So sehr man es bedauern mag, so sehr scheint doch gesichert: An sich ist die gesamte Berichterstattung nur noch eine Aneinanderreihung von Floskeln. Berufen tut man sich auf Zwischenstand oder Endergebnis. Wenn 40 Angriffe lang kein Tor fällt, dann „fehlen die Ideen“, dann „kommt der letzte Pass nicht an“, dann „ist keine Bewegung im Spiel“ oder ist „letzten Endes die katastrophale Abschlussschwäche“ verantwortlich. Sowie das Tor fällt, war der „kollektive Tiefschlaf“, die „katastrophalen Stellungsfehler“ und „die schwache Torwartleistung“ der Gegenseite schuld. So banal werden Phrasen aneinandergereiht, die nur das Negative betonen, noch nicht einmal lustig sind, geschweige denn stimmen oder anderweitig unterhaltsam im Sinne von Spannungsaufbau sind.
Was macht einen eigentlich zum Journalisten, zum Berichterstatter, wer geht warum in den Bereich Sport, speziell Fußball? Ist es nicht eine Art Traumjob? Es sollte doch einerseits eine Begeisterung für die Sache dabei sein, andererseits die Freude daran, bei etwas tollem dabei zu sein und das dem Zuhörer/-schauer vermitteln zu dürfen? Müsste man nicht intuitiv erkennen, dass die schönen Momente, die begeisternden Aktionen, die dramatische Verläufe weitaus in der Überzahl zu sein hätten, und, falls es anders empfunden würde, es dennoch versuchen, die (dann nur als gering empfundene) Spannung aufzupeppen, selbst wenn man den Anhängern nur die Leidenschaft vorgaukelt?
So etwa: „Ich muss gleich zur Arbeit.“ „Ja? Ach, was machst du denn?“ „Na, ich kommentiere Fußballspiele. Ein nerviger Job.“ „Ah so, und was ist deine Aufgabe?“ „Na, meine Aufgabe ist es, den Zuschauer zu unterhalten. Ein Job wie jeder andere Servicejob. Man muss ein anderes Gesicht aufsetzen, als wie man sich wirklich gerade fühlt. Die Stewardess muss durchgehend lächeln, auch wenn ihr zum Heulen ist, der Friseur muss Interesse an Alltagsbanalitäten seiner Kunden heucheln, und ich muss so tun, als ob das, was ich kommentiere spannend, dramatisch, toll ist.“ Selbst wenn es also nur ein „Job wie jeder andere“ wäre, hätte man die Pflicht, ihn auszufüllen – oder, noch viel besser, Beruf wechseln.
Abgesehen davon ist eine jede Floskel, falls als solche akzeptiert – natürlich wird es streitbare Geister, die einen solchen Teilsatz schlichtweg nicht als Floskel sondern als tatsächlich zutreffende Analyse der Spielsituation bezeichnen würde –, ungeeignet, um Spannung zu vermitteln. Sie ist auch ungeeignet, Differenzierungen herauszuarbeiten, die die Schönheit des Spiels, die empfundene Dramatik und Leidenschaft erkennbar machen. Durch jede einzelne abgesonderte Floskel – selbst wenn sie humorvoll wäre – macht man das Geschehen zu einem Einheitsbrei, den man zwar vielleicht immer noch essen kann, dem es aber an Schmackhaftigkeit mangelt.
Hier werden einmal eine Serie von derartigen Floskeln – dem Bild entsprechend – dem Leser „aufgetischt“. Jeder mag für sich selbst beurteilen, ob er a) den Teilsatz schon einmal gehört hat, b) ob er als positiv aufgefasst werden kann und c) ob er die Floskel in dem Moment für der Spielsituation angemessen erachtet. Später wird dann – angesichts der Gehaltlosigkeit keine ganz einfache Aufgabe – versucht, die einzelnen Aussagen inhaltlich etwas näher zu beleuchten, zum Beispiel, was den ihn absondernden Menschen dazu bewegt haben mag, es zu tun.
