1) Einleitung zum Fair-Play-Gedanken
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Versuch 2 einer Einleitung
Sowie man diese Wortkombination hört im Zusammenhang mit Fußball denkt man sicher automatisch an England, das Mutterland des Fußballs und zugleich Namensgeber und Urheber dieses Gedanken. Man denkt vielleicht an große Gesten, die rein ritterliches Verhalten zum Ausdruck bringen, da der so Handelnde eigene Vorteile außer Acht lässt und dem Widersacher großzügig etwas überlässt, dass diesem rein rechtlich nicht zusteht. Jemand verzichtet auf das Ausnutzen einer Chance, er hat ein tief verankertes Rechtsempfinden, welches ihm in dieser Situation befiehlt, anders zu handeln als auf Erfolgsziele ausgerichtet. Das Zurücktreten von einem eigenen Recht zugunsten eines anderen, offensichtlich sich selbst benachteiligend ist das, was es ausmacht.
Die Zuschauer wissen und wussten das zu allen Zeiten zu schätzen, so viel scheint gewiss. Man würde nach wie vor seinen Sitzplatz verlassen, um dem soeben derart handelnden spontan und ohne Rücksicht auf Parteilichkeiten zu applaudieren. Es werden sogar Preise ausgelobt, weil man sich so sehr danach sehnt, dass es diese Szenen gibt. Wobei ausgerechnet dieses eigentlich widersinnig ist. Sobald nämlich der Preis versprochen ist, könnte der Wettstreit um die Größe der Ritterlichkeit entbrennen, und allein dieses schon – eigene Bedürfnisse mit in das Denken und Handeln einbeziehen – ist schon wieder unehrenhaft.
Dennoch: Der Zuschauer wünscht es sich, sogar die Offiziellen haben einen Zusammenhang erkannt zwischen fairem, sportlichem Verhalten und der Zuschauergunst im Allgemeinen. Eine ganze Branche ernährt sich von dem Verbreiten ritterlicher Gesten, nämlich die Filmbranche. Kein Held, der jemals egoistisch handeln würde. Er tritt mit allen Kräften ausschließlich für die gute Sache ein. Er würde durchs Feuer gehen für seinen Freund, er wirft sich hemmungslos in die Kugel, sofern die schöne Frau das Opfer sein sollte, er verzichtet auf Essen und Trinken, um es einem Kind zukommen zu lassen, sofern eine Notlage ist. Eigentlich ist er für die gute Sache bereit, auf alles zu verzichten. Jeder Kriminalkommissar arbeitet zwar wie selbstverständlich und um die Uhr – ebenso selbstlos –, aber nur für die gute Sache und niemals für den schnöden Mammon.
Für Opportunismus ist kein Platz. Sämtliche Ehrbegriffe wie Selbstlosigkeit, Hilfsbereitschaft, Unerschrockenheit, Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Treue, Zuverlässigkeit, um nur einige aufzuzählen, locken die Zuschauer zu Millionen in die Kinos. Es muss doch etwas daran sein?
Nun darf die Frage erlaubt sein, warum es heute kaum noch auf den Fußballplätzen dieser Welt anzutreffen ist, vor allem im Profibereich? Gerade im Fußball scheinen die Sitten besonders verroht. Beim Tennis zum Beispiel kann man zwar sehr wohl ab und an das Kämpfen um eigenes Recht, Verbissenheit und Achtlosigkeit dem Gegner gegenüber beobachten, jedoch muss man auch nicht lange suchen, um eine faire Geste zu beobachten. Im Fußball gibt es das so gut wie gar nicht mehr.
Erinnert sei daran, dass der Türke Alpay Özalan im Spiel Türkei – Kroatien bei der EM 1996 den Fair-Play-Preis überreicht bekam aufgrund einer unterlassenen Notbremse. Wenn man sich das einmal überlegt: Ein Spieler lässt die unsportlichste aller Aktionen – welche in dieser Situation nach menschlichem Ermessen dem Team den (Teil-)Erfolg des 0:0 gesichert hätte (höchst bedenklich, dass das wohl von Erfolg gekrönt wäre; siehe Kapitel „Freistöße“ und „Was ist eine Strafe?“) – aus, und wird dafür mit einem Preis für Fairness ausgezeichnet! Na, wenn dies die fairste Geste des Turniers war! Im nächsten Turnier wird vermutlich jemand prämiert, der mit dem Beil über dem Gegenspieler hockt und dessen Bein dann nicht abhackt. Das rührt doch zu Tränen! Ein echter Ehrenmann.
Kleiner, weiterer Seitenhieb: Vermutlich dachte Alpay Özalan im Moment, als ihm Gegenspieler Vlaovic entwischte: „Ok, den sense ich jetzt nicht um und breche ihm auch nicht die Knochen. Dann kriege ich vielleicht die Auszeichnung.“ Aus solchem Holze sind wahre Kerle geschnitzt, nicht wahr?
Hier soll aber Werbung gemacht werden. Das Fair-Play ist wünschenswert. Es könnte zum Erhalt und Ausbau des Zuschauerpotenzials beitragen. Menschen zu sehen, die sich zwar bis aufs Messer bekämpfen, aber niemals die Grenzen übertreten. Man denke an einen Fritz Walter oder einen Uwe Seeler. Was verschafft diesen Spielern ihren ganz besonderen Mythos? Ganz sicher, weil einem sofort dieser Gedanke kommt: Kämpfen, fighten, Leidenschaft, tolle Aktionen, rassige Zweikämpfe, alles gern, aber Foulspiel? Niemals!
