Wanja spricht mit seinen Kindern, heute über…
Fairplay
Die heile Welt in Putoia erinnerte schon ein wenig an „Pleasantville“ oder „Die Truman Story“ und irgendwie muss man als Leser oder Zuschauer doch irgendwie auf den „twist in the tale“ warten? Wann merkt Truman etwas, wann möchte er die Welt erkunden, wann verliebt sich einer und bekommt Farbe im Gesicht, anders als all die anderen, wann trifft ein Spieler nicht mit dem Basketball in den Korb, so dass die Menge vor Fassungslosigkeit schweigt, weil so etwas noch nie vorkam? Schauen wir mal. Da aber zunächst meist vom irdischen Fußball die Rede war, bleibt von „heiler Welt“ nicht allzu viel zu berichten. Hier in Putoia war es dennoch beschaulich, ruhig, in und vor den Stadien die Stimmung meist in etwa vergleichbar mit dem „Sommermärchen“ 2006 bei der Fußball Weltmeisterschaft in Deutschland, als für fünf Wochen eine Stimmung von Einheitlichkeit, Vorfreude, Begeisterung, Verbundenheit, gemeinschaftlicher allgemeiner Feierfreude vorherrschte, von welcher im Grunde jeder – ob nun Fußballanhänger oder nicht – erfasst wurde. Nur war es hier eigentlich noch ein bisschen schöner, wenn man es ganz genau nimmt.
Wanja hatte seine Art, den Kindern die irdischen Zustände – außerhalb der WM 2006 – zugänglich zu machen. Warum sie so aufmerksam lauschten? Es war einfach faszinierend. Und sie wussten es, nach und nach, dass sie die „himmlischen“ Zustände hier mit ihrem Vater zu verdanken hatte. Es lohnte also. Abgesehen davon, dass man sich, nach den Gesprächsrunden, noch ein wenig mehr auf das freuen konnte, was einem bevorstand. Fußball. So, wie er sein sollte, so, wie er Spaß machte, so, wie er fair und gerecht war, so, wie alle ihn liebten, ob Betreibende oder Zuschauer.
Wanja eröffnete die heutige Runde: „Fairplay? Wie stellt ihr euch das vor?“ „Was für eine Frage, Papa? Was ist das Gegenteil? Gibt es das oder gab es das?“
„Fairplay ist demnach immer. Stimmt. Man hält sich an die Regeln. Damit ist es noch kein Fairplay. Man könnte es so ausdrücken: Fairplay ist dann, wenn man eine Ungerechtigkeit zu seinen Gunsten erführe und auf den daraus sich ergebenden Vorteil verzichtet. Macht das einen Sinn?“ „Ok. Als Beispiel: der Schiedsrichter gibt uns einen Einwurf, obwohl unser Spieler – wie er selbst wahrnimmt und somit sicher ist – den Ball zuletzt berührt hat. Wir machen den Einwurf zwar – dem Schiedsrichter sollte man nicht widersprechen, das würde langfristig auch nicht gut sein für das Spiel –, aber wir werfen den Ball direkt zur gegnerischen Mannschaft. D´accord?! Aber das kommt hier durchaus vor und nicht einmal so selten.“
„Ok, super. Aber wisst ihr auch, wie es auf der Erde zuging?“ „Ansatzweise schon. Auf jeden Fall hatte es mir Fairplay, so wie wir es verstehen, wenig zu tun.“
„Absolut richtig. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb gab es sogar Preise für Spieler, welche sich besonders auffällig fair verhalten haben. Aber bevor ich auch ein paar Beispiele erzähle, möchte ich euch kurz mal die Geschichte dazu erzählen. Wollt ihr die hören?“ „Jaaaaa.“ Ertönte es, wie aus einem Munde.“