Die Äußerungen sind in Kategorien eingeteilt, da es sich für bestimmte Spielstände und Aktionen empfiehlt für den Sprecher, ab und zu mal zu variieren und die Floskeln gegeneinander auszutauschen, da es sonst irgendwann zu auffällig würde, dass jede einzelne eigentlich gar keinen Gehalt hätte.
Kategorie 1:
1) „da ist zu wenig Bewegung im Spiel“
2) „da fehlen die Anspielstationen“
3) „da fehlen die zündenden Ideen“
4) „da bietet sich keiner an“
5) „die Außenpositionen sind nicht besetzt“
6) „zu viel durch die Mitte“
7) „da kommt der letzte Ball, der finale Pass nicht an “
8) „die Flanken kommen nicht“
9) „ da fehlt die letzte Präzision“
10) „so wird das nix“
11) „die Chance hat er kläglich vergeben“
12) „der muss einfach sitzen“
13) „da geht ja gar nix“
Kategorie 2:
14) „kollektiver Tiefschlaf in der Hintermannschaft“
15) „katastrophale Stellungsfehler“
16) „da gibt er freundlichen Geleitschutz“
17) „das geht viel zu einfach“
18) „da schauen alle zu“
Kategorie 3:
19) „komprimierte Langeweile“
20) „sein wir mal ehrlich: ein ganz schwaches Spiel“
21) „Ein Fehlpassfestival“
22) „Tore fallen durch Fehler“
23) „ da muss es schneller gehen“
24) „zu hektisch gespielt“
25) „da zögert er zu lange“
26) „da muss er gleich spielen“
27) „das muss er selber probieren“
28) „da muss er ablegen“
29) „zu uneigennützig“
30) „zu egoistisch“
31) „da muss er mehr draus machen“
32) „schwaches Zweikampfverhalten“
Tja, wenn man das so hintereinander liest, dann erscheint das Urteil zunächst mal unzweifelhaft: Der Klang ist negativ, allenthalben. Nun kann man sich dennoch mit den Ursachen für die Aussagen und deren Inhalten ein wenig befassen.
Dass solche Äußerungen überhaupt zu hören sind, ist wohl nicht strittig. Eine Frage wäre nach der Frequenz, mit der sie ans Ohr dringen. Eine weitere, ob der Sprecher in diesem Moment eine gute, sinnvolle, schlaue, aufmerksame, angemessene, besondere Beobachtung gemacht hat, oder ob es sich um einen einfach so dahin gesagten Satz handelt, wobei Letzteres den Tatbestand der Floskel erfüllen würde. Eine weitere Frage mag sein – für den völlig Unbefangenen – ob sie nicht eventuell von vorher oder nachher getätigten Lobhudeleien, Begeisterungsstürmen, Leidenschaft und Emotionalität, echtem Enthusiasmus und objektiver Anerkennung weit in den Schatten gestellt wird. So etwa nach dem Motto: „Nach so viel Gutem darf auch ruhig mal etwas Kritik durchklingen.“
Man darf natürlich auch hier ein wenig differenzieren zwischen einzelnen Sendeanstalten und einzelnen Sprechern. Bei den öffentlich-rechtlichen ist es nicht ganz so penetrant, wie bei den privaten Anbietern. Und individuell gibt es natürlich auch etliche Unterschiede. Diese bewegen sich jedoch bedauerlicherweise nur in der Größenordnung von Nuancen. Es scheint, jedoch, dass gerade Neueinsteiger in die Reporterbranche, die oftmals über die privaten ihre ersten Sporen verdienen, noch viel anfälliger für einen derartigen Jargon sind.