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Es sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass es auf dem Fußballplatz fair zugeht, und sofern der Fußballfreund ein wenig historisch zurückblickt, so stellt er höchstwahrscheinlich fest, dass es früher nicht nur jene Szenen wesentlich häufiger gab, sondern dass man sie — auch ohne Preisanreize — sehr zu schätzen wusste. Es könnte sogar zur Motivation werden, ein Fußballspiel anzuschauen, da man nicht nur tolle Leistungen und dramatische Spiele – nun ja, auch dazu im gesamten Text mehr, dass es diese viel zu selten gibt – sehen kann, sondern auch echte Ehrenmänner, die sich zwar — im Rahmen des Erlaubten – härtestens bekämpfen, die sich dennoch vor, während und nach dem Spiel freundschaftlich die Hände reichen können, da man zwar „Alles“ gegeben hat, es jede Menge rassige und erbitterte Zweikämpfe gab, aber man niemals Jagd auf die Gesundheit des Gegenspielers machte und im Anschluss auch der Verlierer erhobenen Hauptes vom Platz marschieren konnte, dem Gegenspieler in voller Anerkennung gratulierend. Jeder Spieler kann sich selbst am nächsten Morgen im Spiegel in die Augen schauen. Fair-Play ist ein Teil, der den Sport sehenswert macht – sofern man wieder einmal reine Faninteressen außen vor lässt.
So sehr Fair-Play also sogar im Zuschauerinteresse liegt, und damit zum Erhalt und zur Förderung des Sports geeignet wäre, so selten ist es heutzutage wirklich anzutreffen. Die Medien haben ihre Vorgaben, an denen es kein Vorbei gibt: Es gibt nur einen gefeierten Sieger. Wie er dorthin gelangt ist, wird zur völligen Nebensache erklärt. Der Verlierer ist unter allen Umständen zugleich Versager. Überhaupt nur eine Erklärung eines Trainers des Unterlegenen, der möglicherweise auf ein paar zu seinen Ungunsten verlaufenen Schiedsrichterentscheidungen verweist, der vielleicht trotz Ballbesitzvorteil und Chancenplus auf das Quäntchen Glück aufmerksam macht, dass am heutigen Tage gefehlt hat, wird milde belächelt ob seiner fadenscheinigen Ausredensuche und seiner Blauäugigkeit, die sicher nur einem Zwecke dient: Von den eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken. Sofern er sich aber auf das Ausscheiden seines besten Spielers aufgrund einer rüden und gerade einmal mit Gelb bedachten Attacke berufen sollte, hätte er noch schlechtere Karten. „Gelb war die angemessene Strafe, für die Glasknochen kann der Gegenspieler nichts und Fußball ist schließlich kein Wattepusten.“ Eine traurige (Fußball-)Welt.
2) Eine typische Szene aus dem Fußball Alltag
Eine Frage, die man wirklich einmal grundsätzlich stellen darf, lautet, wie man mit während des laufenden Spieles, also in einer Aktion, sich verletzenden Spieler verfahren sollte. Hier gibt es natürlich jede Menge Unterscheidungen zu treffen, was die Diskussion aber gerade so spannend machen kann. Eine Frage ist: In welcher Situation hat sich der Spieler verletzt? Eine weitere: Ist er wirklich verletzt? Eine dritte: Verspricht er sich etwas davon, kann seine Mannschaft von der Verletzung profitieren? Noch eine: Wie viel Verantwortung trägt der Gegner an dieser Verletzung? Noch eine: Welche Rolle hat der Schiedsrichter einzunehmen? Die anderen Fragen lauten, ob er der Heimmannschaft oder der Auswärtsmannschaft angehört, ob seine Mannschaft führt oder bei Unentschieden dennoch mit dem Spielstand zufrieden wäre. Diese letzten Gedanken ergeben aber nur graduelle Unterschiede. Denn: Es ist immer davon auszugehen, dass ein mögliches Gegentor nicht wünschenswert ist.
Der grundsätzliche Teil der Frage bezieht sich im Übrigen auf eine recht allgemeine Erwägung: Wie gut kann man prüfen, ob ein Mensch krank oder verletzt ist? Man möge nur im Alltag an die berühmte „Montagsgrippe“ denken, deren Ursache oder Ernsthaftigkeit zwar im Allgemeinen fragwürdig ist, aber im Einzelfall natürlich nicht angezweifelt werden darf. So ähnlich verhält es sich auf dem Fußballplatz. Wer liegt am Boden? Warum liegt er? Ist er wirklich verletzt? Wie sehr?
Die Fragen werden hier nicht einzeln sondern im Paket beantwortet. Am besten mit der Beschreibung einer möglichen Spielszene wie sie sich heute in allen Fußballstadien dieser Welt abspielen könnte, vielleicht real tut:
Eine Mannschaft befindet sich im Angriff, weit aufgerückt. Ein Mittelfeldmann rückt mit dem Ball am Fuß nach. Er wagt sich in ein Dribbling, welches, nach einer Standardattacke, in einem Ballverlust resultiert. Der Mittelfeldmann sieht die Dummheit seines Dribblings ein. Im Versuch, den Ball zu behaupten bleibt er noch auf den Beinen, so lange er eine Chance auf Erfolg sieht, erkennt aber doch, dass ihm nur noch eine einzige (theoretische) Möglichkeit zur Rettung bleibt: Er geht zu Boden. Natürlich versucht er rasch, ein Bein aufzuspüren, um die Aktion als „Foulspiel“ zu verkaufen. Der Schiri lässt sich aber nicht darauf ein, nun merkt er, was er angerichtet hat: Der Gegner steht zu einem gefährlichen Konter im Überzahlspiel bereit.