„Nun gut, es dauert aber einen Moment, bis man es so richtig gut versteht. Keine Frage natürlich, dass sich die Spieler untereinander viel mehr respektierten in früheren Zeiten, dass man intuitiv vor Attacken zurückschreckte, welche den Gegner hätten verletzen können. Beispielsweise gab es früher mal eine Regel, die nannte sich ´Kopf zu tief´. Könnt ihr damit was anfangen?“ „Hmm, nein, was war das?“
„Wie schon gesagt hätte man sich intuitiv davor gehütet, dem Gegenspieler ein Leid zuzufügen, selbst wenn es um Ruhm und Ehre und später auch mehr und mehr um Geld ging. Dennoch hätte man nicht nach dem Ball getreten, wenn sich eines Gegenspielers Kopf in der Nähe befunden hätte. Man zieht den Fuß also zurück, obwohl das Spiel ja Fußball heißt. Man dürfte eigentlich, aber weil sich ein Kopf in Ballnähe befindet, bekommt man den Ball nicht, da man es erst gar nicht versucht, aus Sorge um des Gegners Kopf und einer resultierenden Verletzung auf sein Recht verzichtet.“ „Das ist doch klar? Das macht man doch nicht?“ „Nein, so etwas macht man nicht. Richtig. Nur bedeutete ´Kopf zu tief´ eben genau, dass man in dieser Situation nicht selbst daran schuld ist, sondern der Gegenspieler, welcher den Kopf zu tief hielte. Es war zwar keine genaue Höhe festgelegt, aber es war irgendwie jedem klar, wann der Kopf zu tief war.“ „Ja, eine durchaus sinnvolle Regel.“
„Das war auch nur ein Beispiel für den fairen Umgang miteinander. Irgendwann ist die Regel unmerklich aus dem Regelwerk verschwunden. Man kümmerte sich nicht um ´Weicheier´ und zutreten tat so oder so jeder, nach allem, was sich so bewegte. Und die Köpfe haben sie sich auch dauernd aufgeschlagen, ob mit Füßen – welche längst, durch anwachsende Athletik, weit über Kopfhöhe hinaus kamen –, durch Köpfe, welche zusammenrasselten, durch Ellenbogen, welche überall in der Luft herumflogen, gerade, wenn der Gegenspieler ebenfalls hochsprang und man ihn so auf Distanz halten konnte. Als Ausrede und warum dies oftmals gar nicht mehr geahndet wurde, galt dann: ´man springt nun mal so, mit angewinkelten Ellenbogen, das macht doch jeder so´ und egal, wie viel Blut da oft aus dem Wunden sprudelte: das juckte niemanden mehr und ein Foul oder gar eine rote Karte war es schon gar nicht. ´Unglücklich´ hieß es dann. Im Strafraum vergrößerten sich die Rechte für die Abwehrspieler speziell noch einmal erheblich, denn als Kouemaha Sebastian Prödl einmal mitten ins Gesicht trat, während Prödl mit seinen 1,94m den Ball gerade in aufrechter Haltung über die Linie befördern wollte und nach dem Tritt nicht nur direkt blutend zusammenbrach sondern geradewegs ins Krankenhaus abtransportiert wurde, lautete die Entscheidung auf ´weiterspielen´. Weder Foul noch Elfer noch Tor noch Rot. Nur ein halbtoter Spieler und ein 0:0 am Ende.“
„Hast du die Bilder von der Szene? Das musst du uns mal zeigen? Das ist doch zu schaurig, um wahr zu sein?“ „Zeige ich euch, na klar.“
Die Kinder waren schockiert, so, wie es jeder andere sein musste, der noch ein Rest Gefühl oder Gerechtigkeitssinn hätte. Das konnte einfach nicht sein. Und da nützte es auch nicht so viel, dass dies a) als Fehlentscheidung gewertet wurde und b) Kouemaha direkt nach dem Spiel ins Krankenhaus fuhr, um sich bei Prödl nach dessen Befinden zu erkunden und sich zu entschuldigen. Es war nun mal geschehen und sprach Bände für die schreckliche Entwicklung, welche der irdische Fußball genommen hatte und welche sich anscheinend nicht aufhalten ließ.