Zur Kategorie 1:
„da ist zu wenig Bewegung im Spiel“
„da fehlen die Anspielstationen“
„da fehlen die zündenden Ideen“
„da bietet sich keiner an“
„die Außenpositionen sind nicht besetzt“
„zu viel durch die Mitte“
„die Flanken kommen nicht“
„ da fehlt die letzte Präzision“
„so wird das nix“
„die Chance hat er kläglich vergeben“
„der muss einfach sitzen“
Nun ein wenig ins Detail: Wann hört man solche Teilsätze? Ja, meist ist es so, dass ohnehin die ganze Zeit eine Mannschaft zerrissen wird für ihre Hilflosigkeit – logische „Konsequenz“: sie liegt 0:1 zurück –, also keinen einzigen vernünftigen Angriff zustande bringt und wenn mal eine Chance kommt, diese kläglich vergibt. Da dem Kommentator also das 1:0 gut zupasst kommt und er sich bereits weidlich auf dieses Ergebnis eingerichtet hat – natürliche Ursache: es fällt eigentlich eh nie ein Tor –, also quasi er bereits andeutungsweise am Fazit bastelt, man befindet sich mal wieder um die ominöse 70. Minute, und nun doch urplötzlich (das aber nur für ihn, denn, Staubsaugervertretermentalität, ebenfalls von Christoph Daum gepredigt, immer wieder versuchen, irgendwann klappt es doch, dass auch eine kleine Chance mal eintritt) das 1:1 fällt und ihn damit jäh aus seinen Beerdigungsredenträumen reißt. Da eben jeder vorher vorgetragene Angriff mangelhaft war, gelänge es nicht, dem jetzigen, zum Tor führenden, positiv einzustufen, abgesehen davon, dass jeder, der etwas Gutes an einem Fußballspiel sieht eh per se ein Laie und Schönredner ist, also wird direkt der Abwehr der schwarze Peter zugeschoben.
Hinzu kommt das Phänomen, dass viele der Floskeln während der laufenden Angriffe ausströmen. Das bedeutet aber, dass man einen dann doch erfolgreichen Angriff nicht einfach so belobigen kann, da er schon während der Durchführung für stümperhaft erklärt wurde.
Ganz logisch hergeleitet und direkt anknüpfend an das Gelaber der letzten 20 Minuten davor: Jeder Angriff war schlecht gespielt, dann kann ja nur einer zum Tor führen, wenn sich „die gesamte Abwehr im kollektiven Tiefschlaf befindet. Ach, was sage ich, die Abwehr, das fing vorne ja schon an, bei dem unnötigen Ballverlust.“ Eigentlich befand sich also das ganze Team im Tiefschlaf. Deshalb spricht man ja vom „Kollektiv“.
Warum er es nun sagt, wäre damit so weit geklärt. Die sich anschließenden Fragen lauten unter anderem: Glaubt er, mit dieser „Analyse“ auf den Punkt zu treffen? Glaubt er, dass der Zuschauer das unterhaltsam findet? Glaubt er, dass er das Spiel damit spannend macht? Wer hat ihm die Sprecherlaubnis erteilt? Man stelle sich dazu vor, dass der Zuschauer gerade so wegdämmert, während er den Abgesang auf die zurückliegende Mannschaft vorträgt, und das Fazit so gut wie in trockenen Tüchern ist, plötzlich aber diese dramatische Wende in dem Spiel eintritt, und er das sofort mit „kollektivem Tiefschlaf“ kommentiert, dass der Zuhörer nun aus dem Sessel geht vor Begeisterung? „Au ja, zeig mal her, alle pennen, das will ich sehen. Oh, ist ja irre, tatsächlich, der hat gepennt, der schaut nur zu, der greift nicht an, der dämmert vor sich hin, der geht nicht zum Ball, der fühlt sich nicht zuständig, den haben sie aus den Augen verloren und der fällt wie ne Bahnschranke. Klasse! Zeig mir mehr davon! Wann kommtn das nächste Spiel?“
Nun, was besonders spannend zu hören wäre, wäre ja der gleiche Kommentator bei der gleichen Spielszene, wenn man nach dem getätigten Torabschluss den Torstopp machen würde. Er wüsste also nicht, ob der Ball reingeht oder nicht. Würde dann die aus seiner gesamten und geballten Fußball Erfahrung gemachte Beobachtung die exakt gleiche Aussage hervorrufen bei Unkenntnis des Ausgangs der Situation?