Auf einmal stellt er fest, dass er nicht nur gefoult wurde und der Gegner straffrei ausging, sondern auch, dass ihn das (nicht vorhandene rüde) Tackling übel verletzt hat. Er beginnt, sich am Boden zu wälzen. Die gegnerische Mannschaft, die gerade Freude strahlend mit fünf Mann die Mittellinie überquert und Platz ohne Ende vorfindet, wird von drei Dingen, die zeitgleich, vereinzelt oder nacheinander auftreten, an der Ausführung der Angriffsaktion gehindert:
Die Gegenspieler leisten keinerlei Widerstand mehr, Schiedsrichter und/oder Publikum pfeifen, beide oder nur einer, lauthals und energisch.
Jeder von ihnen hat seine Begründung für das Verhalten. Die Gegenspieler, die sich nicht mehr wehren, deuten mit ihren Gesten nach vorne, auf den liegenden Spieler, gleichgültig, ob der Schiri bereits abgepfiffen hat oder nur die Bereitschaft signalisiert oder keine Andeutung macht. Man stellt den Widerstand ein. Dann muss unterbrochen werden. Das geht gar nicht anders.
Die Zuschauer pfeifen, sofern der „verletzte“ Spieler von ihrer Mannschaft ist. Der Schiedsrichter hat vor der Saison 2009/2010 die Anweisung bekommen, nur noch seinerseits das Spiel zu unterbrechen, da erkannt wurde, dass die Spieler per Fall- und Simulationssucht die „faire Geste“, den Ball ins Aus zu spielen provozieren wollten und dieses Verhalten unterbunden werden sollte, insofern hätte er weiterspielen lassen dürfen, zumal er erkennt, dass man sich zwar im Badezimmer oder beim Häkeln verletzen kann aber nicht bei dem soeben hingelegten Stunt des noch immer liegenden Spielers — aber er unterbricht dennoch beziehnungsweise hat die angreifende Mannschaft den Ball, meist wütend, ins Aus gespielt. Die Zuschauer und die Gegenspieler haben das „Fair-Play“ erzwungen. Die Behandlung des liegenden Spielers ist in Sekunden beendet, wenn er auch aus Anstand und Peinlichkeit noch ein paar humpelnde Schritte hinlegt.
Einfach lächerlich, rundherum. Eines ist aber gesichert: Es kommt nicht zu dem gefährlichen Konterangriff.
Eine solche Gesamtszene zeigt die vollkommene Verrohung der Sitten im Fußball auf. Alles ist nur noch dem Erfolg untergeordnet. Es gibt keine ethischen Ansätze oder moralischen Begriffe mehr, die an irgendeiner Stelle ihren Einfluss hätten. Die Grenzen werden in jeder Hinsicht so weit hinausgeschoben, wie man es zum Erfolg gebrauchen kann. Andere Kriterien gibt es nicht. Das kleine Rätsel, warum der Zuschauer dies alles zu schlucken bereit ist, ist längst gelöst: Den Zuschauer gibt es gar nicht mehr. Es gibt nur den „wahren Fan“, der alles für den Erfolg im Sinne seiner Mannschaft in Kauf nimmt und mit ihr und ihren Spielern durch dick und dünn geht. Dazu hat er sich verpflichtet, das hält er ein. Zumal: Wenn diese Mittel, auch von ihm erkannt, unsauber sind, so besteht doch für ihn die Gewissheit, dass der Gegner die allergleichen Mittel eingesetzt hat oder hätte, bei passender Gelegenheit, Insofern ist es ohnehin gerecht. Das war der Ausgleich für die Szene zuvor, was auch immer.
Noch ein paar Worte über den neutralen Zuschauer, der Zeuge eines solchen Zirkusauftritts wird und der selbstverständlich beim anschließenden Anprangern einer derartigen Einlage nicht gehört würde. Als neutral wäre auch derjenige zu bezeichnen, der sehr wohl Fan einer Mannschaft ist, aber keiner der beiden gerade spielenden. Auch diesen Fußballfreund hat man längst nicht mehr unter den Zuschauern, unter den aktiven Zuschauern eines solchen Spieles, nicht am TV und nicht im Stadion. Die abendliche Sportschau kann man noch immer verfolgen – immerhin gibt es eine neue Tabelle und ein paar Überraschungen zu bestaunen, abgesehen von in einer Zusammenfassung gelegentlich noch als spannend empfundenen Torszenen und Toren – und sich gebührend über ein derartiges Verhalten aufregen, damit man neuen Diskussionsstoff für die nächste Woche an der Theke oder am Arbeitsplatz hat.
3) Die Vorgeschichte
Auch eine derartige Beobachtung hat ihre Vorgeschichte. Es begann nämlich damit, dass Spieler auf dem Platz tatsächlich in einer bestimmten Situation einmal erkannten, dass sich ein gegnerischer Spieler verletzt hatte – das kann sogar gänzlich ohne Einwirkung geschehen sein. Die das bemerkenden mögen wirklich aus Fairness gehandelt haben und den Ball freiwillig ins Aus gespielt haben. Man ist gerne aufgefordert, sich an echte Schiedsrichterbälle zu erinnern, bei denen sich weder die Spieler einig waren, wer nun den Ballbesitz verdient hätte noch der Schiedsrichter per Fingerzeig den Ballbesitz „verkauft“ hatte („ihr spielt ihn doch dahin zurück, gell?“); denn diese Schiedsrichterbälle wurden früher in vielen Situationen ausgerufen, ganz einfach, weil der Schiri ganz spontan eine Spielunterbrechung für angemessen hielt und diese auch per Pfiff anordnete. Ein solcher Schiedsrichterball hätte sich auch hier angeboten. Er unterbricht, direkt nach der Aktion, weil er merkt, dass sich jemand etwas getan hat, ungeachtet dessen, wer gerade welche Größe einer Torchance hätte, falls… und so weiter.
