Fair Play ist wirklich ein wunderschönes Wort. Vor allem, da Englisch. Und der dahinter stehende Gedanke erst! Wirklich groß. Nur darf die Fragestellung erlaubt sein, wo es dieses im heutigen Fußball noch geben soll?
Ich picke mir hier mal eine bestimmte Spielsituation heraus und möchte diese im Spiegel der Zeit betrachten und wie das Fair Play dabei nach und nach nicht nur verschwunden sondern sogar längst ins Gegenteil verkehrt wurde. Natürlich möchte ich auch gerne Vorschläge unterbreiten, wie man es wieder gewinnen kann. Und damit dem Fußball und der nach wie vor großen Fangemeinde etwas Gutes tun kann.
Es gab mal eine Zeit, da haben die Spieler intuitiv auf dem Platz entschieden, wenn sich jemand verletzt hatte, ernsthaft verletzt hatte, und sie haben mit dem Spielen aufgehört. Ein aufmerksamer Schiedsrichter hat dann die Sanitäter auf den Platz gelassen, um dem Manne die erforderliche Hilfe zukommen zu lassen. Im Anschluss daran hat er, egal welche Mannschaft gerade im Ballbesitz war oder gewesen wäre, das Spiel den Regeln entsprechend mit einem Schiedsrichterball fortgesetzt. Die Mannschaften waren sich sehr schnell einig, wem der Ball zugestanden hatte oder hätte und diese Mannschaft durfte dann das Spiel auch fortsetzen.
Dann kam eine Zeit, da die Mannschaften nicht mehr mit dem Spielen aufhörten sondern stattdessen den Ball ins Aus beförderten, nachdem sie entweder selber bemerkten, dass jemand sich ernsthaft etwas getan hatte oder sie wurden darauf vom Gegner oder von den Zuschauern aufmerksam gemacht. Keine Einwände. Die Behandlung konnte durchgeführt werden, der Spieler versorgt, das Spiel fortgesetzt, mit dem Einwurf für die Mannschaft, welcher der Ball nicht zugestanden hätte. Diese Mannschaft hat sich dann mit einem Gentlemen agreement bedankt, indem sie den Ball der anderen Mannschaft wieder zuwarf. Die Zuschauer wurden auf diese Art sogar in den Deal mit einbezogen, denn sie wurden zum freundlichen Applaus aufgefordert, und sind dieser Aufforderung gerne nachgekommen. So weit wäre es noch akzeptabel.
Was geschah aber nach und nach? Der Ball, der möglicherweise in einer viel versprechenden Situation, weit in der gegnerischen Hälfte, in einer Angriffssituation ins Aus gespielt wurde, wurde zunächst vom Gegner – jenem Team mit dem verletzten Spieler, die also hätten dankbar sein müssen — weit in die gegnerische Hälfte zurückgeschlagen, anstatt den Ball direkt zuzuwerfen. Die Mannschaft, die ihren Angriff unterbrochen hatte um die Behandlung eines verletzten Spielers zu ermöglichen sah sich plötzlich mit einer wesentlich ungünstigeren Situation konfrontiert. Aus „viel versprechender Angriff“ wurde mit einem Mal „wie können wir uns hier wieder befreien“, vor allem, da der Gegner, nach dieser „absolut fairen und mit Beifall bedachten Rückgabeaktion“ doch seine Pflicht erfüllt hatte und selbstverständlich das Recht erworben hatte, sofort wieder nachzusetzen und den Gegner unter Druck zu setzen. Tja, hier beginnen bereits die ersten ernsten Zweifel an dem noch immer so genannten „Fair Play“.
Das genügte aber noch lange nicht. Denn nun kam eine Zeit, wo die Mannschaften und vor allem die dazugehörigen Spieler allmählich merkten, dass man, am Boden liegen bleibend, quasi immer, da von den Zuschauern geschützt — die durch allmählich anschwellendes Pfeifen darauf aufmerksam machten — eine Spielunterbrechung provozieren konnte. So begab es sich, dass vor allem Spieler, die mit einem dummen Ballverlust einen gefährlichen Konter hervorgerufen hatten — natürlich nicht ohne bei dem entscheidenden Ballverlust noch rasch den Betrugsversuch zu unternehmen, gefoult worden zu sein und dabei entsprechend hin zu fallen –, einfach am Boden liegen blieben.
