Was wäre wenn… es bei Handspiel im Strafraum Elfmeter gäbe?
Der Versuch einer bemüht vorsichtigen Annäherung an die Probelmatik: „Bei Handspiel im Strafraum gibt es doch Elfmeter?“ „Ja, schon, sicher, doch, ab und zu mal, klar, laut Regel auch, aber in der Praxis?“ So in etwa ein möglicher kurzer Dialog? Man möge sich bitte selbst fragen, wie häufig man in letzter Zeit derartige Situationen und die dazugehörigen Diskussionen anhören oder selbst führen musste. Auch die Palette der Argumente, warum es keinen gab, hat sich enorm erweitert.
Zunächst mal dennoch ein kurzer Rückblick auf eine Art von „historischer Entwicklung“, vielleicht nicht ganz so ernst zu nehmen oder jedenfalls keine Authentizität zu garantierten. In etwa so könnte es sich aber abgespielt haben und vielleicht gleicht man dies mit den eigenen Erinnerungen ab?
Als das Spiel „Fußball“ erfunden wurde, wurde ihm zugleich ein Name gegeben. Man spielt den Ball mit dem Fuß. Als die ersten begannen, mit dem Knie oder dem Oberschenkel zu spielen, dachte man sicher: „Na gut, lassen wir durchgehen. War zwar nicht der Fuß, aber da es wesentlich schwerer ist, den Ball kontrolliert mit Knie oder Oberschenkel zu spielen, haben wir nichts einzuwenden. Nun hätte es temporär „Beinball“ heißen müssen. Wobei kurz danach vielleicht mal jemand sein Hinterteil in den Weg brachte, sich von einem Schuss wegdrehte, und dies so wohl eher versehentlich geschah? Nein, das konnte man doch nicht ernsthaft als Regelverstoß ansehen? Rumpfball vielleicht?
Es kamen sicher ein paaar Schlaumeier auf die Idee, es auch mal mit dem Kopf zu versuchen. Ein gezieltes Abspiel, gar ein Torversuch? Schwer vorstellbar, aber man versuchte es. Ok, Kopf, das geht schon, kein Problem. Ist ja auch ein wenig interessanter so? Der Ball fliegt ab und an mal, warum also nicht? Es ist ein erhöhter Schwierigkeitsgrad, sicher, aber dadurch wird die Vielfalt erhöht. Als man dann Bauch, Brust, Rücken in die gleiche Kategorie einzuordnen fand – darf man, da es gegenüber dem Fuß schwieriger ist, es mit diesen Körperteilen zu tun –, waren die Regeln fast schon vollständig, ohne, dass man auf den Gedanken kam, den Namen zu ändern von „Fußball“ auf „Alles-außer-Arm-und-Hand-Ball“. Dennoch würde der Name den Gegebenheiten am nächsten kommen. Man darf mit jedem Körperteil spielen außer Arm und Hand.
Als dieses Verständnis nun Einzug hielt in die Regeln und in den Sport, hatte selbstverständlich jeder diesen Sport Betreibende die Absicht, sich an die Regeln zu halten. Man spielt ein Spiel nach seinen Regeln, so muss es doch sein? Und wie vermeidet man Regelverletzungen dieser Bauart? „Spiele den Ball, womit du willst. Aber nicht mit Arm oder Hand, ja?“ „Ok, Chef, merke ich mir und ich werde aufpassen.“ Wie hätte man darauf aufzupassen, dass es nicht geschieht? Besser, dass man sich an die Regeln hielte, wie es doch selbstverständlich sein müsste? Man bringt Arm und Hand aus dem Weg, wenn der Ball in der Nähe ist. Es gab sozusagen eine Art „Benimmreg l für jeden Fußballer: „Halte die Arme am Körper, dann kann dir nichts passieren, jedenfalls kein regelwidriges Handspiel.“
Als man seitens der Regelmacher feststellte, dass ab und an doch ein Ball an Arm oder Hand ging als jener vorschriftsmäßig (oder: „benimmregelgerecht“) am Körper war, wurde der Begriff „angelegter Arm“ in die Welt gerufen. Strafe: gar keine. Das ließe sich nicht vermeiden. Wichtig blieb, dass die Absicht erkennbar war, den Arm aus dem Weg zu bekommen.
Überhaupt zum Thema Strafe kommend: falls jemand sich nicht an die Regel hielte – sicher, der Fall musste irgendwo festgehalten werden, selbst wenn weiterhin „unerwänscht“ –, so wurde dem Gegner ein Freistoß zugesprochen. Eine wichtige Regelfeinheit zum Schluss: falls das Handspiel im Strafraum stattfände, so bleibt keine Wahl: analog zum Foulspiel gibt es hier ebenfalls einen Elfmeter.