Der Ball wurde also ins Aus gespielt, was zunächst bei Zuschauern und Schiedsrichter Verwunderung auslöste. Dann aber registrierten alle – kurze Zwischenfrage: Wo waren eigentlich all diese oben beschriebenen Verletzungen zu Zeiten, da man sich noch nicht auf eine Spielunterbrechung verlassen konnte? Nein, so etwas gab es einfach nicht –, dass es einen verletzten Spieler gab und kümmerten sich um diesen. Wohlgemerkt: Der ins Aus spielende Mann hatte es aufgrund der Erkenntnis einer echten und ernsten Verletzung getan, was man – wer selber gespielt hat, weiß es – sehr wohl auf dem Platz registriert. Die Helfer eitlen herbei, verarzteten ihn oder transportierten ihn vom Platz und das Spiel wurde fortgesetzt mit Einwurf für die Partei des Verletzten. Eine andere Möglichkeit hatte der Schiedsrichter nicht. Nun geschah das zweite verwunderliche: Die auf diese Art in Ballbesitz geratene Mannschaft zeigte keinerlei Absicht, einen Vorteil aus dem zwar regelrechten aber geschenkten Ballbesitz zu ziehen, sondern spielte den Ball zurück zum Gegner, unbedrängt und offensichtlich. Die Zuschauer wussten ein solches Verhalten, nachdem sie es verstanden hatten, zu schätzen und bedachten alle Parteien mit einem wohlwollenden, warmen Applaus. So weit so gut.
Kehren wir noch einmal zu der oben beschriebenen Szene zurück, die noch eine weitere, noch unfairere Folgewirkung aufzeigt: Der „verletzte“ Spieler ist verarztet, die Helfer vom Platz. Die Mannschaft, welcher der Ballbesitz nicht zustand und die ihn auf diese unsportliche Weise erobert hat, erhält den Einwurf. Sie versucht auch weiterhin nicht, direkt Kapital aus dem Ballbesitz zu schlagen. Nein, sie muss zumindest der Verpflichtung nachkommen, dem Gegner den Ball zu überlassen. Nur wie sie dies tut:
Der Ball wird eingeworfen, zum eigenen Mann, versteht sich. Dieser Mann drischt nun den Ball weit, weit nach vorne. So weit er kann. Dies tut er jedoch durchaus Ziel gerichtet: Der Ball soll nämlich im Aus landen, aber nicht etwa im Toraus, nein, er zielt – die Qualitäten sind vorhanden, um dieses auch zu treffen – auf das äußerste Ende der Seitenauslinie, so nah wie möglich an die gegnerische Eckfahne. Einerseits soll dieses scheinbar planlose nach vorne Schlagen des Balles suggerieren, dass man ihn sehr gerne und selbstverständlich zurückgibt, andererseits aber, dass er rein zufällig halt irgendwo wieder herunterkommt. Sofort danach hat man seiner Pflicht genüge getan, den Zuschauern noch scheinheilig ein oder ein scheinheiliges Klatschen entlockt, da die offensichtliche Fair-Play-Geste eingehalten wurde, und man kann auf Pressing umschalten, um den Ball zurückzuerobern. Was hat die Mannschaft, die zuvor eine gute Kontergelegenheit sich nun eingehandelt mit der angeblich fairen, aber in dem Falle nur erzwungenen Reaktion? Anstatt sich in der gegnerischen Hälfte in Ballbesitz zu befinden, in einer Überzahl Situation, mit zahlreichen guten Optionen, befindet man sich nun weit in der eigenen Hälfte und kann nur mit größter Mühe – wenn überhaupt – den Ball aus der eigenen Hälfte herausbekommen. Der wieder belebte Spieler übrigens hüpft wie in einen Jungbrunnen gefallen längst wieder munter durch die Gegend und sorgt vermutlich für die Ball(rück-)eroberung.
Nun möge man vielleicht ein wenig vermindert aufgebracht reagieren, sofern man mal wieder eine für heute typische Szene ansieht und anhört: Exakt wie oben beschrieben. Ballverlust, zu Boden gehen, Verletzung simulieren, pfeifende Zuschauer und widerstandslose Gegenspieler, die das ins Aus spielen des Balles erzwingen wollen und falls es noch nicht so geschehen ist, unterbricht der Schiri. Aus dem Konter wird nix, das weiß man einfach, er darf nicht einmal gespielt werden. Aber er ist auf unfaire, unsportliche Art unterbunden worden. Auch das weiß man. Vor allem als Ball Führender. Und als solcher sieht man häufig diese Reaktion, die einen nicht verwundern müsste: Der so genötigte donnert den Ball nämlich, anstatt ihn ins Aus zu rollen, Wut entbrannt gegen die Bande. Er weiß genau, welches Spiel mit ihm getrieben wird. Die Kommentatorreaktion ist dann ebenso unüberlegt wie ungerecht: „Ja, da hat er wohl übersehen, dass ein Spieler verletzt am Boden liegt.“ Einem deutschen Reporter könnte man locker ein X für eine Brille vormachen oder eine Tomate für ein U.
4) Ein paar Beispiele für Fair Play
a. England – Deutschland, Halbfinale WM 1990
Falls man sich auf die Suche begibt nach großen Gesten oder fairen Szenen mit ehrenhaftem Benehmen, in denen ein Spieler offensichtliche Nachteile für sich und die eigene Mannschaft in Kauf nimmt, einzig aus der Erwägung heraus, dass das Ausnutzen einer Chance auf Kosten des Fair.Play-Gedanken ginge, wird es recht schwierig, welche zu finden, die wirklich diesem Anspruch genügen. Der „Preisträger“ Alpay Özalan genügte ihm jedenfalls nicht…
Erinnert sei an das Halbfinale der Weltmeisterschaft in Italien 1990, als die Engländer (!) in einem Spiel auf Augenhöhe, bei dem man wirklich nur von einer 50:50 Chancenverteilung auf das ganze Spiel bezogen sprechen kann, welches sie einem unbekannten Gesetz folgend – welches unter anderem gerade durch dieses Ereignis seine Gütigkeit bekam – im Elfmeterschießen gegen Deutschland verloren, ging ein Schulter zuckender, aber lächelnder Trainer Bobby Robson direkt nach dem letzten, entscheidenden Fehlschuss zu Trainer Franz Beckenbauer, klopfte diesem in ehrlich gemeinter Anerkennung auf die Schulter und schüttelte ihm zur Gratulation die Hand. Eine rührende Szene, gerade, wenn man die so hoch gekochte Rivalität zwischen diesen beiden Nationen berücksichtigt, aber mit Sicherheit eine, die man sehen möchte – und dieses Urteil gilt nicht nur für das so Sieg gewohnte Deutschland, an welchem die Größe dieser Geste aufgrund der eingebildeten Selbstverständlichkeit des Sieges sogar vorbeigegangen ist — sondern für die ganz Welt.