„Aber die Geschichte von einem angeblichen Fairplay ist damit noch längst nicht erzählt. Dies waren eher kleine Einführungsbeispiele, um deutlich zu machen, in welch falsche Richtung das alles lief. Die häufig auftretende Spielsituation, von welcher ich eigentlich einleitend erzählen wollte, war die folgende: ein Spieler liegt verletzt am Boden. Die gegnerische Mannschaft ist in Ballbesitz. Der Schiedsrichter scheint nichts zu bemerken. Ein Spieler der Mannschaft in Ballbesitz spielt den Ball ins Aus. Der am Boden liegende Spieler wird behandelt, die nun dank ´Fairplay´ in Ballbesitz gelangte Mannschaft spielt den Ball nach dem ihr zugesprochenen Einwurf zurück zum Gegner. Die Zuschauer klatschen, weil sie das als Fairplay anerkennen, zu schätzen wissen, gerne sehen und dankbar sind. Haltet ihr diese Abfolge für ein Beispiel von ´Fairplay`?“
„Ja, das könnte man doch so bezeichnen? Was ist daran faul? Könnte hier auch gut passieren, nur gibt es hier sehr selten Verletzungen und außerdem würde man sofort merken, wenn sich jemand was getan hätte, auch der Schiri und das Spiel wäre so oder so unterbrochen. Einfach so liegen bleiben würde hier eh keiner.“
„Also es war, so wie ich es beschrieben habe, vielleicht ganz anfänglich tatsächlich eine Art ´gentleman agreement´, dass man sich so verhielte. Nur könnt ihr euch wohl kaum vorstellen, was die Erdlinge daraus im Laufe der Zeit gemacht haben?“ „Das können wir, nach allem, was du uns bisher erzählt und gezeigt hast, nur erahnen. Aber sprich weiter.“
„Zunächst mal war es so, dass, immer, wenn ein Spieler am Boden lag und ein Konterangriff, oft gar ein vielversprechender, lief, die Mannschaft von Pfiffen aus dem Publikum gezwungen wurde, den Ball ins Aus zu spielen. Zugleich war es logischerweise so, dass der am Boden liegende Spieler oftmals gar keine auch nur ansatzweise schwere Verletzung hatte sondern die Gunst der Stunde, nach eigenem Ballverlust, erfolglosem Nachsetzen und Fallen, da er den Ball nicht mehr erreichen konnte, nutzte und einfach so liegen blieb. Eine Überprüfung seiner Verletzung blieb aus und war vielleicht auch unmöglich. Ein Indiz auf jeden Fall, dass er oftmals nach kurzer Behandlung ohne jegliche Einschränkung weiterspielte.“ „Da ist das Fairplay doch auf den Kopf gestellt?“ „Genau deshalb erzähle ich es ja auch. Es wurden immer nur sinnlose, in die falsche Richtung gehende Regeln aufgestellt und deren Ausnutzung oblag den Spielern, aber sie machten reichlich Gebrauch davon. Einen Vorwurf kann man ihnen nicht machen, wie ihr wisst, denn…?“ Hier konnten die Kinder erneut wie aus einem Munde antworten, das kannten sie „… das Ergebnis war alles, was auf Erden zählte und jedes Mittel zum Erreichen eines Erfolges war recht und wurde von den Medien nicht nur vorgegeben sondern im Nachhinein auch geheiligt.“ Selbst wenn hier Authentizitätsverluste bei der Übermittlung dieses Wortlauts möglich sind, der Sinn war exakt dieser. Man hätte hier noch ergänzen können, dass nicht nur jeder Verlierer eine untergeordnete Rolle spielte und eben als Verlierer und Erolgloser galt, sondern es wurde nach allen Regeln der Kunst auf ihm herum gehackt, im mildesten Beispiel mit ´da fehlte ihm die Cleverness´. Wie konnte es beispielsweise sein, dass Jürgen Klopp ein so überragender Trainer war, welcher SECHS MAL in ein Finale einzog mit seiner Mannschaft, aber, da er keines davon gewann, als Musterbeispiel für Erfolglosigkeit angeführt wurde, während alle anderen, im Achtel-, Viertel- oder Halbfinale ausgeschiedenen nicht nur unmittelbar mit ihm getauscht hätten sondern auch noch absolut unberührt blieben in ihrer Beurteilung, also auch nicht als ´erfolglos´ galten, obwohl sie doch viel weniger weit gekommen waren als Klopp? Das alles war purer Unsinn und alles Medienmache. Aber wem wollte man das hier erzählen?