So wurde die Benimmregel beinahe zu einer Art Vorschrift für jeden Verteidiger und die Trainer bläuten jedem Abwehrspieler ein: „Wenn es im Mittelfeld mal geschieht – egal – aber im Strafraum, da musst du die Arme am Körper halten. Wir wollen auf keinen Fall einen Elfmeter riskieren. Hast du kapiert?“ „Logo, Chef, kapiert, im Strafraum: Arme am Körper. Anderswo zwar auch, aber nicht so wichtig.“
Altersabhängig mag sich jeder so weit zurückerinnern, wie er kann. Oder alte Bilder und Spiele schauen, falls zugänglich. Aber eine Beobachtung ist garantiert: es gab früher wesentlich seltener Diskussionen bezüglich Handspiel im Strafraum. Zunächst mal noch offen gelassen, worauf dies zurückzuführen wäre, aber eine Anerkenntnis dessen doch vorausgesetzt für die folgenden Überlegungen? Kann man dem zustimmen? Zumindest in dem Sinne: eine Entwicklung in die Richtung häufiger werdender Diskussionen.
Wenn es nun Diskussionen gibt, dann wäre zumindest so viel klar: es gibt konträre Ansichten darüber. Diese konträren Ansichten sind vermutlich so, dass man sich selbst positioniert. Also: man hört eine Diskussion und fühlt sich einer Seite zugeneigt. „Der hatte die besseren Argumente“ oder „das sage ich auch doch schon die ganze Zeit“. Wenn die eigenen Ansichten jedoch keinen Durchsatz finden, dann wird es zum konstanten Ärgernis. Vielleicht betrifft dies nur 50% der Zuschauer, aber, verglichen damit, dass es gar keine Diskussion erst gäbe, wären dies runde 50% zu viel.
Eigentlich wäre es erfreulich, wünschenswert, wenn man die Regeln so niederschreiben und anwenden könnte, dass es allgemeinen Konsens darüber gäbe. Das muss doch ein Anliegen sein? Oder würden die Regelmacher etwa behaupten wollen, dass man die Regeln extra so unklar hielte, damit es weiterhin die Stammtischdiskussionen geben kann? Nein, das wäre doch nur fadenscheinig. Man hört es ja auch häufig genug in den Diskussionen. „Ich kann es nicht mehr hören, da muss endlich Klarheit geschaffen werden“ oder, wie Tuchel es ausdrückte: „Ich bin raus aus der Diskussion.“ Das heit in etwa: macht, was ihr wollt, aber ich trage nichts mehr bei, weil es zu unlogisch ist und meine Ansicht eh nicht gehört wird.“
Wenn man heute (20. August 2017) ein Fußballspiel schaut, eine Zusammenfassung mehrerer Spiele, die Sportschau, einfach so halt Fußball schaut, dann ist es fast auszuschließen, dass es nicht eine Reihe derart „diskussionswürdiger Szenen“ gibt. Und zwar jene: Handspiel im Strafraum. Elfmeter, ja oder nein?
Dabei ist die Einigkeit darüber schnell erzielt: „Der Arm (oder die Hand) war am Ball.“ Die Uneinigkeit kommt auf bei der Frage: „Elfmeterwürdig?“ Wobei die Schiedsrichter mit sich selbst recht schnell übereinkommen in der Form: „Ich pfeife nicht.“ Warum dies geschieht? Weil sie sicher sind, dass sie, selbst wenn der ausgebliebene Pfiff ein Fehler wäre, damit besser abschneiden als wenn sie pfiffen und dies als Fehler erachtet würde. Insofern müssen sie sich in dem Moment mit der Anwendung der Regeln viel weniger beschäftigen. „Weg des geringsten Widerstandes“ wäre der allgemeine Ausdruck dafür.
Wie die Regel lautet, wusste auch Thomas Tuchel nicht mehr und auch von hier aus soll dies gar nicht so sehr zum Thema gemacht werden. Es fallen in der Argumentation immer wieder die Begriffe „Körperverbreiterung“, „unnatürliche Armhaltung“ oder „unnatürliche Bewegung“, dann das Argument „absichtlich“ oder „unabsichtlich“, aber auch und vor allem jenes Argument „aus der kurzen Distanz kommt er gar nicht weg mit dem Arm.“
Bevor diese Aspekte nun einzeln oder auch etwas allgemeiner durchleuchtet werden, soll zumindest noch angeführt werden, dass die Veränderungen der Regel keineswegs zum Vorteil des Spiels ausgefallen sind. Die vielen Diskussionen sind höchst unerfreulich – die mindestens 50% sich Ärgernden – und von Klarheit kann keine Rede sein, wie tagtäglich belegt wird. Das am meisten Verwunderliche jedoch: fällt es denn Niemandem auf, dass es die vielen Szenen, über die ständig diskutiert wird, früher gar nicht zu sehen gab? Die Ausage hier ist zwar intuitiv getroffen und so nicht direkt belegbar – wie sollte man denn die Anzahl „unerfreulicher Diskussionen“ oder auch „strittiger Szenen“ ermitteln? –, so wird man sich bei kurzem Nachdenken dennoch ihr anschließen können. Es ist einfach so.