In ebenjenem Spiel gab es aber zuvor eine weitere Geste, die vielleicht nirgends wahrgenommen wurde, nicht einmal in England, vielleicht, da dort zu selbstverständlich. Andy Brehme hatte Gegenspieler Paul Gasoigne mit einem sliding tackling übelst zu Fall gebracht und zu einer kompletten Vorwärtsrolle gezwungen. Paul Gascoigne nutzte dieses nicht etwa, wie heute gerne beobachtet, zu einer wohl verdienten Spielpause, zugleich auf die Schwere des Vergehens aufmerksam machend und die eigene Verletzung hervorhebend, natürlich nicht ohne zeitgleich die Gelbe Verwarnungskarte zu fordern, sondern sprang sofort wieder auf und half dem noch am Boden liegenden Andy Brehme auf, indem er ihm lächelnd die Hand reichte. Das sind echte Gänsehautszenen, die einen so hohen Erinnerungswert behalten, dass man sich fragt, warum man sie nicht wieder in den Fußballalltag integrieren kann? Es gibt doch noch andere Fragen als jene nach dem Sieger? Ein Ehrenmann, die uns in Hollywood zu Tausenden produziert und vorgeführt werden und die die Menschen scharenweise in die Kinos locken. Es ist keine Erfindung dass man sie sehen möchte.
Dieser Menschenschlag und diese Gesten können genauso gut zur Erhöhung der Begeisterung, zur größeren Verbreitung des Fußballs und zur Abnahme der Aggressivität und Gewaltbereitschaft unter den Fans beitragen. Mehr davon!
b. Robbie Fowler
Ein weiteres Beispiel, für was man einen Fair Play Preis erhalten kann: In der Premier League Saison 1996-97 kam es zum Aufeinandertreffen von Arsenal und Liverpool in London, im alt ehrwürdigen Highbury Stadion.
Robbie Fowler läuft nach gekonntem Pass alleine auf Torwart David Seaman zu, bekommt den Ball an diesem vorbei, jedoch selber nicht mehr hinterher in einer absolut typischen derartigen Szene. Der Torwart versucht, seinen Körper und alles, was er hat, in den Weg zu bekommen, gerne auch, den Ball zu erreichen. Jedoch weiß er ebenso gut, dass der Stürmer oft genug nur versucht, den Ball an ihm vorbei zu bekommen (nicht selten wäre er für den Stürmer unerreichbar beim Nachgehen; in der Nachbetrachtung selten erwogen, dieser Umstand), und im Anschluss den am Boden liegenden Torhüter mit einem beliebigen Körperteil — der Fuß bietet sich an – zu berühren. Die anschließende Flugeinlage hat häufig genug den erwünschten Effekt. Man bekommt den Elfmeter zugesprochen. So geschieht es auch in dieser Szene.
Wenn man sich in jener allerdings das Replay ansieht (YouTube), dann stellt man fest, dass der Arsenal Keeper im letzten Moment bewusst und vorsätzlich dem Kontakt ausweicht, also die Arme aus dem Weg bringt. Robbie Fowler stürzt trotzdem, wohl ohne jegliche oder bei nur geringfügiger Berührung, und der Spielleiter entscheidet recht spontan – wie es ihm auch abverlangt wird — auf Elfmeter. Robbie Fowler steht auf und deutet sofort an, dass es nichts war (?!). Dies natürlich im Sinne von Fair Play der entscheidende Moment. Er scheint beinahe ein wenig entsetzt zu sein und winkt energisch ab. Der Referee lässt sich von seiner Entscheidung nicht abbringen. Die Arsenal Verteidiger haben im Folgenden nun natürlich allen Anlass, sich noch energischer als sonst zu beschweren wegen des einseitigen (Un-)Schuldeingeständnisses. Die Entscheidung steht aber, allen Protesten zum Trotz.
Nun wird es spannend. Der Elfmeterschütze wird bestimmt. Ob er bereits vor dem Spiel als Elfmeterschütze eingeteilt war? Jedenfalls schreitet Robbie Fowler selbst zur Tat. Die Legende erzählt, dass er den Elfmeter vorsätzlich so schlapp geschossen hat, dass ihn der Torhüter ohne Mühe parieren konnte. Der Ball kommt relativ schwach halbhoch und auch nicht wirklich in die Ecke. So gelingt es David Seaman, ihn abzuwehren.
Das Drama ist noch immer nicht beendet. Denn: Seaman pariert, läßt aber den Ball nach vorne abprallen. Man sieht, dass Robbie Fowler sich auch Richtung Ball bewegt, aber sehr bald merkt, dass der nachrückende Jason McAteer eher dort ankommt. Fowler bleibt weg, McAteer … versenkt. Tor. Liverpool gewann das Spiel 2:1.
Nun zur Deutung dieser Szene: Robbie Fowler bekam einen Fair-Play Preis für diese Szene. Nun dürfte man ruhig fragen, ob er sie für das Ablehnen des Elfmeters bekam, für das (leichtfertige) Verschießen des (eventuell von ihm als ungerechtfertigt erachteten) Strafstoßes oder für die Kombination von beidem?
