Was ist der Ereignisraum?
Hatte ich eigentlich irgendwo versprochen, Sie gut zu unterhalten? Also wenn nicht, ich würde gern und arbeite daran. Der Ereignisraum besteht bei einem Zufallsexperiment mathematisch betrachtet aus sämtlichen möglichen Ausgängen, die bei diesem speziellen Experiment herauskommen können. Die Summe aller Einzelwahrscheinlichkeiten muss 100%, oder eben 1 sein. Das ist einfach, ja. Der Mathematiker macht es sich einfach. Wenn er also einen Würfel in die Hand nimmt, sagt er, es kann eine 1, 2, 3, 4, 5 oder 6 kommen. Oder beim Roulettekessel. 0 – 36, jede Zahl in einem nach Möglichkeit gleichgroßen Kästchen. Also 37 mögliche Ausgänge.
Noch einfacher, wie oben bereits ausgeführt, macht er es sich mit der Verteilung der Chancen. Ich habe hier einen Würfel, der hat sechs Seiten, ich sehe nichts außergewöhnliches, also ist jede Chance 1/6. 6 Ausgänge, 6*1/6=1. Fertig. Andere Fälle werden nicht betrachtet (auch eine Verschiebung der Chancen wird nicht erwogen, aber dazu an anderer Stelle mehr).
Jetzt kommt wieder die Nervensäge und als solche eigne ich mich wirklich: Was ist, wenn der Würfel unter die Couch fällt und man findet ihn nicht wieder? Das meine ich nicht ernst? Doch, tu ich. Ist noch nie vorgekommen? Was ist aber, wenn man ihn findet, aber dabei der Würfel umfällt, man weiß nicht, welche Zahl es war? Ist doch unwichtig, sagen Sie? Wiederholen? Was ist aber, wenn der Würfel „brennt“? Ja, jetzt wird es langsam „brenzlig“. Da kommt nämlich die Frage auf: Wann brennt er? Wie ist brennen definiert? Hatten Sie nie Streit bei einem Würfelspiel, ob ein Würfel brennt oder nicht? Na, wenn es nicht um Geld ging, geht es ja noch. Aber selbst da könnte man…
Es gibt sogar etliche Würfelspiele, die mit mehr als einem Würfel gespielt werden. Ich merke nur immer, dass es bis zum ersten Auftreten des Falles nicht bedacht oder geregelt wird. Das passt nicht in den Ereignisraum. Und wenn es dann doch geschieht, macht man sich Gedanken. Unter Freunden kein Problem, oder? Aber wenn es um Geld geht, dann muss es einfach definiert werden.
Jedenfalls müsste der Ereignisraum eigentlich so aussehen: Würfel geht verloren, Würfel brennt, Würfel zeigt eine 1, 2, 3, 4, 5, 6. Und die Eintrittswahrscheinlichkeiten erst! Kann man die für die sechs Zahlen noch näherungsweise ganz gut finden, dann fehlt einem jegliches Empfinden für die anderen beiden Ereignisse. Und die Summe bleibt ja bei 100%, mehr kriegt man einfach nicht hin, weniger auch nicht. Also sind diese 1/6 sowieso schon mal falsch.
Sie müssten mal bei einem Backgammonturnier zuschauen, wie oft die Würfel brennen. Darüber gibt es keine Statistik. Glücklicherweise auch (fast) nie Streit. Und auch eine Regel, so dass die Bedeutung relativ gering wird: Der Wurf wird wiederholt. Ja, richtig, beim Backgammon müssen beide Würfel noch mal geworfen werden, auch wenn nur einer der beiden brennt.
Wenn Sie aber jetzt auf Ihrer Ansicht beharren, dass das irrelevant ist, dann gebe ich Ihnen noch ein paar Beispiele. Sie dienen übrigens alle dem gleichen Zweck: Der Aufhebung von Vorurteilen, dem Aufweichen von Denkstrukturen. Ich will Sie mir gefügig machen, hehe.
Und ich arbeite daran, dass Sie irgendwann mal sagen: Der Mann hat irgendwie Recht, so hab ich das noch nie betrachtet.
Ich kann Ihnen also noch zwei Beispiele zu dem Thema Ereignisraum geben: Es gab ja mal die denkwürdige Viertelfinalpaarung 1.FC Köln – Liverpool, Europapokal der Landesmeister 1964/65. Nach Hin- und Rückspiel stand es immer noch Unentschieden, beide Spiele endeten 0:0. Damals gab es keine Verlängerung sondern ein Wiederholungsspiel. Wiederholungsspiel 2:2, Verlängerung, immer noch 2:2. Elfmeterschiessen gab es nicht. Es wurde direkt nach dem Spiel eine Münze geworfen, am Mittelkreis. Der Boden war total umgepflügt. Der Schiri warf die Münze, sie landete tatsächlich auf der Kante, blieb so stecken! Vielleicht war sie aber doch geneigt? Kölns Seite oben? Ganz senkrecht wird es schon nicht gewesen sein. Von Protesten ist mir allerdings nichts bekannt, der Wurf wurde wiederholt – Liverpool siegte. Schicksal? Bedeutungslos? Selbst wenn, aber wenigstens unterhaltsam? Ach bitte.
Ich habe auch zu fortgeschrittener Stunde mal in einem bekannten Spielerlokal eine Szene erlebt: Die Protagonisten hatten plötzlich die Idee, ein einziges Spiel zu machen um 1000 DM. Aber es sollte ein faires Spiel sein. Es war eine Art Mutprobe. Etwa so: „Ich glaube nicht, dass du dich traust, 1000 DM auf einmal zu setzen.“ „Klar trau ich mich.“ Kindergarten eben. Aber es kam zur Umsetzung. Beide legten 1000 DM auf den Tisch, ein Würfel wurde hergenommen, ein Schiedsrichter, einer nahm die gerade Zahlen, der andere die ungeraden. Sagen Sie jetzt nicht, das wäre nicht spektakulär. Der Schiedsrichter warf, der Würfel kullerte, über den Boden, Spannung, Anspannung, und dann: er rollt unter die Heizung. Was nun? Gilt die oben liegende Zahl? Keiner konnte sie sehen, aber gleich Diskussionen. Zum Glück gab es ja einen Schiri, Wiederholung, Mike gewann. Der Schlaukopf hatte gerade genommen!
So sehen also die für den Mathematiker so angenehmen Ereignisräume ursprünglich so aus: N Ausgänge, alle gleichwahrscheinlich. Ja, da kann man sich die Hände reiben. So macht die Mathematik Spaß. Diese ganzen Störfaktoren bei den praktischen Beispielen? Nee, damit wollen wir nichts zu tun haben. Aber als Spieler oder auf dem Weg zum erfolgreichen Spieler ist es häufig gerade die Aufgabe, die Schwachstellen bei den Spielen zu finden.
Und vor allem gibt es eben jede Menge Ereignisse, deren Eintrittswahrscheinlichkeiten völlig unbekannt sind. Der Ereignisraum bleibt zwar oft übersichtlich. Die Addition der Wahrscheinlichkeiten bleibt bei 100%. Aber wie wahrscheinlich welcher Ausgang ist, ist offen, gar unbestimmbar. Wie kommt es dass sich dennoch Menschen davon ernähren können? Selbst wenn es nur die vom Durchschnittsbürger (also nicht von Ihnen) als Gewinner identifizierten Anbieter sind. Wie sollen diese das schaffen? In einem gigantischen Ratespiel sich durchzulavieren?