachweisbar: Es stimmt einfach nicht. Es stimmt sehr vieles nicht. Es stimmt so gut wie gar nichts, außer gelegentlich ein paar Fakten wie der aktuelle Spielstand oder wie lange ein Stürmer ohne Torerfolg ist. Auch das Eckbälle zählen mag in der Regel funktionieren. Aber inhaltlich? Wenn ein Stürmer an einem Verteidiger vorbeikommt, dann lautet es, ohne Atempause, ohne die Möglichkeit überhaupt für den Zuschauer, die Situation, die Aktion als spannend oder als gelungen zu interpretieren, wie aus der Pistole geschossen: „Das geht viel zu einfach.“
Natürlich frage ich mich in diesem Moment, ob der Sprecher diese Aktion jetzt gerade nicht sehen will? Welche würde er gerne sehen? Aber ich frage auch, wie ich das als Zuschauer genießen soll? Ich würde vielleicht gerade aufspringen wollen, egal, ob mein Verein die Verteidigungsseite hat oder die Angriffsseite, ich möglicherweise auch neutral bin, aber es ist die Aktion, die den Fußball grundsätzlich spannend macht, es riecht nach Torgefahr, einem Tor, ein Spieler ist frei, er hat alle Möglichkeiten, jetzt, da er seinen Gegenspieler abgeschüttelt hat, ein Traum, da es so selten geschieht. Und schon wird mir die Freude geraubt, denn es ging „..viel zu einfach.“
Mensch, wäre er doch lieber hängen geblieben. Obwohl, fällt mir dann ein. Ich weiß schon, was ich dann zu hören bekommen hätte: „Er rennt sich immer wieder fest.“ Oder: „Nee, so wird das nix.“ oder auch „zu eigensinnig, da übersieht er den mitgelaufenen…“ oder was auch immer. Es ist quasi unmöglich, eine gelungene Aktion zu sehen.
Anders ausgedrückt: Man kann sich immer die Mühe machen, den Fehler an der Aktion zu finden. Wenn man böswillig ist, gelingt es. Wenn eine Aktion zu einem Tor führt, sind die Verteidiger Schuld. Wenn sie nicht zum Tor führt, haben die Stürmer „nicht gut ausgespielt“ gemacht.
Wenn 19 Flanken in den Strafraum geschlagen werden und alle von der Verteidigung herausgeköpft werden, heißt es „stereotyp, kein geeignetes Mittel“, wenn aber die 20. Flanke tatsächlich vom Stürmer erreicht wird und er den Ball am Torwart vorbei ins Netz platzieren kann, dann heißt es „Kollektiver Tiefschlaf“, der Stürmer war „sträflich frei“, „wo ist der Gegenspieler“ oder „da lässt sich die Hintermannschaft übertölpeln.“ All dies ohne Luft zu holen. Neunmalneunklug = Klugsch….
Also ist es Ihr Ernst? Sie glauben, dass die Hintermannschaft gepennt hat? Oder was ist der Sinn des Kommentars? Für mich ist der Fall klar: Die ganzen Sprüche werden unreflektiert heruntergebetet. Es ist spielend leicht, ein Spiel nach diesen Vorgaben zu kommentieren. Eine Differenzierung gibt es nicht.
Nun, wenn die Antwort auf Frage 1) also „Ja“ lautet, erübrigen sich die Folgefragen. Dann richten sich die Folgefragen an den Programmdirektor: Warum hat der Kommentator eine Sprecherlaubnis bekommen? Wenn sie allerdings „Nein“ lautet, dann frage ich weiter:
2) Soll es auf diese Art besonders unterhaltsam sein?
Auch wenn oben schon angedeutete, ich wiederhole gerne: es ist nicht unterhaltsam. Absolut nicht. Es ist das ganze Gegenteil. Es sein denn, es soll den Deutschen in ihrer (Dritt-)Lieblingsbeschäftigung, dem Meckern (nach Steuern hinterziehen und Recht haben), Beihilfe leisten. Die einen meckern dann über die Sprecher (etwa gefühlte 98%), der Rest meckert über die Aktiven. „Nu loof do ma, kriegste nich jenuch Kohle dafür? Unsereins muss n janzen Tach schuften fürn Hungerlohn, und die Piepe rennt nich ma für seine Millionn.“ Aber unterhaltsam ist es auch dann nicht. Es werden niedere Bedürfnisse „bedient“, wenn überhaupt irgendetwas. Anders ausgedrückt oder alternativ gesagt: der Sprecher möchte nur sich selbst feiern, wie gut er ist. Der Unterhaltungswert spielt keine Rolle. Je schlechter man das Spiel macht – so muss die Ansicht des Sprechenden ja wohl sein – desto höher rückt man selbst.
3) Dient es der Steigerung der Spannung?