Wenn man seine Geste nach der kritischen Szene sehr genau beobachtet – Wagnis hin oder her, er war bei der Szene gerade 21 Jahre alt –, dann ist es durchaus denkbar, dass er dem damaligen Nationaltorwart noch einigen Respekt entgegenbrachte (sicher tut er das bis heute). So schießt ihm im ersten Moment nach der Aktion durch den Kopf: „Hey, das war der Nationaltorhüter David Seaman, ein Idol von mir in Zeiten, als ich noch Jugendfußball spielte und nur als Fan mit weit aufgerissenen Augen seine Glanzleistungen beobachten durfte, er hat mich nicht wirklich berührt und ich spürte sogar, dass er dem Kontakt auswich. Da kann der Referee nie und nimmer Elfmeter für uns geben.“ Nach dem Erhören des schiedsrichterlichen Pfeiftones schießt ein weiterer Gedanke durch den Kopf, der sich automatisch anschließt: „Hey, Ref, so schlimm war es doch auch nicht. Ich wollte doch gar keinen Elfer haben. Ich bin gestürzt. Du musst mir doch nicht gleich Gelb geben?“ Er hält den Zuspruch des Elfmeters für ausgeschlossen, also bleibt ihm als Deutung für den Pfiff nur, ihn als Erkennen einer Gelbwürdigen Schwalbe aufzufassen. Als er die abwehrende Geste macht, möchte er nur Gelb für sich verhindern.
Als er merkt, dass es wirklich Elfmeter geben soll, kommt er natürlich aus der Nummer nicht mehr heraus. Wie und was sollte er nun andeuten? Er könnte dem Schiri nur eine – nämlich obige – ellenlange Erklärung abgeben und würde logischerweise überhaupt keinen Effekt erzielen. Also verzichtet er darauf, noch irgendwas zu sagen. Der Schiri entscheidet, er hat Elfmeter gegeben, was soll man nun machen?
Kurios nun, wie die Entscheidung von der Bank oder auf dem Platz fiel, dass er den Elfmeter zu schießen hätte. Selbst wenn es die vorherige Absprache gab, so könnte man dennoch auf dem Platz improvisieren. Hier böte sich doch eine Umdisponierung an? Wie auch immer die Teamkameraden sein Verhalten aufgefasst oder gedeutet haben oder ob er ihnen eventuell noch ein Zeichen gab, das sie verstanden. Als Elfmeterschütze sollte man ihn eigentlich jetzt, aufgrund dieser besonderen Brisanz der Szene, ausschließen, abwählen.
Dass er in dieser Lage nicht unbedingt einen Kracher in den Dreiangel hämmerte, versteht man ohne weiteres. Dass er möglicherweise aufgrund der eigenen Lage und Position, in die er sich begeben hatte, vielleicht gar nicht mehr vernünftig schießen konnte, liegt ebenso nahe. Wenn man den Elfmeter anschaut, sagt man im Grunde nur eines: „Na, recht schwach geschossen, aber der Keeper hatte auch die richtige Ecke.“ Soll man nun annehmen, dass er mit dem Torhüter die Ecke abgesprochen hat, damit er ihn verschießen kann, ohne dass es allzu sehr auffällt? Nein, das klingt absurd. Er schießt ihn schwach, weil er gerade in einer merkwürdigen Stimmung und Verfassung war. Immerhin war er gut genug geschossen, so dass der Keeper ihn nicht festhalten konnte. Nach dem Abpraller war alles wieder normal.
Wofür nun also, als abschließende Frage, hat er wirklich den Fair Play Award bekommen? Falls es die Geste war, die entweder – was gerne als Möglichkeit eingeräumt wird – den Elfmeterpfiff abwenden sollte, oder welche die Gelbe Karte gegen sich selbst verhindern sollte, dann ist es doch eine recht geringe Aktion. Zumal der Spieler Fowler zu dem Zeitpunkt unmöglich eine Ruf aufgebaut haben konnte, der ihn zu einem fairen Spieler machte. Man wusste es schlicht noch nicht (gerade in dieser Saison übrigens bekamen er und Vereinskamerad Steve Mcmanaman den Beinamen „the Spice Boys“, was nicht gerade ein Kompliment ist und den Beiden eher einen zweifelhaften Ruf einbrachte).
Dies sei nur erwähnt, damit man sich klar macht, dass man bei gewissen, etablierten Spielern, schon mit einer hohen Zuverlässigkeit die Geste deuten könnte: „Ja, der Mann war immer fair. Wenn er zeigt, dass er nicht gefoult wurde, dann ist Verlass darauf, dass es sich so verhält und dass es fair gemeint ist. Dem kann man einen Preis überreichen, weil er ihn sich insgesamt verdient hat.“ Der verschossene Elfer kann es nicht sein. Denn gerade in diesem Zusammenhang – und in diesem Moment kann man wieder den Hut ziehen vor Fowler – hat sich der Geehrte so geäußert: „Ich wollte ihn nicht verschießen. Ich bin Stürmer und mein Job ist es, Tore zu erzielen. Es war einfach ein schwach getretener Strafstoß.“ Wenn man nun in der Deutung noch weiter machen wollte, könnte man sagen, dass er die Chance genutzt hat, das Bild ein klein wenig gerade zu rücken: Ihm wurde Fair Play „angedichtet“, von welchem nur er weiß, dass es gar keines war (da er nur Gelb verhindern wollte). Dass ihm nun noch das absichtliche Verschießen als noch größere Fair Play Aktion hinterher geworfen wurde („Stell dir mal vor, der Fowler will erst keinen Elfer haben, nachdem er den Referee aber nicht umstimmen konnte, verschießt er mit Absicht! Was für ein Sportsmann!“) wurde ihm zu viel der (unverdienten) Ehre. „Ich hab ihn nicht mit Absicht verschossen. Nur, damit ihr wisst: So fair bin ich nun auch wieder nicht. (In Gedanken: Über den Rest muss ich ja jetzt nicht auch noch Aufklärung verschaffen).“
Dieses Beispiel – wenn auch sicher für einige in guter Erinnerung – ist also wohl doch nicht geeignet für das Aufzeigen von wahrhaftig fairen Gesten auf dem Fußballplatz in jüngerer Vergangenheit?!