Was geschieht nun? Die Spieler, deren „gefoulter und verletzter“ Spieler einfach ungeachtet der körperlichen Malässen am Boden liegt, stellen plötzlich den Widerstand ein. Die Zuschauern beginnen mit dem Pfeifkonzert und die Angreifer, die gerade bereit waren, auszuschwärmen und den reichlich vorhandenen Platz vor ihnen nutzen wollen um zum Torerfolg zu gelangen, werden gezwungen, den Ball ins Aus zu spielen. Sie tun das, inzwischen längst höchst widerwillig (es gab in England man ein Spiel, wo sie es nicht getan haben und den Konter verwertet haben; die andere Mannschaft legte Protest gegen die Spielwertung ein; es war ein regelrechter Skandal). Der schwer verletzte Mann wird vom Medizinmann mit einem Wundermittel innerst Sekunden geheilt, die Mannschaft des „verletzten“ Spielers gibt den ihnen zugesprochenen Einwurf auch ganz korrekt wieder zurück an die andere Mannschaft – ja, sie schlagen den Ball weit in die gegnerische Hälfte, so dass er möglichst nahe der Eckfahne ins Aus geht, apropos „viel versprechender Konter“ –und die Zuschauer klatschen dennoch artig ihren Applaus.
Das Fair-Play wird ein bisschen wie der Ball behandelt: Mit Füssen und getreten…
Als die Offiziellen übrigens bemerkten, dass nicht jeder fallende Spieler seine Windungen am Boden der Schwere der Verletzung entsprechend vollzog und somit doch etliche gute Gelegenheiten unterbunden wurden, kamen sie zu der Erkenntnis, dass man es doch nicht ausschließlich den Obliegenheit der so aufmerksamen Zuschauer und auch nicht dem Gebaren der Gegenspieler auf dem Felde überlassen sollte, wann das Spiel zu unterbrechen wäre, sondern dass es ausschließlich dem Schiedsrichter zusteht. So wäre man wieder bei der guten alten Regel. Wie früher eben. Wenn sich einer wirklich verletzt, wird unterbrochen.
Nur wird man die Geister, die man rief, nicht so einfach wieder los. Die Volksseele, einmal zum Kochen gebracht, lässt sich nicht so einfach abkühlen. Das bedeutet, dass es eine große Unsicherheit seitens der Spieler und der Pfeifenmänner gibt. Die Spieler wissen, dass sie die Zuschauer gegen sich bekommen können, wenn sie einfach weiter spielen. Der Schiri, der sicher oftmals merkt auf dem Spielfeld, dass es keine ernste Verletzung ist, wird ebenfalls verunsichert. Er würde die Regel gerne anwenden, nur darf er nicht. Die Zuschauer murren oder pfeifen.
Hier ein recht aktueller Fall, der zur Aufzeichnung Anlass gab:
Am Freitag, dem 20. November 2009, kam es in der Paarung Düsseldorf – Cottbus aus der zweiten Bundesliga folgende Spielsituation: Ein Düsseldorfer Spieler ging in der eigenen Hälfte zu Boden, als Cottbus im Angriff war. Die Cotbusser Spieler waren verunsichert und wussten nicht so Recht, was sie zu tun hätten. Sie schoben den Ball zwei, drei Mal hin und her. Als Auswärtsmannschaft hat man es noch schwerer, gegen die kochende Volksseele anzukommen. Sie hofften wohl, dass der Spieler sich rasch erholen und aufstehen würde, so dass sie ihren Angriff fortführen könnten. Außerdem könnten sie sich ja auch auf die Regeln berufen, dass der Schiri für die Spielunterbrechung zuständig zu sein hätte und weiter angreifen. Sie wollten aber gar nicht unfair sein, obwohl sie gut wussten, dass die Spieler ihre Verletzungen oftmals nur simulieren. Einige hören sogar auf zu spielen, gingen nicht mehr in Position, vor allem, da sie damit rechnen mussten, dass der Ball jeden Moment ins Aus geschoben würde, da sich der liegende Spieler einfach nicht zum Aufstehen bequemen mochte, möglicherweise doch wegen einer Verletzung.
Plötzlich ging ein Düsseldorfer Spieler energisch dazwischen. Er eroberte den Ball für seine Mannschaft. Vergessen der liegende Spieler, vergessen jeglicher Fair-Play Gedanke. Plötzlich war Raum da vor ihm, da die Cottbusser aufgehört hatten zu spielen. Der Raum wurde weidlich genutzt, der Angriff perfekt vorgetragen, das 2:1 erzielt. Der Kommentar fiel typisch deutsch, also peinlich und ohne jegliches Feingespür, aus mit einem „da sind sie selber Schuld, sie hätten den Ball ja ins Aus spielen können.“ Aber der Ball war drin, das Tor zählte.