Nein, und hier kommt die freche Behauptung: Er wäre völlig sprachlos. Keine der Floskeln käme zur Anwendung, könnte zur Anwendung kommen, da ausschließlich die Kenntnis über den Ausgang, die Gewissheit, was passieren wird, Grundlage für die „Analyse“ ist. So schwankte der abschließende Kommentar nur zwischen „ein weiteres Beispiel für die katastrophale Abschlussschwäche“ als ausgemachten Schwachpunkt der einen Mannschaft und „kollektivem Tiefschlaf des gesamten Teams“ der anderen Mannschaft. Eine Wahrheit, wie die Situation demnach war – logischerweise immer eine Mischung von allem, jedoch in aller Regel nicht schlecht, weder von dieser noch von jener Seite, höchstens winzige Nuancen, die erkennbar würden – könnte er ganz sicher nicht herauskitzeln. Der Mann macht sich in der Realität zum absoluten Oberexperten, ausschließlich aufgrund des Ergebnisses.
Eines ist jedenfalls ganz sicher: Einen „kollektiven Tiefschlaf“ und „katastrophale Stellungsfehler“ oder „freundlichen Geleitschutz“, „schwaches Zweikampfverhalten“ gab es nicht. Das kann weder er glauben noch ernsthaft glauben machen wollen. Also forscht man ein wenig weiter, wieso so etwas abgesondert wird? Falls man auf erhöhten Unterhaltungswert setzen würde, so kann man diesen recht bald vom Tisch wischen. Denn da müsste doch klar sein, dass es beim ersten Mal noch etwas Lustiges an sich haben kann, auch beim zweiten oder zehnten Mal. Aber dann schleift es sich ab. Dann müsste ein neuer Witz her. Der alte ist abgenutzt, ausgelaugt, verbraucht. Mit Humor kann es also nichts zu tun haben.
Nun kommt man zu Hohn uns Spott. „Na, wer sich so dämlich anstellt, der muss sich nicht wundern, wenn er ein Tor kassiert.“ Sicher, diese Komponente zählt. Ja, man hat eine Chance, sich selbst aufzuwerten. Dieser Kloppskopp da, was macht der denn für einen Mist? Das kann auch den Fernsehzuschauer betreffen, für den im gleichen Moment die scheinbaren Götter (wohlgemerkt jene auf dem Feld, nicht der sprechende Dreiviertelgott) nicht nur auf gleiche Höhe gezogen werden, sondern gerne mal etliche Fuß unter einem selbst platziert werden können: Im Erdboden, in den sie eingestampft werden. Das tut jedem gut —- dem es sonst an Selbstwertgefühl mangelt. Wenn dies einen Sportberichterstatter betrifft – es deutet einiges darauf hin – dann ist das zumindest eine höchst unglückliche Anordnung. Warum sollte man jemandem ein Mikrofon in die Hand drücken, nur damit dieser ein ramponiertes Ego aufpolieren kann? Nein, das ist nicht die Bühne dafür.
Die Aussage ist also weder wahr noch unterhaltsam. Einzig geeignet, dem Sprecher eine (völlig unverdiente) Aufwertung zukommen zu lassen. Er, der arme gebeutelte, der immer nach oben kuschen musste — darf endlich mal nach unten austeilen. Es sind also nur niedere Beweggründe, die. gelinde gesagt, einfach dort nichts zusuchen haben.
Natürlich gibt es noch einen anderen Aspekt. Dieser lautet: Ein wahrer Experte bejubelt nicht einfach, ein wahre Experte sitzt nicht mit offenem Mund da, so dass ihm die Worte fehlen vor Begeisterung. Ein wahrer Experte ist ein nüchterner Analyst, der, das ganz wichtig, schon alles gesehen hat. Staunen, aus dem Sessel gehauen werden, feiern, umgehauen sein – das steht alles den Laien zu. Ein wahrer Experte geht niemals aus sich heraus, weil er sogar gezwungen ist, die objektive Analyse vor die reine Begeisterung zu stellen.