Falls dies anerkannt ist: dann wäre doch offensichtlich daraus abzuleiten, dass die Abwehrspieler ihr Verhalten an die Regeln angepasst hätten? Früher also die Angst: „Wenn der Arm oder die Hand an den Ball kommt, dann gibt es Elfer.“ Heute in etwa so: „Wenn Arm oder Hand an den Ball kommen, wird mir der Schiri oder auch Dr. Merk später sicher erklären können, warum ich das doch nicht mit Absicht gemacht hätte.“
Man erkennt als Abwehrspieler einfach keinen guten Grund mehr, warum man sich bemühen sollte, die Arme aus dem Weg zu bekommen? Es gingen schon so viele Vorgänger straffrei aus – warum sollte er dann bei mir plötzlich…?“
Die Argumente einzeln untersucht: „Körperverbreiterung“. Wann immer dies als Argument vorgeschoben wird: der Arm verbreitert den Körper, egal, wie weit er davon weg ist. Es gibt nur das früher übliche bemühte Anlegen des Armes. Das funktioniert und wenn der Ball dann dagegen geht, bleibt es wie gehabt: „Angelegter Arm – kein Strafstoß.“ Sowie der Arm vom Körper weg ist, ist der Körper verbreitert und zwar strafwürdig.
Die angeblich „nicht unnatürliche Körperhaltung“ oder „natürliche Bewegung“ ist eine reine Erfindung. Es gab sie früher nicht und es gäbe sie heute auch nicht, wenn man bestrafen würde. Man sollte mal schauen, wie schnell die Abwehrspieler verstanden hätten: wenn ich so mache, gibt es Strafstoß – also unterlasse ich es.
Das lächerlichste aller Argument ist: „aus der Distanz bekommt er den Arm gar nicht mehr weg.“ Der einzige Grund, dass er ihn „nicht wegbekommt“ ist der, dass er ihn ja immerhin schon einmal dorthin bekommen hat. Die Frage müsste eigentlich lauten: bekäme er ihn absichtlich aus dem Weg? Die Antwort darauf lautet: „Ja, das geht ganz einfach. Nämlich dann, wenn man ihn gar nicht erst dahin bewegen würde, wo möglicherweise im nächsten Moment der Ball sein wird.“ Auch dies wäre ganz locker zu bewältigen mit der altbewährten Systematik: „Im Strafraum lässt du die Arme am Körper. Kapiert?“ „Ja, hatte ich doch längst, warum fragen Sie schon wieder?“
Abgesehen davon werden zwei entscheidende Argumente vermisst, auf welche man eigentlich doch kommen könnte? Das erste lautet: „Welche Richtung hatte der Ball im Moment, als Arm oder Hand ihn berührten?“ Dieser mit entscheidende Aspekt wird praktisch komplett außer Acht gelassen. Denn: wenn eine Flanke in den Strafraum käme, dann würde sie vielleicht für Torgefahr sorgen. Wenn dann ein Abwehrspieler mit artistischer Bewegung, die angeblich weder absichtlich noch unnatürlich und auch nicht Körper verbreiternd war, den Ball mit dem Arm davon abhält, in die gefährliche Zone zu geraten, dann erübrigt es sich doch, weiter darüber nachzudenken, ob er den Arm nicht eventuell doch woanders hätte gehalten haben können? Er hat eine Torsituation unterbunden – dann entfällt die Frage nach all diesen anderen an den Haaren herbeigezogenen Argumenten.
Genau so oder beinahe noch mehr wäre es bei einem direkten Torschuss – wie es ebenfalls in letzter Zeit zunehmend häufig vorkommt (und es niemandem aufzufallen scheint, zugleich verunden mit der Frage, warum dies so ist?). Warum sich damit beschäftigen, ob der Abwehrspieler nun etwas dafür konnte – abgesehen davon, dass diese längst beantwortet ist: ja, er konnte, bei Einhaltung der „erweiterten Benimmregel“. Ein direkt auf das Tor gerichteter Schuss mit einem verbotenen Körperteil abgewehrt: Strafstoß und nichts sonst.