Entsetzen allenthalben, Reklamationen der Cottbusser, deren Inhalt der Mann mit der riesigen Luftblase im Kopf, also der am Mikrofon, sicher nicht vermitteln konnte, die man sich aber selbst zusammen reimen konnte. Der Trainer der Cottbusser, „Pele“ Wollitz, entrüstete sich, weil er sah, dass seine Leute zu spielen aufgehört hatten, eben um den Ball ins Aus zu spielen, um fair zu sein, er ihnen dann aber einfach weggespitzelt wird, der Verletzte sich sicher per Wunderheilung längst wieder erhoben hatte, da ihm signalisiert wurde „hey, wir ham die Pille“, dass die Düsseldorfer sich selber ihr Gewissen rein waschen, indem sie sich sagen: „Ihr habt doch weiter gespielt“ und so weiter, sind alles Dinge, die man nebenbei wahr nehmen könnte – und vermitteln (obwohl das kaum hierher gehört). Es ändert nicht viel an einer unglaublichen gefühlten Ungerechtigkeit.
Das ist aber nicht auf diese einzelne Spielsituation bezogen. Es ist die Ungerechtigkeit, die dem ganzen Spiel inne wohnt. Die Erkenntnis, dass die Wahl der Mittel zum Erzielen der Erfolge abschließend gleichgültig ist, die Erkenntnis, dass die Kommentatoren niemals auch nur das kleinste bisschen an Feingefühl aufbringen würden, für eine Spielsituation oder für einen Verlierer, die Erkenntnis, dass es definitiv kein Fair-Play gibt, die Erkenntnis, dass die Medien einem nur ein Spielziel vorgeben wollen, welches man einfach nicht bereit sein kann zu akzeptieren, nämlich das Siegen, und die Erkenntnis, dass es niemals mehr ein Plätzchen für einen Verlierer geben wird auf dieser Welt, sind allesamt geeignet, einem die Freude an diesem Sport zu verleiden.
Übrigens hatte die Schiedsrichterin, Frau Bibiana Steinhaus, in der Nachspielzeit noch ein absolut korrektes Tor der Cottbusser zum 2:2 Ausgleich aberkannt. Der Ball kam per Eckstoß in den Strafraum, ein Cottbusser köpft ihn ein. Der Torwart kam nicht zum Ball, weil er, wenn überhaupt, vom eigenen Spieler behindert wurde. Jedoch ist es auszuschließen, dass es zu einem aus dem Strafraum erzielten Tor kommt, in der es keinerlei Körperkontakt gibt, nirgends. Das bedeutete, dass in der Nachanalyse der Spielsituation die Experten rätselten, was sie wohl gesehen oder gegeben haben mag, eigentlich ergebnislos verlief, falls man davon absieht, dass es hieß: „sie wird irgendein Zupfen oder Ziehen oder Schieben gesehen haben.“
Dass hier die Frage aufgeworfen werden soll, dass, selbst wenn es etwas so gegeben hätte, dass es garantiert der Stürmer am Verteidiger verübt hat und nicht umgekehrt? Und wenn es in dieser Situation auch so gewesen sein mag, dass tatsächlich ein Stürmer einen Verteidiger regelwidrig berührt haben sollte, dann folgt die nächste Frage: Wenn es aber beim nächsten Flankenball der Verteidiger sein sollte, der auf vergleichbare Weise von Frau Steinhaus oder irgendeinem anderen Referee bei der gleichen Aktion „ertappt“ würde, dann würde er/sie doch selbstverständlich Elfmeter geben? Quitt pro Quo?
Da man sich leider die letztere Frage nur mit einem „.. in Hundert Jahren nicht“ selbst beantworten kann, so gewinnt man abschließend, und gerade im Zusammenhang mit dem jüngsten Manipulationsskandal, die letzte Erkenntnis: Der Schiedsrichter entscheidet, wie das Spiel ausgeht. Wie es Christoph Daum schon vor kurzer Zeit einmal formulierte und selbstverständlich dafür belächelt wurde, da gerade seiner Mannschaft ein absolut regelgerechtes Tor aberkannt wurde: „Die Schiedsrichter werden mehr und mehr vom Spielleiter zum Spielentscheider.“
Und falls einem nicht alles andere vorher diesen Sport schon verleidet hätte, dann ist es diese letzte Erkenntnis, die das endgültig erledigt. Falls man nicht die ganz geringe Hoffnung hätte, dass diese Worte irgendwann erhört würden…