So richtig das auch alles im Ansatz sein mag, und mit Sicherheit teilverantwortlich für das Einheitsblabla, so unangemessen ist es an dieser Position. Denn: Hier geht es ja gerade darum, den Zuschauer zu unterhalten. Das muss doch Sinn und Zweck der Installation dieses Menschen hinter dem Mikrofon sein? Die nüchternen Analysen, die kann man später machen. Jetzt ist der Augenblick, wo etwas Tolles passiert, hier werfe ich alle Eitelkeit über Bord. Der Zuhörer muss gefesselt werden. jetzt ist mein Auftritt!
Die Befürchtung jedoch steht im Wege, die da lautet: Wenn ich hier jetzt in Begeisterung ausbreche und einfach nur ein tolles Tor feiere, dann steht schon der wahre Experte hinter mir, sägt an meinem Laienstuhl und möchte diesen Platz einnehmen – als wahrer Experte, dem man nicht einfach so eine Aneinanderreihung von Katastrophenfehlern als „tolle Aktion“ verkaufen kann. Jemanden, der gleich die Finger in die Wunden legt.
Vergessen ist dabei aber der zahlende Zuschauer, der nämlich auf dieses Gelaber keinen Bock hat, schlicht und einfach. Und die Frage nach dem „geht es denn anders?“ ist längst beantwortet. Hebt einmal den Blick, nur auf Höhe des Tellerrandes – na gut, knapp darüber. Und schaut nach England – nur als ein Beispiel. Da wird wahre Leidenschaft mit echter Expertise kombiniert.
Sicher, eine Mannschaft befindet sich (fast) immer im Ballbesitz oder im Angriff. Nun gibt es eine Phantasie, was jetzt passieren sollte/müsste/könnte. Das ist situationsbedingt und an sich unabhängig vom Spielstand. Das geht dem Zuschauer so und vermutlich dem Sprecher ebenso. Irgendwo tief in jedem Anhänger des Spiels verankert hat er noch immer eine Vorstellung davon, wie man sich jetzt zu verhalten hätte. Man hat auch eine Vorstellung davon, was den Fußball ausmacht, was ihn spannend macht und was schön, eben noch unabhängig von jeglicher Parteilichkeit.
Man erträumt sich also theoretisch einen Angriff, weil man ganz neutral dem Fußball verbunden ist, das Spiel von klein auf betrieben und/oder verfolgt hat. Dieser Traum sieht in etwa so aus:
„Der müsste jetzt den Ball da, ins Mittelfeld spielen, der bietet sich an, ja, super, hat er gesehen, oh, der wird ja direkt attackiert, na, dann muss er ihn vielleicht mit einer Körpertäuschung stehen lassen, hat er auch geschafft, noch besser, jetzt weiter auf die Außenposition, hey, der Mann ist gut, der Außen muss seine Schnelligkeit ausnutzen, ja, macht der, der kommt vorbei, ouh, super, noch ein Doppelpass, jetzt müsste die Flanke kommen, auch wenn er leicht bedrängt wird, kriegt er hin, jetzt am besten auf den langen, nachrückenden, Kopfballstarken Mittelfeldspieler, passt, wow, das Ding kommt exakt, der überspringt ihn — nee, den hat der Keeper, ach, kann er nicht festhalten, aber da lauert ja der mit dem Torriecher, der immer richtig steht und schiebt ihn rein. Toooooooor!“
Allerdings ist die zu überspringende Frustrationshürde extrem hoch, Weil: Meistens scheitert der erste Ball, wenn nicht, dann der zweite, und wenn auch der kommt, bleibt der Außen hängen und wenn nicht — na, wird er gefoult, gibt’s immerhin Freistoß –, dann klappt der Doppelpass nicht, wenn auch der, kommt die Abseitsfahne, wenn die nicht, kommt die Flanke nicht und wenn die kommt, kommt einer der zahlenmäßig überlegenen Verteidigung ran, wenn das nicht, dann hält ihn der Keeper wirklich und wenn er ihn abklatschen lässt, steht immer noch meist ein Abwehrspieler zuerst da und wenn… na, irgendwann ist er wirklich mal drin. Chance? Vielleicht 1:100.