c. Leicester City – Nottingham Forest
Noch eines aus England: Als ein League-Cup Spiel (am 28. August 2007) zwischen Nottingham Forest und Leicester City bei einem 1:0 Halbzeitstand in die Kabine ging brach dort der Leicester Spieler Clive Clarke mit einer Herzattacke zusammen. Die Spieler standen unter Schock und obwohl Clive Clarke, der so schnell es ging in eine Klinik abtransportiert wurde, das Drama überlebte – natürlich für die Leicester Spieler zu dem Zeitpunkt unbekannt –, konnten sie nicht weiter spielen, aus verständlichen Gründen. Die Zuschauer wurden über diesen Umstand in Kenntnis gesetzt und – wieder nach Hause geschickt. Spielabbruch.
Die Regeln sahen für einen solchen Fall nur eine Möglichkeit vor: Das Spiel musste wiederholt werden. Es mag in anderen Ländern andere Möglichkeiten geben – erwähnt hier Spanien, wo einmal ein Spiel in der 88. Minute abgebrochen wurde und später nur noch die verbleibenden 2 Minuten ergänzt wurden –, aber in England ging es nur so.
Nun sollte man beachten, dass ausgerechnet zwischen Nottingham Forest und Leicester City eine besondere Rivalität herrscht, welche insofern das folgende Geschehen noch bemerkenswerter macht: Als das Spiel am 18. September wiederholt wurde, durfte der Torwart von Nottingham in der 1. Spielminute ab der Mittellinie alleine auf das gegnerische Tor zulaufen und den Ball ungehindert verwandeln. Das 1:0 war – ohne offizielle Anweisung – wiederhergestellt, in offensichtlicher Einigkeit.
Ein solches Tor ist ziemlich einmalig aber auch ein solches Verhalten. Selbst wenn man das als eindeutige und unzweifelhaft Far Play Geste deuten kann, so sei hier nur bemerkt, dass es a) eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, da die Spieler von Nottingham Forest in der Halbzeitpause des Unglücks ebenso gut auf Weiterspielen hätten entscheiden können – von den Regeln gedeckt – so dass also dieses ebenso selbstverständliche Entgegenkommen doch einen Ausgleich finden muss, aber dass es b) so selten anzutreffen ist, dass man schon einige Zeit zurückblicken muss, um ein einmaliges faires Verhalten anzutreffen.
5) „Wer nicht fair ist wird bestraft“
Leider haben die Recherchen kein exaktes Ergebnis geliefert, insofern ist die folgende Geschichte rein aus dem Gedächtnis erzählt, spiegelt jedoch auch bei nicht völliger Authentizität den Widersinn der heutigen Anwendung der ungeschriebenen „Fair Play Regel“ wider.
Es war ein Spiel in der Englischen Premier League, in welchem ein Spieler am Boden liegen blieb, der Gegner aber, mittlerweile in Ballbesitz und Angriff gelangt, nicht bereit war, den Ball ins Aus zu befördern und somit die Behandlung zu ermöglichen. Ob nun der Spieler tatsächlich verletzt war und wenn, wie schwer, soll für den Augenblick mal offen bleiben. Jedoch darf man gerne darüber spekulieren, ob es sich doch nur um eine vorgetäuschte Verletzung handelte oder ob man, das Prinzip einmal verinnerlicht, sich einfach als Gegner stur weigert, weil man zwar im Einzelfall dem Irrtum unterliegen kann – der liegende Spieler ist wirklich verletzt –, aber im Großen Ganzen richtig liegt damit, dass das Liegenbleiben vielfach eingesetzt wird, um den Gegner zum Ausspielen des Balles zu nötigen.
Jedenfalls begannen, wie üblich, die Zuschauer sich zu empören, denen aber der tiefere Einblick an sich verwehrt bleibt, die also schlichtweg Politik machen, zumal es sich wohl um einen Spieler der Heimmannschaft handelte, der am Boden lag. Der Angriff nahm seinen Fortgang und endete – im erfolgreichen Abschluss. Ein Tor war erzielt, dem man zwar getrost den Makel „controversial“, nennne wir es „zweifelhaft“ anheften kann, jedoch gab es in den Regeln an keiner Stelle einen Hinweis, dass das Verhalten strafbar war. Es wurde höchstens das oben erwähnte ungeschriebene Gesetz verletzt.
Sowie man diesen Umstand bedenkt, wird die anschließende Reaktion des Verlierers absurd. Denn: es wurde ein Protest gegen die Spielwertung eingelegt. Soweit bekannt, wurde diesem zwar nicht stattgegeben, die Angelegenheit aber über einen längere Zeit auch von den Medien höchst kontrovers diskutiert, so dass die Möglichkeit der Widerholung unter keinen Umständen auszuschließen war, sondern von vielen Experten propagiert wurde.
Wenn man diesen Gedanken zu Ende führt – also die Entscheidung hätte gelautet: Spielwiederholung –, so würde es bedeuten, dass demnächst eine Formulierung in die Regeln aufzunehmen ist, um diesem Schindluder ein Ende zu bereiten: „Sofern ein Spieler am Boden legt hat die im Ballbesitz befindliche Mannschaft die Pflicht, den Ball innerhalb der nächsten drei Sekunden ins Aus zu spielen. Ansonsten lautet die Spielwertung, ohne Wenn und Aber: 3:0 für den Gegner.“
Damit die Spieler endlich mal merken, was Fair Play wirklich bedeutet….