„Die beschriebene Szene“, setzte Wanja fort, „entwickelte sich noch weiter. Der Ball wurde oftmals nur widerwillig, aber aufgezwungen, ins Aus gespielt, oftmals der Ärger berechtigt. Die Zuschauer klatschten vielleicht noch immer, aber nur noch routinemäßig, da alles rundherum aufgesetzt war und zum Himmel stank. Das Zurückspielen des Balles geschah auch eher widerwillig und meist wurde der Ball, welcher aus einer vielversprechenden Situation ins Aus gespielt wurde — eben von Zuschauern so aufgezwungen, die zu pfeifen begannen – nicht etwa an der betreffenden Stelle zurückgespielt sondern er wurde weit in die gegnerische Hälfte geschlagen, in Richtung der Grundlinie und, sobald er dort runterkam wurde auch unmittelbar nachgesetzt um einen Ballverlust zu erzwingen, was natürlich oft genug gelang, es war rundherum eine Farce. Und als die Regeloffiziellen irgendwann merkten, dass da so ziemlich alles dran faul war, gaben sie eine neue Regel aus, dass ALLEIN DER SCHIEDSRICHTER zu befinden hätte, ob eine Spielunterbrechung anzuordnen war. Auch dies eine Farce, denn natürlich war er damit überfordert und pfiffen die Zuschauer weiterhin – meist natürlich jene von dem am Boden liegenden Spieler – und zwangen den Schiedsrichter denn so oder so zur Spielunterbrechung. Abgesehen davon, dass oftmals die gegnerischen Spieler einfach stehen blieben und gar nicht mehr agierten, auf den eigenen ´Verletzten´ deutend, woraufhin der Konter einfach abgebrochen werden musste. Hätte man aus dieser Szene ein Tor erzielt, dann wäre dies mit Sicherheit aberkannt worden. Es stimmte nichts daran – und niemand da, der dem unsinnigen Treiben Einhalt gebot. Fairplay? Ein Witz und sonst gar nichts.“
„Wie hätte man das denn machen müssen, meinst du?“ Wie üblich fing Wanja immer bei Adam und Eva an, aber hier meinte er nur kurz : „Natürlich so wie hier. Anfangen tut es damit, dass wir sein Spiel spielen wollen, dass wir uns an die Regeln halten, dass jeder weiß, dass es keinen Nutzen bringt, diese zu übertrene , dass wir die Zuschauer gut unterhalten wollen und dass das Ergebnis NICHT das Einzige ist, was zählt und noch nicht einmal das Wichtigste, selbst wenn wir weiterhin mit Ehrgeiz unseren Sport betreiben.“
Ja, das leuchtete ein.
„Das eigentlich anschaulichste Beispiel für die verkommene Fußballwelt im Zusammenhang mit ´Fairplay´ auf Erden kommt aber erst noch. Seid ihr bereit?“ Zustimmendes Nicken.