Der Sprecher aber, dem es nicht anders als irgendeinem Fernsehzuschauer geht, hat die einmalige Chance, das einem Millionenpublikum nahe zu bringen. Abgesehen von seiner Ausbildung und seiner anerkannten Sprechfähigkeit, die nicht nur durch Tonfall, sondern auch durch gekonnte Formulierungen beeindrucken könnte, müsste er auch mehr davon verstehen als der durchschnittliche Zuschauer. Er ist von den gleichen Phantasien getragen. Jedoch kennt er den Spielstand. Und er ahnt intuitiv die Winzigkeit der Chance von 1:100. Auch dieser Angriff wird nichts einbringen. a) liegt die Mannschaft zurück, was sie per se schon mal schlecht macht, und b) wird der Angriff nichts werden. Das im Paket ergibt das Geseiere, was man zu hören bekommt.
Sowie die Parteilichkeit hinzukommt, ändert sich nur ein ganz klein wenig der Blickwinkel. Man wüsste zwar auch dann noch, was die Ball führende Mannschaft nun zu tun hätte, jedoch, sofern man sich der nicht im Ballbesitz befindlichen Seite verbunden fühlt, konzentriert man sich noch mehr darauf, wie man das, was jetzt kommen könnte, zu unterbinden hätte.
Ein wahrer Experte hinter dem Mikrofon sieht sich nun eigentlich der Aufgabe gegenüber, dieses von beiden Seiten mit der gleichen Objektivität zu tun (das Thema „Die Neutralität“ wird separat behandelt; es gibt Spiele, bei denen man davon ausgehen darf, dass alle Zuhörer (!) sich auf der einen Seite befinden, in diesem Moment darf parteiliche Kommentierung akzeptiert werden; dies ist normalerweise der Fall, wenn heimatsprachliche Mannschaften mit ausländischen die Klingen kreuzen, und das gilt nicht nur für deutsch–). Er müsste sowohl versuchen, die Güte der Defensivaktion als auch jene der Offensivseite zu beurteilen in der Lage sein. Jedoch dürfte er bei gegebener Parteilichkeit ruhig die gewnschte Verteidigungsleistung oder das Verteidigerverhalten betonen, sofern dies „seine“, nein, „unser aller“ Mannschaft ist, umgekehrt die gewünschte Angriffsaktion.
Selbstverständlich ist aber in jenem Falle auch, dass man die positive Aktion, bei gewahrter Neutralität, lieber sieht als die negative, die Spiel verhindernde. Sprich: Man müsste sich wünschen, dass die im Ballbesitz befindliche Mannschaft nun einen gelungenen Angriff vorträgt. Das ist nur natürlich, denn a) gelingt es nur sehr selten, also wird es erstrebenswert und b) sind die Tore nun mal das Salz in der Suppe, und die fallen nur durch gelungene Aktionen. Sofern die Verteidigung mal wieder obsiegt, so wäre aber auch dann zu differenzieren, ob dies durch eine gelungene Verteidigungsaktion zustande kam oder schlichtweg durch Fehlerhaftigkeit im Angriffsspiel des Kontrahenten.
So weit, so gut. Die angeführten Floskeln „da ist zu wenig Bewegung im Spiel“, „da fehlen die Anspielstationen“ oder „da fehlen die zündenden Ideen“ fallen dann, wenn die angreifende Mannschaft zurückliegt oder wenigstens nicht führt. Bei dem Führenden dürfte man sich das nicht erlauben. Und dies zieht natürlich ohnehin schon die Expertenstellung in Zweifel. Hier fehlte höchstens der Beweis, dass es so ist, aber wenn – wie man sich gerne ab dem nächsten gehörten Spielkommentar überzeugen mag, dass keiner der Sätze abgesondert wird für die in Führung liegende Mannschaft –, dann wäre ja klar, dass man nicht anhand der Spielsituation sondern anhand des Spielstandes kommentiert. Bei Unentschiedenen Spielständen ist es häufig so, dass die Floskeln wechselseitig für beide Mannschaften eingesetzt werden und dazu, aber eigentlich als logische Konsequenz, das ganze Spiel als „ganz, ganz schwach“ bezeichnet wird.