Falls man übrigens kurz noch einen Vergleich anstellen möchte: glaubt irgendjemand vielleicht, dass ein Handballtorwart irgendeinen Wurf absichtlich abwehrt? Es geht praktisch nicht. Es ist eine sehr kurze Distanz und es ist eine hohe Geschwindigkeit. Man kann mit „Reflexen“ argumentieren, vielleicht, sicher, aber Absicht ist nicht dahinter. Er spielt den Hampelmann – und hofft, dass irgendwo eines der ausgefahrenen Gledmaßen den Ball abbekommt. Ähnlich verhalten sich Abwehrspieler. Insofern könnte man immer sagen: „das war keine Absicht. Ich wusste doch nicht, dass er genau dorthin schießen würde, wo grad mein Arm war?“
Ein weiterer fast noch wesentlicherer Aspekt ist aber dieser hier: wem nützt es, wenn es keinen Elfmeter gibt? Erstens unterteilen sich die Fanlager immer so, dass es sich die Waage hielte, wessen Bedürfnissen es direkt mehr entspricht. Die einen wollen das, die anderen das. Fünfzig zu fünzig. Egal, ob man einen gibt oder nicht. Eine Hälfte freut sich, die andere ist sauer. Die Frage nach dem Gewicht der Fehler ist rein theoretisch auch keine. Denn: ein nicht anerkannter Treffer, der regulär wäre, hat das genau gleiche Gewicht wie ein Fehler, welcher ein reguläres Tor unmöglich machte. Auch hier hielte es sich zwar die Waage, was die Fanlager angeht, aber insgesamt machte dies keinen Unterschied. Aber dies prinzipiell an anderer Stelle diskutiert (in „die Wahrnehmung von Fehlentscheidungen“).
Da sich die Fanlager genau fünfzig zu fünfzig aufteilen gibt es bei jeder Entscheidung gegen den Strafstoß immer nur diese drei Verlierer: der neutrale Zuschauer, der Fußball selbst und leider auch der Gerechtigkeitssinn. Grundsätzlich auszuschließen ist nämlich, dass ein neutraler Zuschauer hier nicht mindestens intuitiv eine Schieflage erkennt.
Zumal man hier immer diese Situationen gegenüberstellen dürfte: was ist, wenn einem Stürmer im Strafraum, kurz vor dem Torabschluss, der Ball einmal an den Arm springt? Hier gibt es zu 100% keine Gnade: das war Handspiel, das war ein Vergehen, und er soll froh sein, dass er nicht zusätzlich Gelb dafür bekommt, weil das „unabsichtlich“ bereits strittig ist, aber, bitte schön, in diesm Falle doch Gnade vor Recht: nur Freistoß. Warum wird hier nicht Milde walten lassen? „Da konnte er nichts dafür, keine unnatürlich Bewegung, auch keine Körperverbreiterung. Dann lassen wir das Tor gelten.“ Nein, das kommt überhaupt nicht in Frage, das wäre eine Art „Katastrophenfehler“.
Oder alternativ diese Szene: ein Stürmer nimmt sich den Ball gekonnt mit der Brust herunter, aber berührt dabei mit den Oberarm/Schulterbereich. Auch hier gibt es keine Gnade: das war ein Vergehen, so geht´s ja nun nicht, Freistoß und wenn du Glück hast: kein Gelb, auch hier. In beiden Situationen stünde der Stürmer in dem Verdacht: „Ja, wollstest du etwa ein Tor erzielen? Das ist ja unerhört! Wer will denn so was sehen?“
Fazit: es wäre eine ganz schlichte Regel, die da lauten müsste: bei Handspiel im Strafraum gibt es Elfmeter. Wenn man es so entscheiden würde, dann wären die Fragen im Grunde keine mehr, spaßeshalber aber doch gestellt:
- wo hielten die Abwehrspieler ihre Arme?
- Wie häufig würde man die Szene sehen?
- Wie häufig gäbe es Diskussionen darüber?
- Wem würde ein Schaden entstehen?
- Wie viele Elfmeter gäbe es pro Spiel?
- Wie viele Torszenen gäbe es pro Spiel?
- Wie viele Tore gäbe es pro Spiel?
Antworten :
Zu 1) Am Körper.
Zu 2) Selten.
Zu 3) Keine.
Zu 4) Niemandem. Die „fünfzig-fünfzig“ unterteilten sich nur andersherum.
Zu 5) Nicht unbedingt mehr, aber wenn, wo ist das Problem?
Zu 6) Definitiv mehr als jetzt, und meist erfreulicher Natur.
Zu 7) Wie 6).
Und warum macht man es nicht einfach so?