„Es gab Preise für besonders auffälliges Fairplay. Vermutlich, weil es so selten war? Nun sollte man den Grundgedanken nicht verurteilen. Aber die Entscheidung? Das Beispiel dieses: bei der Europameisterschaft 1996 kam es im ersten Gruppenspiel zwischen Kroatien und Türkei vier Minuten vor Schluss zu folgender Szene: der Kroate Vlaovic war nach einem Eckball der Türkei auf der Gegenseite auf und davon, auf dem Weg doch noch das 1:0 für Kroatien zu erzielen. Der Einzige, welcher ihn hätte aufhalten können, war der Abwehrspieler Alpay Özalan, welcher jedoch nur in einem Moment mal die Chance hatte, ihn umzulegen. Niederreißen, reingrätschen, eine der Optionen. Was glaubt ihr hat er gemacht?“ „Hmm, die Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Thema ist ´Fairplay´, hier ganz speziell Preise. Aber ansonsten wissen wir auch, dass es ein Missverhältnis gab zwischen Regelverletzung und Strafe. Also ich komme nicht drauf“, sagte einer der Jungen. Auch die anderen blieben stumm und dachten nach. „Nein, was passierte denn nun?“
„Nein, er hat ihn nicht gefoult. Vlaovic lief weiter zum Tor und erzielte das 1:0. Die Türkei schied aus.“ „Hmm, ja, ok, was ist daran nun spektakulär?“
„Zunächst einmal konnte Alpay ja nicht sicher sein, dass der Stürmer den Ball tatsächlich versenkt. Außerdem ist nicht gesichert, dass eine angesetzte Grätsche oder das Umreißen des Angreifers Erfolg gebracht hätte. Zudem hätte er sich, bei Ausübung einer Notbremse, gesichert auf der Tribüne wiedergefunden aufgrund der Sperre, welche eine rote Karte nach sich gezogen hätte. Dann waren noch ein paar Minuten zu spielen und man hätte den Ausgleich schaffen können. Gesichert war auch noch nicht, dass die Türkei nach diesem Gegentreffer ausgeschieden war. Also könnte man sein Verhalten auch als ´wohlüberlegt` deuten. ´Ich könnte ihn jetzt umnieten. Dann bin ich raus. Vielleicht halten wir das 0:0, aber wir könnten auch, wegen meines Ausfalls, noch verlieren. Falls ich ihm umhaue, spiele ich im nächsten Spiel auf keinen Fall. Die Zuschauer werden pfeifen, die Welt wird mit den Fingern auf mich zeigen als bösartigen Sünder, der sich nur mit einer Notbremse zu helfen wusste und damit dem Gegner eines möglichen Sieges beraubt hat. Ausgeschieden sind wir noch nicht, verloren haben wir auch noch nicht. Ich weiß auch nicht sicher, ob ich ihn erwische. Ich könnte mich oder ihn verletzen. All dies zusammen ergibt den weisen Entschluss: ich lasse ihn laufen, versuche gar nicht erst die Notbremse´. Also: insgesamt ein weiser Entschluss, oder?“
„Könnte man so sagen. Wo ist nun die Pointe an dieser Geschichte?“
„Ihr habt es schon vorhin gesagt. Es ging um einen Preis. Und jener Preis wurde an diesen Spieler vergeben, für eine unterlassene Notbremse.“
„Das kann doch nicht sein? Wenn man es genauer bedenkt, dann würde ein Spieler einen Preis erhalten, welcher sich an die Regeln gehalten hat, was den Schluss nahelegt, dass SICH SONST KEIN ANDERER an die Regeln gehalten hat?“ „In etwa so könnte man es ausdrücken. Abgesehen von den ganzen anderen Überlegungen, welche bei Abwägung zwischen grober Unsportlichkeit und sich einfach an die Regeln halten keinen so riesigen Unterschied erscheinen ließen. Noch absurder an dieser ganzen Geschichte ist natürlich die Ursache: warum war sich die Welt einig, dass die Notbremse ein so gesichertes, günstiges Mittel ist, um die eigenen Ziele zu erreichen?“
„Spätestens hier hätte den Menschen auffallen MÜSSEN, dass die gesamten Regeln falsch sind und vollständig zu überarbeiten sind. Mit einer groben Unsportlichkeit einen Vorteil herausholen, wie sich alle sicher waren? So etwas käme hier nie und nimmer vor.“