6) Unfair Play
Auch die folgende Spielsituation ist einfach nur noch unglaublich, so, wie es sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Die Lage ist die: eine Mannschaft liegt mit zwei Toren zurück und erzielt das Anschlusstor(so was gibt’s doch gar nicht!), 7 Minuten vor Ultimo. Es ist noch Zeit genug also, an Ausgleich oder sogar noch mehr zu denken. Voraussetzung dafür allerdings: das Spiel geht weiter. Wie sorgt man dafür, dass das Spiel weiter geht? Man holt den Ball aus dem Netz. Haben die Spieler auch vor 50 Jahren so gemacht. Nicht abdrehen, Jubeln, feiern, sich feiern lassen (wofür auch?) sondern Ball holen, weiter spielen, ganz klar. Nur, was stellt man fest als Torschütze? Man rennt ins Tor, dahin, wo der Ball liegt, und es ist schon jemand da! Der Torwart hat sich auch auf den Ball gestürzt! Was soll das denn? Der war drin, du bist zu spät, Keeper!
Jetzt beginnt das Gerangel. Der eine zieht, der andere zerrt. Dieser am Ball, jener am Trikot. Längst sind andere Spieler beider Mannschaften hinzugeeilt. Kampf um den Ball, Version Rugby. Der Schiri kann am Ende nicht anders, so meint er. Beide Spieler bekommen Gelb. Die Volksseele kocht (das Tor hat natürlich die Auswärtsmannschaft erzielt). Alles pfeift und drei Minuten sind von der Uhr. Wie steht es nun um die Chancen für den Ausgleich? Großzügig hängt der Schiri übrigens zwei Minuten Nachspielzeit an, die vollständig mit den zwei Wechseloptionen draufgehen – und dem Verhängen einer weiteren Gelben Karte für den Verlierer, der sich einfach nicht mit der gerechtfertigten Niederlage abfinden möchte und einfach nur weiter spielen möchte, und darauf den Schiri aufmerksam macht. Zum Beispiel darüber, dass der erste ausgewechselte Spieler nach 35 Sekunden noch immer nicht den Platz verlassen hat und noch immer in alle Richtungen ins Publikum klatschend über den Platz trottet. Nein, für die Ahndung wäre allein der Schiedsrichter zuständig. Da hast du gar nix zu sagen, Spieler. Gelb, wem Gelb gebührt. Die Ehre bekommen die Anderen.
6) Zusammenfassung
Es soll natürlich kein Kapitel ohne eine positive Auflösung abschließen. Auch hierfür gibt es einfache Lösungen: Zunächst mal ist es ganz offensichtlich, dass immer alles miteinander zusammenhängt und alle zusammenspielen müssten, damit man die Szenen nicht mehr zu sehen bekommt, die ungerecht, ärgerlich, unsportlich, unschön, hässlich, durchsichtig aber wirkungsvoll, anstatt dessen jene, die fair und sportlich sind, bei denen man positiv empfindet, eine Gänsehaut bekommt. Das beginnt bei den Medien, wie immer. Sie haben die Chance, einen Schauspieler, der überführt wurde, herauszustellen und anzuprangern. Oft genug gibt es darüber keinen Zweifel. Die Zuschauer haben stets ihren Beitrag zu leisten, indem sie die offensichtliche Schinderei auf die Hörner nehmen. Das wäre als Folge des Erkennens der Ursache: möglich. Denn „der Zuschauer“ könnte in Zukunft überwiegend der neutrale Zuschauer sein, der im Moment kaum existiert, aber anvisiert, angesprochen werden soll. Unter anderem könnten auch echte faire Szenen dazu beitragen, diesen Zuschauer wieder dabei zu haben.
Auch der echte Fan könnte von den Medien zu bestimmten Empfindungen „erzogen“ werden..
Jeder hat ein Gespür dafür, was fair und was unsportlich ist. Da gibt es ein übergeordnetes Gerechtigkeitsempfinden, über welches jeder verfügt, auch der Fan einer Mannschaft. Dieser wird nur aufgrund der zahlreichen Ungerechtigkeiten, die er zuvor gegen seine Mannschaft empfand – dies sicher nicht völlig zu Unrecht –, jede einzelne Szenen als „Ausgleich“ ansehen.
Die Schiedsrichter haben sehr wohl das Recht und sollten es dementsprechend einsetzen, das Spiel laufen zu lassen, selbst wenn sich jemand am Boden wälzt. Hier greift natürlich das Problem, dass man es nie zu 100% ausschließen kann, dass sich jemand tatsächlich etwas getan hat. Nur gälte auch hier: Derjenige, den es einmal erwischt, dass er wirklich spielunfähig geworden ist, ohne dass man es erkennen konnte, sollte nicht gleich von Ungerechtigkeit sprechen. Er ist Teil des Ganzen und alle haben über einen langen Zeitraum daran gearbeitet, dass man ihnen keinen Glauben mehr schenken kann. Sofern sich allerorten das so dringend erwünschte Fair-Play einschleichen sollte, wäre irgendwann gesichert, dass derjenige, der liegen bleibt, auch verletzt ist. Wer es nicht ist, steht auf, wer es ist, bleibt liegen. Wie zu Uwe Seelers seeligen Zeiten. Keine Grauzone. Ehrenkodex. Jeder hält sich daran. Die Sportler sitzen alle in dem gleichen Luxusdampfer, der demnächst noch einen Golfplatz und ein Wellenschwimmbad bekommen soll. Die Rettungsringe sind ja bereits aus purem Gold…