Auf dem Spielfeld ist von all dem Geseibel aber nichts auch nur ansatzweise zu erkennen. Wieder einmal hier der Vorschlag: entzieht einem zweiten Sprecher, der natürlich den gleich guten Fußball Verstand hat wie der tatsächliche, die Kenntnis des Spielstandes, und er möge die gleiche Szene kommentieren. Er würde nicht im Traume daran denken, einen der Sätze abzulassen. Das geht nur und ausschließlich bei Kenntnis Spielstandes. Wie wollen die beiden sich denn hinterher unterhalten darüber? Der eine spricht von obiger Mangelhaftigkeit, der andere nicht. Beide befinden sich auf dem gleichen Level des Verständnisses. Da müssen sie doch einfach erkennen, dass sie nicht ein Fußballspiel und nicht ein Aktion kommentieren, sondern dass sie permanent dabei sind, einen Spielstand rechtfertigen?
Abgesehen davon, dass der gleiche Mangel wie an allen anderen Stellen anzukreiden ist, dieser aber dem Sprecher: Die Aussagen sind negativ und sind langweilig zu hören. Damit kann man garantiert niemanden an das Spielgeschehen fesseln. Er soll dabei bleiben, um die grauenvollen Ketten von Fehlleistungen anzuschauen? „Nee, danke, nicht mit mir.“
Die Spieler, denen der Bewegungsmangel unterstellt wird, sehen sich der riesigen Aufgabe gegenüber, der jeder Fußballer heute, zumindest im Profigeschäft, ausgesetzt ist: Wie um alles in der Welt sollen wir denn bloß ein Tor erzielen? Die Abwehrreihen sind in der Überzahl – und das gilt noch mehr, wenn man einem Tor hinterher jagt –, die Abwehrspieler stehen kompakt, sind robust, oft gar größer, und haben sämtliche Fußball Regeln auf ihrer Seite. Man schafft es eben nicht, eigentlich. Man versucht es aber dennoch. Der Ball führende sucht eine Anspielstation, die nicht am Ball befindlichen Spieler seiner Mannschaft suchen ein freies Plätzchen, man versucht, in die Position für den genialen, finalen Pass zu kommen. Jedoch ist es ein unendlich weiter Weg. Und vor allem: Wenn man ihn einmal dann doch findet, dann …. kippt der Kommentar sofort um, denn im gleichen Moment treffen alle Abwehrdefizitsfloskeln zu.
Sich selbst feiern geht natürlich auch. Das funktioniert so: „Endlich haben sie mal schnell gespielt.“ oder „sehen Sie, so einfach geht das“. Weil: Er hat ja den Mangel vorher angesprochen. Er sagte ja zuvor, dass es schneller gehen muss. Wenn das Tor fällt, beruft er sich darauf. Überwiegen tun aber bei Weitem die Mängel der Gegenseite…
zu 5) „katastrophale Stellungsfehler“
zu 6) „freundlicher Geleitschutz“
zu 7) „das geht viel zu einfach“
zu 8) „da schauen alle zu“
zu 9) „komprimierte Langeweile“
zu 10) „seien wir mal ehrlich: ein ganz schwaches Spiel“
zu 11) „Tore fallen durch Fehler“
zu 13) „da zögert er zu lange“
zu 14) „da muss er gleich spielen“
zu 15) „das muss er selber probieren“
zu 16) „da muss er ablegen“
zu 17) „zu uneigennützig“
zu 18) „zu egoistisch“
zu 19) „da muss er mehr draus machen“
zu 20) „so wird das nix“
Abschließend noch zwei Punkte, die gesondert behandelt werden.
33) die erklärte Fehlerhaftigkeit während eines Angriffs
34) die Vorsilbe „zu“ im Allgemeinen