„Ganz klar, Kinder“, sprach Wanja weiter, „dennoch habe ich auch über diese Szene und den Preis weiter nachgedacht, wie es dazu kommen konnte oder, wie man den Menschen das noch anschaulicher machen konnte, vielleicht mit einem Vergleich? Dabei stieß ich auf folgenden ersten Gedanken: es gab tatsächlich keine weiteren Szenen, welche auch nur ansatzweise in Betracht kamen, von den Juroren ausgewählt zu werden als Konkurrenz zu der Alpay Szene – wobei es weiterhin aberwitzig bleibt, dass es diese Szene in die Auswahl geschafft hat. Dennoch ist die gesammelte Erkenntnis daraus, dass es hier, da und dort und weit und breit und nirgends Fairplay gab. Das müsste doch jeder einsehen?“ „Uns brauchst du das nicht zu sagen. Die Erdlinge sind schon komische Gestalten, aber an diese richte deine Botschaft.“
„Recht so, ja, stimmt. Ich überlegte mir nur, ob es vielleicht doch einen zweiten Kandidaten gab? Da kam mir die Idee: auf dem zweiten Platz landete ein Spieler, welcher ein Messer dabei hatte, in den Stutzen eingeschmuggelt, und von diesem keinen Gebrauch machte. Er zeigte es direkt nach Schlusspfiff den Schiedsrichtern, welche zunächst um ihre Gesundheit fürchteten, dann aber begriffen, dass er es nur zeigen wollte, nicht aber gegen sie verwenden. Wie gesagt: nur Platz 2. Obwohl eigentlich offensichtlich war, dass er eine größere Straftat unterlassen hatte als Alpay, insofern eigentlich vorne lag. Hier überragte aber der Punkt der Nachweisbarkeit: bei Alpay war es offensichtlich, für die Zuschauer, der Spieler mit dem Messer hatte da klare Nachteile, also Alpay rückte auf 1.“
„Papa? Das nennt man ´Sarkasmus,´, so weit ich weiß?“
„Ja, da ist was dran. Aber ich habe mir noch mehr Beispiele überlegt. Eines so: man kauft sich ein nagelneues Fahrrad und stellt dies auf einer wichtigen Verkehrsstraße ab, ohne es anzuschließen. Man versteckt sich und beobachtet, die Menschen und das Fahrrad. Die ersten tausend laufen vorbei, ohne es überhaupt zu beachten. Der eintausenderste schaut es sich an und stellt fest, dass es nicht angeschlossen ist, das sieht man an seiner überraschten Reaktion. Nur denkt er nicht daran, es zu entwenden. Eher überlegt er wohl, wie er oder ob er es beschützen solle/könne, bis der rechtmäßige Besitzer wieder einträfe? Schließlich geht er doch weiter. Nach sechs Stunden findet sich jemand ein, dem man ansieht, dass er eine Gelegenheit sucht, es nehmen zu können. Allerdings scheint es ihm letztendlich zu auffällig, da zu viele Menschen unterwegs sind. Spät abends, als kaum noch Menschen dort sind, kommt er aber erneut vorbei, vermutlich auf seinem Rückweg. Er sieht das Fahrrad noch immer dort stehen. Er kämpft mit sich, er wüsste, dass er nun nicht erwischt würde. Aber: er lässt es trotzdem stehen. Nun endlich hat man den Kandidaten gefunden, welcher mit dem Preis ´ehrlichster Mensch im Universum´ ausgezeichnet werden kann? Man rennt ihm rasch hinterher. Er hat zwar kein schlechtes Gewissen, aber dennoch Angst. Schließlich bekommt man ihn, hängt ihm die Urkunde um und überreicht ihm den ordentlichen Preis, ohne, dass er je daran dachte, irgendwie für seine schlechten Überlegungen belohnt zu werden? Macht es das vielleicht anschaulicher? Er war von hunderdtausenden der einzige, der eine Straftat erwogen hat und die Gelegenheit dazu hatte – und er bekommt einen Preis dafür? Man müsste nur noch hinzufügen, dass im gleichen Zeitraum in der gesamten Großstadt sechsundachtzig Fahrräder gestohlen wurden, welche allesamt angeschlossen waren. “
„Es bleibt dabei, Papa, du bist sarkastisch.“
Gascoigne Helmer? Michael Owen Alpay Tottenham Tor nach Fairplay