Die Antwort darauf kann nur lauten: Nein. Denn es ist definitiv ein Spannungstöter, wenn man während einer Aktion bereits deren Qualität beurteilt. Man bringt damit ja genau zum Ausdruck, dass man nicht gespannt ist. „Ich mache mir doch keine Gedanken darüber, ob die Aktion zu einem Tor führt. Ich mache mir nur Gedanken darüber, wer darin wie gut agiert hat. Und das war nun mal schwach. Und zwar in diesem Falle vom Verteidiger.“ Und hier wäre der Ausdruck „Gedanken machen“ bereits verfehlt. Wenn man Spannung empfinden würde, würde man nicht nachdenken, sondern sie einfach empfinden. Einem guten Sprecher würde es sogar gelingen, das zu vermitteln – und tut es auch, wie der Auslandsvergleich zeigt.
Ein Beispiel? Eine für mich tolle Aktion, ein gelungener Abschluss, eine tolle Parade — der Einschlag verhindert. Das, was den Fußball ausmacht, es passiert auf dem Platz. Der Sprecher, beinahe noch während des Schusses: „Die beste Parade des Torhüters.“ Obwohl Lob, ist es Spannung tötend. Denn: Nicht etwa, dass er den Atem angehalten hätte. Nicht etwa, dass er begeistert schreit: „Und… Schuss… ouh… gerade noch dran, der Keeper“, nicht etwa, dass er vielleicht sogar selber für einen Moment denkt „.. das könnte knapp werden…“, nicht etwa, dass er gar nichts sagt und den Zuschauer genießen lässt, nein, er hat bereits vor seinem geistigen Auge sämtliche anderen Aktionen Revue passieren lassen und diese als die „beste des Torhüters“ identifiziert. Bei so viel Nüchternheit, wie soll da der Zuschauer empfinden? Wie soll da ein Zuschauer mitgehen? Oder sind die Kommentare aus Schutz für die Herzpatienten in diesem Tonfall gehalten?
Ich schalte, wann immer es geht, auf englischen Kommentar. Und stelle fest: Sie wissen nicht was passieren wird. Und sie lassen es mich als Zuschauer auch spüren, dass sie es nicht wissen. Das erzeugt Spannung. Und nur ein Kommentator, der nicht weiß, was passieren wird, kann Spannung vermitteln. Falls er es doch weiß, der kluge Herr, dann wäre seine Aufgabe aber immer noch, dem Zuschauer vorzugaukeln, es nicht zu wissen. Denn eines muss einen doch zum Journalisten werden lassen: „Ich hab die Story. Die müsst ihr hören.“
4) Soll es besonders witzig sein?
Es ist mir schon klar, dass es ganz ohne Witz und Humor nicht geht, auch gar nicht gehen soll. Insofern sind manche Wortschöpfungen schon kreativ und auch witzig. Nur muss ich leider feststellen, dass der Humor nur noch eine einzige Richtung aufweist. Und diese heißt: Häme. Es wird gnadenlos auf Verlierern rumgehackt, Spielern, die gerade unglücklich aussehen in einer Situation.
Es gab mal einen Werner Hansch. Der hatte in der Sportschau einen Kommentar zu einem neuen Spieler. Sergej Bustos, meines Wissens, der sein Debüt gab, Im Spiel gab es eine Szene, in welcher Bustos auf dem Boden saß, dann aufgrund des erkannten Misslingens der eigenen Aktion wieder zurücksackte, um sich dann wieder aufzurichten. Werner Hansch hatte dazu folgenden Kommentar vorbereitet: „Bustos hatte ein ordentliches Debut.“ Er richtet sich in dem Moment auf. „Das war eine 4.“ Bustos sackt wieder zusammen, fällt auf den Rasen zurück. Werner Hansch: „Na gut, war nur ein Spaß, war ne 3.“ Bustos richtet sich wieder auf. Das war wirklicher Humor, ohne Abwertung, ohne Häme. Genial.
Heute heißt es nur noch, nachdem ein Tor gefallen ist: „Wenn ich sagen würde, das geht ja wie im Training, dann wäre das glatt gelogen. Im Training ist es nämlich viel schwerer.“ Oder auch, wenn ein Angreifer zum erfolgreichen Torabschluss kommt, sich gegen den Gegenspieler durchsetzt: „Der Verteidiger gibt hier freundlichen Geleitschutz.“ Das soll lustig sein? Einmal vielleicht. Aber als Standardspruch? Wo bleibt die Differenzierung?
5) Möchte der Sprecher besonders klug wirken?
Tja, leider ist es die einzige Frage hier, die ich uneingeschränkt mit „Ja“ beantworten kann. Es kann nur diese eine Absicht geben. Das ist für mich bewiesen. Ein Angriff der mit 0:1 zurückliegenden Mannschaft wird per se als „das ist zu wenig, keine Anspielstationen, die Außen nicht besetzt, 1 gegen 1 klappt auch nicht, keiner, der mal was riskiert und der letzte Ball kommt auch nicht an. Und wenn sie mal eine Chance haben, dann wird sie auch noch kläglich vergeben.“ Nur, wenn es dann zum Ausgleich kommt, dann heißt es: „Ja, das hatte sich in den letzten Minuten angedeutet. Natürlich ist der Ausgleich verdient, keine Frage.“ Pfui. Für wie blöd kann man den Zuschauer eigentlich halten?